IMI-Standpunkt 2013/003 - in: AUSDRUCK (Februar 2013)
Mali: Kriegsgetrommel im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz
von: Christoph Marischka und Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 22. Januar 2013
Am ersten Februar-Wochenende treffen sich einmal mehr die wichtigsten Eliten aus Militär, Politik und inzwischen auch vermehrt aus der Wirtschaft bei der Münchner Sicherheitskonferenz, um dort wesentliche weltpolitische Fragen zu erörtern. Zahlreiche Themen stehen auf der Tagesordnung, angesichts der aktuellen Brisanz dürfte aber vor allem dem Krieg in Mali besonders viel Beachtung geschenkt werden. Ein deutlicher Hinweis hierauf ist, dass Konferenzleiter Wolfgang Ischinger unlängst scharf mit der Bundesregierung ins Gericht ging, nachdem es von deutscher Seite hieß, ein Einsatz von „Kampftruppen“ zur Unterstützung der am 11. Januar 2013 begonnenen französischen Militärintervention „Operation Serval“ werde nicht erwogen.
Daraufhin rügte Ischinger die Regierung für die – seiner Auffassung nach – unzureichende Kriegsbeteiligung in aller Schärfe: „Frankreich erwartet von Deutschland und anderen EU-Partnern aktive Solidarität und militärische Unterstützung.“ Es gehe „um unsere gemeinsame Sicherheit“ und aus diesem Grund sei es „weniger erfreulich, dass ein Regierungssprecher einen Kampfeinsatz der Bundeswehr kategorisch ausschließt.“[1] Diese Forderung nach einer umfassenderen deutschen Kriegsbeteiligung haben sich inzwischen eine ganze Reihe von Spitzenpolitikern nahezu jedweder Partei-Couleur zu Eigen gemacht.
Ganz so unbeteiligt ist Deutschland jedoch bereits jetzt nicht. Da wären zunächst einmal die beiden Transall-Maschinen zu nennen, die mittlerweile in der malischen Hauptstadt Bamako gelandet sein sollen – ohne dass hierfür im Übrigen ein Mandat des Bundestages für notwendig erachtet worden wäre. Die Transalls nahmen auf dem Hinflug gleich noch Sanitätsmaterial für die französischen Truppen mit,[2] vor allem sollen sie aber eine wesentliche Rolle bei der Verlegung von Truppen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) spielen, die in Kürze mit einer Militärintervention zur „Befreiung“ des Landes beginnen sollen. Deren Rolle soll im Wesentlichen darin bestehen, die von den französischen Truppen eroberten Städte und Gebiete längerfristig zu sichern, damit die Franzosen ihre Kapazitäten für weitere Offensiven nutzen können – und der koloniale Charakter dieses Krieges nicht allzu offensichtlich wird. Darüber hinaus ist Deutschland in den Krieg über die Europäische Union involviert. Einmal, indem der ECOWAS-Einsatz zu einem guten Teil mit Geldern der EU-Entwicklungshilfe finanziert werden soll. Und zum Zweiten, indem die Europäische Union am 17. Januar 2013 eine „Militärmission als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali)“ beschlossen hat.
EUTM Mali: Hineinschlittern in den Krieg?
