IMI-Standpunkt 2010/027 - in: AUSDRUCK (August 2010)

Die Bundeswehr im Klassenkampf

Der Jahresbericht der Jugendoffiziere für das Jahr 2009.

von: Michael Schulze von Glaßer | Veröffentlicht am: 15. Juli 2010

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In Deutschland gibt es zurzeit etwa 94 hauptamtliche und 300 nebenamtliche Jugendoffiziere der Bundeswehr. Die jungen Soldaten werden hauptsächlich an Schulen eingesetzt, um Jugendliche über deutsche Militärpolitik zu informieren und sie nebenbei vom Dienst in der Armee zu überzeugen. Über die Tätigkeiten der Einheit informiert ein jährlicher Bericht, der für das Jahr 2009 vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde.

7.245 Veranstaltungen (- 10,1 % gegenüber 2008) mit 182.522 Teilnehmern (- 8,4 % gegenüber 2008) führten die Jugendoffiziere 2009 durch. Die Gruppe der Jugendlichen ab dem 14. Lebensjahr stellte mit nahezu 160.000 Teilnehmern den Hauptanteil. Die Jugendgruppen, Verbände und Multiplikatoren machten einen Anteil von 22.500 Teilnehmern aus.

Den Rückgang der Zahl durchgeführter Veranstaltungen und den dadurch verursachten (jedoch leichteren) Rückgang der erreichten Personen begründet die Bundeswehr mit der Vakanz von im Durchschnitt 5 bis 6 Dienstposten der hauptamtlichen Jugendoffiziere im Berichtszeitraum 2009. Warum die Posten nicht besetzt waren – ob es Probleme bei der Rekrutierung neuer Jugendoffiziere aus den Reihen der Armee gab – wird nicht geklärt. Zudem darf der Rückgang der Einsatzzahlen nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch eine enorme Zahl von Schülern eines Jahrgangs – die durch den demografischen Wandel auch kleiner werden – von der Bundeswehr erreicht wird.

Die Arbeit der Jugendoffiziere 2009

Nicht müde wird der Autor des Jahresberichts zu erklären, dass Jugendoffiziere keine Wehrdienstberater sind: „Aufgabe der Jugendoffiziere ist ausschließlich die Vermittlung sicherheitspolitischer Fachinhalte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Sie betreiben keine Nachwuchswerbung. Es ist daher unerlässlich, an einer strikten Trennung von sicherheitspolitischer Information und den Aufgaben der Wehrdienstberatung festzuhalten.“[1] Jedoch hätten sowohl Jugendoffiziere als auch Wehrdienstberater an Schulen ihren Platz, auch wenn sie personell klar voneinander getrennt sein müssten. Weiter im Text heißt es allerdings: „In einem […] als sicher empfundenen Umfeld beschäftigt die Schüler vor allem die individuelle Zukunft und die Arbeits- oder Studienplatzsuche. So werden die Jugendoffiziere in den Abschlussklassen der Haupt-, Real- und Mittelschulen immer wieder mit Fragen zum Arbeitgeber Bundeswehr konfrontiert.“[2] Offen bleibt, ob die Jugendoffiziere auf diese Fragen auch eingehen – es ist allerdings schwer vorzustellen, dass sie einfach schweigen. Jugendoffiziere sind nicht dazu ausgebildet, über die Laufbahnen in der Armee zu berichten, dennoch werden bei Jugendoffiziers-Besuchen beispielsweise Broschüren verteilt, die den Weg zum nächsten Wehrdienstberater weisen. Zudem haben die Veranstaltungen der Soldaten gerade den Zweck, die jungen Leute von der Armee und ihrem Einsatz zu überzeugen, was ein erster Schritt zum Eintritt in die Bundeswehr ist. Oft sind Wehrdienstberater aber auch direkt und sogar in Verbindung mit Jugendoffizieren an Schulen anzutreffen: bei rund 12.600 Wehrdienstberatungs-Veranstaltungen wurden 2009 mehr als 280.000 Schülerinnen und Schüler erreicht.[3]

Keinesfalls neutral

Kritisch ist ein schon seit Jahren in den Berichten der Jugendoffiziere auftretender Satz: „Schwerpunktthema in nahezu jedem Vortrag bildete der ISAF-Einsatz (International Security Assistance Force) in Afghanistan.“[4] Der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch ist höchst umstritten und wird seit langer Zeit von einem Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Aus diesem Grund ist unbedingt darauf zu achten, dass die Minimalbedingung zur politischen Bildung in Deutschland, der 1976 festgelegte so genannte „Beutelsbacher-Konsens“, eingehalten wird. Besonders die beiden ersten Punkte der für staatliche Akteure der politischen Bildung bindenden Vereinbarung sind wichtig:

