IMI-Analyse 2022/28

Kriegskredite und Rüstungslisten

Ampel und Union beschließen 100 Mrd. Sondervermögen für die Bundeswehr

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 6. Juni 2022

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Bei dieser Analyse handelt es sich um eine erweiterte Fassung, die zunächst in zwei Teilen bei Telepolis am 4. und 5. Juni 2022 erschienen ist.

Mit der am 27. Februar 2022 in seiner Regierungserklärung ausgerufenen Zeitenwende kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz zahlreiche tief greifende Maßnahmen an, insbesondere was die künftige finanzielle Ausstattung der Bundeswehr anbelangt. Nach der am 29. Mai 2022 verkündeten Einigung zwischen der Ampel-Regierung und der Unionsfraktion in Sachen Sondervermögen für die Bundeswehr war der Weg für das Parlament frei, um gestern die größte Geldspritze in der Geschichte der Truppe abzunicken. Damit gab die ganz große Militarisierungskoalition im „Grundsatz grünes Licht für Waffenbestellungen bei der Rüstungsindustrie in großem Stil“, freut sich bereits die FAZ. Bereits kurz vor der Abstimmung wurde außerdem der Wirtschaftsplan öffentlich, der zeigt, dass über die 100 Mrd. vor allem sowohl die Kernprojekte zur Aufrüstung gegen Russland im NATO-Rahmen als auch die ambitionierten Schlüsselprojekte für eine Militärmacht Europa finanziert werden sollen.

Rüstung per Regierungserklärung

In seiner Regierungserklärung brachte Scholz gleich in mehreren wichtigen Punkten die letzten kritischen Stimmen innerhalb von SPD und Grünen per Kanzlererklärung zum Schweigen, indem er sich zum Beispiel klar für die bis dahin hochumstrittene Bewaffnung der Heron-TP-Drohnen oder etwa für die Beschaffung von F-35 Kampfflugzeugen und damit die Beibehaltung der Nuklearen Teilhabe aussprach (siehe Legendenbildung vor Geldregen: Arme, klamme Bundeswehr?).

Völlig zu Recht erhielten allerdings die Passagen, die sich mit der künftigen finanziellen Ausstattung der Bundeswehr beschäftigten, die mit Abstand größte Aufmerksamkeit. In diesem Zusammenhang enthielt die Regierungserklärung zwei weitreichende Ankündigungen. Erstens wurde ein hoher Mindestbetrag für den offiziellen Rüstungshaushalt ausgelobt: „Wir werden von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren.“

Nicht umsonst war eine solche Größenordnung zwar lange von der NATO gefordert, aber ebenso lange für völlig undenkbar gehalten worden. Denn was hier so harmlos mit Zahlen im unteren einstelligen Bereich daherkommt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine Erhöhung der Ausgaben um riesige Milliardenbeträge. Laut Statista belief sich das deutsche Bruttosozialprodukt im Jahr 2021 auf 3.570 Mrd. Euro. Wäre hierfür bereits die Scholzsche Formel angewandt worden, hätte sich der Militärhaushalt in diesem Jahr statt der tatsächlich eingestellten 46,9 Mrd. Euro also auf mindestens 71,4 Mrd. Euro belaufen müssen.

Obwohl der Militäretat nach der Einigung auf den Bundeshaushalt 2022 am 20. Mai 2022 mit 50,4 Mrd. Euro satte 3,5 Mrd. Euro über dem Vorjahresniveau liegen wird, ist es somit offensichtlich, dass zu den von Kanzler Scholz ausgerufenen 2 Prozent eine erhebliche Lücke klafft. Diese Kluft soll künftig jährlich durch die zweite in der Zeitenwende-Regierungserklärung enthaltene Bundeswehr-Budgetaussage geschlossen werden:

„Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen ‚Bundeswehr‘ einrichten. […] Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten. Die Mittel werden wir für notwendige Investitionen und Rüstungsvorhaben nutzen.“

