IMI-Analyse 2023/01
Rüstungsexportboom
Kampfpanzer für die Ukraine – neues Gesetz in Arbeit
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 7. Januar 2023
Am 3. Januar 2023 veröffentlichte das Wirtschaftsministerium die aktuellen Zahlen zu den deutschen Rüstungsexportgenehmigungen im Jahr 2022. Interessant ist dabei, wie einige Medien die zentralen Ergebnisse zusammenfassen, wenn etwa das Handelsblatt titelt „Deutsche Rüstungsexporte 2022 leicht rückläufig“. Das ist sachlich zwar nicht direkt falsch, verschleiert aber bereits in der Überschrift die zentrale Tatsache, dass die deutschen Exportgenehmigungen im vorigen Jahr „der zweithöchste Betrag in der Geschichte der Bundesrepublik“ waren, wie im Handelsblatt dann später doch noch eingeräumt wird.
Wie nicht weiter verwunderlich, sind es vor allem die Waffenlieferungen in die Ukraine, die hierfür maßgeblich verantwortlich sind. Zuletzt wurde auch die Abgabe von Kampfpanzern und Patriotsystemen beschlossen, gegen die sich die Bundesregierung (bzw. die SPD) lange gesträubt hatte. Damit wurde der ohnehin schon länger eher nur noch auf dem Papier existierende Grundsatz, dass keine Waffen in Krisen- oder gar Kriegsgebiete geliefert werden sollen, endgültig ad acta gelegt. Mit dem aktuell in Abstimmung befindlichen Entwurf für ein Rüstungsexportgesetz soll dieses Vorgehen juristisch und politisch hieb und stichfest gemacht und generell dafür gesorgt werden, dass deutsche Rüstungsexporte künftig noch reibungsloser bewerkstelligt werden können.
Von Rekord zu Rekord
Was Rüstungsexportgenehmigungen anbelangt, sind bislang noch die „Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern“ maßgeblich. In diesen zuletzt im Juni 2019 aktualisierten Richtlinien ist von dem „Bestreben“ die Rede, die „Rüstungsexportpolitik weiter restriktiv zu gestalten“. Und tatsächlich klingen die einzelnen Passagen teils durchaus danach, diesem Anspruch gerecht werden zu wollen. Allerdings handelt es sich bei diesen Rüstungsexportrichtlinien um genau das: um unverbindliche Richtlinien, die je nach Interessenlage auch gebrochen oder zurechtgebogen werden können. Dass ihr Pendant auf EU-Ebene, der „Gemeinsame Standpunkt für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“, eigentlich rechtlich bindend ist, macht es leider auch nicht besser, weil die Auslegung der darin enthaltenen Kriterien den Staaten überlassen wird. Außerdem existieren faktisch keine Klage- oder Sanktionsmöglichkeiten gegen Länder, die die Kriterien brechen (siehe IMI-Analyse 2020/40).
Wichtig scheint hier der Hinweis, dass es sich dabei keineswegs um handwerkliche Fehler handelt, sondern es bewusste politische Entscheidungen sind, die Exportkontrolle löchriger als ein Fischernetz zu gestalten. Dabei geht es weniger darum, der heimischen Industrie Geld in die Taschen zu spülen, auch wenn dies sicher ein gewünschter Nebeneffekt ist. Vor allem sollen die Exporte generell zur Stärkung der rüstungsindustriellen Basis beitragen, was von allen Bundesregierungen der letzten Jahre zu einem Kerninteresse deutscher Machtpolitik erklärt wurde. Hier liegen die Ursachen, weshalb es sich bei den Rüstungsexportgenehmigungen – zumindest aus Sicht der interessierten Kreise – um eine wahre Erfolgsgeschichte handelt. Auch wenn Exporte starken jährlichen Schwankungen unterliegen, ist der Trend eindeutig – und der zeigt steil nach oben. So wurden zwischen 2005 und 2014 im Schnitt jährlich Genehmigungen im Wert von 4,76 Mrd. Euro erteilt, von 2015 bis 2022 waren es dagegen 7,12 Mrd. Euro.
