IMI-Standpunkt 2006/030
Deutschland und die Europäische Union sind keine friedlichen Akteure der Weltpolitik.
Ostermarschrede Tobias Pflüger, MdEP, Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. am Ostersamstag 15.04.2006 in Ulm
von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 15. April 2006
Liebe Freundinnen und Freunde
(Das „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ als „Force Head Quarters“)
Wir stehen hier vor der Wilhelmsburgkaserne, die seit Oktober letzten Jahres das so genannte Kommando Operative Führung Eingreifkräfte beherbergt. Am 27. März hatte ich die Gelegenheit diese Kaserne von innen anzusehen. Ich habe mir in meiner Funktion als Europaabgeordneter vom Generalmajor Jan Oerding, das ist der Chef des Kommando Operative Führung Eingreifkräfte, diese spezielle Bundeswehreinheit mal zeigen lassen. Dieses KOFE gibt es weil die Europäische Union immer weiter militarisiert wird. Der Grundaufbau der militärischen Komponente der EU ist wie folgt: Es gibt in der Einrichtung eines so genanntes European Headquarters ein „Operation Headquarters“ (OHQ), von der aus dann Militär-„Operationen“ der Europäischen Union geführt werden, wie es so schön in der Orwellschen Militärsprache heißt. Und jetzt im Fall Kongo wird dann der Militäreinsatz vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam-Geltow geleitet. Dieses Einsatzführungskommando hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) mal als den neuen deutschen Generalstab bezeichnet. Und unterhalb dieses „Operation Headquarters“, das in Potsdam seinen Sitz hat, gibt es dann ein so genanntes Force Headquarters (FHQ). Das ist so etwas wie eine mobile Einsatzzentrale „im Einsatzgebiet“, wie es im Militärdeutsch heißt. Und dieses Force Headquarters wird von diesem Kommando Operative Führung Eingreifkräfte gestellt. Jetzt beim EU-Kongo-Einsatz wird das Force Headquarters von Frankreich gestellt. Aber beim nächsten EU-Militäreinsatz ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr groß, dass es dieses Force Headquarters aus Ulm ist, das in einen EU-Militäreinsatz geschickt wird. Die EU hat sich mit diesen militärischen Hauptquartieren funktionierende und autarke Befehlsstrukturen geschaffen, d.h. Militärstrukturen, die unabhängig von der NATO bestehen. Und diese Hauptquartiere werden die EU-Truppen in Zukunft befehligen.
(EU-Truppen: EU-Eingreiftruppe und EU-Battle Groups)
Was gibt es da an EU-Truppen? Es gibt das die EU-Eingreiftruppe mit 60.000 Mann, davon das größte Kontingent mit 18.000 aus Deutschland. Und es gibt die so genannten EU-Battle-Groups, ich finde die direkte deutsche Übersetzung „Schlachttruppen“ schon sehr viel ehrlicher. Das sind 13 Battle Groups a 1.500 Soldaten. So viel an Informationen zur militärischen Komponente der EU und der Rolle des Kommando Operative Führung Eingreifkräfte innerhalb dieser Strukturen.
Ich will ganz klar sagen, dass wir hier sind, weil wir gegen diese ganze Militarisierung der Europäischen Union demonstrieren wollen.
(Viel Beifall)
Und, liebe Freundinnen und Freunde, die Forderung muss natürlich, gemäß der Idee, keine kriegsführungsfähigen Militärstrukturen zu haben, eine Auflösung und Konversion dieses „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ sein.
(Viel Beifall)
(Die militärische Komponente der EU und das Völkerrecht)
Häufig ist es so, dass wenn über die militärische Komponente der EU gesprochen wird, heißt es immer, ja die EU könne sich noch entscheiden, zwischen einem militärischen und einem zivilen Weg. Mein Eindruck, bei was ich mitbekomme vor allem im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments, dem ich angehöre, ist, dass die Grundentscheidungen getroffen sind.