Das Geld soll in diesem Jahr per Kredit aufgenommen werden, um 2023 wieder die Schuldenbremse einhalten zu können. Obwohl zwischenzeitlich auch über andere Optionen spekuliert worden war, soll das Sondervermögen per Grundgesetzänderung über die Bühne gebracht werden, da es ansonsten rechtlich doch auf sehr wackligen Beinen stehen würde. Und hierfür braucht es wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die Unionsfraktion, die sich – gerade erst von der Regierungsbank geflogen – unversehens gleich wieder in einer Position sah, Forderungen stellen zu können. In den dann anschließenden Verhandlungen um die Ausgestaltung des Sondervermögens pochte die Union vor allem auf zwei Forderungen: Einmal, dass die 100 Mrd. Euro ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen dürften; und zweitens wollte sie das 2-Prozent-Ziel gleich mit ins Grundgesetz als verbindliche Untergrenze des Militärhaushaltes mit hineindrücken.

Fokus Bundeswehr

Der Kabinettsentwurf zur Sondervermögen-Grundgesetzänderung in Artikel 87a liegt bereits seit März 2022 vor, unter anderem die FAZ (15.3.2022) hatte aus ihm zitiert:

„Zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit kann der Bund ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von einmalig bis zu 100 Milliarden Euro errichten. Auf die Kreditermächtigung sind Artikel 109 Absatz 3 und Artikel 115 Absatz 2 [Schuldenbremse] nicht anzuwenden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“

Der recht allgemein gehaltene Begriff der „Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ war dabei hinreichend schwammig formuliert, dass vor allem die Grünen darauf pochen konnten, das 100 Mrd. Euro Sondervermögen solle auch für andere sicherheitsrelevante Bereiche außerhalb der Bundeswehr genutzt werden können. Augenscheinlich konnten – oder wollten – sich die Grünen bei der schlussendlichen Einigung an diesem Punkt aber nicht durchsetzen. Dazu lässt sich bei tagesschau.de nachlesen:

„Beim Streitpunkt der Verwendung des Geldes wurde vereinbart, dass auch Maßnahmen zur Cybersicherheit, für den Zivilschutz sowie zur Stabilisierung von Partnerländern ergriffen werden – aber ‚aus dem Bundeshaushalt finanziert‘, also nicht aus dem Sondervermögen. Die Union hatte darauf gepocht, dass das Sondervermögen ausschließlich für die Bundeswehr verwendet wird. Vor allem die Grünen wollten, dass mit dem Geld auch Cyberabwehr sowie Unterstützung für Partnerstaaten finanziert wird.“

Es scheint dabei zu einer Einigung zwischen Ampel und Union gekommen zu sein, ohne den eigentlichen Gesetzestext noch einmal zu überarbeiten. Interessant ist jedenfalls, dass der Tagesspiegel berichtet, die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hätte zunächst in harten Verhandlungen erreicht, dass das Sondervermögen nicht ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen müsse, faktisch seien die Grünen aber bereits vor einer Weile eingeknickt – was im Übrigen auch viel über die Prioritäten der Partei aussagt:

„In den Verhandlungen zum Entschließungsantrag des Bundestags zur Lieferung schwerer Waffen hatte die Union dann als Preis ihrer Zustimmung erreicht, dass statt der Baerbock-Formel wieder die Ausstattung der Bundeswehr genannt wurde, was sie auch für die Verhandlung zur Grundgesetzänderung einforderten.“

Fest steht auf alle Fälle, wer hier seinen Kopf durchgesetzt hat: „Punktsieg für die Union, eine Niederlage für die Grünen“, urteilt der Tagesspiegel. Und auch im zweiten zentralen Bereich, dem 2-Prozent-Ziel, ist es weniger klar, als es gerade in der Presse dargestellt wird, ob die Union nicht auch hier am Ende noch einen zweiten Punktsieg davontragen wird.

