Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0395 ………. 16. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jonna Schürkes
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
———————————————————-Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich:
1. eine Zusammenstellung der neuesten Artikel auf der Homepage
2. ein Artikel zur geopolitischen Schwerpunktverschiebung Großbritanniens
1. Neue Texte auf der Homepage
IMI-Studie 2013/06 – in: Wissenschaft & Frieden 2013-2 (Dossier Nr. 73)
China: bedenklich sicher
Zum Zusammenhang von Dissens, Innerer Sicherheit und Außenpolitik in der VR China
https://www.imi-online.de/2013/05/15/china-bedenklich-sicher/
Andreas Seifert
IMI-Standpunkt 2013/020 – in: Graswurzelrevolution Nr. 369/Mai 2013
“Nach vorn!” – “einsatzbereit – jederzeit – weltweit”!
Deutsche Spezialkräfte im Umbruch
https://www.imi-online.de/2013/05/13/nach-vorn-einsatzbereit-jederzeit-weltweit/
Jürgen Wagner
IMI-Analyse 2013/16
Empire Redux?
Großbritannien will erneut die imperiale Bürde „östlich von Suez“ schultern
https://www.imi-online.de/2013/05/08/empire-redux/
Jürgen Wagner
IMI-Standpunkt 2013/019
Drohnen: Wie Meinungen mit kreativen Befragungen manipuliert werden
https://www.imi-online.de/2013/05/08/drohnen-wie-meinungen-mit-kreativen-befragungen-manipuliert-werden/
Jürgen Wagner
IMI-Standpunkt 2013/018
Syrien: Auftritt der Kriegstreiber
https://www.imi-online.de/2013/04/30/syrien-auftritt-der-kriegstreiber/
Jürgen Wagner
IMI-Standpunkt 2013/017
Militärkonzert abblasen!
Gegen das Benefizkonzert des Bundeswehr-Musikkorps am 23. Mai 2013 im Hessischen Rundfunk in Frankfurt
https://www.imi-online.de/2013/04/30/militarkonzert-abblasen/
Jürgen Wagner
IMI-Analyse 2013/15 – in: junge Welt, 27.04.2013
EU-Rüstungsexporte: Unerwünschte Debatte
https://www.imi-online.de/2013/04/29/eu-rustungsexporte-unerwunschte-debatte/
Jürgen Wagner
Dokumentation
Strafanzeige: Menschenrechtsverletzungen im Kongo
https://www.imi-online.de/2013/04/25/strafanzeige-menschenrechtsverletzungen-im-kongo/
IMI
2. ein Artikel zur geopolitischen Schwerpunktverschiebung Großbritanniens
IMI-Analyse 2013/16
Empire Redux?
Großbritannien will erneut die imperiale Bürde „östlich von Suez“ schultern
https://www.imi-online.de/2013/05/08/empire-redux/
Jürgen Wagner
Ship me somewheres east of Suez, where the best is like the worst,
Where there aren’t no Ten Commandments an‘ a man can raise a thirst;
(Mandalay von Rudyard Kipling)
Der Untergang des britischen Imperiums – bzw. die geordnete Übergabe an den US-Nachfolger – war spätestens Ende des Zweiten Weltkriegs besiegelt.[1] Dennoch gilt die 1968 beschlossene und 1971 vollendete Schließung einer Reihe von Militärbasen im Mittleren Osten bis heute als eigentliches Symbol für das Ende des British Empire. Seither galt in Großbritannien offiziell das Credo, „östlich von Suez“ ende das unmittelbare Interessensgebiet, weshalb man dort auch keine Truppen dauerhaft stationieren wollte. Natürlich ist diese Sichtweise ein wenig zurechtgebürstet, selbstverständlich unterhielten die Briten auch nach 1971 noch Truppenbasen sowie kleine Verbände im Mittleren Osten – allerdings auf einem eher niedrigschwelligen Niveau.