Vor kurzem hat dieser Ausschuss eine Anhörung durchgeführt, mit dem Thema „Use of Force“. Die Fragestellung war, unter welchen Bedingungen soll die Europäische Union Militär einsetzen. Die Frage war nicht: Soll überhaupt die Europäische Union Militär einsetzen, sondern es war nur noch die Frage unter welchen Bedingungen. Alle aus einem der geladenen Experten und auch alle meine anwesenden Kolleginnen und Kollegen sahen das Völkerrecht als manchmal störend und es wäre nicht so, dass auf die UN-Charta und das Völkerrecht grundsätzlich Rücksicht genommen werden könne als Europäische Union. Jamie Shea von der NATO, Euch allen bekannt als derjenige, der damals die Bomben der NATO gegen Jugoslawien so „wunderbar“ verkauft hat und den Begriff Kollateralschäden für getötete Zivilisten geprägt hat. Dieser Jamie Shea hat dort gesagt, die EU solle sich ein Beispiel an der NATO nehmen und es wäre ganz einfach, wenn mehrere demokratische Staaten einen Beschluss fassen, wäre der entsprechende Militäreinsatz genug legitimiert.
Was wir nicht mitmachen werden und wo wir jetzt schon allen Widerstand dagegen ankündigen werden, ist wenn hier das Völkerrecht in Frage gestellt wird. Das Völkerrecht ist so etwas wie eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf.
(Viel Beifall)
(Kommando Operative Führung Eingreifkräfte und EU-Kongo-Einsatz)
Dieses Kommando Operative Führung Eingreifkräfte wird einige Soldaten nach Potsdam abstellen, um konkret im geplanten EU-Militäreinsatz im Kongo mitzumachen. Also: Soldaten von hier aus der Kaserne werden bei diesem Einsatz mitmachen. Dieser Militäreinsatz im Kongo ist ein Beispiel dafür, was die EU in Zukunft machen will im Militärbereich.
Der ehemalige Chef des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann, hat es klar formuliert: Er sagte, es gebe „einen einzigen entscheidenden Grund“ für den Einsatz im Kongo und das wäre der Beweis der Handlungsfähigkeit der EU im Militärbereich.
Ich kann nur sagen, wer Soldaten in den Kongo schickt, um die militärische Komponente der EU zu beweisen, der nimmt bewusst Leben von Soldaten in Kauf, nur um militärisch Global Player spielen zu können, und das nehmen wir nicht hin.
(Viel Beifall)
(EU-Kongo-Einsatz wegen Rohstoffzugang)
Der deutsche Militärminister Franz-Josef Jung hat gesagt, es ginge im Kongo „auch um zentrale Sicherheitsinteressen dieses Landes“, also Deutschlands. Und er meint weiter: „Die Stabilität in dieser rohstoffreichen Region nutzt auch der deutschen Wirtschaft.“ Und der CDU-Abgeordnete Schockenhoff, im übrigen aus Baden-Württemberg, legt nach: „Kongo ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt, und verfügt unter anderem über strategische Rohstoffe, die für Europa wichtig sind. Wolfram, Mangan- und Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Coltan und Beryllium.“ Außerdem verweist er darauf, dass „Kongo das mit Abstand wasserreichste Land“ des afrikanischen Kontingents ist.
Was hier passiert, ist ein Militäreinsatz, bei dem es um Zugang zu Rohstoffen geht. Es ist nichts anderes als ekelhaft, wenn man Soldaten in alle Welt schickt, um an Rohstoffe heranzukommen.
(Viel Beifall)
(Militär zur Flüchtlingsabwehr)
Und Franz-Josef Jung weiter: „Und wenn wir nicht dazu beitragen, den Unruheherd Kongo zu befrieden, werden wir es mit einem großen Flüchtlingsproblem in ganz Europa zu tun bekommen.“ Und in der Frankfurter Rundschau spricht er bzgl. Kongo von einem „zusätzlichen Immigrationsdruck auf Europa“. Was hier passiert, ist, dass offensichtlich Militär eingesetzt wird, zur Flüchtlingsabwehr. Und auch dies ist ekelhaft. Und Militär gegen Flüchtlinge einzusetzen, ist menschenverachtend und sonst nichts anderes.
