IMI-Standpunkt 2024/15

Bayern: Der zugespitzte Kampf um Zivilklauseln und die Freiheit der Wissenschaft

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 9. Juli 2024

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Bereits Anfang Februar schrieb Andreas Seifert in der IMI-Analyse 2024/07: „Mit einem >Gesetz zur Förderung der Bundeswehr< versucht Bayern die Speerspitze der Militarisierung in Deutschland zu werden“. Inhaltlich gehe es dabei um „die gesellschaftliche Dimension der Zeitenwende, die allumfassende Mobilmachung“. Vor allem §1, der zwei Ergänzungen des Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes (BayHIG) vorsieht, hat es in sich und erinnert im Duktus zugleich an eine finstere Vergangenheit und schlechte Science Fiction. Dem bereits bestehenden Artikel 6, der die Zusammenarbeit der Hochschulen mit anderen Institutionen (z.B. den Studierendenwerken) regelt, soll folgender Absatz hinzugefügt werden: „Die Hochschulen sollen mit Einrichtungen der Bundeswehr zusammenarbeiten. Sie haben mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenn und soweit das Staatsministerium auf Antrag der Bundeswehr feststellt, dass dies im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich ist.“ Dem Artikel 20, der mit „Freiheit von Kunst, Wissenschaft und Studium“ überschrieben ist, sollen folgende zwei Sätze angefügt werden: „Erzielte Forschungsergebnisse dürfen auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden. Eine Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen (Zivilklausel) ist unzulässig.“

Ähnliche Forderungen aus anderen Parteien

Damit greift die Bayerische Staatsregierung einerseits Forderungen verschiedener Wissenschaftsverbände zur „Überprüfung“ bestehender Zivilklauseln und einer verstärkten Nutzung der „Synergien“ zwischen ziviler und militärischer Forschung auf, geht aber mit der Verpflichtung zur Zusammenarbeit – die offenbar auch einzelne Wissenschaftler*innen betreffen kann – noch deutlich darüber hinaus. Sie geht damit sogar deutlich über die Forderung hinaus, welche die AFD-Fraktion ebenfalls im Februar 2024 als Antrag in den Landtag von Nordrhein-Westfalen eingebracht hatte. Dieser forderte die Landesregierung auf, „die in Nordrhein-Westfalen ansässigen Universitäten und Hochschulen für die Notwendigkeit von Innovationen im Bereich der Verteidigungsforschung zu sensibilisieren und eine Abschaffung der Zivilklauseln anzuregen.“ Dabei ist bemerkenswert, dass die zumindest in Teilen rechtsextreme AFD hier mit dem Begriff „anregen“ durchaus noch eine gewisse Anerkennung der Autonomie der Hochschulen erkennen lässt, welche die Bayerische Staatsregierung völlig auszublenden scheint.

Der Antrag der AFD im Landtag von NRW trägt dasselbe Datum wie ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, der in der damals heftig geführten Debatte um die Lieferung deutscher Marschflugkörper an die Ukraine nahezu ausschließlich als „Taurus-Antrag“ wahrgenommen wurde, tatsächlich aber darüber hinaus umfangreiche Maßnahmen zur Militarisierung der Gesellschaft vorsah. So lautete die erste der dort formulierten 28 Forderungen an die Bundesregierung: „Russland als existentielle Bedrohung anzuerkennen, der Bevölkerung transparent die daraus abgeleiteten Herausforderungen zu erläutern und dadurch ein Bedrohungsbewusstsein zu schaffen“. Forderung 20 hingegen bestand darin, „sich dafür einzusetzen, die im akademisch-wissenschaftlichen Bereich bestehenden Zivilklauseln national und auf europäischer Ebene abzuschaffen“. Das ist bereits weniger zurückhaltend formuliert als der Antrag der AFD-Fraktion in NRW. Verschärfend kommt allerdings hinzu, dass sich die Forderung der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag explizit an die Bundesregierung wendet, obwohl die Hochschulpolitik eindeutig Sache der Länder ist – Teil jenes Föderalismus, welcher als Lehre aus der Zentralisierung und Gleichschaltung im Nationalsozialismus nicht zuletzt durch die Siegermächte der neu gegründeten BRD eingeschrieben wurde.

