Pressebericht - in: antifaschistische Nachrichten 1/2004

Friedensmacht oder aggressiver Militarismus

Während sich in dem Sammelband "Deutschland im Abseits?" Politikwissenschaftler in 13 Beiträgen staatsmännische Sorgen um den außenpolitischen Einfluss der BRD in der Welt machen, veröffentlicht das gewerkschaftsnahe "Institut für sozial-ökologische Wirtschaftforschung" eine kritische Studie zur "Militärmacht Europa".

von: antifaschistische Nachrichten / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 5. Februar 2004

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Die Ablehnung des Irak-Kriegs habe, so der Herausgeber des ersterwähnten Bandes, Hanns W. Maull, einleitend, „Deutschland nicht unerheblichen Schaden zugefügt“: Spaltung der EU, Krise der NATO, Streit zwischen Berlin und Washington. Mit Maull artikuliert sich jene Fraktion der politischen Wissenschaften, die die internationale Führungsrolle der USA sowie weltweite Militärinterventionen für alternativlos hält. Die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien zeugte „von kluger Fortschreibung außenpolitische(r) Traditionslinien“ der Kohl-Regierung.

Ein weiterer Autor, Nikolaus Busse von der FAZ, gibt zu, die Kosovo-Interventionsmächte hätten aus „Angst … vor öffentlichem Protest“ Greuel der jugoslawischen Armee übertrieben. Eine kritische Haltung folgt daraus aber keineswegs, sei es doch „auch um – durchaus vertretbare – politisch-strategische Fragen“ gegangen, nämlich darum „wer – und wessen Ordnungsmodell – in Europa das Sagen hatte“. Das deutsche Nein zum Irakkrieg drohe hingegen zu einer „Selbstisolierung“ vom „Garant der nationalen Sicherheit“, den USA, zu führen.

Es kommen aber auch Befürworter einer eigenständigeren EU, die unter deutsch-französischer Führung in der Lage wäre, eine militärisch abgestützte Machtpolitik weltweit anzuführen, zu Wort. Diese Autoren stehen den USA, nicht aber einem imperialistischen Europa kritisch gegenüber. Marco Overhaus wirft Vertretern der US-Administration vor, die NATO als ihren „Werkzeugkasten“ und eine Art „Trainingspool“ unter ihrer Führung zu betrachten. Deshalb setze Deutschland auf eine stärkere „sicherheits- und verteidigungspolitische() Unabhängigkeit der Europäer“.

Sebastian Harnisch und Siegfried Schieder diskutieren die Mittel, wie Deutschland Hegemon der EU bleiben kann: Durchsetzen von mehr Stimmen für die großen Staaten in den EU-Gremien oder neuer Möglichkeiten, Projekte ohne Rücksicht auf Neinsager zu betreiben („flexible Integration“) und den Willen nationaler Souveräne zu brechen („qualifizierter Mehrheitsentscheid“). Ebenfalls zu den Befürwortern einer starken EU zählt Martin Wagner, der die Kriegsbeteiligungen der letzten Jahre für eine „Normalisierung deutscher Sicherheitspolitik“ hält und als Nahziel eine EU-Armee ausruft, die „wenigstens an ihrer Peripherie zur umfassenden Machtprojektion fähig“ ist.

Dem steht die Argumentation Arno Neubers im isw Report Nr. 56 zum EU-europäischen Militarismus diametral entgegen. Neuber, Mitarbeiter der „Informationsstelle Militarisierung Tübingen“ greift die Bestrebungen zu einem „militärischen Kerneuropa“ scharf an. Er stellt diese Bemühungen, die besonders von der „deutsch-französischen Achse mit Hochdruck“ betrieben werden, in einen Zusammenhang mit dem Irakkrieg. Die Ablehnung dieses Krieges durch Teile der EU habe seine Hintergründe in Meinungsverschiedenheiten mit den USA über die „konkrete Vorgehensweise“ und Konkurrenz um die „Machtverteilung im westlichen Lager“. Ein „Irrtum“ sei das „Wort von der deutsch-französischen Friedensachse“. Die EU-Führungsmächte haben festgestellt, dass sie für ihre weltweiten Ansprüche einen handlungsfähigen Militärapparat brauchen. Das ist der Grund der europäischen Militarisierung, die Neuber im Folgenden in ihren verschiedensten Rüstungsprojekten und Kooperationsabkommen darstellt. Hier wird´s sehr militärspezifisch, aber eine Aneignung auch solcher Fakten lässt sich nicht vermeiden.

Antimilitaristen, schlussfolgert Neuber, müssten die europäische Aufrüstung bekämpfen, denn eine „militärische Interventionsmacht EU (…) ist nicht Teil einer Lösung globaler Probleme, sondern Teil des Problems“. Und: „Höchste Zeit den Widerstand zu organisieren.“

In „Deutschland im Abseits?“ findet sich ein aus den Medien bekannter außenpolitischer Diskurs, dessen einer Flügel in „transatlantischer Tradition“ argumentiert und das Bündnis mit den USA um jeden Preis will. Der andere Flügel setzt auf die deutsch-französische Kooperation. Beiden ist eigen, dass sie eine möglichst große Rolle Deutschlands im Weltgeschehen anstreben. Hier artikuliert sich eine Wissenschaft, die sich als Politikberatung mit Staatsauftrag begreift.
Das Heft des isw vertritt demgegenüber eine antimilitaristische gewerkschaftliche Position, zwischen der und jener der staatsfrommen Gewerkschaftsvorstände sich allerdings Abgründe auftun.

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Hanns Maull/Sebastian Harnisch/Constantin Grund (Hg.): Deutschland im Abseits? Rot-grüne Außenpolitik 1998-2003, Nomos Verlag, Baden-Baden 2003, 193 S., 29 Euro

Arno Neuber: Militärmacht EUropa. Die EU auf dem Weg zur globalen Interventionsmacht, isw-Report Nr. 56, München 2003, 30 S. DIN A4, 3 Euro