Gleichzeitig wurden auch in schöner Regelmäßigkeit neue „historische“ Höchststände gemeldet, etwa 2015 (7,5 Mrd. Euro), dann 2019 (8 Mrd. Euro) und schließlich 2021 (9,35 Mrd. Euro). Diese Zahl wurde im vorigen Jahr tatsächlich nicht noch einmal getoppt, aber dennoch dürften Rheinmetall & Co mit dem „zweitbesten“ Ergebnis aller Zeiten hochzufrieden sein: „Im Jahr 2022 wurden nach vorläufigen Zahlen Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von 8,36 Mrd. € erteilt (anteilig: 3,96 Mrd. € Kriegswaffen und 4,4 Mrd. € sonstige Rüstungsgüter).“ (Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums, 3.1.2023)
Vor diesem Hintergrund hat es schon einen sehr faden Beigeschmack, wenn der Ex-Attac-Aktivist und heutige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Sven Giegold, der übrigens auch für das geplante Rüstungsexportkontrollgesetz federführend ist, diese Zahlen dann auch noch als vollen Erfolg verkaufen will: „Die Bilanz der Bundesregierung im ersten Jahr ihrer Amtszeit zeigt die Ergebnisse wertegeleiteter Rüstungsexportpolitik im Angesicht der Zeitenwende. […] Die Bundesregierung setzt sich auf dieser Grundlage auch für eine stärkere Zusammenarbeit in Europa ein und bringt zugleich die Arbeiten für das erste Rüstungsexportkontrollgesetz weiter voran.“ (Sven Giegold, Pressemitteilung, 3.1.2023)
Leider ist dieser hier über den grünen Klee gelobte Gesetzesentwurf absolut nicht geeignet, zu einer restriktiven Exportpolitik beizutragen, was vor allem auch daran liegt, weil er dazu dienen soll, die nun vor allem in der Ukraine im großen Stil an den Tag gelegte Praxis, auch Waffen in Kriegsgebiete zu senden, endgültig zur Normalität deutscher Exportpolitik zu machen.
Ukraine: Deutsche Waffen
Wie erwähnt, dürfte es wenig überraschen, dass im Jahr 2022 ein Viertel aller Rüstungsexportgenehmigungen (ca. 2,24 Mrd. Euro) auf die Ukraine entfiel. Kurz vor Jahresende hatte das Verteidigungsministerium auch noch einmal die Liste der „Militärischen Unterstützungsleistungen für die Ukraine“ aktualisiert. Ein Blick lohnt sich dort vor allem auch in das Kapitel „Militärische Unterstützungsleistungen in Vorbereitung/Durchführung“ zu werfen, worin sich die kommenden Exportvorhaben finden lassen. Dazu gehören u.a. 18 Radhaubitzen RCH 155 oder auch 7 Flakpanzer GEPARD, dazu noch zahlreiches weiteres Gerät und große Mengen Munition etc.
Am 5. Januar 2023 wurde dann auch noch die nächste Eskalationsstufe erklommen. Auf der Seite des Verteidigungsministeriums war nachzulesen: „Eine Patriot-Feuereinheit und bis zu 40 Schützenpanzer Marder liefert Deutschland an die Ukraine, um sie im Verteidigungskampf gegen den Aggressor zu unterstützen. […] Die USA werden Bradley-Schützenpanzer bereitstellen. Damit werde die geplante Lieferung Frankreichs von Rad-Spähpanzern ergänzt, so die Ministerin. Hinzu kommen noch 100 Kampf- und Schützenpanzer sowjetischer Bauart durch den Ringtausch mit Verbündeten. […] Das Paket umfasst auch die Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten an der Patriot-Feuereinheit und auf dem Schützenpanzer Marder, diese wird von Deutschland abgedeckt.“
Heikel ist angesichts des im Mai 2022 erschienenen Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages „Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme“ nicht zuletzt der letzte Satz. Schließlich kam das Gutachten zu dem Ergebnis, die Lieferung von Kriegsgerät sei noch nicht als Kriegsbeteiligung zu werten, die Ausbildung ukrainischer Soldaten an diesen Geräten hingegen schon.
