IMI-Standpunkt 2021/022

Flucht aus Afghanistan – Dauereinsatz im Sahel

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 27. April 2021

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Der Deutschlandfunk hat sein „Interview der Woche“ am vergangenen Sonntag mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer geführt. Neben der Bestimmung des Kanzlerkandidaten der Union ging es dabei insbsondere um das Ende des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan, die offenbar langfristig ausgelegte Präsenz der Bundeswehr in der Sahel-Region und das Verhältnis zu Russland. Klaus Remme, der nicht eben als Gegener einer auch militärisch stärkeren Rolle Deutschlands bekannt ist, hat dabei mehrfach erstaunlich kritisch gefragt: Zum Beispiel, was von der Perspektive zu halten sei, dass man „diesen Krieg“ in Afghanistan „verloren“ habe, ob man nicht eine Exitstrategie mit Blick auf Mali brauche und v.a. mit Blick auf Defender, ob es „in dieser Pandemielage angemessen“ sei, „wenn zehntausende von Truppen in Bewegung sind […] und Millionen dafür ausgegeben werden?“ AKK schien darauf durchaus vorbereitet und ließ die Fragen weitgehend an sich abprallen. Nachgefragt wurde dann auch nicht weiter.

Flucht aus Afghanistan?

Hinsichtlich Afghanistans kündigte AKK „eine offene und ehrliche Debatte, eine offene und ehrliche Bilanz“ an, deren Ergebnis für sie allerdings schon festzustehen scheint: Erfolge bestünden u.a. darin, dass Al Kaida nicht mehr im selben Maße von Afghanistan aus operieren und dort die Taliban nun auch zwanzig Jahre nicht mehr an der Macht gewesen seien. Auch gebe es heute Schulen für Mädchen und Frauen in führenden Positionen. Relativ geschickt deutet sie an, dass die Bilanz auch im Hinblick auf die Verstorbenen, Hinterblieben und Verwundeten gezogen werden müsste und es sich alleine schon deshalb verbiete, den Einsatz als sinnlos oder Fehler einzuordnen. Entsprechend solle man „diese Debatte ernsthaft führen, [damit] wir alle miteinander nicht der Versuchung erliegen, das um des billigen Effekts willen zu einem Wahlkampfthema zu machen“.

Dabei erkennt man sowohl bei Remme, als auch der Verteidigungsministerin zwischen den Zeilen eine spürbare Beunruhigung im Hinblick auf den Abzug, der hier fast wie eine Flucht erscheint. So gehen offenbar beide davon aus, dass ab dem 30.4. die Taliban die Oberhand gewinnen werden und auch deshalb der Abzug schnell und gemeinsam vollzogen werden müsste. So gebe es aktuell „Überlegungen, den Einsatz deutlich früher zu beenden“, die „vor allen Dingen getrieben [sind] auch aus der militärischen Sicht, aus der Beurteilung der Sicherheitslage. […] Je kürzer die Stehzeit ist, die wir brauchen, um uns zurückzuziehen, geordnet zurückzuziehen, umso weniger lang sind wir auch ein mögliches Ziel.“ Remme spricht dabei auch die sog. „Ortskräfte“ an, „also Afghanen, die ausländischen Truppen, auch der Bundeswehr, viele Jahre geholfen haben“. Für diese sei „jeder Tag ohne Truppen im Rücken […] lebensgefährlich“. AKK stimmte zu, dass man sich diesbezüglich „jetzt sehr schnell zusammensetzen“ und Lösungen erarbeiten müsse.

Langer Einsatz im Sahel

Nachdem in Bezug auf den offensichtlich nicht wirklich erfolgreichen Einsatz in Afghanistan eine „ernsthafte“ Debatte angekündigt wurde, wechselt das Thema zur Sahel-Region, wo Remme von einem „blutigen Antiterrorkampf“ spricht. Er fragt die Verteidigungsministerin, ob sie ihm zustimme, „dass eine Exitstrategie mit Blick auf Mali für die Bundeswehr im Moment nicht abzusehen ist“. Diese antwortet auf eine eigene Art, indem sie den Begriff der „Exitstrategie“ gar nicht aufgreift. Offenbar besteht dafür auch kein Bedarf, denn anscheinend hat man vor, mehr oder weniger ungeachtet der Ereignisse langfristig militärisch vor Ort zu bleiben. Darauf stimmt AKK die Zuhörenden ganz offen ein: dies sei „kein Einsatz […], von dem man sagen kann, der dauert noch ein Jahr und dann wird er beendet“. Stattdessen werde das „seine Zeit brauchen“, so eine zweimal wiederkehrende Formulierung. AKK ist auch nicht bereit, sich vom französischen „Antiterrorkampf“, den Remme als „blutig“ klassifizierte, zu distanzieren. Man brauche dort „auch den wirklich harten Kampf, die harte militärische Auseinandersetzung und Bekämpfung des Terrorismus“, so AKK. Dies übernähmen gerade die Franzosen, während Deutschland sich, auch auf Grund der politischen Vorgaben, aktuell auf die Ausbildung konzentriere. Allerdings – und das sollte gerade auch vor dem Hintergrund des Abzugs aus Afghanistan ernst genommen werden – unterstrich AKK auch: „Es ist ja nicht so, dass die Bundeswehr nicht über Material und auch entsprechende Kräfte verfügen würde, um auch in einen solchen, ich sage mal, harten Antiterroreinsatz zu gehen.“

Defender: nötig und vertretbar

Naheliegend, aber keineswegs alltäglich in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung ist die Tatsache, dass es im Hinblick auf Russland nicht nur um dessen „Truppenaufmarsch“ und „Provokationen“ geht. Auch die Übungen der NATO kommen zur Sprache, in deren Rahmen ebenfalls und regelmäßig größere Kontingente an die Grenzen nach Russland verlegt werden und dort Kriegsübungen durchführen. In diesem Kontext findet das bisher eher in Militärkreisen und der Friedensbewegung thematisierte NATO-Großmanöver Defender tatsächlich auch im Deutschlandfunk Erwähnung. Hier stellt Remme die bemerkenswerte Frage, ob es in dieser Pandemielage angemessen, wenn zehntausende von Truppen in Bewegung sind, die Bundeswehr beteiligt ist, die auch im Inland gebraucht wird und Millionen dafür ausgegeben werden?“ Die Antwort der Verteidigungsministerin ist auch hier inderekt, aber deutlich: Demnach werde „jede Übung dem strengen Kriterium unterzogen: Ist das unter den Pandemiebedingungen überhaupt vertretbar? Ist sie notwendig? Wenn sie beides nicht ist, dann wird sie auch abgesagt. Aber wir brauchen ein gewisses Maß an Übungen. Auf der einen Seite für uns selbst zur Einsatzvorbereitung, etwa, wenn es in die Missionen hineingeht. Aber auch in dem Zusammenspiel von NATO-Kräften. Und deswegen glaube ich, ja, es ist am Ende vertretbar“. Wer an dieser Prüfung unter welchen konkreten Kriterien beteiligt war, erfahren wir nicht. Offensichtlich waren die Belegung der Intesivbetten oder Inzidenzwerte hier jedoch nicht das entscheidende Maß aller Dinge.