Handlungsdruck statt 2%-Ziel

Der auf Grundlage der Einigung zwischen Ampel und Union ebenfalls vorgelegte Entwurf für ein „Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ gibt Aufschluss über gleich mehrere bislang unbekannte Faktoren, namentlich Anfang und Gesamtdauer sowie die Bemessungsgrundlage für die Verrechnung mit dem 2-Prozent-Ziel:

„Mit Hilfe des Sondervermögens werden im mehrjährigen Durchschnitt von maximal fünf Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien bereitgestellt. […] Das Sondervermögen hat den Zweck, die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zu stärken und dazu ab dem Jahr 2022 die Fähigkeitslücken der Bundeswehr zu schließen, um damit auch den deutschen Beitrag zu den geltenden NATO-Fähigkeitszielen gewährleisten zu können.“

Nach NATO-Kriterien, die viele versteckte Kosten mit berücksichtigen, belief sich der deutsche Militärhaushalt 2021 auf 53 Mrd. Euro (offiziell: 46,9 Mrd. Euro). Die neuen Zahlen liegen noch nicht vor, aber auch für 2022 ist von einer mindestens ebenso großen Differenz auszugehen, bei der NATO dürften also nicht unter 56 Mrd. Euro angezeigt werden (offiziell: 50,4 Mrd. Euro). Laut Prognose des Deutschen Institut für Wirtschaft vom Mai 2022 soll das BIP in diesem Jahr um 3% auf rund 3.677 Mrd. Euro steigen – das 2%-Ziel würde demzufolge 73,5 Mrd. Euro betragen, es ergäbe sich also eine Deckungslücke von 17,5 Mrd. Euro, die bereits dieses Jahr dem Sondervermögen entnommen werden müssten. In den aktuellen Eckwerten des Bundeshaushaltes vom 16. März 2022 sind für die Jahre 2023 bis 2026 jährliche offizielle Militärausgaben von 50,1 Mrd. Euro vorgesehen, was bedeutet, dass die Lücke bei steigendem BIP und unter Berücksichtigung der NATO-Kriterien im Schnitt mindestens rund 20 Mrd. Euro betragen dürfte. In diesem Fall wäre das Sondervermögen dann in der Tat wie im Gesetzentwurf bereits angedeutet, spätestens nach fünf Jahren aufgebraucht. Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gehen sogar davon aus, der Topf wäre bereits 2025 leer. Die entscheidende Frage ist: Was passiert danach mit dem offiziellen Militärhaushalt und dem 2-Prozent-Ziel?

Eine Option wäre es, den offiziellen Haushalt tatsächlich wie in den Eckwerte-Planungen vorgesehen, bei etwa 50 Mrd. Euro zu belassen, dann müsste man sich 2025/2026 aber entweder vom 2-Prozent-Ziel verabschieden oder das Budget schlagartig um 25 bis 30 Mrd. Euro anheben – und das bei Einhaltung der „Schwarzen Null“, das heißt auf Kosten massiver Einsparungen in anderen Haushalten. Vor diesem Hintergrund beharrte die Union lange darauf, sogar das 2-Prozent-Ziel als verbindliche Untergrenze des Militärhaushaltes mit in die Grundgesetzänderung aufzunehmen. Das zumindest ist nach der Einigung erst einmal vom Tisch. Die Union habe sich in dieser Frage „nicht durchsetzen“ können, ist in der Presse zu lesen.

Allerdings heißt es nun aus den Reihen der Unionsfraktion, das sei ohnehin nie das Ziel gewesen, das 2-Prozent-Ziel solle vielmehr über ein kommendes Bundeswehr-Finanzierungsgesetz auch nach Aufbrauchen des Sondervermögens gewährleistet werden:

„Unions-Fraktionsvize [Johann] Wadephul betont, ein eigenes Bundeswehr-Finanzierungsgesetz solle die Details zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels absichern. Die Lösung sieht nun so aus, erläutert er auf Tagesspiegel-Anfrage: Der Bund verpflichte sich mit dem Bundeswehr-Finanzierungsgesetz erstmalig per Gesetz, die zwei Prozent, also aktuell rund 70 Milliarden Euro im Jahr, für die Bundeswehr und Verteidigung, dauerhaft einzuhalten. ‚Das geschieht zunächst durch den Bundeshaushalt plus Sondervermögen. Wenn dieses aufgebraucht ist, muss der Bundeshaushalt entsprechend erhöht werden‘, so Wadephul.“ (Tagesspiegel)

Gemeint ist hier wohl das bereits erwähnte „Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ – die Interpretation von Wadepuhl, dadurch werde die Regierung verpflichtet, dauerhaft die 2-Prozent einzuhalten, ist aber gelinde gesagt gewagt. Im Gesetzentwurf heißt es: Nach Verausgabung des Sondervermögens werden aus dem Bundeshaushalt weiterhin die finanziellen Mittel bereitgestellt, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden NATO-Fähigkeitszielen zu gewährleisten.“