Überwältigungsverbot: Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbstständigen Urteils zu hindern.[5]

Kontroversitätsgebot: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs Engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten.[6]

Auch Dr. Tilman Hoppe kommt in einer im März 2010 veröffentlichten Ausarbeitung zur „Bundeswehr im Schulunterricht“ des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu einem solchen Ergebnis: „Je umstrittener in der Öffentlichkeit die Inhalte der [Schul-]Veranstaltung sind, desto eher muss die Schule auf die Ausgewogenheit achten. Eine gezielte Beeinflussung der Schüler in eine bestimmte Richtung ist verfassungsrechtlich unzulässig.“[7] Weiter schreibt er: „Geht es um politischere Themen, wie z. B. Einsätze der Bundeswehr im Ausland oder Übergriffe bei der Ausbildung von Rekruten, muss die Schule ausgewogene politische Sichtweisen vermitteln.“[8] Dies könne beispielsweise durch die Einladung eines militärkritischen Vertreters als Gegenpart zum Jugendoffizier gewährleistet werden. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wendet sich gegen den Bundeswehr-Einfluss an Schulen. Im März 2010 verabschiedete der Hauptvorstand der weitaus größten Lehrergewerkschaft unter der Überschrift „Bundeswehr und Schule: Einfluss zurückdrängen – Politische Bildung ist Aufgabe von Lehrkräften“ einen zweiseitigen Beschluss, in dem es unter anderem heißt: „Die politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – gehört in die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachleute und nicht in die von Jugendoffizieren.“[9] Wenn ein „Experte“ von der Bundeswehr eingeladen wird, muss mindestens auch ein „Experte“ aus der Friedensbewegung eingeladen werden, um einen neutralen Unterricht zu gewährleisten. Dies ist heute nur bei einer Handvoll Armee-Schulveranstaltungen der Fall. Zudem sind die Jugendoffiziere dabei immer noch klar im Vorteil, da sie für ihre Arbeit bezahlt und geschult werden, während Friedensaktivisten ihr Engagement meist unentgeltlich betreiben und ihnen auch nicht die Weiterbildungs- und Recherche-Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Die GEW bemängelt besonders, dass die Bundeswehr immer mehr in die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften und Referendaren eingebunden wird. Dies ist in einigen Bundesländern sogar in Kooperationsvereinbarungen festgeschrieben. 2005 wurden fünf Referendarsveranstaltungen mit 103 Teilnehmern durchgeführt, im vergangenen Jahr nahmen bereits 1.073 Nachwuchslehrkräfte an 27 Veranstaltungen teil. [10] Zusätzlich haben sich über 3.200 Lehrkräfte durch Jugendoffiziere aus- und fortbilden lassen. Indem schon Referendare mit der Bundeswehr in Kontakt kommen, sollen langfristige Kontakte hergestellt werden, damit die zukünftigen Lehrer die Jugendoffiziere zu sich in den Unterricht einladen. Im Jahresbericht der Jugendoffiziere schreibt Autor Oberst i. G. (im Generalstab) Udo Schnittker: „Die Jugendoffiziere arbeiten mit vielen jungen Pädagogen zusammen, die noch vor kurzem in der Referendarausbildung an Seminaren der Jugendoffiziere teilgenommen haben. Diese Kontakte sind nach den bisherigen Erfahrungen nachhaltig und bleiben bestehen. Hier zeigt die Arbeit der Jugendoffiziere ausnahmslos positive Auswirkungen.“[11] Die Taktik der Bundeswehr scheint aufzugehen.

Erstmals schreiben die Jugendoffiziere in ihrem Bericht auch über Protestaktionen gegen ihre Veranstaltungen: „In einigen Betreuungsbezirken der Jugendoffiziere gab es Störversuche, die Schulbesuche verhindern oder zumindest behindern sollten.“ Die laut den Jugendoffizieren von „schulexternen Organisationen unterstützten Plakatierungs-, Flugblatt- oder Störaktionen“ hätten aber zumeist keine Auswirkungen auf das Unterrichtsgeschehen gehabt.[12] Dass der Einsatz der Jugendoffiziere weit größer ist und sich nicht auf einzelne Aktionen vor Ort beschränkt, wird verschwiegen.

Bundeswehr goes web 2.0

Ansonsten gibt es im Vergleich zum Vorjahresbericht nicht viel Neues: die Armee unterhält weiterhin gute Kontakte zu den Landeszentralen für politische Bildung, die teilweise die Kosten für Seminarangebote tragen. Außerhalb von Schulen – beispielsweise bei Parteijugenden – haben die Jugendoffiziere oft Probleme, genügend Spieler für ihr „Politik & internationale Sicherheit“-Simulationsspiel zu finden. Zu immer mehr Universitäten bestünden gute Kontakte, wobei es aber auch weiterhin viele Universitäten gebe, „die sich einer Zusammenarbeit mit den Jugendoffizieren aus unterschiedlichen Gründen verschließen.“[13] Wie schon im Jahresbericht 2008, sehen sich die jungen Soldaten von Seiten der Schüler mit vielen (angeblichen) „Vorurteilen“ gegenüber der Bundeswehr konfrontiert. Außerdem fehle Grundlagenwissen.