Mit EUTM Mali will man das Geschehen im eigenen Sinne beeinflussen, indem die malischen Truppen „ertüchtigt“ werden sollen, in absehbarer Zeit den Großteil der Kämpfe selbst zu übernehmen. Eine solche – EUTM Somalia genannte – Mission führt die EU bereits seit Mitte 2010 in Uganda durch. Hier werden somalische Soldaten ausgebildet, um anschließend auf der Seite der Übergangsregierung im somalischen Bürgerkrieg zu kämpfen. Schon im November 2012 war der EUTM Somalia in einer Entschließung des Europäischen Parlaments lobend als Prototyp künftiger Einsätze in Afrika bezeichnet worden, auch und gerade für Länder der Sahelzone. Als Begründung hieß es darin, „dass das Modell der Operation EUTM, das mit relativ geringem finanziellen, materiellen und personellen Aufwand der EU die Möglichkeit bietet, eine wichtige Rolle in der Region Ost-Afrikas einzunehmen, auf andere Gebiete, insbesondere in der Sahelzone, repliziert werden könnte.“[3]
Auffallend ist, dass die Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz in Somalia/Uganda ohne Mandat des Bundestags erfolgt, weil nach Auffassung der Bundesregierung keine „Einbeziehung in einen bewaffneten Konflikt“ bestehe oder zu erwarten wäre, diese im Falle der EUTM-Mission in Mali jedoch ein Mandat für die Ausbildungsmission für nötig hält. Tatsächlich soll der Einsatz der Bundeswehr in Mali nach dem EU-Beschluss auch die „Beratung im Bereich der Führung, der Logistikkette und der Personalwirtschaft” beinhalten und “die Bedingungen für die Ausübung einer ordnungsgemäßen politischen Kontrolle über die malischen Streitkräfte” herstellen.[4] Angesichts der weit vorangeschrittenen Desintegration der malischen Streitkräfte lässt dies den Schluss zu, dass die EU-Mission v.a. eine zentrale Rolle bei der Koordination des Einsatzes im Norden spielen wird. Damit erklärt sich auch das vom SPD-Außenminister Gernot Erler formulierte Rätsel, “wie malische Soldaten, die mit den Franzosen zusammen im Norden des Landes kämpften, zeitgleich an Ausbildungsplätzen
im Süden Malis trainiert werden könnten.”[5] Auch nach Marco Overhaus von der Stiftung Wissenschaft und Politik müsse eine “klare Trennung zwischen Training und operativem Handeln … mittlerweile als überholt gelten, denn sie ist in einem derart volatilen Umfeld nicht sinnvoll.”[6]
Zwar betont der Ratsbeschluss, die EU-Truppe habe sich aus Kämpfen herauszuhalten: „Die EUTM Mali beteiligt sich nicht an Kampfeinsätzen.“[7] Inwieweit solche Aussagen allerdings glaubwürdig sind, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier (oder Geheimdokument). So kritisiert etwa Elke Hoff, sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, mit Verweis auf die erheblichen „Eskalationsrisiken“ von EUTM Mali den Einsatz in ungewöhnlich scharfer Form: „Der Afghanistan-Einsatz hat zu der Erkenntnis geführt: Ohne definierte Ziele und Exit-Strategie und ohne die Unterstützung der Bevölkerung sollte keine Auslandsmission beschlossen werden. Es war nicht nur voreilig, die Entsendung von 240 Soldatinnen und Soldaten für eine Ausbildungsmission nach Mali zuzusagen. Sondern auch verantwortungslos.“[8]
Auch hochrangige Militärs wie Ex-Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat warnen davor, EUTM Mali könne der erste Schritt sein, um mitten in einen umfassenden Krieg „hineinzuschlittern“: „Es ist zweifelhaft, ob die malische Armee überhaupt in der Lage ist, den Norden zurückzuerobern. Und es ist möglich, dass sie sich dann umdrehen, wenn wir dort bereits involviert sind, und wir dann aufgefordert werden, uns aktiv in die Kampfhandlungen einzuschalten.“ Direkt zum EUTM Mali-Einsatz merkt Kujat weiter an: „Hier handelt es sich um einen Einsatz, der sehr leicht von einer Ausbildungsmission in aktive Kampfhandlungen hinübergehen kann, und das muss man von vorn herein bedenken.“[9]
Allerdings zieht Kujat hieraus die fatale Schlussfolgerung, nun müsse die Unterstützung der französischen Kriegsanstrengungen oberste Priorität haben – und zwar mit buchstäblich allen Mitteln: „Die Franzosen sind in Europa unsere engsten Verbündeten. Sollten sie um Hilfe aus Deutschland bitten – das gilt auch für Kampftruppen – könnten wir ihnen diese nicht verwehren.“[10] Mit dieser Forderung ist Kujat keineswegs alleine, zahlreiche Bundestagsabgeordnete haben sich ihr mittlerweile angeschlossen.