Die Verpflichtung auf die NATO-Fähigkeitsziele ist allerdings mehr als vage, schließlich hat die Bundesregierung einen weiten Spielraum selbst zu entscheiden, wieviel sie ins Bündnis einbringen will, wobei die Bundeswehr noch im Februar 2022 berechnete, für die bisherigen Zusagen würden „nur“ 1,5 Prozent des BIP benötigt. Wie es weitergeht, ist also relativ unklar – wahrscheinlich werden die Eckwerte im kommenden Jahr aber wieder einkassiert und der offizielle Haushalt zwar nicht sofort komplett, aber wohl doch substanziell weiter in Richtung 2-Prozent-Ziel angehoben, um das Sondervermögen zu strecken. Denn der von der Regierung parallel vorgelegte Wirtschaftsplan zum Sondervermögen enthält Rüstungsprojekte, mit denen ein enormer Druck in diese Richtung erzeugt wird.

Wirtschaftsplan als Rüstungsliste

Bereits kurz vor der Abstimmung über das Bundeswehr-Sondervermögen begannen die ersten Berichte über den zugehörigen Wirtschaftsplan zu kursieren, der etwas detaillierter auflistet, was mit dieser riesigen Summe beschafft werden soll. Bislang waren Informationen hierüber eher in homöopathischen Dosen verfügbar. Entgegen bisheriger Ankündigungen soll die Beschaffung von Munition im Wert von 20 Mrd. Euro aus den offiziellen Haushalten der kommenden Jahre finanziert werden. Auf der Liste finden sich auf der einen Seite Projekte, die bislang im offiziellen Haushaltsplan verortet waren und deren Verschiebung Gelder u.a. für die Beschaffung von Munition freimachen soll. Auf der anderen Seite werden dort nun aber auch Rüstungsvorhaben aufgeführt, deren Finanzierung bislang überhaupt nicht in der Budgetplanung abgesichert waren (siehe Leuchtturmprojekt auf der Kippe: Luftkampfsystem FCAS).

Noch ist alles recht vage: Mehreren sich grob an den Teilstreitkräften orientierenden Dimensionen werden zwar Gesamtbeträge zugeordnet, darüber hinaus fehlen aber für die insgesamt 38 aufgelisteten Vorhaben konkrete Preisangaben und Zeithorizonte, die nur für weniger Projekte aus anderen Quellen halbwegs bekannt sind (die vollständige Liste findet sich bei der Europäischen Sicherheit & Technik). Finanziert werden über das Sondervermögen nicht zuletzt Kernvorhaben für den Aufbau digitalisierter Großverbände im NATO-Rahmen (Puma Aufrüstung Los I, Nachfolge Marder und Digitalisierung Landbasierter Operationen) sowie die finanzielle Absicherung der Entwicklungskosten für die beiden Schlüsselvorhaben zum Aufbau einer deutsch-französisch geführten Militärmacht Europa: Kampfpanzersystem (MGCS) und Luftkampfsystem (FCAS). Wichtige Posten sind daneben noch die Ablösung der Tornado-Kampfflugzeuge für die Nukleare Teilhabe der NATO sowie die „Ertüchtigung“ von Eurofightern zur Elektronischen Kriegsführung.

Die Projektliste soll nun jährlich fortgeschrieben werden, wobei der Haushaltsausschuss jedes Vorhaben über 25 Mio. Euro auch hier noch einmal separat bewilligen muss. Viele dieser Projekte werden Kosten weit über die im „Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ geplante Laufzeit des Sondervermögens von fünf Jahren verursachen. Bewusst wird damit ein Handlungsdruck erzeugt, den offiziellen Haushalt langfristig deutlich anzuheben. Es folgen einige Anmerkungen zu den wohl wichtigsten Vorhaben des Wirtschafts- bzw. Rüstungsplans.

