IMI-Standpunkt 2021/026
„Neue“ Strategische Leitlinien Sahel
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 21. Mai 2021
Alleine der Zeitpunkt ist beispielhaft: Am 21. April 2021 verschickte das Auswärtige Amt seine neuen strategischen Leitlinien zur Ausrichtung des deutschen Sahel-Engagements an die Obleute des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag. Am Tag zuvor hatte die Armeeführung des Tschad den Tod des dortigen langjährigen Machthabers Idriss Déby bekanntgegeben, dessen Sohn als Nachfolger ernannt und das Parlament aufgelöst. Innerhalb von acht Monaten ist damit nach Mali der zweite Partnerstaat der Bundesregierung in der Sahel-Region an eine Militär-Junta gefallen und steht ohne gewählte Regierung da. Während Mali v.a. aufgrund seiner geografischen Lage als Schlüssel zur Kontrolle der Region gilt, war Déby einer der langfristigsten und verlässlichste Verbündete Frankreichs und auch dadurch der „starke Mann“ der Region – seine Soldaten kämpfen in vielen Ländern West- und Zentralafrikas oft an der Seite französischer Spezailkräfte gegen verschiedene bewaffnete Gruppen.
Der Tod des oft auch als „Boss im Sahel“ bezeichneten Präsidenten des Tschad konnte natürlich nicht mehr in die elf Seiten umfassende „Strategische Ausrichtung Sahel“ einfließen. Das macht allerdings wenig Unterschied, denn mit der Lage im Sahel hat diese ohnehin wenig zu tun.
Bereits 2008 urteilte Stefan Brüne über die damaligen EU-Einsätze in der Demokratischen Republik Kongo, dass „innereuropäischen Integrationsagenden das europäische Außenhandeln stärker [prägten] als lokale Konfliktkonstellationen und die öffentlich reklamierten Befriedungs- und Demokratisierungsziele“, also „dass Interessenlagen, die nur einen indirekten Afrikabezug aufwiesen, bei dem Einsatz eine wichtige Rolle spielten“.1 Im Februar 2021 stellte Wolfram Lacher von der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Bezug auf Mali fest: „Statt der Frage, welche Ansätze vor Ort sinnvoll sind, dominiert [in der Bundespolitik] der Wille, die deutsche Bereitschaft zur Übernahme internationaler Verantwortung zu unterstreichen oder Solidarität mit Frankreich zu zeigen“. Dessen Agieren vor Ort aber habe dort „oftmals nachweislich zur weiteren Destabilisierung beigetragen“.2
Dass Deutschland in der Region auch eigene, niederträchtige Interessen verfolgt, kommt jedoch im neuen Strategiepapier deutlich zum Ausdruck, wenn sie auch als Voraussetzung für die erfolgreiche Stabilisierung verbrämt werden: „Damit die Unterstützung wirken kann, müssen die G5-Sahel-Staaten notwendige Reformen des Sicherheitssektors voranbringen. Dazu gehören auch verstärkte Anstrengungen mit Blick auf die Eindämmung irregulärer Migration und das Vorgehen gegen Schleuserstrukturen“. Auch darüber hinaus ist das Dokument geprägt von einem humanitär verklausulierten Paternalismus und dem Anspruch, die ganze Region nach im Wortsinne deplatzierten, eigenen Vorstellungen umzubauen. Kein Wunder, dass dies in Aufstände und Diktaturen mündet. Erstaunlich ist hingegen die Tatsache, dass der jüngst wieder ausgeweitete Bundeswehr-Einsatz in Mali aktuell von keiner Partei zum Thema des Wahlkampfes gemacht wird.
Anmerkungen
1 Stefan Brüne, in: Heinz-Gerhard Justenhoven, Hans-Georg Ehrhart (Hrsg.): Intervention im Kongo – Eine kritische Analyse der Befriedungspolitik von UN und EU, Kohlhammer Verlag 2008.
2 Wolfram Lacher: Unser schwieriger Partner, SWP-Studie 2021/S 03.