Rechtsruck und Zivilklauseln

Damit lässt sich auch am Beispiel der Zivilklauseln zeigen, dass die AFD nur EIN Symptom eines allgemeinen Rechtsrucks ist, der im Schwerpunkt auch aus der Politik der vermeintlichen Mitte und im spezifischen Falle auch aus einer gesellschaftlichen Elite, in diesem Falle den Wissenschaftsverbänden, kommt. Auf diesen Zusammenhang weist auch die Frankfurter Erklärung, das Abschlussdokument des bundesweiten Zivilklauselkongresses Mitte März 2024, hin: „Mit der militärischen ‚Zeitenwende‘ in Hochschule und Gesellschaft, der postulierten Alternativlosigkeit der Gewalt und der aggressiven Rhetorik zur Kriegsertüchtigung werden die Lehren aus der deutschen Geschichte und das Vermächtnis aus ‚Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!‘ ins Gegenteil verkehrt, die Gesellschaft verroht und extrem rechten Gesellschaftsentwürfen und Menschenbildern abermals Tür und Tor geöffnet.“

Auch auf diesem Kongress spielte der Bayerische Gesetzentwurf eine Rolle und mehrfach wurde betont, dass er auch anderen Landesregierungen als Blaupause dienen dürfte. Dies wurde nicht nur im Hinblick auf mögliche künftige Landesregierungen mit AFD-Beteiligung konstatiert, sondern z.B. auch bezugnehmend auf die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg, die sich in der Vergangenheit – u.a. bei den Reformen des Polizeiaufgabengesetzes und Ausgangssperren während der Pandemie – mehrfach von autoritären Maßnahmen ihres östlichen Nachbarlandes hat inspirieren lassen. Im übrigen hatte auch die neue schwarz-rote hessische Landesregierung im Dezember 2023 das Thema Zivilklauseln zum Gegenstand ihres Koalitionsvertrages gemacht. Hier heißt es unter der Überschrift „Förderung des Wissenstransfers“: „Wir werden […] die Hochschulen dabei unterstützen, die Friedens- und Konfliktforschung, Sicherheitsforschung und sicherheitsbezogene Forschungsansätze weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch eine Unterstützung der Hochschulleitungen bei der Überprüfung von Zivilklauseln.“ Wie beim AFD-Antrag in NRW lässt sich hier zumindest eine gewisse Anerkennung der Autonomie der Hochschulen erkennen. Zugleich muss zur Kenntnis genommen werden, dass hier die Forderungen einer krawalligen und tw. rechtsextremen Oppositionspartei in NRW und das offizielle Regierungsprogramm einer schwarz-roten Landesregierung in Hessen schockierend nahe beieinander liegen.

Militarisierung der Bildung

§2 des Gesetzentwurfes in Bayern zielt auf die Bildung ab und soll das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen ergänzen. Konkret betroffen ist hier Artikel 2, welcher die „Aufgaben der Schulen“ definiert. Hier soll folgender, sechster Absatz ergänzt werden: „Die Schulen arbeiten mit den Jugendoffizieren der Bundeswehr im Rahmen der politischen Bildung zusammen. Die Karriereberater der Bundeswehr und Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben dürfen im Rahmen schulischer Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung über Berufs- und Einsatzmöglichkeiten in ihrem Bereich informieren.“

Das wirkt auf den ersten Blick etwas weniger autoritär und obrigkeitsstaatlich als die Ergänzungen zum Hochschulinnovationsgesetz. In der Praxis jedoch dürfte das Gesetz darauf hinauslaufen, dass sich einzelne Schulen und Lehrer*innen künftig einer Einbeziehung von Jugendoffizieren in den Unterricht und der Rekrutierung durch „Karriereberater“ der Bundeswehr auf schulischen Veranstaltungen nicht mehr verweigern oder entziehen können. Die „politische Bildung“ durch gut geschulte Jugendoffiziere – die zugleich als Berichterstatter über die Stimmung an Schulen und besonders gut verfangende Argumente und Veranstaltungsformate gegenüber dem BUNDESministerium für Verteidigung agieren – dürfte damit ebenso zum Regelfall werden, wie die „Karriereberatung“ bei schulischen Festen und Karrieremessen, wo mit kostenlosen Führerscheinen, faszinierender Technik und heroischen Männlichkeitsidealen die Reservist*innen von morgen geworben werden.

