IMI-Analyse 2023/47

Pistorius-Doktrin

Teurer Balanceakt zwischen kurz- und langfristigen Rüstungsperspektiven

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 25. Oktober 2023

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Zwei eigentlich miteinander unvereinbare Ziele will Verteidigungsminister Boris Pistorius erreichen: Einmal eine deutliche Beschleunigung von Rüstungsneuanschaffungen, was vor allem durch Ankäufe im Ausland umgesetzt werden soll. Und auf der anderen Seite will er aber auch den Aufbau eines europäischen Rüstungskomplexes mit starker deutscher Komponente vorantreiben. Hier wittert auch die deutsche Rüstungsindustrie ihre Chance, was zusätzlich dazu beiträgt, dass die beiden von Pistorius verfolgten Ziele im Ergebnis wohl vor allem eines werden: teuer!

Pistorius-Doktrin: Tempo, Tempo, Tempo!

In einem als „Pistorius-Doktrin“ bekanntgewordenen Tagesbefehl Ende April 2023 postulierte er, bei der Beschaffung stehe fortan Tempo an vorderster Stelle: „Oberste Priorität ist für uns alle künftig der Faktor Zeit. Wir setzen für die Beschleunigung da an, wo wir uns selbst Regelungen gegeben haben, die uns stärker einschränken oder bremsen, als es die Gesetzeslage vorsieht. Wo wir uns selbst unnötig Fesseln angelegt haben, werden wir diese nun abwerfen. Ziel ist in erster Linie die schnellstmögliche Realisierung des für die Truppe nutzbaren Produktes.“

Und tatsächlich: Die Frequenz der Beschaffungsentscheidungen wurde extrem nach oben geschraubt, allein bis zur Sommerpause wurden dem Haushaltsausschuss bereits 31 Vorlagen mit einem Volumen von 21. Mrd. Euro vorgelegt – doppelt so viele wie im gesamten Vorjahreszeitraum. Schon im Frühjahr hatte das Verteidigungsministerium das Ziel ausgeben, am Ende des Jahres 72 Vorlagen unter Dach und Fach bringen zu wollen – es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies erreicht wird, zuletzt wurden am 19. Oktober Anschaffungen für weitere 4,4 Mrd. Euro abgenickt. Jetzt ist aber Tempo nicht unbedingt die Stärke der deutschen Rüstungsindustrie, wie Pistorius im Interview mit dem Handelsblatt (20.10.2023) recht ungeschminkt zu Protokoll gab: „Wir haben Know-how und Technik, aber wir haben ein europaweites Problem mit den Kapazitäten. Wenn ich heute einen Leopard-Panzer bestelle, dann dauert es zwei Jahre, bis er auf dem Hof steht, eher noch zwei Monate länger.“

Buy American!

Vor dem Hintergrund der Tempovorgaben des Verteidigungsministers erklärt sich, dass es sich bei einem Großteil der seit 2022 über das Sondervermögen der Bundeswehr finanzierten Großprojekte um bereits fertig im Ausland entwickelte Produkte handelt – und das besonders bei den dicken Fischen. So entfallen von den 4,4 Mrd. Euro, die zuletzt vom Haushaltsausschuss bewilligt wurden, allein 4 Mrd. Euro auf das israelische Luftverteidigungssystem Arrow. Den Löwenanteil sahnt aber die US-Rüstungsindustrie ab: Allein für die Beschaffung von 35 F-35 Kampfflugzeugen wurden 8,3 Mrd. Euro bewilligt (Lockheed Martin), für 60 Schwere Transporthubschrauber CH-47F Chinook wurden rund 7 Mrd. Euro freigegeben (Boeing) und noch in diesem Jahr sollen die Mittel für den Kauf von acht Seefernaufklärern P-8 Poseidon im Umfang von 1,2 Mrd. Euro abgesegnet werden (Boeing).

