IMI-Analyse 2024/40 - in: AUSDRUCK (September 2024)

Die „soziale Katastrophe“ des Klimakollaps

Migration als „Sicherheitsrisiko“ des Klimawandels

von: Pablo Flock | Veröffentlicht am: 23. September 2024

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Ausgabe September 2024

Schwerpunkt: Ungewisse Zukunft
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In einem sind die großen Strategen, die die richtungsweisenden Strategiepapiere erstellen, sich einig: Sie machen einen schwierigen Job. Denn es ist gar nicht so einfach, die Zukunft vorherzusehen – und es wird scheinbar, besonders durch die steigende Vernetzung und Mobilität, kurz: Globalisierung, sogar immer schwieriger, die unterschiedlichen, sich verwebenden Entwicklungen abzusehen. Einigkeit besteht auch darin: der Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen für die globale Sicherheit. So hat die Strategic Foresight Analysis 2023 des Allied Command Transformation der NATO den Klimawandel nicht nur als obersten und ersten Punkt in ihrem „Trend Radar“, sondern beginnt die Hauptergebnisse auch mit dem Satz: „1. Der Zusammenbruch des Klimas und der Verlust der biologischen Vielfalt ist die folgenreichste und auf lange Sicht die wahrscheinlichste existenzielle Herausforderung. Sie werden zu erheblichen Veränderungen in den Einstellungen und Verhaltensweisen sowohl der staatlichen als auch der nichtstaatlichen Akteure führen.“1 „Herausforderungen der Migration“ erscheinen hier, wie auch im „Enhancing EU Military Capabilities Beyond 2040“ Bericht der European Defence Agency (EDA)2 als Unterpunkt des Klimawandels sowie der Demographie.

Während es wissenschaftlich als unumstritten gilt und an manchen Orten schon sichtbar wird, dass der Klimawandel viele Regionen unwirtlich und andere gar unbewohnbar machen und damit bestehende Migrationsbewegungen verstärken und neue lostreten wird, lässt sich schwerer (noch als die Veränderungen von Klima, Wetter und Geographie) prognostizieren, wie diese verlaufen werden – auch da dies nicht nur von meteorologischen, sondern auch sozialen und politischen Faktoren abhängt. Wie die aktuell heißen Konflikte zwischen der NATO und Russland, aber auch China und Iran, oder der Rechtsruck in Europa und Nordamerika, sich in den nächsten 25 Jahren entwickeln werden, wird die Möglichkeiten und Motivation zur Umsiedlung der durch Klimaveränderungen vertriebenen Personen ebenso beeinflussen, wie die wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstandsdifferenz der einzelnen Länder und Regionen. Gleichzeitig beeinflussen diese und weitere Faktoren auch, inwieweit der Klimwandel von den 2,7°C Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur, auf die wir gerade zusteuern, in Richtung des im Abkommen von Paris anvisierten Ziels von maximal 1,5°C Erwärmung limitiert werden wird.

Klimawandelbegrenzung rettet Leben

Einen weiteren Beleg für die Notwendigkeit des Nachdrucks auf großflächige und effektive Emissionseinsparungen haben Wissenschaftler:innen der Universitäten von Nanjing, China, und Wageningen in den Niederlanden mit ihrer Studie „Quantifying the human cost of global warming“ gebracht. In dieser berechneten sie, dass Gebiete, in denen heute rund ein Drittel der Menschheit leben (22-39%) außerhalb der „menschlichen Klimanische“ fallen werden,3 in der nachhaltiges und sicheres menschliches Leben möglich ist. Würde die Erwärmung der globalen Durchschnittstemperatur auf maximal 1,5°C begrenzt, wären nur Gebiete betroffen, in denen rund 14% der heutigen Weltbevölkerung leben (auch wenn bis dahin laut der von ihnen angesetzten demographischen Entwicklung ein drittel der Weltbevölkerung in diesen Gebieten leben würde). Eine Karte in diesem Artikel aus der Zeitschrift Nature Sustainability zeigt, dass die Zonen, die bei 1,5°C Erwärmung aus der menschlichen Nische fallen würden, sich auf den Sahel, Mali, Burkina Faso, Niger und Nigeria, sowie den Sudan, die arabische Halbinsel und kleine Punkte in Ostafrika und weitere kleine Gebiete in der Karibik, sowie an der Spitze des indischen Subkontinents und in Südostasien begrenzt bleiben würden. Dagegen würde eine globale Erwärmung um 2,7°C beträchtliche Flächen in den selben Gebieten unbewohnbar machen.