„Dimension Land“: 16,6 Mrd. Euro

— Puma-Nachrüstung: Im August 2021 war die Lieferung des ersten Loses mit 350 Schützenpanzern Puma abgeschlossen. Kaum bereitgestellt, gelten Teile bereits als veraltet, aktuell sind lediglich vierzig davon als „kriegstauglich“ zertifiziert, um ihren Dienst in der Ultraschnellen NATO-Eingreiftruppe VJTF versehen zu können. Vom Sondervermögen soll nun laut dem gewöhnlich gut informierten Blog Augengeradeaus die Aufrüstung „aller“ Puma des ersten Loses auf den VJTF-Standard finanziert werden. Dies ist insofern überraschend, als bislang stets davon die Rede war, lediglich 266 weitere Pumas aufbohren zu wollen.

Kostenpunkt: n.b.

— Das unklare Puma-Los 2: Verwirrend ist auch, dass in der Liste nur noch von einer „Nachfolge Schützenpanzer Marder“ die Rede ist, wofür ursprünglich ein zweites Los von 229 Puma-Schützenpanzern angepeilt war. Zuerst hieß es dann im März, die Entscheidung für die Anschaffung eines zweiten Puma-Loses sei gefallen. Kurze Zeit darauf wurde gemeldet, aufgrund der nicht enden wollender technischer Probleme des Puma sollten nun lediglich 100 von ihnen besorgt und die restlichen Exemplare wohl durch Radschützenpanzer auf Boxer-Basis ergänzt werden. Die im Wirtschaftsplan gewählte Formulierung legt nahe, dass die letzte Lösung favorisiert wird. Wie allerdings die WirtschaftsWoche unter Berufung auf einen mit dem „Programm befassten Insider“ berichtet, sei eine finale Entscheidung noch nicht gefallen. Interessant ist der Hinweis, ursächlich sei ein Richtungsstreit zwischen zwei Heeresflügeln: „Im Kern geht es bei dem Konflikt offenbar um die künftigen Schwerpunkte des Heeres. Bisher setzten die Planer in größerem Umfang auf eine Verteidigung nahe der deutschen Grenzen. Dafür wollten sie neben den schweren Leopard-2-Kampfpanzern vor allen gut geschützte Puma-Schützenpanzer. […] Angesichts der wachsenden Bedeutung schneller Eingreiftruppen im Rahmen der Nato und den Erfahrungen im Ukrainekrieg drängt nun offenbar Heeresinspekteur Alfons Mais auf mehr mobile Kampfverbände. Diese sollen wie die US Army vor allem Kampfwagen mit Radantrieb nutzen, weil die wegen ihres geringeren Gewichts schneller verlegt werden können als Kettenfahrzeuge.“

Kostenpunkt: Die Kosten für ein reines Puma-Los-2 wurden auf rund 4 Mrd. Euro veranschlagt.

Kampfpanzersystem (Main Ground Combat System, MGCS): Das deutsch-französische Projekt soll ab 2035 Leopard II und Leclerq ersetzen. Bei diesem Schlüsselprojekt für den Aufbau einer deutsch-französisch geführten Militärmacht Europa handelt es sich nicht bloß um einen Panzer, sondern um „ein ganzes Verbundsystem, eine Kombination aus heute zum Teil noch futuristisch anmutender Hochtechnologie, Big Data und Waffentechnik.“ (loyal)

Kostenpunkt: Vage Schätzungen gehen „von einem dreistelligen Milliardenbetrag“ aus, im unmittelbaren „Wirkungsraum“ des Sondervermögens dürften aber Entwicklungskosten weniger als 1 Mrd. Euro anfallen. Doch genau hierüber werden dann Sachzwänge und Pfadabhängigkeiten geschaffen, die Druck auf Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes (Einzelplan 14) ausüben werden. Das legt zumindest die den Bundestagsabgeordneten vorgelegte Liste nahe, aus der in den griephan-Briefen zitiert wird: „Main Ground Combat System (MGCS), veranschlagte Haushaltsmittel bis 2024, danach weitere festzulegende Haushaltsmittel aus Einzelplan 14 nötig“.

