IMI-Standpunkt 2020/043

Putsch in Mali

Bundeswehr soll erstmal in den Kasernen bleiben

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 19. August 2020

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Am 29. Mai, sehr kurz vor dem Ablauf des bestehenden Mandates, verlängerte der deutsche Bundestag mit 437 von 644 Stimmen den Bundeswehreinsatz im Rahmen der EU-Ausbildungsmission EUTM Mali. Das Mandat umfasst bis zu 450 deutsche Kräfte, deren Hauptaufgabe darin besteht, die malische Armee auszubilden.[1] Begonnen hatte der Einsatz 2013 auf dem Militärstützpunkt Koulikoro, etwa 50 Kilometer nördlich von Bamako, wo der malische Standortkommandat die deutschen Soldaten in ihrer Muttersprache begrüßen konnte. Er war bereits Jahre zuvor in Deutschland ausgebildet worden – Mali ist bereits seit Jahrzehnten ein Schwerpunktland der sog. Militärischen Ausbildungshilfe Deutschlands.

Bereits am Vormittag des 18. August 2020 war von Schüssen in der malischen Militärbasis Kati berichtet worden. Im Laufe des Tages mehrten sich die Gerüchte von einer Meuterei und anschließend Berichte, wonach hochrangige Politiker festgenommen worden seien. Westliche Regierungen wiesen ihre Botschaften und Staatsbürger in Mali an, am besten ihre Häuser nicht zu verlassen. Gegen Abend wurde bestätigt, dass u.a. Präsident Ibrahim Boubacar Keita und Regierungschef Boubou Cissé „festgenommen“ und in die Militärbasis Kati, nur wenige Kilometer außerhalb der Hauptstadt, verbracht worden seien. Seit dem heißt es, dass in Mali offenbar ein Putsch stattgefunden habe. Der SWR berichtete in seinen 20-Uhr-Nachrichten, die Bundeswehr sei angewiesen worden, ihre Stützpunkte in Mali vorerst nicht zu verlassen. Eine öffentliche Stellungnahme des BMVg lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Im Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow jedoch dürfte rege Betriebsamkeit geherrscht haben. Denn insgesamt sind 1.550 Kräfte der Bundeswehr für Mali mandatiert und sicherlich auch über 1.000 tatsächlich vor Ort präsent. Der Auftrag der EUTM wird noch am Abend des Putsches auf deren Homepage dadurch beschrieben, „die operationellen Fähigkeiten der MAF [malischen Streitkräfte] unter der Kontrolle der legitimen zivilen Autorität zu verbessern“.[2] Diese legitime zivile Autorität gibt es mit einem Schlag nicht mehr und damit auch nicht die Regierung, deren Zustimmung als völkerrechtliche Grundlage der internationalen Truppenpräsenz gilt. Abgesetzt wurde sie von Soldaten, von denen mit ziemlicher Sicherheit ein großer Teil von EUTM und Bundeswehr ausgebildet wurden. Laut Angaben der EUTM vom März 2020 haben diese etwa 15.000 Kräfte der MAF ausgebildet, deren Gesamtstärke nur geringfügig höher geschätzt wird.[3]