Noch anschaulicher machen und sogar eine morbide Faszination wecken kann die interaktive Karte der Berliner Morgenpost, welche einem die Gegenden, und, anschaulich quantifiziert, ihre Populationen anzeigt, die den einzelnen Faktoren Wasser“stress“ (bzw. -Knappheit), tropische Meeresstürme, Meeresspiegelanstieg, sowie Hitzewellen im Jahr 2100 in einem Maße ausgesetzt sein werden, in dem kaum Leben mehr möglich ist.4 Von unaushaltbarer Hitze würden neben dem Sahel und der arabischen Halbinsel auch kleine Gebiete in verschiedenen Gegenden betroffen sein. Massen werden deshalb jedoch wohl besonders in Nordindien vertrieben werden, wo entlang des Ganges eine der Bevölkerungsreichsten Gegenden der Welt unwirtlich werde, was alleine dort wahrscheinlich fast eine halbe Milliarde Menschen vertreiben wird. Auch von akutem Wassermangel wird diese Gegend und der ganze Subkontinent, aber auch Gegenden in Chile und Mexiko, China und besonders Ägypten betroffen sein. Der Meeresspiegelanstieg bedroht auch wieder die ägyptischen Metropolen, besonders aber die in Südostasien und China.

Soziale Katastrophe und Ökozid

Doch sind unbewohnbare Gegenden und ihre Bevölkerungsdichte noch etwas weniger interessant und auch schockierend als das, was Harald Welzer in seinem Buch Klimakriege5 die „soziale Katastrophe“ neben der Umweltkatastrophe nennt. Da Hitzewellen, Wasserstress, steigende Meeresspiegel und Tropenstürme (diese zumindest in ihrer steigenden Frequenz) schleichende Prozesse sind, wird sich eine zunehmende Rivalität um die verbleibenden Ressourcen zwischen den verbliebenen Menschen entwickeln. Und dies, da ist er sich mit vielen Strategen einig,6 wird regional zu Nationalismus, ethnischen Spannungen, Gewaltökonomien, zerfallenden Staaten, Bürgerkriegen und bis hin zu Genoziden führen. Unter den Bedingungen eines solchen Ökozids würden, wie die Erfahrung der Osterinseln zeigte, Gewalttaten bis hin zum Kannibalismus, zu Handlungsoptionen für Individuen und Wir-Gruppen – gerade gegen die ‘Anderen‘, wie auch immer diese ideologisch definiert würden.

Jedoch sei dies nicht nur apokalyptische Zukunftsmusik. Welzer nennt in seinem Buch den Bürgerkrieg der 2000er Dekade in Darfur im Sudan, der auch als erster Genozid des 21. Jahrhunderts bekannt ist, den ersten Klimakrieg. Wohl hätten auch hier die ethnischen Spannungen durch Dürren begonnen, die die Viehherden treibenden arabischen Stämme des Sahels weiter nach Süden zwangen, um grüne Weideflächen zu finden, wo sie mit den lokalen Ackerbauern in Konflikt kamen. Nachdem die Regierung damals die ihnen kulturell näherstehenden arabischen Milizen aufrüstete, kam es zu der Katastrophe (die gerade droht erneut aufzublühen). Nun ist der Konflikt zwischen nach Süden drängenden viehtreibenden Ethnien und Ackerbauerm im Sahel auch ein großer Mobilisierungsfaktor für islamistische Milizen in Mali, Niger und Burkina Faso, die sich zu großen Teilen aus solchen nomadischen Fulbe oder Tuareg rekrutieren. Jedoch stellen sich die Regierungen hier hinter die südlich gelegene Mehrheitsbevölkerung, aus der sie stammen. Dies sieht man auch daran, dass von den größeren Massakern, die die örtlichen Regierungen mit ihren internationalen Partnern, sei dies Frankreich (Bounti) oder Russland (Moura), meist an Dörfern z.B. der Fulbe verübt wurden.