Kriegsbegeisterung im Bundestag
Trotz dieser breiten Interventionsklaviatur ist angesichts der Gemengelage nicht mit einem baldigen Ende der Kampfhandlungen zu rechnen. Vielmehr drohen wie schon zuvor in Afghanistan oder im Irak eine „Verstetigung“ des Krieges und die Destabilisierung der gesamten Region. Mittlerweile haben nach Algerien bereits erste Kampfhandlungen in Nigeria im Zusammenhang mit der Mali-Intervention stattgefunden: Im Bundesstaat Kogi wurden bei einem Sprengfallen-Anschlag auf einen Konvoi mit anschließendem Feuergefecht zwei nigerianische Soldaten getötet und fünf schwer verletzt, die für die Verlegung nach Mali vorgesehen waren. Zu dem Angriff bekannte sich eine Splittergruppe von Boko Haram mit explizitem Verweis auf den bevorstehenden Einsatz in Mali.
Das straft auch die Darstellung der deutschen Regierung lügen, wonach der Einsatz der Transalls ungefährlich und harmlos sei und deshalb kein Mandat erfordere, weil die Truppen lediglich in das vermeintlich sichere Bamako gebracht würden (die französischen Bemühungen zur Sicherung französischer Einrichtungen in Bamako sprechen auch hier eine andere Sprache). Anstatt jedoch die Umgehung des Parlaments beim Transall-Einsatz zu kritisieren, fordern führende Vertreter des Bundestages einen umfassenderen militärischen Beitrag Deutschlands. Die zwei Transall-Maschinen seien „deutlich zu wenig“, so etwa Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Sein Kollege Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sprach in diesem Zusammenhang abwertend von einer „Minimallösung“ und der Grüne Verteidigungspolitiker Omid Nouripour forderte in aller Deutlichkeit, die Bundesregierung müsse „erheblich mehr tun als zwei Transall-Maschinen zur Verfügung zu stellen.“[11]
Mit ihrer Kriegsbegeisterung nehmen die Abgeordneten somit die weitere Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts vorweg, für die Wolfgang Ischinger im Sommer 2011 noch „Reformen“ angemahnt hatte: Einsätze von „Aufklärungsmitteln, Überwachungsplattformen, Fähigkeiten zu Transport, Logistik und medizinischer Versorgung sollten, … falls sie von NATO oder der EU angefordert werden, von nationalen Vetos [und damit dem Parlamentsvorbehalt] ausgenommen werden“, so Ischinger damals.[12] In einem Gastkommentar für das Handelsblatt mahnte er später erneut, „Deutschland möge sich durch den Parlamentsvorbehalt nicht handlungs- beziehungsweise partnerschaftsunfähig machen“.[13] Wenn nun Abgeordnete fast aller Fraktionen unter der Betonung einer notwendigen „Solidarität“ mit Frankreich ein schnelleres und umfangreicheres Handeln der Bundesregierung einfordern, schlagen sie letztlich in dieselbe Kerbe.
