IMI-Analyse 2015/004 - in: AUSDRUCK (Februar 2015)
Deutsche Firmen in Mexiko
von: Peter Clausing | Veröffentlicht am: 12. Februar 2015
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Anfang 2012, noch unter der alten Regierung, wurde Mexiko vom Bundeswirtschaftsministerium zum „Neuen Zielmarkt“ erklärt – gemeinsam mit Indonesien, Kolumbien, Malaysia, Nigeria und Vietnam.[1] Ein Zusammenhang zwischen dieser Initiative und dem krisenbedingten Sinken deutscher Exporte innerhalb der Eurozone ist offensichtlich. Schließlich wurden aus Deutschland im Jahr 2008 noch Waren im Wert von zusammen genommen 58,8 Milliarden Euro nach Griechenland, Portugal und Spanien exportiert, während es 2013 nur noch 41,3 Milliarden waren.
Zur Erschließung des „neuen Zielmarktes“ Mexiko organisiert die deutsche Regierung Unternehmerreisen und gewährt zinsgünstige Kredite, und die deutsche Botschaft veranstaltet, gemeinsam mit der deutschen Außenhandelskammer CAMEXA, geschäftsanbahnende Treffen für Rüstungsunternehmen und andere Branchen. Mexiko ist nicht nur ein neuer Zielmarkt, sondern hat aufgrund des 1994 abgeschlossenen Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA eine wichtige „Brückenfunktion“ in Richtung USA und Kanada. Mehr noch, auf einem Außenwirtschaftsforum im Juli 2014 in Mainz verwies der Vertreter des mexikanischen Wirtschaftsministeriums darauf, dass Mexiko einen „privilegierten Zugang“ zu 45 Ländern und somit zu 61 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts böte. Der Grund dafür seien die zwölf Freihandelsabkommen, die das Land inzwischen abgeschlossen hat.[2]
Gegenwärtig sind rund 1.300 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in Mexiko registriert, wobei die Sektoren Automobil- und Automobilzulieferindustrie sowie die Pharma-, Chemie- und Logistikbranche im Vordergrund stehen. Nach Schätzungen der CAMEXA beträgt das akkumulierte Kapital deutscher Firmen zirka 25 Milliarden US-Dollar, und deutsche Firmen beschäftigen laut Auswärtigem Amt mehr als 120.000 Mitarbeiter in Mexiko. Es stehen also handfeste ökonomische Interessen hinter dem Wunsch, „die umfassende Partnerschaft zwischen Deutschland und Mexiko (zu) intensivieren“, wie es Außenminister Steinmeier anlässlich des Besuchs seines Amtskollegen Maede im Januar 2015 formulierte. Das erklärt, warum das Thema Menschrechte im Hintergrund bleiben muss.
Seit einigen Jahren, genauer gesagt seit der Veröffentlichung der „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ im Jahr 2011, wird dem potenziellen Konfliktbereich zwischen Wirtschaftstätigkeit und Menschenrechten vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere in Mexiko mit seiner katastrophalen Menschenrechtssituation hat das Thema eine große Relevanz. Leider beruhen sowohl die UN-Leitprinzipien[3] als auch die im gleichen Jahr veröffentlichten OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen,[4] die ebenfalls einen Abschnitt über Menschenrechte enthalten, auf Freiwilligkeit. Kritische Beobachter_innen betrachten deshalb die beiden Dokumente als relativ zahnlos, denn sie bieten den Unternehmen viel Spielraum für Interpretation und Schönfärberei. Trotz dieser Unverbindlichkeit tat sich die deutsche Regierung schwer, einen „Nationalen Aktionsplan“ zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien zu erarbeiten, den die EU-Kommission seit Oktober 2011 von ihren Mitgliedsländern fordert. Erst am 6. November letzten Jahres gab die Bundesregierung den Startschuss zur Ausarbeitung eines solchen Plans. Während Deutschland mit der Erarbeitung dieses Plans seit über drei Jahren im Verzug ist, gab es im Juni 2014 auf der 26. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates eine Initiative von Ecuador und Südafrika zur Bildung einer zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe, die das Mandat erhielt, statt freiwilliger Empfehlungen ein völkerrechtlich verbindliches Instrument zum Thema Unternehmen und Menschenrechte zu erarbeiten. Doch mit Blick auf Mexiko sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Zu oft wurden von diesem Land völkerrechtlich verbindliche Abkommen ratifiziert, die anschließend sogar in nationale Gesetze gegossen wurden, dann jedoch nur auf dem Papier standen. Stellvertretend sei an das Gesetz zum Verbot von Folter erinnert. Mexiko war 1987 eines der ersten Länder, die diese UNO-Konvention ratifizierten. Seit 2003 ist Mexiko zur Einführung des Istanbul-Protokolls (zur wirksamen Untersuchung und Dokumentation von Folter) verpflichtet. Trotzdem kommt Folter in Mexiko bis heutige systematisch zur Anwendung. Und unter Folter erpresste Geständnisse werden nach wie vor bei mexikanischen Gerichten als Beweismittel anerkannt. So wird es – egal ob auf freiwilliger Basis oder auf der Grundlage von verbindlichem Völkerrecht – auch künftig eine David-gegen-Goliath-Konstellation sein, wenn es darum geht, Menschenrechtsverletzungen im Umfeld wirtschaftlicher Aktivitäten zu bekämpfen.
