Pressebericht / in: Der Standard 14.12.2002

Soziologin: Oslo brachte Palästinensern nur Verschlechterungen

Israel verletzt mehr UNO-Resolutionen als der Irak

von: APA / Der Standard / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 10. Januar 2003

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Wien – Die deutsche Friedensaktivistin und Soziologin Claudia Haydt hat die israelische Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten und den Oslo-Friedensprozess scharf kritisiert. Oslo habe den Palästinensern nur Verschlechterungen gebracht und ihnen ihre Bewegungsfreiheit genommen, meinte die Mitarbeiterin der „Informationsstelle Militarisierung Tübingen“ am Freitagabend in einem Vortrag in Wien. Sie wies darauf hin, dass Israel der Staat ist, der die meisten UNO-Resolutionen verletzt, weit mehr als der Irak.

Haydt glaubt, dass sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite die Mehrheit der Menschen bereit wäre, die Grenzen von 1967 zu akzeptieren. Damals besetzte Israel das Westjordanland, den Gaza-Streifen, die Golan-Höhen und Ost-Jerusalem. Doch keine der beiden Seiten glaube, dass ein Friedensschluss mit der jeweils anderen Seite möglich ist.

Keineswegs überraschend

Der Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000 habe die „israelische Medienöffentlichkeit“ völlig überrascht und sei sie teuer zu stehen gekommen. Denn damit sei der Oslo-Friedensprozess, der 1993 begann und Israel wirtschaftliche Prosperität und Kontakte zu den meisten Nachbarstaaten gebracht hatte, endgültig zusammengebrochen. Für die politischen Spitzen und den Inlandsgeheimdienst sei die Intifada aber keineswegs überraschend gekommen, sagte Haydt. Die Schuld für das Scheitern werde aber den Palästinensern angelastet.

Für die palästinensische Seite habe der Osloer Prozess hauptsächlich Verschlechterungen gebracht. Das Wort Friede sei dadurch in der palästinensischen Gesellschaft völlig diskreditiert und zu einer „hohlen Phrase“ geworden. Die Palästinenser würden das Wort „Friedensprozess“ mit Verarmung und mehr Unterdrückung gleichsetzen, betonte Haydt. Die Osloer Verträge selbst würden als Werkzeug betrachtet, mit dem Israel „die Besetzung nicht abgeschafft sondern optimiert“ hat.

Im ganzen Westjordanland wurden Straßensperren errichtet, die jüdischen Siedlungen wurden massiv ausgebaut. Während 1993, im Jahr der Osloer Verträge, 100.000 Siedler im Westjordanland gelebt hatten, waren es sieben Jahre später schon doppelt so viele. Durch die Siedlungen seien die Ressourcen des Landes völlig einseitig verteilt. Als Beispiel nannte Haydt die jüdischen Ansiedlungen, die sich entlang des Flusses Jordan nahe der Grenze zu Jordanien befinden. Hier leben 5.000 Menschen, die wegen ihrer intensiven Landwirtschaft gleich viel Wasser bräuchten, wie die übrigen zwei Millionen Einwohner des Westjordanlandes.

Aber die Siedlungen hätten auch andere Funktionen. Laut der ehemaligen Grünen Kommunalpolitikerinnen dienen etwa die Siedlungen in der Nähe israelischer Ballungszentren als „billiger Wohnraum“ und als „Vorstädte“. „Einschneidende Wirkung“ hätten auch die Siedlungen in dicht besiedelten Gebieten; sie würden den kommunalen Aufbau der Palästinenserstädte verhindern. Hier seien massive Militärpräsenz und Unterdrückungsmaßnahmen notwendig, um die Siedler zu schützen. Dies geschehe durch Ausgangssperren, Hausarreste oder Enteignungen von Land. „Diese strukturelle Gewalt wirkt, ohne dass ein Schuss fällt.“ Daneben gibt es noch Siedlungsblocks, die das Land in mehrere Enklaven unterteilt.

Dass ihr Land nun durch all diese Maßnahmen in 220 voneinander abgetrennte Enklaven unterteilt, mache es für Palästinenser unmöglich, sich frei zu bewegen. „Bewegungsfreiheit war schon vor Oslo etwas, das man nicht kannte. Aber seit Oslo wurde sie massiv eingeschränkt.“ Die Islam-Expertin rief auch in Erinnerung, dass das durchschnittliche Einkommen einer palästinensischen Familie zwischen 1993 und 2000 um die Hälfte gesunken ist. Der Besuch von Ariel Sharon auf dem Tempelberg im Jahr 2000, laut Haydt eine „symbolische Eroberung, habe das „Fass schließlich zum Überlaufen gebracht“.

Haydt übte auch scharfe Kritik an der Mauer, die derzeit von Israel errichtet wird, um das Land vom Westjordanland zu trennen. Hier entstehe „eine völlig neue Landkarte“, die wenig mit den Grenzen von 1967 zu tun habe. Denn sie steht mitten in dem Gebiet, das den Palästinensern in Oslo vertraglich zugesichert war und trennt einen nicht unbeträchtlichen Teil davon ab. Schon vor dem Mauerbau seien 40 Prozent des Westjordanlandes den Palästinensern nicht mehr zur Verfügung gestanden, diese Situation wird jetzt noch verschärft.

Zur Rolle der Religionen in dem Konflikt meinte Haydt, diese sei nicht eindeutig zu bestimmen. Die christlichen Kirchen machen „sinnvolle Projekte“, während evangelikale Christen eine kritische Rolle spielen. Diese Christen glauben, dass die Juden die legitimen Statthalter Israels seien, bis Jesus wieder komme, dann würde ein Drittel der Juden zum Christentum konvertieren, der Rest aber „dem Untergang geweiht sein“. Diese radikalen Christen würden die israelische Siedlungstätigkeit mit Millionenspenden unterstützen. Allerdings wird diese Hilfe auch von orthodoxen Juden immer kritischer betrachtet, weil das Ziel der Evangelikalen die Missionierung sei.

Was die orthodoxen Juden betrifft, würden diese verschiedenste Rollen einnehmen. Etwa 20 Prozent der Siedler würden sich aus dem radikalen Judentum rekrutieren, und dies sei auch der harte Kern der militanten Siedler. Andere Orthodoxe wiederum erkennen den Staat Israel selbst nicht an, weil sie glauben, dass nur Gott selbst den Staat errichten kann. Anderseits erinnerte sie aber auch an die Organisation „Rabbis für Menschenrechte“, deren Mitglieder an den Olivenernten teilgenommen haben.

Der Einfluss radikaler Moslems werde im Westen überschätzt. Die PLO sei eine „sehr säkulare Organisation“ und selbst die Hamas sei eher pragmatisch geprägt, als fundamentalistisch. Für Machtpositionen wäre sie durchaus bereit, auf ihre fundamentalistischen Forderungen nach einer Zerstörung des Staates Israel zu verzichten. Religiös-extreme Gruppen, die Israel von der Landkarte tilgen wollen, seien zwar vorhanden, aber klein.

Haydt erinnerte auch daran, dass Israel das Land ist, das mit Abstand die meisten UNO-Resolutionen verletzte. Mit einigem Abstand dahinter käme die Türkei und dann Marokko. Der Irak sei in dieser Statistik weit abgeschlagen. (APA)