Unter der Bevölkerung Bamakos dürfte der Putsch auf einige Zustimmung stoßen. Hier und in anderen großen Städten des Südens finden bereits seit Wochen Massenproteste gegen die Regierung statt. Getragen werden sie von einem breiten Bündnis unter Führung des Klerikers Mahmoud Dicko, dem jedoch auch u.a. liberale Kräfte und die linksnationalistische Partei SADI angehören. Vorgeworfen wird der Regierung Wahlbetrug, Korruption und Unfähigkeit. Genährt werden sie v.a. auch durch die seit Jahren wachsende und zuletzt dramatisch eskalierte Unsicherheit, die sich zunehmend aus dem umkämpften Norden auch in die Mitte und den Süden des Landes ausbreitet. Wenn nun aber deutsche Medien in ihren eiligen Meldungen behaupten, die Regierung stehe in erster Linie unter Druck, weil sie daran scheitere „einen dschihadistischen Aufstand im Norden des Landes unter Kontrolle zu bringen“,[4] trifft dies nicht den Kern der Sache. Erstens handelt es sich nicht um einen Aufstand, sondern um eine Kaskade von Konflikten, zweitens sind diese nicht alle oder überwiegend religiös motiviert und drittens längst nicht mehr auf den Norden beschränkt. Vor allem aber negiert diese Darstellung die sozioökonomischen Triebfedern des Protestes. Denn die Bevölkerung sieht, wie zwischen der sog. „Internationalen Gemeinschaft“ und der Regierung Reichtümer verschoben werden, von denen bei ihnen (außer Unsicherheit) so gut wie nichts ankommt. Die internationale Truppenpräsenz und ihr ziviler bzw. logistischer Tross tun hierzu ihr Übriges. Von den über 10.000 Soldatinnen und Soldaten der UN-Truppe MINUSMA, in der die Bundeswehr mit 1.100 (mandatierten) Kräften eine Schlüsselrolle einnimmt, haben sich von den heute Protestierenden zunächst Viele eine schnelle Klärung des Problems mit den Tuareg und den Dschihadisten im Norden erwartet. Nun sehen sie, dass unglaubliche Ressourcen in die militärische Logistik und den Eigenschutz der internationalen Truppen fließen, diese aber nicht in der Lage sind, die komplexen Probleme in Mali zu lösen oder die Bevölkerung zu schützen. Im Gegenteil: Seit Beginn der Intervention in Mali 2013 ist die Unsicherheit und die Zahl der zivilen Opfer beständig und zuletzt rapide gestiegen.

Nicht Auslöser, aber zumindest Katalysator dieser Internationalisierung und Eskalation in Mali war im übrigen ein Putsch Ende 2012, der von eben jener Militärbasis ausging, wie auch der jetzige. Damals war das Scheitern der damaligen Regierung, den zunächst separatistischen, später auch dschihadistischen Aufstand im Norden niederzuschlagen, eines bzw. das Hauptmotiv. Auch damals gab es in den Straßen Bamakos von links bis klerikal breite Zustimmung für den Putsch – der das Land allerdings erstmal lahmlegte, die Situation im Norden eskalierte, eine französische Militärintervention und in deren Gefolge die internationale Truppenpräsenz ermöglichte und (über entsprechend internationalisierte Wege) jenen Präsidenten an die Macht brachte, gegen den sich nun wieder ein ähnlich breites Bündnis erhoben hat, in dessen Vertretung nun die Soldaten aus Kati einen erneuten Putsch probieren.

Es gibt also durchaus Parallelen zwischen dem Putsch von 2012 und dem von 2020. Damals wurden die Putschisten in den Straßen von Bamako (was nicht unbedingt bedeutet: von der Mehrheit der Bevölkerung) wie Helden gefeiert. Die Putschisten allerdings hatten damals außer der Beseitigung der legalen, aber nicht legitimen Ordnung wenig anzubieten, als das Versprechen, mithilfe der ehemaligen Kolonialmacht und ihrer Verbündeten den Norden unter Kontrolle zu bringen – der in Wirklichkeit nie unter der Kontrolle von Bamako oder der vorangegangenen Kolonialmacht Frankreich stand. Wenn man aus der Analogie zum Putsch 2012 eine voreilige Prognose wagen wollte, dann bestünde diese darin, dass er keine Lösung der vielfältigen Probleme Malis bringen wird, sondern diese eher verkomplizieren und eskalieren wird. Letzteres allerdings scheint – vom aktuellen Standpunkt aus – kaum noch möglich. Insofern wird der Putsch ggf. relativ folgenlos bleiben.