Widerstand aus der Gewerkschaft

Obwohl die meisten größeren Medien in Bayern und darüber hinaus die Brisanz des ziemlich offensichtlich verfassungswidrigen Gesetzentwurfs der Bayerischen Staatsregierung bislang nicht erkannt oder ausreichend gewürdigt haben, formiert sich an verschiedenen Stellen Widerstand. An verschiedenen Universitäten haben bereits – meist kleinere – Demonstartionen oder zumindest Veranstaltungen gegen den Gesetzentwurf stattgefunden. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern, in der sehr viele Lehrer*innen organisiert sind, hatte früh, bereits Ende Januar, das Vorhaben scharf kritisiert mit einer Erklärung unter dem Titel: „Gerade jetzt Zivilklausel und Friedensbildung statt Kooperationspflicht!“. Seither hat sie auch einen großen Teil der genannten Protestaktionen in Bayern und auf bundesweiter Ebene auch den Zivilklausel-Kongress im März unterstützt. Über weitere Aktionen und den Stand des Gesetzgebungsverfahrens informiert eine Sonderseite des bayerischen Landesverbandes. Dort findet sich auch eine Petition, die (Stand 9. Juli) mehr als 1.000 Menschen unterschrieben haben (auch der Autor dieses Textes) und die bereits am 11. Juli im Verfassungsausschuss des Landtages gemeinsam mit dem Gesetzentwurf beraten werden wird. Die GEW geht davon aus, dass der Gesetzentwurf „[v]oraussichtlich am 17. Juli 2024 […] final im Landtag beraten und verabschiedet wird“. Die Petition appelliert an die Mitglieder des Landtags, „in dieser Abstimmung verfassungstreu zu sein und den Gesetzesentwurf abzulehnen. Sie würde uns damit den Gang vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof ersparen.“ Die GEW und ihre Partner*innen bei der DFG-VK Bayern und auch dem Bund Demokratischer Wissenschaftler*innen (BDWI) scheinen fest entschlossen, gegen das Gesetz zu klagen und zuversichtlich, Recht zu bekommen. Trotzdem bleibt Protest auf der Straße und in den Universitäten wichtig – auch über Bayern hinaus, wo vielleicht etwas zurückhaltender ähnliche Initiativen zu erwarten sind.

Die Rolle der Hochschulleitungen

Während bundesweit und in anderen Bundesländern auch die Hochschulleitungen – selbst bei grundsätzlicher Kritik oder Ablehnung von Zivilklauseln – die aktuellen Tendenzen zur Beschneidung ihrer Autonomie zunehmend mit Sorge betrachten und sich auch von dieser Seite Widerstände abzeichnen, spielt die „Bayerische Universitätenkonferenz“ (Universität Bayern e.V., vergleichbar mit der Hochschulrektorenkonferenz auf Bundesebene) keine schöne Rolle. In ihrer Stellungnahme an den Landtag wird das Gesetz und seine Zielsetzung grundsätzlich begrüßt. Als „verfassungsrechtlich problematisch“ erkennt sie lediglich den zweiten Satz der ersten Ergänzung und befürchtet hier, dass die Kooperationspflicht „gar einzelne besonders wissenschaftlich qualifizierte Fachkräfte“ betreffen könnte. Statt diesem zweiten Satz schlägt sie eine allgemeinere Formulierung in einem weiteren Absatz vor, wonach die Hochschulen „wissensbasiert zur Sicherung von Frieden und Freiheit sowie zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit bei[tragen]“ sollen. Mit dem (von ihr explizit so benannten) „Verbot von Zivilklauseln“ hat die Bayerische Universitätenkonferenz kein Problem und liefert – ärgerlicherweise – zu den verschiedenen Komponenten gleich eine juristische Argumentation, die deren jeweilige Zulässigkeit untermauern soll. Dabei allerdings handelt es sich um durchaus umstrittene und sehr spezielle Argumentationen, womit auch fraglich erscheint, ob diese Stellungnahme tatsächlich „die Rückmeldungen aller bayerischen Universitäten [bündelt] und […] zentrale Empfehlungen zusammen[fasst]“ – bzw. wie viele wie elaborierte Rückmeldungen in dieser kurzen Zeit eingegangen ist. Ein Zeugnis für lebendige Streitkultur innerhalb und zwischen den Hochschulleitungen stellt diese Stellungnahme jedenfalls nicht dar.