Mit der Grundsatzentscheidung zur Anschaffung der Boeing-Poseidons versenkte die Bundesregierung im Übrigen faktisch gleich auch noch ein wichtiges deutsch-französisches Rüstungsprojekt. Denn eigentlich hatten sich Berlin und Paris auf die Entwicklung eines eigenen Seefernaufklärers namens „Maritime Airborne Warfare System“ (MAWS) verständigt, der allerdings nach der Entscheidung zur Boeing-Bestellung mehr oder weniger überflüssig geworden ist (siehe IMI-Analyse 2023/05).

Was hier in Deutschland geschieht, hat System: Europaweit wurden nach dem russischen Angriff auf die Ukraine die Beschaffungshaushalte massiv erhöht, wobei die US-Rüstungskonzerne den größten Teil absahnen. So wurde im Reservistenmagazin loyal über eine neue Studie des „Institut de Relations Internationales et Strategiques“ (IRIS) berichtet. Darin betrachtete sich Autor Jean-Pierre Maulny die Ursprungsländer der europäischen Beschaffungsprojekte nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges: „Sein zentraler Befund: 78 Prozent der Beschaffungen der Europäer seit Kriegsauftakt kommen von außerhalb der Europäischen Union. Den Löwenanteil davon bedienen die Vereinigten Staaten mit 63 Prozent.“

Buy European?

Die aktuelle US-Präferenz hätte in sich betrachtet vor allem dann einen gewissen Sinn, wenn man die ohnehin recht hochtrabenden Pläne zum Aufbau eines mit den USA auf Augenhöhe operierenden europäischen Rüstungskomplexes beerdigen würde. Dann könnte man sich nämlich sündhaft teure Eigenentwicklungen sparen und um ein Vielfaches günstiger von der Stange bei den USA kaufen – nur das ist nicht das, was Pistorius im Schilde führt. In seinem Interview mit dem Handelsblatt (20.10.2023) gab er an: „Es hängt davon ab, ob wir von kurz- oder langfristigen Projekten sprechen. Bestimmte Fähigkeiten können wir gerade nicht erfüllen. Da müssen wir schnell auf marktverfügbare Systeme zurückgreifen, auch aus den USA. Langfristig müssen wir dafür sorgen, dass unsere Industrien in Europa in der Lage sind, die wichtigen Systeme der Zukunft selbst zu entwickeln.“

Das eine tun – schnell beschaffen, indem kurzfristig bei den USA gekauft wird – bedeutet aus Sicht des Verteidigungsministers also nicht, das andere – die Auflage europäischer Großprojekte als Vorbedingung eines europäischen Rüstungskomplexes – zu lassen. Das heißt dann zum Beispiel Milliardenbeträge in die F-35 zu stecken, gleichzeitig aber an der Entwicklung des deutsch-französisch-spanischen Luftkampfsystems „Future Combat Air System“ (FCAS) festzuhalten. Dessen Entwicklungskosten werden meist auf um die 100 Mrd. Euro geschätzt und früher hieß es einmal, wenn Deutschland in relevantem Umfang F-35 anschaffen würde, wäre das erwartbare Volumen zu gering, um das FCAS-Projekt realisieren zu können (siehe IMI-Analyse 2020/17). Dank der Milliarden aus dem Sondervermögen scheint man nun beide Projekte verfolgen zu wollen.

Auch am zweitwichtigsten deutsch-französischen Großvorhaben, dem Panzerprojekt „Main Ground Combat System“ (MGCS), will Pistorius eisern festhalten, obwohl das Projekt aufgrund extremer Streitereien unter den beteiligten Unternehmen zuletzt arg ins Straucheln geraten war. Konkret können sich die in der Holding KNDS zusammengeschlossenen Nexter und KMW nicht mit Rheinmetall auf die Anteile am Kuchen verständigen. Deshalb richtete sich Pistorius in dem besagten Handelsblatt-Interview mit folgenden Worten an die beteiligten Unternehmen: „Ich bin sehr zuversichtlich, weil mein französischer Amtskollege Sébastien Lecornu und ich beide MGCS wollen. Denn es gibt keine vernünftige Alternative, wenn wir über einen Panzer reden für die Zeit nach 2040. Aber natürlich geht es auch immer darum, unterschiedliche Interessen der jeweiligen Industrien auszugleichen. Und das macht man nicht mal eben so. Da braucht es den politischen Willen. Wir bestimmen in der Politik, was gemacht wird, dann muss die Industrie auch folgen.“

