IMI-Analyse 2024/07

Patriotismus und Ökonomie

Bayern macht die Militarisierung zum Gesetz

von: Andreas Seifert | Veröffentlicht am: 2. Februar 2024

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Mit einem „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr“ versucht Bayern die Speerspitze der Militarisierung in Deutschland zu werden. Der Versuch weist auf etwas hin, was bei allen Debatten um Aufrüstung, Material und Bündnisse ins Abseits zu gleiten droht: die gesellschaftliche Dimension der Zeitenwende, die allumfassende Mobilmachung. Der projektierte Entwurf verhüllt die handfesten ökonomischen Interessen Bayerns nur kaum, hebelt Mitspracherechte aus und nimmt „Bedrohungen“ zum Anlass, in einen Dauerkrisenmodus zu schalten, der demokratische Prozesse obsolet macht.

Zugespitzter Kontext

Der bayerische Vorstoß steht nicht alleine da: In Baden-Württemberg gab es bereits eine von der CDU-Fraktion in Spiel gebrachte Initiative.[1] Vor allem greift das Gesetz die aktuellen, positiven medialen Debatten um Wehrpflicht und Waffenproduktion auf. Dazu zwei Schlaglichter.

Schon kurz nach Beginn des Ukrainekrieges haben sich diverse prominente Ex-Kriegsdienstverweigerer medial in Stellung bringen lassen, um einen Kampfeswillen vorzutragen, den sie (zu ihrem Glück) altersmäßig selbst nicht mehr erfüllen können. In diesem Zusammenhang wird inzwischen doch recht unverhohlen für eine neue Wehrpflicht plädiert: Sebastian Fischer (45 – puh! – gerade noch aus der Wehrpflicht geschafft[2]) weist etwa in seinem Leitartikel[3] im Spiegel zurecht darauf hin, dass die Wehrpflicht nie abgeschafft, sondern nur ausgesetzt worden ist und dass sich heute z.B. mit dem „schwedischen Modell“ eine gerechtere „Freiwilligkeit“ beim Einzug umsetzen lässt, als dies im Kalten Krieg möglich war. Seine Idee eines „softeren“ Zwangs zur Rekrutierung würde Männer wie Frauen („die Willigen und Fitten gehen zur Armee“) gleichermaßen ansprechen, aber letztlich nur Männer reffen, wenn die Zielvorgabe nicht erreicht wird. Er kann in der Wehrpflicht auch per se keine Militarisierung der Gesellschaft erkennen, vielmehr eine notwendige Integration des Militärischen in der Gesellschaft. Wieder einmal muss der „Staatsbürger in Uniform“ für einen intellektuellen Klimmzug herhalten, Kanonenfutter als „demokratisch“ zu legitimieren und wieder einmal übersieht ein eifriger Kriegsbefürworter dem Militärischen innewohnende Mechanismen von Befehl und Gehorsam, von Sterben und Töten.[4]

In einem Beitrag für die Neue Züricher Zeitung (NZZ) konstatiert der Journalist Marco Seliger, der vor Kurzem auch noch Pressesprecher des Waffenherstellers Heckler&Koch war, dass sich im Augenblick zeige, dass „Deutschland auch mittelfristig weder verteidigungsfähig noch die führende europäische Militärmacht sein kann.“[5] Er argumentiert, dass es (offensichtliche und auch noch provinzielle) Partikularinteressen sind, die verhindern, dass dringend benötigte Granaten in Deutschland produziert werden (siehe auch den Beitrag zu Troidsorf, DynITEC und Diehl in diesem Heft). Er verschweigt aber auch nicht, dass es vornehmlich das zögerliche Bestellsystem des Bundes ist, das die Industrie, aus Angst um ihre satten Gewinne, die für zu viele Investitionen draufgehen könnten, davon abhält, tatsächlich Kapazitäten zu bilden. Er schließt mit der Frage „wie viel Marktwirtschaft ist in dieser Zeit noch akzeptabel oder wie viel Planwirtschaft ist nötig, um die Produktionskapazitäten hochzufahren?“

