IMI-Standpunkt 2010/050

Gipfel-Legenden

Wenn die NATO in Lissabon eine gemeinsame Raketenabwehr beschließt, dann werden in den Erklärungen jede Menge Legenden verbreitet werden.

von: Arno Neuber | Veröffentlicht am: 19. November 2010

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Guido Westerwelle hatte Ende Oktober in Moskau für die Raketenabwehrpläne mit dem Argument geworben, „es sei ein großer Fortschritt, dass die Raketenabwehr inzwischen zu einem Bündnisanliegen geworden sei“. Fachleute halten das für einen Etikettenschwindel. Kern des Systems werden mehr als hundert Raketen auf US-Kriegsschiffen („Aegis“) im Mittelmeer sein, die unter US-Kommando und nicht unter NATO-Befehl stehen. Die USA verhandeln auch bereits im Alleingang mit Rumänien und Polen über die Stationierung von Komponenten des Systems. Die Raketenabwehr wird also an den Machtverhältnissen innerhalb der NATO, sprich der US-Dominanz, nichts ändern.

Gerne wird auch über eine gemeinsame Raketenabwehr von NATO und Russland philosophiert. Außer „Einladungen“ und allgemeinen Deklamationen ist dazu bislang nichts Handfestes zu erfahren. In der „International Herald Tribune“ schreibt der NATO-Botschafter der USA, Ivo Daadler, dass der NATO-Raketenschirm „auf andere Länder, darunter auch auf Russland, ausgedehnt werden“ könnte, nachdem „das System das Stadium der vollen operativen Bereitschaft erreicht hat“. Eine „gleichberechtigte Zusammenarbeit“, wie sie der russische Außenminister Lawrow eingefordert hat, sieht anders aus. Die USA wollen zudem SM3-Raketen und eine Patriot-Raketenbatterie in Polen stationieren. Der russische NATO-Botschafter Rogosin dämpfte daher die in den Medien geschürte Kooperations-Euphorie: „Wir halten es (…) für unmöglich, stumme Statisten in einem fremden Projekt zu sein, das wir weder begreifen noch beeinflussen können. Das liegt nicht in unserem Interesse.“

Deutsche Wünsche, den Aufbau der Raketenabwehr mit einer formulierten Floskel zur atomaren Abrüstung zu verbinden, mussten offenbar beerdigt werden. Das Wort Abrüstung wird nach Pressemeldungen nun irgendwo im Strategiedokument erscheinen, dazu noch mit einschränkenden Adjektiven versehen.

Freuen darf sich über die sogenannte Raketenabwehr (technologisch gibt es kaum einen Unterschied zu einem offensiven System) vor allem die Rüstungsindustrie, die mittlerweile seit Jahrzehnten Milliardenbeträge für Entwicklung und Produktion einstreicht, ohne dass auch nur der Nachweis für ein funktionierendes System erbracht worden wäre.