Anliegen der Rüstungsindustrie

Die Industrie wittert ihrerseits hier ihre Chance: Wenn der Verteidigungsminister eine starke deutsche Rüstungsindustrie anstrebt, um auf dieser Grundlage eine Führungsrolle in einem entstehenden europäischen Rüstungskomplex einzunehmen, dann solle er gefälligst dafür Sorge tragen, dass zentrale „Anliegen“ der Branche adressiert werden. Das zumindest war die Kernbotschaft von Hans Christoph Atzpodien, dem Hauptgeschäftsführer des „Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ (BDSV), in einem aktuellen Artikel in der Europäischen Sicherheit & Technik (19.10.2023).

Zwar habe sich die „Situation in vielen Bereichen zum Besseren gewendet“, konstatierte der Chefrüstungslobbyist zufrieden, was insbesondere der „Arbeitsweise des ab Januar 2023 amtierenden Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius zugerechnet werden“ könne. Dennoch habe die Industrie eine Reihe von „Anliegen“ – fünf, um genau zu sein, deren Titel und Reihenfolge hier ein wenig abgeändert wurden –, die adressiert werden müssten, damit sich eine deutsche Führungsrolle in einem europäischen Rüstungskomplex realisieren lasse.

Anliegen Nr. 1: Geld, Geld und nochmals Geld!

„Aufträge“ und „Planbarkeit“ seien das A und O einer florierenden Rüstungsindustrie, so Atzpodien. Hierfür sei wiederum ein wohlausgestatteter Verteidigungshaushalt von zentraler Bedeutung, was mit dem Sondervermögen aktuell gewährleistet sei – dieser Schuldentopf dürfte aber spätestens 2026 leer sein und aus diesem Grund setzt sich Atzpodien dafür ein, schon jetzt auch für die Zeit danach ähnlich hohe Ausgaben fest einzuplanen: „Dies gilt ganz besonders angesichts der über 2025 hinaus wenig gesicherten Haushaltslage für BMVg-Beschaffungen. Überhaupt ist die haushalterische Ausstattung des BMVg-Budgets einer der Kernpunkte der kommenden Jahre: Ohne deutlich mehr Mittel für Investitionen im Einzelplan 14 [Verteidigungshaushalt], insbesondere nach Auslaufens [sic!] des ‚Sondervermögens Bundeswehr‘ wird die Bundeswehr ihre NATO-Zusage von dauerhaft zwei Prozent des BIP nicht einhalten.“

Anliegen Nr. 2: Nachhaltige Rüstung?

Schon seit einiger Zeit ist die Rüstungsindustrie mächtig in Rage, weil die Europäische Kommission keine Anstalten macht, sie in die soziale Taxonomie aufnehmen zu wollen. Das ist keine Petitesse, schließlich eröffnet eine „sozial nachhaltige“ Einstufung den Zugang zu günstigen Krediten. Für Atzpodien ist es natürlich keine Frage, dass ausgerechnet die Rüstungsindustrie dem gerecht wird: „Die adäquate Ausrüstung unserer Streitkräfte und Sicherheitsorgane ist essentiell für unseren Frieden und unsere Sicherheit in Europa, weil Krieg das Ende jeder Nachhaltigkeit bedeutet. Umweltschutz und soziale Essentials des menschlichen Lebens kommen unter Kriegsbedingungen zum Erliegen. Doch die EU drückt sich um diese Feststellung herum.“

Anliegen Nr. 3: Protektionismus

Konkurrenz belebt das Geschäft, das ist das Motto der deutschen Rüstungsindustrie allerdings nur überall dort, wo sie ohnehin stark genug aufgestellt ist, um sich im europäischen oder gar internationalen Wettbewerb zu behaupten. Wo europa- oder weltweite Ausschreibungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Vergabe an ausländische Konkurrenten führen würde, sollen zumindest für Kernbereiche hohe Schutzmauern errichtet werden.