Bergbau
Der Bergbau ist ein Wirtschaftsbereich mit besonders sichtbaren Konflikten. Das Mexikanische Netzwerk der vom Bergbau Betroffenen (REMA) machte bereits 2008 darauf aufmerksam, dass für neun Prozent des mexikanischen Territoriums (200.000 km²) Konzessionen vergeben wurden. Bei den diesbezüglichen Konflikten einem kommen zuerst kanadische Konzerne wie First Majestic Silver und Fortuna Silver in den Sinn, die als Verursacher von sozialen Konflikten in der Kritik stehen. First Majestic Silver bedroht mit seiner hundertprozentigen Tochter Minera Real Bonanza in San Luis Potosí nicht nur die heiligen Stätten der Wikarixari (Huicholes), sondern auch die dort vorhandene biologische Vielfalt und die schon jetzt übernutzten Grundwasservorräte. Einen Gerichtsbeschluss von Februar 2012, der die Aktivitäten dort verbietet, versucht das Unternehmen zu kippen. Der Konflikt schwelt weiter und die Proteste der lokalen indigenen Bevölkerung halten. Dass bis zu 25 Prozent der Aktionäre dieses kanadischen Unternehmens aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kommen, hat bislang kaum Beachtung gefunden.[5] Es ergibt sich die Frage, wie bei einer solchen Konstellation deutsche Investoren_innen bezüglich des Themas Wirtschaft und Menschenrechte in die Pflicht genommen werden können. Die Grupo México hingegen ist ein mexikanisches Unternehmen, das von dem mexikanischen Bischof Raul Vera wegen der zahlreichen Umweltskandale als „Serienmörder“ bezeichnet wurde. Im vorigen Jahr verursachte es eine der größten Umweltkatastrophen in der mexikanischen Geschichte, bei der sich 40 Millionen Liter giftiger Abwässer in die Flüsse Sonora und Bacanuchi ergossen. Zur Grupo México unterhält der Siemenskonzern intensive Geschäftsbeziehungen und lieferte in jüngster Zeit zwei Gas- und Dampfturbinenkraftwerke im Wert von 300 Millionen Euro.[6]
Windparks
Nicht nur im Bergbau, sondern auch im Bereich erneuerbarer Energien kooperiert der Siemenskonzern mit Unternehmen, die Menschenrechte missachten. Der Dachverband der kritischen Aktionär_innen nahm das zum Anlass, um zur Hauptversammlung am 27. Januar 2015 in München den Antrag zu stellen, dem Vorstand der Siemens AG die Entlastung zu verweigern.[7] Ein Grund war die Beteiligung von Siemens an Windpark-Projekten im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca, die ohne hinreichende Mitbestimmung und gegen den Willen der örtlichen Bevölkerung durchgesetzt werden. Seit mehreren Jahren richtet sich an der Pazifikküste von Oaxaca der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen die Errichtung von Windparks. Während die Bevölkerung über fehlende bzw. unzureichende Pachtzahlungen für das genutzte Land klagt, wird der erzeugte Strom Großkunden wie dem Zementhersteller PEMEX, transnationalen Handelsketten (WalMart) oder Bergbauunternehmen zur Verfügung gestellt. Ein Konsultationsprozess der Bevölkerung, wie von der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation vorgeschrieben, fand in Oaxaca bis zum Herbst 2014 nie statt. Dabei hat Mexiko diese Konvention schon vor Jahren ratifiziert. Trotzdem gelang es der betroffenen Bevölkerung, derlei Projekte durch Proteste und gerichtliche Entscheidungen zu blockieren. So wurde der Baubeginn eines Projekts der spanischen Investorengruppe Mareña Renovables 22-mal verschoben. Nur der Hartnäckigkeit der Betroffenen ist es zu verdanken, dass nun eine Befragung durchgeführt werden soll, auch wenn an dem Procedere wegen Unregelmäßigkeiten bereits im Vorfeld Kritik laut wurde.[8]
Export von Rüstungsgütern
Rüstungsexporte fallen nicht unter die Kategorie „Wirtschaft und Menschenrechte“ im Sinne der oben erwähnten UN-Leitlinien. Doch in den im Januar 2000 verabschiedeten und bis heute gültigen Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung wird das Thema berücksichtigt. Dort heißt es: „Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur internen Repression … oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden.“ Angesichts der katastrophalen Menschenrechtssituation in Mexiko sollte man annehmen, dass für dieses Land seit Jahren ein Exportverbot existiert, wobei hervorzuheben ist, dass sich die Richtlinie der Bundesregierung nicht nur auf Schusswaffen bezieht, sondern „sonstige Rüstungsgüter“ ausdrücklich mit einbezieht. Während der teilweise illegale Export der knapp 1.000 Sturmgewehre von Heckler & Koch in den Medien omnipräsent war, fand der Export von zwölf Militärhubschraubern der Firma Eurocopter (heute Airbus Helicopters) vom Typ EC725 so gut wie keine Beachtung. Auch ist in den Richtlinien der Bundesregierung lediglich von einem „hinreichenden Verdacht“ auf Repression etc. die Rede. Doch dieser Verdacht unterliegt der Deutungshoheit der Bundesregierung. Da sind detaillierte Belege mexikanischer Menschenrechtsorganisationen ebenso wenig gefragt wie handfeste Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch.