(Viel Beifall)
(Ständig verschobene Wahlen ohne stärkste Oppositionspartei)
Der offizielle Grund für den Militäreinsatz im Kongo ist die Absicherung der Wahlen. Die stärkste Oppositionspartei im Kongo tritt zu diesen ständig verschobenen Wahlen gar nicht an, weil sie bei der Registrierung der Wähler eine ganze Reihe von Unregelmäßigkeiten festgestellt hat, und eine Neuregistrierung nicht möglich ist.
Meine sozialdemokratische Kollegin im Europäischen Parlament, Ana Gomes aus Portugal, sagte ganz offen, um was es eigentlich geht: Wenn diejenigen, die die Wahlen verloren haben oder sich nicht repräsentiert fühlen, wenn die einen Aufstand machen würden, müsse dieser niedergehalten werden und dazu bedürfe es robuste EU-Soldaten. Dies lehnen wir ganz klar ab, dies ist eine offen imperiale Politik, und die lehnen wir klar ab.
(Viel Beifall)
(Gegen den drohenden Iran-Angriff, heuchlerische EU-3)
Liebe Freundinnen und Freunde,
ein neuer Angriff wird vorbereitet. Gestern hat die us-amerikanische Außenministerin Condolezza Rice formuliert, dass sie eine UN-Resolution will, in der, nach Kapitel VII der UN-Charta auch militärische Aktionen möglich sein sollen. Interessant ist im Zusammenhang mit dem Iran, dass alles, was vom Iran verlangt wird, diejenigen, die es vom Iran verlangen, alles selber tun. Sowohl die EU 3, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, als auch die USA betreiben alle industriemäßig Urananreicherung. Im Falle von Deutschland ist es in Gronau in der Anlage Urenco in großem Maßstab der Fall. Und alle, die dem Iran Auflagen machen wollen, arbeiten selbst mit waffenfähigem Uran. Im Falle von Deutschland ist dieses im Forschungsreaktor Garching bei München der Fall.
Es ist heuchlerisch, vom Iran etwas zu verlangen, nicht zu tun, was man selbst die ganze Zeit tut. Für mich ist jede Atomwaffe und jedes Atomkraftwerk falsch. Wir fordern die Schließung aller Atomkraftwerke und die Vernichtung aller Atomwaffen.
(Viel Beifall)
(Keine militärische Infrastruktur für Irakkrieg, Besatzung und geplanten Irankrieg)
Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Irakkrieg und dem drohenden Krieg gegen den Iran ist: im Falle des Iran eskalieren die EU-3 wesentlich. Und es wird nicht mehr so sein, dass eine Angela Merkel mit dem durchkommt, mit dem Gerhard Schröder durchgekommen ist, dass er angeblich ein Friedenskanzler gewesen ist.
Wir wissen es seit langem, dass die deutsche Regierung den Irakkrieg und die Besatzung wesentlich mit möglich macht, dadurch, dass sie die militärische Infrastruktur gegen Grundgesetz und Völkerrecht zur Verfügung stellt. Mein Freund Florian Pfaff wird das unten in Ulm genauer beschreiben.
Ich fordere die deutsche Regierung auf, keine militärische Infrastruktur mehr zur Verfügung zu stellen, weder für den laufenden Irakkrieg und die Besatzung des Irak noch für den geplanten Irankrieg.
(Viel Beifall)
Deutschland und die Europäische Union sind keine friedlichen Akteure der Weltpolitik. Denn zu der neoliberalen Politik und dem Sozialabbau, der im Innern betrieben wird, gehört das, was im Moment gerade passiert, nämlich Militarisierung und neoimperiale Politik mach außen. Wir sind hier weil wir beides kritisieren, wir kritisieren den Sozialabbau und die Militarisierung, den beides gehört zusammen, beides sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Sozialabbau und Militarisierung lehnen wir ab und sagen NEIN zu beidem.
(Viel Beifall)
Liebe Freundinnen und Freunde,
sparen wir uns die Rüstung, sparen wir uns das Militär. Hier ist der richtige Ort. Sparen wir uns dieses Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm.
Es wäre ein erster Schritt, wenn es aufgelöst würde. Vielen Dank!
(Viel Beifall)