Dies war bereits 2015 die Idee des „Strategiepapiers der Bundesregierung zur Stärkung der Verteidigungsindustrie in Deutschland“, das diverse zu protegierende „Schlüsselindustrien“ definierte: Geschützte/Gepanzerte Fahrzeuge, Unterwasserplattformen, Schutz, Sensorik, Vernetzte Operationsführung/Krypto. In einer Neuauflage im Jahr 2020 wurden weitere Bereiche hinzugenommen: Elektronische Kampfführung (EloKa), Überwasserschiffbau, Künstliche Intelligenz sowie IT- und Kommunikationstechnologie. In diesen Produktkategorien sollen Ausschreibungen rein national erfolgen, um so den Bestand der einheimischen Unternehmen zu garantieren und sie vor Konkurrenz abzuschirmen (siehe IMI-Analyse 2020/06).

Atzpodien plädiert nun für eine nochmalige Erweiterung dieser Liste – und für ein ähnliches Vorgehen auf EU-Ebene (zumindest dort, wo deutsche Unternehmen führend sind): „Neben einer Erweiterung der Schlüsseltechnologien (Stichworte sind Luftfahrt und Flugkörper) bedarf es aus deutscher Sicht vor allem eines strategischen Commitments im europäischen Kontext. Ohne Definition national unverzichtbarer Souveränitäts-Technologien und – Fähigkeiten fehlt der strategische Kompass für eine zielgerichtete europäische Rüstungskooperationspolitik, bei der Deutschland eine Führungsrolle übernehmen muss.“

Anliegen Nr. 4: Deutsche Dominanz

Europaweite Großprojekte würden immer wieder an „Souveränitätsfragen“ scheitern, so Atzpodien. Dabei verwendet er die netter klingende Formulierung für nationale Interessen, die dafür sorgen, dass kleinere Staaten teils wenig Begeisterung für europaweite Projekte und Ausschreibungen an den Tag legen, weil ihre Unternehmen dabei gegen die Firmen aus den großen Mitgliedsländern kaum eine Chance haben. 

Das soll aus Atzpodiens Sicht künftig ein Ende haben, europäische Rüstungspolitik soll Sache der großen Staaten sein, allen voran die Deutschlands: „Das Aushandeln von Kooperationsmustern für die mittel- bis langfristig anstehenden Großwaffensysteme in Europa sollte Sache der ‚E4‘-Länder sein (Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien), denn sie setzen hierfür ihre Steuermittel ein. In der EU kann eine effektive Vereinheitlichung von Rüstung nur von den großen, investitions-intensiven Mitgliedstaaten ausgehen. Deutschland sollte hierbei eine entscheidende Rolle übernehmen.“

Anliegen Nr. 5: Exportoffensive

Ohne den Export von Rüstungsprodukten lässt sich eine einheimische Rüstungsindustrie kaum am Leben erhalten. Laxe Exportrichtlinien sind deshalb nicht nur im Interesse der Industrie, sondern auch der Politik, woran Atzpodien erinnert: Er geißelt die „strengen deutschen Rüstungsexportkontrollvorschriften“, die – vor allem im europäischen Vergleich – bereits restriktiv genug seien. Auch wenn da ein Funken Wahrheit dran ist, sagt das mehr über die Exportpolitik der anderen Staaten aus als über die „Qualität“ der deutschen Rüstungskontrolle. Jedenfalls besteht für Atzpodien „kein Grund für eine weitere Verschärfung der Rüstungsexportkontroll-Regularien“. Vielmehr gelte es einen „weiteren Ausbau deutscher Sonderregeln beim Export von Rüstungsgütern unbedingt zu vermeiden.“

