Kongress der Informationsstelle Militarisierung e.V. 6./7.11.1999

Die nächsten Kriege werden heute vorbereitet

von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 10. November 1999

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Der zweite Kongress der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen führte am 6. und 7.11.1999 Friedensaktivisten aus den unterschiedlichsten politischen Strömungen aus der gesamten Republik zusammen. “Die nächsten Kriege” – so das Motto des Kongresses – werden heute vorbereitet. Und sie werden auch gerade hierzulande vorbereitet – daran ließ der Kongress keinen Zweifel. In vier Workshops erarbeiteten sich rund 80 Interessierte Fakten, Hintergründe und Positionen zu den aktuellen Konfliktherden Kaukasus und Ost-Timor, sowie zu den Themen Rüstungshaushalt und Information Warfare.

Zuvor hatte Tobias Pflüger in seinem Eröffnungsreferat eine Bilanz des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien gezogen und Strukturen künftiger Kriege herausgearbeitet. Pflüger wandte sich gegen die These, die Bundesregierung und die anderen europäischen NA TO-Staaten seien in diesen Krieg lediglich hineingestolpert oder von den USA hineingezogen worden. Wenn auch die militärtechnische Überlegenheit der USA nicht zu übersehen war, so haben doch die führenden europäischen NATO-Staaten Grossbritannien, Frankrei ch und Deutschland eine überaus aktive Kriegsrolle gespielt und unternehmen derzeit Anstrengungen, die europäische Union zu einer Militärgemeinschaft auszubauen, die künftig auch ohne die USA militärisch agieren und intervenieren kann.

In einer szenischen Kongresseinführung der Theatergruppe des Tübinger Zentralamerika-Komitees wurde die hysterische und gleichzeitig hohle Kriegspropaganda vom Schlage Scharping blossgestellt. Ein gänsehautproduzierender Auftritt, der auf die Bedeutung kul tureller Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Militarismus aufmerksam machte.

Erstmalig bei einem Treffen der Friedensbewegung wurde eine Resolution gegen die Militarisierung des Cyberspace beschlossen. In ihr wird die Rücknahme der US-Strategie für offensive Computerkriegsführung verlangt. In der entsprechenden Arbeitsgruppe, die v on Ralf Bendrath und Andreas Seifert geleitet wurde, gab es Hinweise auf die Gefahr, dass auch die Bundeswehr offensive Fähigkeiten zum Führen von Computerkriegen entwickeln könnte.

In der Resolution wird ein Dialog zwischen Friedensbewegung und ComputerexpertInnen angeregt und zur Unterstützung der Bemühungen der UN-Generalversammlung aufgefordert, ein internationales Abkommen zum Verbot der Computerkriegsführung zu erreichen.

In einer zweiten Erklärung wendet sich der Kongress gegen jeglichen Rüstungsexport nach Indonesien und fordert die Bundesregierung auf, die Ausbildungszusammenarbeit mit dem indonesischen Militär sofort zu stoppen.

Die deutschen Soldaten, die in Australien stationiert wurden, sollen abgezogen werden, die finanziellen Mittel dafür in zivile Strukturen investiert werden.

In der Arbeitsgruppe Kaukasus analysierte der Frankfurter Publizist Klaus D. Fischer die innenpolitische Situation der Staaten in dieser strategisch bedeutenden Region. Insbesondere wurde das Ränkespiel der Grossmächte um Öl und Pipelines thematisiert und davor gewarnt, nach dem Muster des Krieges gegen Jugoslawien, Nationalitäten- oder Minderheitenkonflikte zum Vorwand für ein Eingreifen der NATO zu benutzen.

Im Workshop Ost-Timor arbeiteten Claudia Haydt und Hanafi Tjahjadi-Müller in ihren Referaten heraus, daß Indonesien ohne die Hilfe westlicher Staaten kaum überlebensfähig wäre. Die militärische Aufrüstung des autoritären Staates Indonesiens wurde in den ve rgangenen Jahrzehnten insbesondere auch von den USA und Deutschland vorangetrieben, die frühere „Kohl-Suharto-Connection“ war dafür ein Sinnbild. Mit dem Satz, daß „diejenigen, die erst das Feuer geschürt haben, jetzt Feuerwehr für Menschenrechte spielen“ brachte Claudia Haydt eines der Probleme auf den Punkt. Der Ost-Timor-Konflikt ist für die Region Indonesien offensichtlich erst ein Vorbote weiterer Konflikte: „Vor allem reiche Regionen werden nach Unabhängigkeit schreien.“

Arno Neuber und Paul Schäfer untersuchten die bundesdeutschen Rüstungsausgaben im Bundeshaushalt 2000. Die im Einzelplan 14 (Verteidigungsetat) ausgewiesenen 45,3 Milliarden DM stellen tatsächlich nur 76% der Militärausgaben dar. Legt man die einheitlichen Kriterien der NATO zugrunde, summieren sich die Rüstungsausgaben der Bundesrepublik im nächsten Jahr auf satte 59,6 Milliarden DM. Trotzdem ist dieser Haushalt der “qualitativen Aufrüstung” (Tobias Pflüger) lediglich ein Übergangsetat. Es bleibt abzuwarte n, ob sich die Linie Scharping (20 Milliarden DM zusätzlich für den Ausbau der Bundeswehr zur Interventionstruppe) oder die Variante einer Konzentration auf die kriegstauglichen Truppenteile bei gleichbleibendem oder leicht sinkendem Rüstungsetat, wie sie die Wehrexpertin von Bündnis 90/Grüne, Angelika Beer, vorschlägt, durchsetzen wird. An einem weiteren Umbau der Bundeswehr zum Interventionsinstrument hält auch die Regierung Schröder/Fischer fest. Für die Friedensbewegung bleibt es daher bedeutsam, in die se Debatte mit einem Konzept zu qualitativer (und nicht nur rein zahlenmässiger) Abrüstung einzugreifen.

Das Abschlussplenum des Kongresses verurteilte noch einmal die Lieferung eines “Probe”-Panzers Leopard 2A5 an die türkischen Militärs und verlangte die Einstellung aller Rüstungsexporte an das türkische Regime, auch wenn sie über den Umweg eines dritten NA TO-Staates laufen sollten, wie im Falle des Kampfhubschraubers Tiger.

Der IMI-Kongress vermittelte nicht nur eine Fülle von Fakten für die Arbeit der FriedensaktivistInnen vor Ort, sondern half auch Kontakte herzustellen und weitere Knoten im Netzwerk der antimilitaristischen Bewegung zu knüpfen. Nicht zuletzt hat er Mut gem acht für den alltäglichen Widerstand gegen Militarisierung und Kriegspolitik.