Was kommt als nächstes? Schüler rieten den Jugendoffizieren 2009 öfters, dass sich die Bundeswehr moderner präsentieren muss. „Gerade in Zeiten von Twitter, Google, YouTube und Facebook fordern Schüler eine Ausweitung und technische Aktualisierung der Internetpräsenz der Bundeswehr“, heißt es im aktuellen Jahresbericht der jungen Militärs.[14] Erst Ende Juni führte die „Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation“ ein Symposium zu „Journalismus und bürgernaher Kommunikation im digitalen Zeitalter“ durch.[15] Medienexperten berieten gemeinsam mit Militärs, wie sich die Bundeswehr besser darstellen kann. Verstärkt sollen in Zukunft Social-Networks und Web 2.0-Dienste von der Armee genutzt werden. Erst im Januar 2010 hat die Bundeswehr eine ihrer beiden Rekrutierungswebsites – www.treff.bundeswehr.de – komplett umgestaltet und den heutigen Trends angepasst.

Schon weitaus fortgeschrittener ist folgendes Zukunftsprojekt der Bundeswehr: 2005 wurde in jedem Bundesland ein Jugendoffizier für spezielle Aufgaben abkommandiert. Die 16 so genannten Bezirksjugendoffiziere kümmern sich weniger um das Bild der Bundeswehr in Schulen, sondern viel mehr um die Schulpolitik des Landes. Sie arbeiten mit Lehrerseminaren, den mittleren Schulaufsichtsbehörden und dem jeweiligen Schulministerium zusammen: „Der enge Dialog sowohl der Bezirksjugendoffiziere als auch der Stabsoffiziere für Öffentlichkeitsarbeit in den Wehrbereichskommandos mit den Landesschulbehörden führte zu einer noch intensiveren Zusammenarbeit“, resümieren die Jugendoffiziere in ihrem Jahresbericht über den Berichtszeitraum 2009.[16] Im Berichtszeitraum wurden nach einer Kooperationsvereinbarung in Nordrhein-Westfalen im Oktober 2008 auch Abkommen der Bundeswehr mit den Schulministerien im Saarland (März 2009) und in Baden-Würrtemberg (Dezember 2009) geschlossen, die jeweils von Bezirksjugendoffizieren initiiert wurden. Neben der schon erwähnten Einbindung der Armee in die Lehrerbildung wird den Jugendoffizieren der Zugang in die Schulen durch die Kooperation vereinfacht. Auch in diesem Bereich hat sich 2010 bereits etwas getan: im Februar schloss die Armee mit dem Schulministerium in Rheinland-Pfalz ein solches Abkommen, im Juni mit dem Kultusministerium von Bayern und im Juli wurde eine Vereinbarung in leicht geändertem Wortlaut auch in Mecklenburg-Vorpommern unterzeichnet. In Hessen soll die Vertragsunterzeichnung kurz bevorstehen und auch in anderen Bundesländern bemüht sich die Armee um Kooperationsvereinbarungen mit den Bildungsministerien.

Anmerkungen:

[1] Schnittker: Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2009, Berlin 2010, S. 9.

[2] Ebenda, S. 13.

[3] Bundestags-Drucksache 17/1511.

[4] Schnittker 2010, S. 3.

[5] Mickel, Wolfgang W. (Hrsg.): Handbuch zu politischen Bildung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 358, Bonn 1999, S. 173.

[6] Ebenda, Seite 174.

[7] Hoppe, Dr. Tilman: Bundeswehr im Schulunterricht, Berlin 2010, S. 3.

[8] Ebenda.

[9] „Bundeswehr und Schule: Einfluss zurückdrängen – Politische Bildung ist Aufgabe von Lehrkräften“, Beschluss des Hauptvorstandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 5./6. März 2010 – www.gew.de

[10] Bundestags-Drucksache 17/1511.

[11] Schnittker 2010, S. 8.

[12] Ebenda, S. 5.

[13] Ebenda, S. 9.

[14] Ebenda 2010, S. 13.

[15] AIK Bundeswehr: Symposium zur Veranstaltungsreihe Governmedia – „Journalismus und bürgernahe Kommunikation im digitalen Zeitalter“; www.govermedia.de – letzter Zugriff am 14. Juli 2010.

[16] Schnittker 2010, S. 3.