Faktisch will man sich durch eine noch weitere Absenkung der Standards auf Augenhöhe mit den Konkurrenten begeben: „Rüstungsexporte in Drittländer sollten seitens der Regierung so gehandhabt werden, dass diese Handhabung nicht zu einer generellen wettbewerblichen Benachteiligung oder sogar zur existenziellen Bedrohung für die hiesigen Unternehmen gegenüber ihren europäischen Konkurrenten führt. Folge wäre, dass Unternehmen auch nationale Schlüsseltechnologien nicht mehr in wirtschaftlich tragfähiger Form für die Bundeswehr vorhalten können.“

Praxisbeispiel: Eurofighter Tranche 5

Die Rüstungsindustrie belässt es nicht bei allgemeinen Appellen an die Bundesregierung, ihr die Arbeit zu erleichtern. Gerade in jüngster Zeit wird noch einmal besonders verstärkt auch für konkrete Projekte geworben – und zwar explizit unter dem Verweis, wenn die Bundesregierung eine einheimische Industrie wolle, müsse sie sie auch dementsprechend durchfüttern.

Besonders deutlich wurde dies zuletzt angesichts der Forderungen nach einer weiteren Bestellung („Tranche“) von Eurofightern. Die Auslieferung der 4. Tranche mit 48. Eurofightern („Quadriga“) für 5,5 Mrd. Euro soll 2030 abgeschlossen sein. Dieses Geld sei aber gut angelegt, argumentiert nun eine im Auftrag des „Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie“ (BDLI) im Oktober 2023 veröffentlichte Gefälligkeitsstudie von PricewaterhouseCoopers (PWC). Durch die Tranche 4 seien 25.000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert worden und sie habe sich generell extrem positiv auf die Volkswirtschaft ausgewirkt, so das Fazit der Studie: „Die Beschaffung der Eurofighter Tranche 4 hat weitreichende sozio-ökonomische Effekte in Bezug auf Beschäftigung, BIP und Steuereinnahmen, stärkt die nationale Souveränität und sichert Kompetenzen in deutschen Schlüsseltechnologiefeldern.“ Natürlich ist das Gerede vom Jobmotor Rüstungsindustrie mit seinen segensreichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen schon lange als Mythos entlarvt. Er muss aber allein schon deshalb bemüht werden, damit die Studie – und in der Folge weitere Rüstungslobbyisten – auf dieser Grundlage zu ihrem eigentlich Anliegen übergehen können, nämlich für eine fünfte Eurofighter-Tranche zu werben.

Argumentiert wird dabei folgendermaßen: Das Future Combat Air System wird allerfrühestens (wenn überhaupt) ab 2040 ausgeliefert, ausgelastet ist die deutsche Luftfahrtindustrie (also v.a. Airbus) durch Quadriga aber nur bis zum Jahr 2030. Um die Zeit bis zum FCAS überbrücken zu können, würde deshalb eine fünfte Tranche mit mindestens 100 Eurofightern benötigt, die allerdings schon bald beauftragt werden müsse. So heißt es in der BDLI-Zusammenfassung der PWC-Studie: „Ohne eine baldige Folgebeauftragung (Tranche 5) durch die Bundesregierung würde das Ende des militärischen Kampfflugzeugbaus in Deutschland drohen – und damit verbunden ein entsprechender Verlust von Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen und insbesondere von Spitzentechnologien und Kompetenzen unserer Industrie, die über Jahrzehnte aufgebaut wurden. BDLI-Präsident Dr. Michael Schöllhorn sagte dazu: ‚Möchten wir militärischen Flugzeugbau in Deutschland vorhalten? Lautet die Antwort ‚ja‘ – nicht zuletzt angesichts der geopolitischen Situation – dann müssen wir neben der aktuell im Bau befindlichen Tranche 4 Eurofighter in Deutschland rasch die industrielle Brücke zur Zukunft schlagen. Das heißt konkret: Noch in dieser Legislaturperiode benötigen wir die Beauftragung für die Weiterentwicklung des Eurofighter‘.“