Per Gesetz auf den Krieg verpflichtet

Mit dem Gesetz, das nun bereits das bayerische Kabinett passierte[6], nimmt die Regierung Söder die grassierende Kriegsstimmung auf und bricht sie auf den Freistaat herunter. Auch hier ist der Ukraine-Krieg Ausgangspunkt der Überlegungen und wie in der Zeitenwende überhaupt, muss eine starke Bundeswehr WIEDERerstehen, die Landes- und Bündnisfähigkeit WIEDERhergestellt werden. Dazu, so findet das Kabinett, muss es zu Änderungen in vielen Bereichen staatlichen Handelns kommen, darf die Zeitenwende nicht auf Aufrüstung beschränkt bleiben. Ganz explizit wird hierzu z.B. auch die Planungssicherheit für die Verteidigungsindustrie genannt, die mit einem dauerhaften Hochsetzen des Bundeswehretats erreicht werden soll. Mehr Geld für Rüstung ist dabei durchaus auch bayerischer Eigennutz, schließlich ist das Bundesland Standort vieler Rüstungsunternehmen.

Das neue Gesetz zielt auf fünf Bereiche, in denen der Freistaat ein Potential sieht, die Bundeswehr zu fördern und ihr zu helfen, ihren Verteidigungs- und Bündnisverpflichtungen nachzukommen.[7]

Keine Zivilklauseln: Zuvorderst wird die Technologie und Wissenschaft angesprochen, wo man mit einer gezielten Förderung der Entwicklung von KI, Robotik, Drohnen und Cyberwaffen Deutschland helfen will, den Anschluss in moderner Kriegstechnologie zu halten. Hier könnte man schon kritisch fragen, wie die deutsche Bevölkerung durch die Entwicklung digitaler Angriffswaffen geschützt wird, doch der Punkt erschöpft sich nicht in möglichen Investitionen. Vielmehr geht es der Regierung darum, die Hochschulen und Wissenschaftler dazu zu verpflichten, Kooperationen mit der Bundeswehr (bzw. mit der Rüstungsindustrie) anzustreben – dem Willen der Regierung folgend, ist der einzelne Wissenschaftler im Zweifel verpflichtet, seine Ergebnisse der militärischen Verwendung zuzuführen. Konsequenterweise soll es auch künftig keine Zivilklauseln an bayerischen Hochschulen geben. Zivilklauseln wurden vorher mit dem Argument abgelehnt, dass sie einen Eingriff in die im Grundgesetz verbriefte Wissenschaftsfreiheit darstellen – umgekehrt kann das Kabinett in ihrer Vorgabe einer Verpflichtung auf den Krieg eine solche wohl nicht erkennen.

Eduard Meusel, Sprecher der Fachgruppe Hochschulen und Forschung in der GEW Bayern, kritisiert dies scharf: „Seit Jahrzehnten setzen wir uns in Bayern und bundesweit für Zivilklauseln ein, die Rüstungsforschung an Universitäten unterbinden. Forschende tragen Verantwortung dafür, dass Wissenschaft dem Wohle aller Menschen dient. Ein Zwang zur Militärforschung ist ein Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft sowie auf das Friedensgebot im Grundgesetz.“[8]

Dass man mit einem solchen Schritt zu Ländern wie der Volksrepublik China aufschließt, die man gerade wegen der Nähe von Partei, Hochschule und Militär kritisiert und am liebsten vom wissenschaftlichen Austausch ausschließen möchte, scheint in München keine große Rolle zu spielen. Wissenschaftler*innen in anderen Bundesländern sollte man auffordern zu prüfen, ob ihre Kooperation mit einer bayerischen Hochschule dazu führen kann, dass sie in die Produktion und Bereitstellung von Wissen und Technologie für den Kriegseinsatz verwickelt werden.