Selbstmandatierung
Offiziell wird zumeist betont, die französische Intervention sei durch die UN-Resolutionen 2071 und 2085 legitimiert. Hierzu schreibt allerdings der Bundesausschuss Friedensratschlag: „Für seine Militärintervention – mit Mordwerkzeugen aus der Luft, zunehmend aber auch am Boden – beruft sich Frankreich auf die Resolution 2071 (2012) des UN-Sicherheitsrats, die in Ziffer 9 die ‚Mitgliedsstaaten, regionale und internationale Organisationen einschließlich der Afrikanischen Union und der Europäischen Union dazu aufruft, so schnell wie möglich koordinierte Hilfe, Expertise, Ausbildung und Fähigkeiten‘ der malischen Armee zur Verfügung zu stellen, ‚um die Einheit und territoriale Integrität Malis aufrecht zu erhalten‘. Hieraus das Recht auf eine Militärintervention herauslesen zu wollen, ist ein politischer Kraftakt. Und in der jüngsten Resolution 2085 vom 20. Dezember findet sich kein über die oben zitierte Formel hinausgehender Beschluss. Im Gegenteil: Ausdrücklich wird in Ziffer 11 dieser Resolution betont, ‚dass die militärische Planung vor dem Beginn der offensiven Operation weiter präzisiert werden‘ müsse. Das ist bisher nicht geschehen. Wohl deshalb beruft sich Frankreich auf eine (bestellte?) formale Bitte der nach einem Militärputsch in Bamako eingesetzten Übergangsregierung zur Legitimation seiner Intervention.“[14]
Doch neben dem Grundgesetz und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz wird in der aktuellen Kriegseuphorie auch dem Völkerrecht nicht mehr als eine lästige, einschränkende Wirkung zuerkannt, die man im Dienste der Freundschaft und der Solidarität getrost ignorieren könne. Besonders hervorgetan hat sich dabei NDR-Korrespondent Georg Schwarte in einem Kommentar für die ARD: Darin wird zwar eingeräumt, dass „Frankreichs Eingreifen in Mali – anders als zuletzt sogar von der Kanzlerin behauptet – nicht durch eine UN-Resolution gedeckt ist“, womit er begründet, dass die Bundesregierung die Transall-Maschinen (offiziell, in der Praxis wurden damit bereits auch Güter für die französische Armee geliefert) nur der ECOWAS, nicht aber den Franzosen zur Verfügung stellt. Das sei „sehr schlau“, „und das gibt ihr“, der „deutschen Hilfe … einen schalen Beigeschmack“.
ECOWAS: Militärintervention mit EU-Entwicklungshilfe
Generell wird verkannt, wie eng das französische Eingreifen, der ECOWAS-Einsatz („African-led International Support Mission in Mali“, AFISMA) und die Beiträge Deutschlands und der EU zusammenhängen. Die Soldaten der ECOWAS sollen nicht nur die französischen Geländegewinne absichern, ihr Einsatz wird auch wesentlich von der EU finanziert. War Anfangs noch von einem Umfang zwischen 3.500 und 3.800 Soldaten die Rede, spricht man inzwischen bereits von bis zu 6.000.[15] Diese Truppen sollen nun auch mithilfe der deutschen Transalls Stück für Stück nach Mali verfrachtet werden. Die Kosten des ECOWAS-Einsatzes werden auf mindestens 375 Mio. Euro beziffert,[16] wahrscheinlich werden sie jedoch noch deutlich ansteigen.
In diesem Zusammenhang wurde in den Schlussfolgerungen des Rates vom 17. Januar 2013 u.a. beschlossen, die Europäische Union werde den ECOWAS-AFISMA-Einsatz über die sogenannte „African Peace Facility“ (APF) finanziell unterstützen – ein genauer Betrag wird dabei allerdings nicht genannt.[17] Hierbei handelt es sich um einen Topf, der mit Geldern des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), zu dessen Budget Deutschland über 20 Prozent beiträgt, gefüllt wird und vor allem der Finanzierung afrikanischer Militäreinsätze dient. Obwohl eine direkte Finanzierung von Waffen, Munition, militärischer Ausrüstung und Ausbildung nicht erlaubt ist, wären solche Einsätze ohne die Peace Facility nicht finanzierbar. Die Beiträge decken teils bis zu zwei Drittel der Gesamtkosten, weshalb es sich bei derartigen „afrikanischen“ Militäreinsätzen zynisch gesagt eher um „outgesourcte“ EU-Kriege handelt.[18] Insofern klingt das Argument von Entwicklungsminister Dirk Niebel reichlich schal, wenn er angibt: „So bald wie möglich muss aber die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS eine ordnende Rolle in Mali übernehmen. Die Wiederherstellung der territorialen Integrität muss ein afrikanisches Gesicht haben. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass es sich um Postkolonialismus handelt“.[19]