Michael Schöllhorn, Leiter Airbus Defence and Space, rechnet mit einer Bestellung aus Deutschland von etwa 40 Eurofightern für die Tranche 5 und mit etwa 25 Fliegern im Projekt Halcon 2 aus Spanien. Um die selbst gesetzte Wirtschaftlichkeitsgrenze von 100 Exemplaren zu überspringen, müssen also weitere Abnehmer im Export gesucht werden. Mögliche Kandidaten dafür werden auch schon gehandelt: „Genauso wichtig für das Kampfflugzeugprogramm aber bleibt der Export. Österreich, die Türkei, Qatar und Ägypten zählte Schöllhorn als Interessenten auf. In diesen Tagen beteiligt sich die Luftwaffe erstmals mit Eurofightern an einer Übung in Jordanien. Entscheidend aber ist das Interesse Saudi-Arabiens, denn an ihm scheiden sich die Geister. Für 48 Maschinen gibt es eine Option, insgesamt wird über eine Lieferung von 72 Kampfjets gesprochen. Die Eurofighter-Partner Großbritannien, Italien und Spanien drängen auf die Ausfuhr, Berlin bremst.“

Vor diesem Hintergrund schrieb Airbus-Chef Guillaume Faury der deutschen Regierung unlängst ins Stammbuch, sich von ihrer „restriktiven“ Exportpolitik insbesondere in Sachen Saudi Arabien verabschieden zu müssen: „Die Haltung der deutschen Regierung bei Rüstungsexporten in einige Länder stellt ein echtes Problem dar. Wir versuchen, unseren deutschen Gesprächspartnern gerade die sehr negativen Auswirkungen dieser Entscheidung zu erklären. Wir müssen exportieren können, um Innovation und Produktion zu gewährleisten. Wenn Deutschland ein vertrauenswürdiger Partner bei großen Rüstungsprojekten sein will, muss es die Frage der Exportkontrolle mit den anderen Europäern und nicht gegen sie klären. Berlin muss seine derzeit restriktive Politik weiterentwickeln.“ (Handelsblatt, 17.10.2023)

Fazit

Verteidigungsminister Boris Pistorius will also die „beste“ aller Rüstungswelten: Auch wenn kurzfristig viel bei den USA gekauft wird, bleibt ein mit vielen Milliarden angefütterter europäischer Rüstungskomplex unter deutscher Führung das erklärte Ziel. Die Rüstungsindustrie hat hierfür ihre Bedingungen genannt und es wird abzuwarten bleiben, inwieweit die Politik deren Erwartungen entsprechen wird. Ein erster Test könnte bereits bald anstehen: Die französische Zeitung La Tribune (22.10.2023) berichtete, Saudi Arabien habe angesichts der von Deutschland aktuell noch aufrechterhaltenen Blockade gegen Eurofighter-Exporte Frankreich gebeten, ein Angebot für den Ankauf von 54 Rafale-Kampfflugzeugen einzureichen.

Im Juni 2023 schrieb die Bundesregierung in ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie, in der Frage von Rüstungsexporten werde an der „restriktiven Grundlinie“ festgehalten, wobei „Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im Emp­fängerland besondere Berücksichtigung“ finden würden. Gleichzeitig müssten aber auch „Bündnis- und Sicherheitsinteressen, geostrategische Heraus­forderungen, die Unterstützung von Partnern, die unmittelbaren Bedrohungen ausgesetzt sind, und die Anforderungen einer verstärkten europäi­schen Rüstungskooperation“ bedacht werden. Offensichtlich stehen diese beiden Ziele im Widerspruch zueinander, man darf gespannt sein, für welches sich die Bundesregierung in der Frage der Eurofighter und darüber hinaus entscheiden wird.