Schule & Rekrutierung: Der zweite vom Kabinett genannte Punkt zielt darauf ab, die Bundeswehr wieder „sichtbarer“ zu machen. Vor allem die Schulen und die Berufsfindung hat man hier im Blick: „Im Bereich der politischen Bildung sollen alle staatlichen Schulen mit den Jugendoffizieren sowie den ‚Blaulichtorganisationen‘ zusammenarbeiten. Zudem sollen sie bei Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung ihre Ausbildungs-, Berufs- und Dienstmöglichkeiten vorstellen dürfen.“ Die Erweiterung der politischen Bildung um die Präsenz von Feuerwehrleuten und Polizeibeamten ist dabei tatsächlich interessant, aber wohl nicht zu Ende gedacht – Polizei, ziviler Katastrophen- und Bevölkerungsschutz spielen jedenfalls im Folgenden keine Rolle mehr.

Dass es bei all dem letztlich um Rekrutierung geht, wird nicht verschwiegen. Die unvermeidliche Vermischung politischer Bildung mit der Rekrutierung in der Person der Jugendoffiziere wird wie immer ignoriert. Statt konsequent für politische Bildung zu Sicherheits- und Friedenspolitik auch auf Institutionen außerhalb der Bundeswehr zu setzen, will man explizit den Soldaten, die Soldatin vor der Klasse stehen sehen. Das Lippenbekenntnis, man setze eine glasklare Trennung von Bildung und Rekrutierung voraus, vermag den Wunsch einer militärischen Repräsentation von Sicherheitspolitik im Unterricht nicht zu kaschieren. Hier kann man gespannt sein, welche Formulierung im Gesetz zu finden sein wird, die den Bereich der politischen Bildung von der Nachwuchswerbung glaubwürdig trennt. Erwartbar ist vielleicht, dass Lehrpläne angepasst werden müssen, um den Jugendoffizieren auch Platz einzuräumen. Die bereits erwähnte GEW-Presserklärung erinnert an die Einhaltung des Beutelsbacher Konsens und verwahrt sich gegen das Diktat, Jugendoffiziere zwangsweise miteinzubeziehen. Darin wird unter anderem Oliver Danner, Sozialpädagoge und Sprecher der Jungen GEW Bayern, zitiert: „Gerade durch Maßnahmen wie eine Kooperationspflicht, den von oben aufoktroyierten Zugang bestimmter Berufsgruppen zu Bildungseinrichtungen, sehen wir die Meinungsbildung junger Menschen und elementare Grundlagen der politischen Bildung, beispielsweise ausformuliert im „Beutelsbacher Konsens“, in Gefahr. Politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – gehört in die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachleute und nicht in die von Jugendoffizieren.“[9]

Omnipräsentes Militär: Nach dem Willen des Kabinetts soll sich drittens die Landesplanung das Stichwort „Verteidigung“ stärker zu Eigen machen, um die militärische Infrastruktur zu stärken. Diese begreift man als Voraussetzung zukünftiger Standortentscheidungen. Bayern als „Drehscheibe im Herzen des europäischen Kontinents“ für die Landes- und Bündnisverteidigung der NATO. Diese Offenheit, Flächen und Ressourcen geradezu selbstlos der europäischen Sicherheit zu opfern, kommt ein wenig überraschend – schließlich kennt man das weder vom Ausbau der Windenergie (zur Absicherung des Strombedarfs deutscher Haushalte) noch von der Kernenergie, die man zwar fördern will, aber deren Müll nicht „end-lagern“. Das „Mit-Denken“ militärischer Anforderungen in der Landesplanung wurde auch schon von der CDU in Baden-Württemberg gefordert[10], wo man es ein wenig stärker erläutert bekommt, was darunter denn eigentlich zu verstehen ist. Hier geht es letztlich darum, dass in der Priorisierung und Ausgestaltung von Infrastrukturmaßnahmen, z.B. Brücken- oder Straßenbau, Energieversorgung etc. militärische Anforderungen mitgedacht werden. Ob dies letztlich so weit geht, auch militärische Stellen direkt oder im Dialog in diese Planung mit einzubeziehen, ist nicht ausgeschlossen.