Neben dieser skandalösen Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe, die sozusagen auf oberster Finanzierungsebene einsetzt, lässt sich selbiges auch „vor Ort“ beobachten. Die zunehmenden Forderungen auch von deutschen Politikern, in Mali müssten zivile und militärische Mittel Hand in Hand arbeiten und gewissermaßen am selben Strang ziehen, veranlasste „Ärzte ohne Grenzen“ zu einer scharfen Absage an derartige Ambitionen: „Anlässlich der Entscheidung der Bundesregierung, die französische militärische Intervention in Mali zu unterstützen, warnt die internationale medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen vor einer Vermischung militärischer und humanitärer Aufgaben. … Humanitäre Organisationen haben die Aufgabe, in Katastrophen und Konflikten der betroffenen Zivilbevölkerung beizustehen. Sie müssen mit allen Konfliktparteien verhandeln, um die notwendigen Zugangs- und Sicherheitszusagen zu erhalten. Dies ist nur möglich, wenn sie als rein humanitäre Organisationen erkennbar sind und respektiert werden. Sie müssen klar getrennt von militärischen Aktionen handeln können und dürfen weder mit diesen verwechselt noch in Zusammenhang gebracht werden, da die Helfer sonst selbst zur Zielscheibe werden können. … ‚Wir wenden uns entschieden gegen diesen politischen Missbrauch der humanitären Hilfe‘, sagt Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland. ‚Er gefährdet unsere Arbeit und damit Menschenleben‘.“[20]
Jeremy Labbé vom International Peace Institute (IPI) hatte bereits kurz vor Beginn der Intervention gewarnt, dass eine militärische Intervention „den humanitären Zugang und die Sicherheit des humanitären Personals weiter einschränken könnte“. Hintergrund für diese Warnung war die Aufforderung der US-Botschafterin bei der UN, Susan Rice, humanitäre Organisationen sollten sich an der Planung des Militäreinsatzes beteiligen (wodurch diese als „integraler Bestandteil der Strategie zur Rückeroberung des Nordens“ erschienen seien) und die offensichtlichen Parallelen zur Kriegsführung in Somalia: „Wesentliche Teile des Gebietes werden von islamistischen Gruppen kontrolliert, von denen einige Kontakt zur Al Kaida haben, die UN und die internationale Gemeinschaft wollen regionale Militäreinheiten unterstützen, die an der Seite einer Regierung kämpfen, der nahezu jegliche Legitimität fehlt, während sich die gesamte Region in einem Zustand der Ernährungsunsicherheit befindet“. Das absehbare Ergebnis dieser Konstellation beschreibt Labbé für Mali so: „Es ist wahrscheinlich, dass die vom Westen unterstützte Verlegung regionaler Kräfte den ohnehin schlechten Zugang weiter verschlechtern wird. Während die Militärintervention Hilfslieferungen in ‚befreite Gebiete‘ unterstützen wird, könnten humanitäre Akteure vollständig von den durch die Islamisten kontrollierten Gebieten abgeschnitten und in deren Sicht zu legitimen Zielen werden“.[21] Wenn aber Hunger einerseits und humanitäre Hilfe andererseits selbst zum Mittel der Kriegführung werden, wie es jüngste Meldungen über den Mangel an Medikamenten in den eroberten und zuvor „belagerten“ Städten vermuten lassen,[22] ist durchaus auch die Aufstockung humanitärer Hilfe im Kontext der französischen Intervention durch die Bundesregierung kritisch zu hinterfragen.
Fazit: Bis zum (nächsten) bitteren Ende?
Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian gab an: „Das Ziel ist die vollständige Rückeroberung Malis.“[23] Es wäre nicht das erste Mal, dass westliche Militärstrategen im Glauben an die eigene Allmacht den Blick für die Realität verlieren – und auch hier scheint dies der Fall zu sein. Zu den Aussichten einer „erfolgreichen“ Rückeroberung schreibt etwa der Bundesausschuss Friedensratschlag: „Es ist reines Wunschdenken des französischen Präsidenten, dass die Militäroffensive binnen einer Woche dazu führen könnte, die avisierten 3.300 Soldaten der ECOWAS-Staaten ins Land zu holen, damit diese die ‚Rückeroberung‘ des nördlichen Landesteils (immerhin ein Gebiet von der Größe Frankreichs und Spaniens zusammen genommen!) bewerkstelligen würden. Viel eher erwarten wir eine Ausweitung der Kampftätigkeiten auch im Süden Malis.“[24]
Es droht also eine „Verstetigung“ des Krieges, möglicherweise eine lang andauernde französische Besatzung und, wie die Ereignisse in Algerien und Nigeria mehr als deutlich gezeigt haben, eine Destabilisierung der gesamten Region. Und tatsächlich: Wenn die Erfahrungen aus den jüngsten Einsätzen in Afghanistan, im Irak und zuletzt in Libyen eines gelehrt haben, dann ist es die Tatsache, dass westliche Militärinterventionen nicht in der Lage sind, derartige Konflikte „erfolgreich“ zu „befrieden“ – im Gegenteil. Selbst die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik kritisiert die westliche Interventionspolitik in ungewohnter Schärfe: „Mali offenbart die Gefahren einer weiteren Militarisierung des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus und das Fehlen einer weitsichtigen Afrika-Politik. Seit dem 11. September 2001 haben die Entwicklungen in den Hot Spots des Anti-Terrorkampfes – Afghanistan, Jemen, Indonesien und an zahlreichen anderen Orten – gezeigt, dass sich das Terror-Problem dauerhaft nur mit polizeilichen, entwicklungspolitischen und politischen Mitteln wirksam bekämpfen lässt. Mit anderen Worten: Der Kampf gegen den Terrorismus erfordert den langen Atem, den die internationale Gemeinschaft oft nicht hat.“[25]
Andere Beobachter wie etwa der neue Leiter des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes (SIPRI), Tilman Brück, warnten schon vor einiger Zeit davor, man sei auf dem schlechtesten Wege, das Desaster vergangener Eingriffe zu reproduzieren: „Mali ist das neue Afghanistan, wenn wir nicht sehr schnell unsere Politik und unsere Einstellung zu diesem Fall ändern. Es droht die Gefahr, in dieselbe Falle wie in Afghanistan zu laufen.“[26] Es scheint, als sollte Brück mit dieser pessimistischen Prognose leider Recht behalten. Umso wichtiger sind die anstehenden Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, um dort ein klares Zeichen gegen den westlichen Kriegseinsatz, gegen die Logik des „Kriegs gegen den Terror“ und insbesondere gegen jegliche deutsche Beteiligung zu setzen. In dieser Forderung weiß die Friedensbewegung einmal mehr die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter sich: Bei einer Emnid-Umfrage sprachen sich 59 Prozent der Befragten gegen eine militärische Beteiligung der Bundeswehr aus, lediglich 33 Prozent waren dafür.[27] Unter anderem in München wird es darum gehen, dieser Mehrheit mittels der Proteste eine Stimme zu geben.
Alle wichtigen Infos zur Münchner Sicherheitskonferenz finden sich hier: http://sicherheitskonferenz.de
Anmerkungen
[1] Deutsche Mali-Politik: Ischinger kritisiert Berlins Kampftruppen-Tabu, Spiegel Online, 15.01.2013: http://www.spiegel.de/politik/ausland/krise-in-mali-ischinger-kritisiert-deutsches-nein-zu-kampftruppen-a-877673.html)
[2] Wiegold, Thomas: Mali? Unübersichtlich, 18.01.2013: http://augengeradeaus.net/2013/01/mali-unubersichtlich/
[3] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. November 2012 zur Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (nach dem Jahresbericht des Rates an das Europäische Parlament zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) (12562/2011 – 2012/2138(INI))
[4] Beschluss 2013/34/GASP des Rates vom vom 17. Januar 2013.
[5] Gernot Erler im SWR2 Tagesgespräch vom 18.01.2013.
[6] Marco Overhaus: Schadensbegrenzung in Mali, 18.01.2013: http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/schadensbegrenzung-in-mali.html
[7] Beschluss 2013/34/GASP des Rates vom 17. Januar 2013 über eine Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali), Artikel 1.