Bezahlt werden die Waffenlieferungen vor allem über zwei Töpfe: „Im Rahmen des Haushaltsverfahrens 2022 wurden die Mittel für die Ertüchtigungsinitiative auf insgesamt 2 Milliarden Euro für das Jahr 2022 erhöht. Die zusätzlichen Mittel sollen vornehmlich der Unterstützung der Ukraine zugutekommen. Zugleich werden sie zur Finanzierung der gestiegenen deutschen Pflichtbeiträge an die Europäische Friedensfazilität (EPF) eingesetzt, aus deren Mitteln wiederum Kosten der EU-Mitgliedstaaten für Unterstützungsleistungen an die Ukraine erstattet werden können.“ (Militärische Unterstützungsleistungen für die Ukraine, bmvg.de, 20.12.2022)
Die hier angesprochene Ertüchtigungsinitiative ist unter der Budgetlinie „Ertüchtigung von Partnerstaaten im Bereich Sicherheit, Verteidigung und Stabilisierung“ nicht Teil des Verteidigungshaushalts (Einzelplan 14), sondern des Allgemeinen Haushaltes (Einzelplan 60). Waren hierfür 2021 „nur“ Mittel im Umfang von 225 Mio. Euro vorgesehen, wurden diese vor allem mit Blick auf den Ukraine Krieg mit 2 Mrd. Euro (2022) bzw. 2,3 Mrd. Euro (2023) drastisch aufgestockt. Davon sollen einmal direkt deutsche Waffenkäufe finanziert werden, um Gerät aufzustocken, das zuvor an die Ukraine abgegeben wurde. So wurde zum Beispiel Anfang Januar 2023 berichtet, 14 an die Ukraine abgegebene Panzerhaubitzen 2000 sollten nachbeschafft und aus dem „Ertüchtigungsfonds“ finanziert werden.
Außerdem fließt aus diesem Topf wie oben beschrieben der deutsche Anteil von 25 Prozent an der „Europäischen Friedensfazilität“ (EFF), die inzwischen zu einem wesentlichen Finanzierungsinstrument für Waffenlieferungen an die Ukraine geworden ist. Endgültig beschlossen wurde sie im Frühjahr 2021, wobei damals ein Budget von 5 Mrd. Euro (in Preisen von 2018) bis 2027 vorgesehen war (siehe IMI-Analyse 2022/21).
Im Anschluss an den russischen Angriff auf die Ukraine wurde aber eine EFF-Tranche nach der nächsten bewilligt, meist in Bündeln zu jeweils 500 Mio. Euro. So kamen bis Ende 2022 allein für die Ukraine 3,1 Mrd. Euro für Waffenlieferungen zusammen, da über die EFF aber auch noch andere – tendenziell eher kleineren Maßnahmen – finanziert werden, war ihr Budget damit also bereits ziemlich aufgebraucht.
Um auch im kommenden Jahr weiter große Mengen EFF-Gelder vor allem für die Ukraine zur Verfügung stellen zu können, wurde deshalb eine Anhebung der Gelder als dringend erforderlich erachtet. Am 12. Dezember 2022 meldete vor diesem Hintergrund der Rat der EU: „Deshalb wurden bereits im Jahr 2022 86 % der finanziellen Gesamtobergrenze für 2021-2027 gebunden, was eine erste Anhebung erforderlich gemacht hat. […] Der Rat hat insbesondere beschlossen, die finanzielle Gesamtobergrenze 2023 um 2 Mrd. € anzuheben (zu Preisen von 2018), wobei eine weitere Anhebung zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist. Die Anhebung der finanziellen Gesamtobergrenze der EFF würde sich bis 2027 insgesamt auf bis zu 5,5 Mrd. € (zu Preisen von 2018) belaufen. […] Dieser Beschluss setzt ein klares politisches Signal für das anhaltende Engagement der EU bei der militärischen Unterstützung sowohl für die Ukraine als auch für andere Partner.“ (Rat der EU, Pressemitteilung, 12.12.2022)
Exportgesetz für Ausfuhren in Kriegsgebiete
Der Grundsatz, keine Waffen in Krisen- oder Kriegsgebiete zu exportieren, leitet sich u.a. aus dem bereits erwähnten und für die EU maßgeblichen „Gemeinsamen Standpunkt betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“ vom Dezember 2008 ab: „Die Mitgliedstaaten verweigern eine Ausfuhrgenehmigung für Militärtechnologie oder Militärgüter, die im Endbestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen bzw. verlängern würden oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden.“ (Gemeinsamer Standpunkt betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern, 13.12.2008)
Nun ist schon klar, dass Deutschland seit vielen Jahren unter Nichtbeachtung dieser Richtlinien Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete liefert. So offenbarte im Sommer 2022 die von den Nichtregierungsorganisationen Facing Finance und Urgewald erstellte Datenbank „Exit Arms“, dass deutsche Unternehmen allein zwischen 2015 und 2020 in über 200 Fällen in in dieser Hinsicht problematische Geschäfte verwickelt waren (siehe Waffenexporte in Kriegsgebiete: Deutschland an vorderster Front, Telepolis; 28.6.2022).