Auch der Revolution und dem darauf folgenden Bürgerkrieg in Syrien ab 2011 gingen zuvor drei Jahre extreme Dürre voraus, welche, kombiniert mit einem sinken des Wasserspiegels durch die Einführung der wasserintensiven Cash-Crop Baumwolle, zum Kollaps der Landwirtschaft, der Verdopplung des Brotpreises, massiver Landflucht und, mittelbar, zum IS führte.7

Bevölkerungen umverteilen

Es klingt perfide zu sagen, dass zumindest für die, die den leidvollen Weg, gerade aus dem Sahel durch Libyen, nach Europa geschafft haben, der Krieg in ihrem Heimatland auch ein Hauch von Glück bedeutet. Denn vor Dürre, Überschwemmung oder anderen Klimadesastern Fliehende haben bisher international so gut wie keinen Schutzstatus. Nur innerhalb Afrikas wurde mit der Kampala Deklaration eine Basis für eine solidarische Aufnahme von vor Klimaveränderungen flüchtenden Bevölkerungsteilen gelegt.8 In Europa und den meisten Teilen der Welt hat jedoch nur Anrecht auf Schutz, wer vor politischer Verfolgung und anderen Diskriminierungen oder kriegerischer Gewalt flieht.

Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass durch den Klimawandel auch Gegenden aus der Unwirtlichkeit in die menschliche Nische rutschen können. Besonders die tauenden Permafrostböden in weiten Teilen Russlands und Kanadas könnten wieder landwirtschaftlich nutzbare Flächen in einem gemäßigten Klima freilegen. Es müsste jedoch noch einiges an Rassismus in diesen beiden Flächenländern, aber auch Skandinavien, überkommen werden, damit eine großflächige Ansiedlung von Menschen aus der Karibik und dem nördlichen Südamerika, dem Sahel, den überflutet werdenden Inselstaaten Südostasiens oder gar den Massen Südasiens möglich würde.

Bevölkerungsumsiedlungsdiplomatie, wie wir sie im Moment eher von rechten Regierungen kennen, die Migrant*innen “zurück“ (oder nach Ruanda) schicken wollen, wird wahrscheinlich eine alltägliche Sache in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Realistisch wird sie, wie im kapitalistischen internationalen System typisch, mit Brain Drain und ungleichen Ausreisechancen in den Herkunftsregionen und Ausbeutung und Marginalisierung in Ankunftsländern einhergehen. Auch Kriege zu einer solchen Landnahme, möglicherweise zwischen dem bevölkerungsreichen China und dem benachbarten weitläufigen Russland, zumindest aber zwischen Ethnien solcher großer Länder sind wahrscheinlich.

Umsonst werden die Länder des globalen Nordens wohl kaum ihren Lebensraum für ‚andere‘ zur Verfügung stellen. Denn, wie mal einer sagte, eher noch sei ein Ende der Menschheit vorstellbar als ein Ende des Kapitalismus. Zumindest solange Rassismus und Nationalismus das Denken der Menschen prägt, rauschen wir den Prognosen der klimatischen Veränderungen nach auf die wahrscheinlich größte humanitäre Katastrophe der Menschengeschichte zu – und dies noch zu Lebzeiten der Jüngeren unter uns.

Anmerkungen:

1 NATO Allied Command Transformation: Strategic Foresight Analysis 2023 Download PDF: act.nato.int

2 Isdefe for European Defence Agency: Enhancing EU Military Capabilities Beyond 2040. Main findings from the 2023 Long-Term Assessment of the Capability Development. Download PDF: eda.europa.eu

3 Timothy M. Lenton, Chi Xu et. al.: Quantifying the human cost of global warming nature.com Nature Sustainability 22.5.2023; eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung Inklusive Karte findet sich bei Larissa Königs: Aktuelle Studie.Weltkarte zeigt: Diese Regionen sind im Jahr 2100 unbewohnbar. travelbook.de 23.5.2023

4 Climate crisis: Mapping where the earth will become uninhabitable. interaktiv.morgenpost.de/klimawandel-hitze-meeresspiegel-wassermangel Berliner Morgenpost: 4.4.2022

5 Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. 2010 Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag

6 Michael T. Klare: All Hell Breaking Loose: The Pentagon’s Perspective on Climate Change. 2019. Metropolitan Books

7 Colin P. Kelly et. al. Climate Change in the Fertile Crescent ans Thema Implications of the recent Syrian Drought. University of Claifornia pnas.org 2.3.2015, oder auch: Daniel Lingenhöhl: Wie der syrische Bürgerkrieg mit dem Klimawandel zusammen hängt. spektrum.de

8 Kampala Ministerial Declaration on Migration, Environment and Climate Change. United Nations Climate Change unfccc.int Juli 2022