„Dimension See“: 19,3 Mrd. Euro

— Korvette K130: Für die „Randmeerkriegführung“ soll die Korvette besonders „geeignet“ sein, also vor allem für Auseinandersetzungen mit Russland in der Ostsee (siehe IMI-Analyse 2019/33). Die ersten fünf Korvetten wurden zwischen 2004 und 2006 gebaut. Ein zweites Los mit ebenso vielen Korvetten wurde 2017 beauftragt und soll bis 2025 vollständig ausgeliefert sein. Anschließend dürfte es somit um ein über das Sondervermögen bezahltes drittes Los mit weiteren fünf Korvetten gehen – ob damit aber das bereits als veraltet geltende erste Los ersetzt werden soll, ist unklar.

Kostenpunkt: Das zweite Korvettenlos kostete 2 Mrd. Euro. 

— Fregatte F126: Die früher als Mehrzweckkampfschiff (MKS) 180 bezeichnete Fregatte „eignet“ sich im Gegensatz zur Vorgängerin F-125 auch für Kämpfe gegen technisch hochgerüstete Gegner. Im Jahr 2020 wurden vier derartige Schiffe mit Option auf zwei weitere beauftragt. Die taz berichtet unter Berufung auf eine Quelle aus dem Verteidigungsministerium, dass aus dem Sondervermögen die beiden optionalen Schiffe bezahlt werden sollen.

Kostenpunkt: Für die ersten vier Fregatten wurden sechs Mrd. Euro veranschlagt. 

— U-Boot U212 CD: mit Norwegen zusammen entwickeltes U-Boot: Auslieferung 2029 bis 2035. Der Haushaltsausschuss hat im Juni 2021 die Gelder bewilligt. Der Beschaffungsvertrag mit der thyssenkrupp Marine Systems GmbH (tkMS) wurde am 8. Juli 2021 unterzeichnet und soll die „Option für weitere Boote für beide Vertragsstaaten“ enthalten. Eine Quelle, auf wie viele U-Boote sich die Option bezieht, wurde dafür bislang noch nicht gefunden, aber trifft die taz-Berichterstattung zu, dass es bei den F-126 um die optionalen und nicht die bereits bestellten Schiffe geht, liegt es nahe, dass hier ebenfalls zusätzliche U-Boote beschafft werden sollen.

Kostenpunkt: Für die ersten beiden U-Boote sind 2,79 Mrd. Euro vorgesehen.

„Dimension Luft“: 40,9 Mrd. Euro

Kampfjet F-35: Die Anschaffung von 35 F-35 bedeutet, dass die umstrittene Nukleare Teilhabe der NATO, die vorsieht, dass in Deutschland lagernde Atomwaffen von deutschen Piloten ins Ziel geflogen werden sollen, beibehalten werden soll. Die F-35 besitzt Tarnkappenfähigkeit und ist von den USA auch für die aufgewerteten B-61-12 Atomwaffen zertifiziert, die durchschlagskräftiger und treffsicherer als bisher werden sollen. Lange war für die Tornado-Nachfolge die weniger moderne F-18 (Version „Super Hornet“) bevorzugt worden, da die F-35 als Bedrohung für den Bau des geplanten deutsch-französischen Kampfflugzeugs erachtet wurde, was sich aber erledigt hat, nachdem es nun auch hier eine Finanzierungszusage gibt.

Kostenpunkt: 10 Mrd. Euro (griephan 13/22)

— Luftkampfsystem (Future Combat Air System, FCAS): Noch mehr als das MGCS das Schlüsselprojekt für den Aufbau einer Militärmacht Europa, das von Deutschland und Frankreich (mit Spanien als Juniorpartner) entwickelt wird. Als Zeithorizont wird eine Auslieferung ab 2040 angepeilt. Auch das FCAS ist nicht „nur“ ein atomwaffenfähiges Kampfflugzeug mit Tarnkappeneigenschaften, sondern soll vor allem im Verbund mit bemannten und unbemannten Systemen agieren können (siehe IMI-Studie 2021/04).

