IMI-Standpunkt 2023/018

Anerkennung der Multipolarität

Bundesregierung passt ihre Sahel-Strategie an

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 25. Mai 2023

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Zuletzt im Frühjahr 2021 hatte die Bundesregierung die „Strategische Ausrichtung ihres Sahel-Engagements“ ausformuliert und im April den Obleuten der Bundestagsausschüsse für Auswärtiges, Verteidigung und Entwicklung zugeschickt. Die IMI urteilte seinerzeit, das Dokument sei „geprägt von einem humanitär verklausulierten Paternalismus und dem Anspruch, die ganze Region nach im Wortsinne deplatzierten, eigenen Vorstellungen umzubauen“ (s. IMI-Standpunkt 2021/026). Konkret wurden sechs Ziele definiert, an denen sich das deutsche „Engagement“ orientieren solle. Das erste beispielsweise lautete: „Gewalt und humanitäre Not in den G5-Sahel-Staaten nehmen ab“. Angekündigt wurde auch eine „regelmäßige Bewertung von Lageveränderung, Zielerreichung und Mitteleinsatz“. Eine solche Lagebeurteilung ist nun tatsächlich erfolgt und mündete in die „Neubestimmung und Anpassung des Sahel-Engagements der Bundesregierung“, die vor wenigen Tage wiederum an die entsprechenden Obleute verschickt wurde. Kurz gesagt wirkt sie erfrischend ehrlich sowohl was die bisherige Bilanz, als auch was die eigenen Möglichkeiten und Ziele angeht.

Bestandsaufnahme: Gescheitert.

So beginnt das Dokument mit einer Anerkennung des bisherigen Scheiterns: „Die Sicherheitslage, die humanitäre und die politische Lage im Sahel haben sich trotz langjährigen und erheblichen internationalen Engagements seit 2021 deutlich verschlechtert“. Der eigentlichen Neubestimmung ist außerdem ein Anschreiben an die Parlamentarier*innen vorangestellt, das vom Bundesverteidigungsminister und den Bundesministerinnen für Auswärtiges und Entwicklung unterzeichnet ist. Darin heißt es: „Wichtig ist, dass wir dabei einen realistischen Blick dafür behalten, was wir mit unserem Engagement in der Region leisten und erreichen können“. Eine ähnliche Formulierung findet sich noch einmal unter „Ausblick“ am Ende des Dokuments. Die „Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften“ Malis und Burkina Fasos werden ebenso wie die Kapazitäten der UN-Mission MINUSMA und die Wirkung der regionalen Kooperationsstrukturen (gemeint ist hier die von der EU finanzierte G5-Truppe) als „begrenzt“ bezeichnet.

Ebenfalls relativ nüchtern wird konstatiert, dass „[a]utoritäre Ordnungsmodelle, seien sie militärisch, nationalistisch oder religiös geprägt, … in den Bevölkerungen der Sahel-Staaten größeren Zuspruch [erfahren] als zuvor“. Dies sei „Ausdruck einer tiefgehenden Unzufriedenheit mit der Sicherheits- und sozioökonomischen Lage“ und habe „in Mali und Burkina Faso … zu einer Anpassung des internationalen Sicherheitsengagements in der Region geführt“. „Diese Situation wird von Russland genutzt, um sich den Sahel-Staaten als alternativer Partner anzubieten. Auch China hat seinen Einfluss im Sahel in den letzten Jahren ausgebaut, insbesondere durch repräsentative Bau- und Infrastrukturprojekte, die Beteiligung der Sahel-Staaten an der ‚Neuen Seidenstraße‘ sowie die Intensivierung der Handelsbeziehungen“.

„Stabilisierungsbogen“ in der Multipolarität

Die nüchterne und realistische Sichtweise setzt sich u.a. darin fort, dass nach diesem einleitenden Überblick über die „Entwicklungen in der Sahel-Region“ der zweite Abschnitt des Dokuments klipp und klar mit den „Interessen Deutschlands im Sahel“ überschrieben ist und dort die neue „Multipolarität“ explizit anerkannt wird: „In einer Zeit zunehmender Multipolarität und systemischer Rivalität hat Afrikas geostrategische Bedeutung für Deutschland zugenommen“.

Als Schlussfolgerung wird zukünftig eine „[d]ifferenzierte Zusammenarbeit mit den Sahel-Staaten“ angestrebt. Während man die Zusammenarbeit mit den Regierungen in Niger und Mauretanien („als einziger Partnerstaat der NATO im Sahel“) ausbauen werde, wolle man in den anderen Staaten „verstärkt auf die Zusammenarbeit mit dezentralen (regionalen oder kommunalen) Strukturen sowie mit zivilgesellschaftlichen, nichtstaatlichen und multilateralen Akteuren“ setzen. Entsprechend spielen im Folgenden die „Instrumente der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sowie der Kommunikation“ eine größere Rolle, die u.a. genutzt werden sollten, um „die Entwicklung von Deutschland- und EU-freundlichen Narrativen“ zu fördern und „gezielter in die langfristige Bindung von (zukünftigen) Eliten und Angehörigen der Zivilgesellschaft im Sahel an Deutschland [zu] investieren“. Einigermaßen Klartext wird auch hinsichtlich der „Sicherheitspolitischen Instrumente“ gesprochen, wenn der „Aufbau eines zusätzlichen Stabilitätsbogens um Mali und Burkina Faso“ angestrebt wird. Hierzu wolle man den tatsächlich bereits seit gut fünfzehn Jahren angestrebten Ausbau „der zivilen und militärischen Sicherheitskräfte durch Beratung, Ausbildung und Ausstattung in den Anrainerstaaten am Golf von Guinea, in Niger und in Mauretanien verstärkt unterstützen“. Anzuerkennen, dass diese Aufrüstung ihren Anteil an der Zunahme autoritärer Tendenzen in der Region hatte, so weit geht der Realismus des Textes dann aber nicht. Immerhin wird dieser Ansatz nun aber weniger humanitär verklausuliert und offener mit den „deutschen Interessen“ in Zeiten „systemischer Rivalität“ begründet.

Ist das schon feministisch?

Bemerkenswert ist auch, dass hier in einem der ersten Strategiedokument nach der Veröffentlichung der „Leitlinien für feministische Außenpolitik“ nur eine Bezugnahme auf dieses vermeintlich handlungsleitende Prinzip stattfindet. Sie erfolgt lediglich im vierten von zwölf Vorhaben im Unterpunkt 4.1. („Politische Maßnahmen und zivile Instrumente der Zusammenarbeit“): „politische Bildung, Teilhabe- und Ausdrucksmöglichkeiten sowie eine pluralistische Kultur fördern. Im Sinne der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik von AA und BMZ sollen dabei die Bedarfe von Frauen, jungen Menschen sowie benachteiligten Gruppen besonders in den Blick genommen werden“. Das ist er wohl, der „Realfeminismus“, von dem Außenministerin Baerbock bei der Vorstellung der Leitlinien gesprochen hatte.