Diese Deutungshoheit wird zu zynischer Ignoranz, wenn Rüstungsexporte nicht nur toleriert (und genehmigt), sondern aktiv gefördert werden. Dazu zählt das Einfliegen von Dirk Kraus, Militärattaché der Deutschen Botschaft in Mexiko, nach Stuttgart, der am 13. November 2012 vor Vertretern der Rüstungsindustrie über „Marktumfeld und Chancen“ in Mexiko referierte. Laut offiziellem Ergebnisbericht der deutschen Außenhandelskammer in Mexiko (CAMEXA) ging es bei dieser Veranstaltung um den „Zielmarkt Mexiko für Sicherheitstechnologie und Sicherheitsdienstleistungen im Bereich der zivilen Anwendung“. Der Auftritt von Kraus, der das mexikanische Armee- und Marineministerium (SEDENA und SEMAR) explizit als Ansprechpartner benennt, deren „Bedarf groß“ sei und denen „Sonderhaushalte“ zur Verfügung stehen würden, bleibt in dem Bericht unerwähnt.
Ähnlich zu werten sind Veranstaltungen, wie jene am 15. und 16. Februar 2012, bei dem die CAMEXA „Experten von 21 deutschen Firmen“ mit SEDENA-Vertretern zusammen brachte.[9] Dort hatten unter anderem der Münchner Triebwerkhersteller MTU, der Zielfernrohr-Produzent Carl Zeiss Optronics, die mit Panzerwartung und -nachrüstung befasste Flensburger Fahrzeugbau Gesellschaft mbH, die Bremer Schiffs- und Yachtwerft Abeking & Rasmussen, Daimler-Benz, Eurocopter sowie verschiedene auf Überwachungstechnologie spezialisierte Firmen Gelegenheit, ihre Produkte vorzustellen.
Fazit
Verbindlich klingende Rüstungsexportrichtlinien werden „flexibel“ ausgelegt und kommen de facto nicht zur Anwendung. Exportbeschränkungen kamen in der Vergangenheit zustande, wenn der öffentliche Druck zu groß wurde. Ähnlich verhält es sich mit der Anwendung anderer verbindlicher oder freiwilliger Richtlinien: ihre Durchsetzung braucht eine gut organisierte, widerständige Zivilbevölkerung.
Peter Clausing arbeitet bei México via Berlín e.V. (http://mexicoviaberlin.org/).
Anmerkungen
[1] Neue Zielmärkte – neue Wachstumschancen Regionale Fokussierung der Außenwirtschaftspolitik hin zu aufstrebenden Schwellenländern. Monatsbericht 02‑2012 des Bundeswirtschaftsministeriums.
[2] MÉXICO: Global Supply Chain: Chancen auch dem mexikanischen Markt.
[3] Guiding Principles on Business and Human Rights. United Nations, New York and Geneva. www.ohchr.org/Documents/Publications/GuidingPrinciplesBusinessHR_EN.pdf
[4] OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, Ausgabe 2011.
[5] www.firstmajestic.com/i/pdf/silberinfo_Interview_First_Majestic_Silver_german.pdf
[6] Siemens (2013): Memoria de Nuestras Actividades 2012.
[7] www.kritischeaktionaere.de/fileadmin/Dokumente/Gegenantraege_2015/KA-Gegenantraege_Siemens_HV_2015.pdf
[8] Windkraft in Oaxaca: Erste indigene Befragung mit Defiziten. Poonal v.25.11.2014.
[9] Experten präsentierten Militärs deutsche Sicherheitstechnik. CAMEXA, Mitteilung vom 21.2.2012.