Kostenpunkt: Die gesamten Entwicklungskosten werden auf rund 100 Mrd. Euro geschätzt. Der Bundestag bewilligte im Juni 2021 Gelder im Umfang von 4,468 Mrd. Euro bis zur Phase 2b (Prototyp 2027), allerdings muss der Haushaltsausschuss 2025 noch einmal zustimmen. Auch hier werden die – deutlich höheren – Entwicklungskosten dann nach dem Aufbrauchen des Sondervermögens dem offiziellen Verteidigungshaushalt vor die Füße fallen, was dann in Druck auf Budgeterhöhungen umgemünzt werden dürfte. Wie beim MGCS heißt es auch zum FCAS in der den Bundestagsabgeordneten vorgelegten Rüstungsliste: „Future Combat Air System (FCAS), veranschlagte Haushaltsmittel bis 2027, danach weitere festzulegende Haushaltsmittel aus Einzelplan 14 nötig.“ (griephan 22/22)

Eurofighter: Elektronische Kampfführung: Ursprünglich war auch hier vorgesehen, F-18 (Version „Growler“) anzuschaffen. Wohl um Airbus zu bedienen und ggf. auch für wichtige Aspekte in den Auseinandersetzungen mit Frankreich um das FCAS zu „ertüchtigen“, werden nun Eurofighter aufgebohrt, die in der Grundausstattung nicht über diese Fähigkeit verfügen. Das Verteidigungsministerium schreibt jedenfalls als Begründung, sich doch für die teurere „Eigenmarke“ entschieden hat:

„Mit der Weiterentwicklung des Eurofighters für den elektronischen Kampf blieben wichtige Schlüsseltechnologien in Deutschland und in Europa […]. Darüber hinaus sichere sich Deutschland so eine starke Rolle im zukünftigen Kampfflugzeugsystem FCASFuture Combat Air System, das gemeinsam mit Frankreich entwickelt wird.“

Es macht außerdem den Eindruck, dass die darüber hinaus bestellten Eurofighter aus dem offiziellen Haushalt bezahlt werden sollen.

Kostenpunkt: 4 Mrd. Euro (griephan 13/22)

Schwerer Transporthubschrauber: Das Nutzungsdauerende des CH-53G wird auf 2030 veranschlagt. Zum Aufgabenspektrum eines Schweren Transporthubschraubers heißt es: „Landstreitkräfte müssen hochflexibel und umfassend zur Durchführung von Operationen in allen Intensitätsstufen, insbesondere im multinationalen Einsatzspektrum, befähigt sein. Mit der durch den STH bereitzustellenden taktischen Luftverlegefähigkeit unterstreicht Deutschland seine Rolle als verantwortungsvoller außen- und sicherheitspolitischer Akteur und verlässlicher Bündnispartner in einem Bereich knapper multinationaler Ressourcen.“ Am 1. Juni 2022 wurde berichtet, die Wahl sei auf den CH-47F Chinook von Boeing gefallen.

Kostenpunkt: 6 Mrd. Euro (griephan 13/22)

„Dimension Führungsfähigkeit/Digitalisierung“: 20,7 Mrd. Euro

Digitalisierung landbasierter Operationen (DLBO): Auf dem Weg zum sog. Heer 4.0 soll die Bundeswehr 2032 drei voll ausgestattete und komplett durchdigitalisierte Divisionen (je 15-20.000 Soldat*innen) in die NATO einspeisen können. Zentral für den „Digitalisierungspart“ ist das Projekt „Digitalisierung landbasierter Operationen“ (siehe IMI-Analyse 2020/13).

Kostenpunkt: Für DLBO dürfte der überwiegende Teil der für diesen Bereich vorgesehenen Gelder anfallen.

Das Rundum-sorglos-Rüstungspaket

Abseits des völlig ineffizienten und teils korrupten Beschaffungswesens resultieren viele Probleme der Bundeswehr daraus, dass sie Schwierigkeiten hatte, drei Aufgaben gleichzeitig abzudecken: die Aufrechterhaltung der Interventionsfähigkeit im Globalen Süden; die kurz- und mittelfristige Aufstellung von Großverbänden im NATO-Rahmen bis 2032; und schließlich mittel- bis langfristig den Aufbau einer Militärmacht Europa ab 2035. Es hat den Anschein, als ziele das Sondervermögen darauf ab, all diese Probleme zu adressieren, damit Deutschland endgültig auch militärisch in die allererste Riege der Großmächte aufsteigen kann. Zumindest von den Ausgaben her wird Deutschland damit dauerhaft die größte Militärmacht in Europa (und Nummer drei oder vier in der Welt). Olaf Scholz wird jedenfalls stolz in der Presse mit den Worten zitiert: „Deutschland wird in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen.“