[8] Hoff, Elke: Aus Fehlern lernen. Keine deutsche Beteiligung an einer Mali-Mission ohne klare Ziele, in: Internationale Politik, 06.01.2013)
[9] Flocken, Andreas: Angst vor einem zweiten Afghanistan? Streitkräfte und Strategien, 03.11.2012: http://www.bits.de/public/gast/12flocken-04.htm
[10] Bundesregierung stellt weitere Mali-Hilfe in Aussicht, Donaukurier, 20.01.2013: http://www.donaukurier.de/nachrichten/topnews/D-Mali-Frankreich-Regierung-Parteien-Streitkraefte-Konflikt-Bundesregierung-stellt-weitere-Mali-Hilfe-in-Aussicht;art154776,2707270
[11] Bundesregierung stellt weitere Mali-Hilfe in Aussicht, Donaukurier, 20.01.2013: http://www.donaukurier.de/nachrichten/topnews/D-Mali-Frankreich-Regierung-Parteien-Streitkraefte-Konflikt-Bundesregierung-stellt-weitere-Mali-Hilfe-in-Aussicht;art154776,2707270
[12] Wolfgang Ischinger u. Timo Noetzel: Libya could be a catalyst for Europe’s security policy, in: Europe’s World (Summer 2011): http://www.europesworld.org/NewEnglish/Home_old/Article/tabid/191/ArticleType/ArticleView/ArticleID/21826/LibyacouldbeacatalystforEuropessecuritypolicy.aspx
[13] Wolfgang Ischinger: „Bundestag soll ein Wörtchen mitreden“, Handelsblatt, 30.08.2012: http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-bundestag-soll-ein-woertchen-mitreden/7073618.html
[14] Mali: Keine Intervention! Kein neues Afghanistan! Bundesausschuss Friedensratschlag, 16.01.2013: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Mali/agf-baf-stellung.html
[15] Europe Diplomacy & Defence, Nr. 575, 22.01.2013.
[16] Kampf gegen Islamisten: Kosten für Militärmission in Mali verdoppeln sich, Spiegel Online, 21.01.2013: http://www.spiegel.de/politik/ausland/kampf-gegen-islamisten-militaer-mission-in-mali-wird-doppelt-so-teuer-a-878694.html
[17] Council Conclusions on Mali, Brussels, 17.01.2013.
[18] Wagner, Jürgen: Die EU als Rüstungstreiber, IMI-Studie 2012/08, S. 34f..
[19] „Nur eine Grenze zwischen Mali und Mittelmeer“, Welt Online, 20.01.2013: http://www.welt.de/politik/deutschland/article112901791/Nur-eine-Grenze-zwischen-Mali-und-Mittelmeer.html
[20] Ärzte ohne Grenzen kritisiert Bundesaußenminister – Militärische Einsätze und humanitäre Hilfe müssen strikt getrennt werden, Berlin, 16. Januar 2013: http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/pressemitteilungen/2013/pm-2013-01-16/index.html
[21] Jeremy Labbé: The Humanitarian Fallout of a Military Intervention in Mali, 03.01.2013: http://www.isn.ethz.ch/isn/Digital-Library/Articles/Detail/?&id=156531
[22] Siehe z.B.: „Sie haben sogar alle Apotheken geplündert“, Beitrag von Peter Schreiber auf Tagesschau.de, 22.01.2013.
[23] France says military goal is ‚total reconquest of Mali‘, AFP, 20.01.2013: http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5igp4ctrq1KvqIdva01KObZtVcNUg?docId=CNG.ff67847b4641455470e3d885ef5416eb.1d1
[24] Mali: Keine Intervention! Kein neues Afghanistan! Bundesausschuss Friedensratschlag, 16.01.2013.
[25] Overhaus, Marco: Schadensbegrenzung in Mali, SWP, 18.01.2013: http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/schadensbegrenzung-in-mali.html
[26] Flocken, Andreas: Angst vor einem zweiten Afghanistan? Streitkräfte und Strategien, 03.11.2012.
[27] Umfrage: Mehrheit der Deutschen gegen Bundeswehr-Einsatz in Mali, Epoch Times Deutschland, 19.01.2013: http://www.epochtimes.de/umfrage-mehrheit-der-deutschen-gegen-bundeswehr-einsatz-in-mali-1058359.html