Genehmigungsfreies Bauen: Militärische Infrastruktur, so auch der vierte Punkt, soll in Bayern zukünftig schneller hergestellt werden als anderswo. Dies erreicht man, indem man bürokratische Hürden beim militärischen Bauen reduziert. So sollen Bauvorhaben auf bestehenden militärischen Geländen komplett ohne Genehmigungen auskommen können, örtliche Bauvorschriften nicht zum Zuge kommen. Das soll nicht nur die Geschwindigkeit des Bauvorhabens erhöhen, sondern auch deren Kosten senken und zuletzt auch die bayerische Baubehörde entlasten … und es soll nach Möglichkeit mehr Geld nach Bayern fließen, denn schließlich gäbe es da einen Investitionsstau. Umweltschutz, Artenschutz, Arbeitsschutz, Lärmbelästigung, Energiegesetz – alles keine Kriterien mehr? Ein Freibrief fürs Militär die Landschaft so zu benutzen, wie es ihm gefällt.

Erinnerungskultur: Zuletzt soll auch der Denkmalschutz konsequent geschliffen werden, damit die Bundeswehr flexibel mit ihren Gebäuden verfahren kann. Oder, um aus dem Vorhaben zu zitieren: „Der Gesetzentwurf schafft die Grundlage für ein kooperatives Zusammenwirken von Militär und Denkmalschutz, in dem die militärische Nutzbarkeit Vorrang erhält.“ Die „Kooperation“, die in diesem Satz angelegt ist, ist keine, es ist die Aufhebung der Notwendigkeit einer solchen: die Denkmalämter werden angehalten, alles zu streichen, was sich in der Hand der Bundeswehr befindet.

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass es der bayerischen Regierung nicht darum geht, die Bundeswehr zu stärken oder ein „Signal der Unterstützung an die Soldatinnen und Soldaten“ zu senden, sondern vor allem darum, den Zugang zu Bundesmitteln abzusichern – es sind die bayerischen Partikularinteressen die hier federführend sind. Für den Ausbau der bayerischen Kriegswirtschaft müssen hehre Gedanken von Verteidigung und Bevölkerungsschutz herhalten und es werden Grundrechte und Verfahren abgebaut, die es zivilen Stellen erlauben, den Rahmen des Militärischen in der Gesellschaft zu begrenzen.  

Anmerkungen


[1] Andreas Seifert, „Aufrüstung im Inneren“, in: Ausdruck 3/2023, S. 59-60.

[2] Laut Gesetzt gilt die Wehrpflicht für alle Männer zwischen 18. und vollendetem 45. Lebensjahr – im Spannungs- und Verteidigungsfall endet sie mit dem 60. Lebensjahr.

[3] Sebastian Fischer, „Zurück zum Bürger in Uniform“, Spiegel Online 26.1.2024.

[4] Siehe den Beitrag „Von Söldnern zu Wehrdienstleistenden“, in: Ausdruck, 3/2020, S. 24-27.

[5] Marco Seliger, „Nein zu Munitionsfabriken in der Provinz: Deutschland ist unfähig zur Zeitenwende“, NZZ, 4.12.2023.

[6] Bayerische Staatsregierung, Pressmitteilung: Bericht aus der Kabinettssitzung vom 23. Januar 2023.

[7] Grundlage ist hier die Veröffentlichung der Staatskanzlei.

[8] Presserklärung der GEW Bayern: Gerade jetzt Zivilklausel und Friedensbildung statt Kooperationspflicht, GEW-Bayern, 26.1.2024.

[9] Ebenda.

[10] Andreas Seifert, „Aufrüstung im Inneren“, in: Ausdruck 3/2023, S. 59-60.