IMI-Standpunkt 2024/002 (Update, 9.1.2024)

Waffen ohne Wenn und Aber

Rüstungsexportrekorde und Eurofighter-Ausfuhren

von: Jürgem Wagner | Veröffentlicht am: 8. Januar 2024

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Voriges Jahr haben die deutschen Rüstungsexporte ein Allzeithoch erreicht. Gleichzeitig startet die Bundesregierung mit einem exportpolitischen Paukenschlag ins neue Jahr: Die bisherige Blockade des Exports britischer Eurofighter soll beendet werden, wie heute berichtet wird. Interessierte Kreise nutzen diese Ankündigung nun auch gleich noch als Steilvorlage, um auch die Waffenlieferungen an die Ukraine noch weiter zu eskalieren.

Trauriger Rekord

Auch wenn die deutschen Rüstungsexporte von Jahr zu Jahr teils stark schwanken, in der Tendenz ist die Richtung klar: steil nach oben! Im Durchschnitt der Jahre 2005 und 2014 wurden jährliche Genehmigungen im Wert von 4,76 Mrd. Euro erteilt, zwischen 2015 und 2022 waren es dagegen 7,12 Mrd. Euro. Als bisheriger Höchststand thronte das Jahr 2021 mit 9,35 Mrd. Euro auf dem Exportgipfel, bevor die Zahl 2022 wieder – leicht – auf 8,36 Mrd. Euro sank (siehe IMI-Analyse 2023/001).

Für 2023 ist nun ein erneuter sprunghafter Anstieg zu verzeichnen: „Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr Rüstungsexporte im Gesamtwert von 12,2 Milliarden Euro genehmigt. Das entspricht einer Steigerung von fast 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr und ist damit der höchste je genehmigte Umfang binnen eines Jahres. […] Wie das Bundeswirtschaftsministerium mitteilte, entfielen 4,4 Milliarden Euro davon auf die Waffenlieferungen an die Ukraine.“ (Zeit Online, 4.1.2023)

Seltsamerweise weist die zuletzt vor vier Tagen aktualisierte offizielle Internetseite der Bundesregierung für 2023 Ausgaben für Waffenlieferungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg von 5,4 Mrd. Euro aus (2022: 2 Mrd. Euro). Wie sich die Diskrepanz erklären lässt, ist nicht ganz klar (vermutlich handelt es sich um den Unterschied zwischen bereitgestellten und abgerufenen Mitteln). Jedenfalls weist die Seite für die kommenden Jahre weiter Verpflichtungsermächtigungen für Ukraine-Lieferungen im Umfang von 10,5 Mrd. Euro aus, ein Betrag, der in diesem Umfang im August letzten Jahres beschlossen wurde.

Eurofighter-Export: Bahn frei

Großspurig hieß es noch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung: „Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“

Dass mit diesem Satz zuvorderst Exporte an Saudi-Arabien gemeint waren, steht außer Frage (siehe IMI-Analyse 2022/19). Vor diesem Hintergrund entschied sich die Bundesregierung im Juli 2023 dazu, die von ihr abhängige Zustimmung für die Lieferung britischer Eurofighter an Saudi-Arabien zu verweigern. Nun wird aber berichtet, Außenministerin Annalena Baerbock habe – mutmaßlich in Absprache mit anderen Regierungsvertreter*innen – gestern verkündet, die ursprünglich mindestens bis Herbst 2025 terminierte Exportblockade aufzugeben: „Die Bundesregierung rückt von ihrem Nein zur Lieferung von Kampfflugzeugen an Saudi-Arabien ab. Deutschland werde sich dem britischen Wunsch nach Bau und Lieferung von Eurofighter-Jets an das Königreich nicht weiter ‚entgegenstellen‘, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei einem Besuch in Jerusalem. Sie begründete das mit der konstruktiven Rolle Saudi-Arabiens während des Gaza-Kriegs, in dem das Land positiv zu Israel steht.“ (Zeit Online, 8.1.2024)

Wie glaubwürdig das angegebene Motiv ist, mit saudischen Eurofightern seien schließlich auch mehrfach Raketen abgefangen worden, die aus jemenitischem Gebiet nach Israel abgefeuert worden sein sollen, lässt sich schwer einschätzen. In jedem Fall wäre dies nicht die einzige und sicherlich auch nicht vorrangige Aufgabe der Eurofighter. Schließlich haben die Kampfhandlungen in jüngster Zeit zwar abgenommen, sie können aber jederzeit wieder massiv aufflackern – und dass in diesem Fall dann auch saudische Eurofighter eingesetzt würden, wäre relativ wahrscheinlich. So schrieb zum Beispiel der ehemalige LINKEN-Bundestagsabgeordnete Fabio Di Masi auf Twitter/X: „Es ist übrigens eine Täuschung der Öffentlichkeit zu meinen die Euro-Fighter dienten ‚nur‘ dem Abfangen von Raketen der Huthis. Die Scheichs werden diese nicht recyceln und anschließend brav wieder zurückgeben! Im Jemen Krieg trug Saudi Arabien zum Tod von ca 400 Tsd Menschen bei.“

Mögliche Motive

Gut möglich, dass auch andere als die offiziell genannten Überlegungen oder eine Kombination davon ausschlaggebend gewesen sein könnten. So wurde zum Beispiel bereits im November in einem Times-Artikel berichtet, Deutschland erwäge, seine bisherige Blockade der britischen Eurofighter aufzugeben, weil Berlin überlege, aus dem deutsch-französischen FCAS-Projekt aus- und ins britisch-geführte Kampfflugzeugprojekt einzusteigen. Die Freigabe der Exporte wurde in dem Beitrag in diesem Zusammenhang als eine Art deutsche Geste des guten Rüstungswillens beschrieben (siehe IMI-Aktuell 2023/711).