Die deutschen Soldaten – bei MINUSMA und EUTM übrigens insgesamt mit der Aufklärung, dem „militärischen Nachrichtenwesen“ und der Beratung des malischen Verteidigungsministeriums betraut – werden vermutlich erstmal vor Ort bleiben und stillhalten. EUTM Mali läuft wegen Corona seit Monaten ohnehin auf Sparflamme. Insgesamt steht zu vermuten, dass die Putschisten und die sie unterstützenden Bewegungen vielleicht Kritik an der französischen Militärpräsenz äußern, aber zugleich ohne internationale Unterstützung schlicht kein Land sehen werden. Im besten Falle setzt sich auch im aufstrebenden Bürgertum Bamakos und im malischen Militär die Einsicht durch, dass eine Lösung von Konflikten nur damit beginnen kann, unterschiedliche Interessen innerhalb des Landes und unter den intervenierenden Mächten anzuerkennen und einen Ausgleich zu suchen. Die Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) meint dazu – kurz zusammengefasst – „Territorialstaaten Typ 1648 sind im Sahel keine Friedenslösung“.[5] Das ebenfalls in der Bewegungslinken verortete Netzwerk Afrique-Europe-Interact hingegen spricht sich für eine weitere Stärkung der dortigen Streitrkäfte v.a. durch die Bundeswehr aus, um „Frankreich einzuhegen“.[6] Ob die „Internationale Gemeinschaft“ aber bereit ist, noch mehr (militärische) Ressourcen in die Kaskade von Konflikten im Sahel zu investieren, ist ebenso fraglich wie das Interesse ihrer maßgeblichen Akteure, hier wirklich stabile und demokratische Gesellschaften aufzubauen – die dann ihrerseits wiederum Interessen vertreten und durchsetzen könnten.

Anmerkungen

[1] Bundestags-Drucksache 19/19002.

[2] Fact Sheet Mali, www.eutmmali.eu.

[3] Christoph Marischka: EU-Mandat ausgeweitet, Zweck unklar – Das Geflecht militärischer Interessen und Akteure in Mali mutiert weiter, IMI-Analyse 2020/16.

[4] Unklare Lage in Mali: Steht das Land vor einem Putsch?, deutschlandfunk.de vom 18.8.2020

[5] Forschungsstelle Flucht und Migration: Staatlichkeit und Militär: Weitere Anmerkungen zur MINUSMA-Debatte, www.ffm-online.org.

[6] „Vertreter von Afrique-Europe-Interact als Sachverständiger im Deutschen Bundestag“, https://afrique-europe-interact.net/1836-0-Beteiligung-an-Ausschusssitzung-Bundestag-01-2020.html. Hier wurde die Forderung formuliert, dass „Maßnahmen ergriffen werden, Frankreich einzuhegen“. In einem offenen Brief von AEI an Bundesregierung und Bundestag wird diese Forderung wiederholt, verbunden mit der Aufforderung, die Militärs der G5-Staaten aufzurüsten und auszubilden, wie es Inhalt der wesentlich von Deutschland getragenen, auf MINUSMA abgestützten EUTM-Mission ist: „Demgegenüber gilt es, das französische Militär einzuhegen. Entsprechend dürfte es in Mali mittlerweile Konsens sein, dass der Antiterrorkampf zum jetzigen Zeitpunkt zwar nicht ohne externe Hilfe geführt werden kann (und alles spricht dafür, dass die dschihadistischen Kräfte das Feld kurz- und mittelfristig nicht kampflos räumen werden), dass aber schnellstmöglich ein Transitionsprozess einzuleiten ist, an dessen Ende die Verantwortung für Kampfeinsätze ausschließlich bei der Regionalorganisation G5 liegt (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad). Damit dies gelingen kann, ist freilich zweierlei unabdingbar: Einerseits muss an die G5-Länder Ausrüstungshilfe gewährt werden (insbesondere an Mali, Burkina Faso und Niger), andererseits ist eine umfassende Ausbildung der G5-Truppen zu gewährleisten, insbesondere in Menschenrechtsfragen und deeskalativem Vorgehen (also Aspekte, die im Rahmen der ohnehin schon laufenden Sicherheitssektorreformen anzugehen sind).“ Siehe: „Offener Brief von AEI an Bundesregierung und Bundestag“, https://afrique-europe-interact.net/1852-0-Brief-an-Bundesregierung-02-2020.html.