Es ist aber ebenso klar, dass diese Praxis nun mit den Waffenlieferungen an die Ukraine noch einmal ganz andere Dimensionen erreicht. Vor diesem Hintergrund soll der Mitte Oktober 2022 veröffentlichte Entwurf „Eckpunkte für das Rüstungsexportkontrollgesetz“, mit grundsätzlichen Vorbehalten gegenüber derlei Waffenlieferungen in Kriegsgebiete weitgehend aufräumen. Erarbeitet wird das Gesetz, wie gesagt, unter der Ägide des grünen Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium Sven Giegold, mit dessen bisheriger Rolle die Waffenbranche einem Spiegel-Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Wie die Grünen zur Hoffnung der Rüstungsindustrie werden“ (6.1.2023) hochzufrieden sein soll. Dies gilt besonders für einen Bereich, in dem Giegolds grüne Partei zynischerweise im Bundestagswahlkampf 2021 noch den Slogan „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“ vor sich hergetragen hat (siehe Deutsche Rüstungsexporte: Allzeithoch knapp verfehlt, Telepolis, 28.12.2022). Denn augenscheinlich sollen mit dem kommenden Gesetz die in der Ukraine praktizierten Waffenlieferungen endgültig salonfähig gemacht werden: „Es soll ausdrücklich die Möglichkeit festgeschrieben werden, Länder, die sich in Konflikten befinden oder bei denen ein Ausbruch eines Konfliktes konkret zu befürchten ist, im Einklang mit den der deutschen Außenpolitik zugrunde liegenden Werten und den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und geltendem Völkerrecht in ihren legitimen Interessen, insbesondere dem Recht auf Selbstverteidigung, zu unterstützen. Dabei berücksichtigt die Bundesregierung die Lage und Positionierung der Bundesrepublik in Bezug auf den Konflikt, bestehende Bündnisverpflichtungen und Sicherheitspartnerschaften, anderweitige außen- und sicherheitspolitische Belange sowie das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Androhung oder Anwendung von Gewalt gegenüber dem Empfängerstaat.“ (BMWK: Eckpunkte für das Rüstungsexportkontrollgesetz, 14.10.2022)
Allmählich scheint auch den letzten kritischen Resten in der Partei zu dämmern, das hier aus dem Präzedenzfall Ukraine eine künftige Regel gemacht werden soll. Im bereits erwähnten Spiegel-Artikel „Wie die Grünen zur Hoffnung der Rüstungsindustrie werden“ heißt es dazu: „Habeck und Baerbock könnten den Bruch in der deutschen Waffenpolitik herbeiführen, aber sie scheuen ihn. Russlands Überfall auf die Ukraine hat das deutsche Prinzip, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, außer Kraft gesetzt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) räumte es in seiner Rede über die »Zeitenwende« ab, aber keine andere Partei hat sie schneller vollzogen als die friedensbewegten Grünen. […] Allmählich aber macht sich in der Partei die Sorge breit, dass unter dem Eindruck der »Zeitenwende« Rüstungsexporte in Krisengebiete generell legitimiert werden – und Waffendeals mit problematischen Partnern auch dem Schmieden von Allianzen gegen Russland dienen könnten.“
Da der Entwurf auch an anderen Stellen – etwa dem Export europäischer Kooperationsprojekte oder dem Fehlen eines Verbandsklagerechtes (siehe ausführlich IMI-Analyse 2022/57) – hochgradig problematisch ist, sparten Organisationen wie etwa „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ nicht mit Kritik: „Wenn die Eckpunkte in ihrer jetzigen Gestalt im Gesetzentwurf umgesetzt werden, besteht die Gefahr, dass das Rüstungsexportkontrollgesetz in großen Teilen die bisherige Rüstungsexportpolitik festschreiben wird und darüber hinaus sogar weitergehende Möglichkeiten für die Genehmigungsfähigkeit von Rüstungsexporten schafft.“ (Stellungnahme Aktion Aufschrei, 21.11.2022)
Es steht aber zu befürchten, dass die berechtigten Einwände gegenüber einer weiteren Aushöhlung der deutschen Exportkontrolle ungehört verhallen werden – eben weil eine wirklich restriktive Politik in diesem Bereich nie das Ziel war, auch nicht unter der aktuellen Regierung.