Weil die Quadriga genannte vierte deutsche Eurofighter-Tranche bald ausgeliefert sein soll, werden seit einiger Zeit massiv Forderungen nach einer fünften Tranche erhoben, die in diesem Zusammenhang auch eine Rolle spielen könnten. So wurde in einer vom „Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie“ (BDLI) im Oktober 2023 veröffentlichte Gefälligkeitsstudie von PricewaterhouseCoopers (PWC) dringender Eurofighter-Exportbedarf angemeldet: „Argumentiert wird dabei folgendermaßen: Das Future Combat Air System wird allerfrühestens (wenn überhaupt) ab 2040 ausgeliefert, ausgelastet ist die deutsche Luftfahrtindustrie (also v.a. Airbus) durch Quadriga aber nur bis zum Jahr 2030. Um die Zeit bis zum FCAS überbrücken zu können, würde deshalb eine fünfte Tranche mit mindestens 100 Eurofightern benötigt, die allerdings schon bald beauftragt werden müsse.“ (IMI-Analyse 2023/47)

Mit einer deutschen Bestellung von 40 Eurofightern plus einer vorhandenen Order von 25 Exemplaren aus Spanien werde die Wirtschaftlichkeitsgrenze von 100 Exemplaren allerdings verfehlt, wie Michael Schöllhorn, Leiter von Airbus Defence and Space, in idesem Zusammenhang weiter argumentierte. Weitere Abnehmer müssten im Export gesucht werden – wobei ein Land laut Schöllhorn von zentraler Bedeutung sei: „Genauso wichtig für das Kampfflugzeugprogramm aber bleibt der Export. Österreich, die Türkei, Qatar und Ägypten zählte Schöllhorn als Interessenten auf. In diesen Tagen beteiligt sich die Luftwaffe erstmals mit Eurofightern an einer Übung in Jordanien. Entscheidend aber ist das Interesse Saudi-Arabiens, denn an ihm scheiden sich die Geister. Für 48 Maschinen gibt es eine Option, insgesamt wird über eine Lieferung von 72 Kampfjets gesprochen. Die Eurofighter-Partner Großbritannien, Italien und Spanien drängen auf die Ausfuhr, Berlin bremst.“ (FAZ, 13.10.2023)

In diesem Zusammenhang erblickt beispielsweise die Wirtschaftswoche (8.1.2024) ein wesentliches Motiv für die Eurofighter-Entscheidung: „Ein weiterer Grund für Baerbocks Spurenwechsel hat wohl mit knallharten innerdeutschen Wirtschaftsinteressen zu tun. Seit Monaten fahren die Flugzeugbauer hierzulande massive Lobby gegen das bisherige Ampel-Veto zum Export von Eurofightern an die Saudis. […] Zwar läuft die Produktion des Eurofighters noch bis 2030. Doch weil einige Teile des Jets bereits drei Jahre vor dem Termin produziert werden müssen, könnte den Zulieferern 2027 die Arbeit ausgehen.“

Ergänzend könnte die jetzige Entscheidung auch eine Signalwirkung haben, wodurch generell Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien (und anderen ähnlich gelagerten Fällen) Tür und Tor geöffnet werden könnte – das zumindest erhofft sich laut Welt (9.1.2024) die Rüstungsindustrie: „Nun soll doch das Veto aus dem Kanzleramt wegfallen, was aus Sicht der Rüstungsindustrie einen Dominoeffekt für die gesamte Branche haben könnte, wenn wieder Exporte freigegeben werden. […] Vor gut einem Jahrzehnt gehörte Riad auch zu den potenziellen Käufern des deutschen Kampfpanzers Leopard. Stattdessen modernisieren die Saudis ihre Flotte der M1-Abrams-Panzer. Auf dem potenziellen Bestellzettel des Herrscherhauses soll auch der Airbus-Militärtransporter A400M stehen.“  

Welches dieser Motive hier entscheidend war, lässt sich kaum sagen. Fest steht aber, dass mit der Eurofighter-Entscheidung die Lieferung von Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete nun noch weiter zur Gewohnheit wird.

Steilvorlage für Ukraine-Exporte

Interessierte Kreise nahmen die Steilvorlage in Sachen Eurofighter Export umgehend auf, um auch bei den Waffenlieferungen für die Ukraine eine noch schärfere Gangart zu fordern. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), forderte zum Beispiel postwendend: „Wer Eurofighter nach Saudi-Arabien exportiert, der muss auch umgehend den Taurus an die Ukraine liefern.“

Obwohl es zahlreiche gute Gründe gibt, (nicht nur) von der Lieferung der Taurus-Raketen abzusehen (siehe IMI-Standpunkt 2023/035), nehmen Forderungen in diese Richtung aktuell wieder massiv Fahrt auf. Gestern wurde dazu etwa prominent Ex-Bundespräsident Joachim Gauck in der Bild-Zeitung Platz eingeräumt, dessen Äußerungen auch bei Spiegel Online wiedergegeben wurden: „Ich kenne mich im Militärischen nicht aus, aber ich habe mit Menschen gesprochen, die über das notwendige militärische Wissen verfügen. Und nach diesen Gesprächen kann ich nicht mehr nachvollziehen, dass wir zögern, diese Waffe und weitere Munition zu liefern. […] Deshalb dürfen wir das tun. Und wir müssen es tun – mit allem, was uns zur Verfügung steht. Ohne Wenn und Aber.“

So wird bereits früh weiter am Argumentationsteppich geknüpft, damit Deutschland auch im neuen Jahr neue Rekorde in Sachen Rüstungsexporte verzeichnen kann.