Insofern verwundert es nicht, dass es einigen Wirbel verursachte, als eine kürzlich vom „Royal United Services Institute“ (RUSI), einer armeenahen Denkfabrik, veröffentlichtes Papier voraussagte, Großbritannien plane erneut eine verstärkte Präsenz „östlich von Suez“.[2] Die Studie namens “A Return to East of Suez? UK Military Deployment to the Gulf” ist nicht nur deshalb interessant, weil eine mit besten Kontakten ins Militär ausgestattete Denkfabrik die Abkehr von einer seit vierzig Jahren praktizierten Stationierungspolitik für beschlossene Sache hält. Was sie darüber hinaus bemerkenswert macht ist, dass sie die Denkfiguren hinter dieser Entscheidung relativ offen darlegt.[3] Dabei stechen zwei ambitionierte Motive heraus: Einmal das Bestreben, angesichts zunehmender Konflikte die Kontrolle über die Gesamtregion sicherzustellen; und zum zweiten das Vorhaben, die USA als führende Macht am Persischen Golf abzulösen.
Kontinuität oder Wandel?
Zu Recht weist die RUSI-Studie darauf hin, dass die britische Präsenz in der Region keineswegs 1971 endete – jeglicher Ausbau sei also mehr „evolutionärer als revolutionärer“ Natur. (Return to Suez: 4) Zudem seien bereits in den 1990ern Überlegungen angestellt worden, den britischen „Fußabdruck“ in der Region wieder zu vergrößern, ohne dass diese aber in die Praxis umgesetzt worden wären (ebd.: 2). Dennoch sei das „Ausmaß der militärischen Stationierungen, das gerade diskutiert wird, signifikant.“ (ebd.: 4)
Die neue Strategie sei zwar noch nicht beschlossen, ihre Umsetzung deute sich aber bereits jetzt an und sei insgesamt sehr wahrscheinlich: „Hierbei mag es sich noch nicht um eine erklärte Regierungspolitik handeln; tatsächlich könnte die Regierung es bevorzugen, sich auf keine öffentliche Debatte darüber einzulassen. Aber Großbritannien scheint sich einem Entscheidungszeitpunkt zu nähern, an dem eine strategische Neuorientierung seiner Verteidigungs- und Sicherheitspolitik auf den Golf ebenso plausibel wie logisch ist.“ (ebd.: 1)
Ganz wesentlich sei hier eine Rede von Generalstabschef David Richards im Dezember 2012 gewesen. „In seiner Rede formulierte [er] eine Zukunftsvision, die Zuversicht, Optimismus und vor allem anderen, Wagemut versprühte, als er über die Joint Expeditionary Force (JEF), die maritimen und amphibischen Komponenten der Royal Navy sowie die Zukunft der Armeebrigaden diskutierte. Ein Teil seiner Rede war besonders eindrücklich: ‚Die britischen JEFs werden in der Lage sein, global Macht und Einfluss zu projizieren. Das ist uns nirgendwo so wichtig wie bezüglich unserer Freunde im Mittleren Osten und am Golf und […] wir gehen davon aus, dass JEF-Elemente mehr Zeit zur Beruhigung und Abschreckung in der Region verbringen werden.“ (ebd.: 7)
Es sei diese Rede gewesen, die Spekulationen über ein Ende der bisherigen Politik “östlich von Suez“ befeuert hätten.[4] Konkret gehe es aber nicht unbedingt darum, mit vielen tausend Truppen in die Region zurückzukehren, sondern auf viele verschiedene Arten die Präsenz zu vergrößern: „Das Militär beabsichtigt, eine starke Schattenpräsenz (shadow presence) um den Golf herum aufzubauen; kein Fußabdruck der eindeutig imperialen Art, sondern eine kluge Präsenz mit Anlagen, Verteidigungsabkommen, Rotationstrainings (rotation of training), Transit- und Startpunkten für unsere Truppen, die darauf abzielen, anpassungsfähiger und agiler zu werden, nun da sie vor den post-Afghanistan Jahren nach 2014 stehen. Die Minihad Luftwaffenbasis in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) hat sich als Schlüsselelement für diese kluge Präsenz herausgestellt, über die man in der nahen Zukunft noch mehr hören wird.“ (ebd.: 1)
In seiner bereits angesprochenen Rede präzisierte Generalstabschef David Richards: „Ich stelle mir zwei oder mehr anpassungsfähige Brigaden vor, die enge Beziehungen auf taktischer Ebene mit bestimmten Ländern am Golf und mit Jordanien eingehen, was es zum Beispiel erlaubt, mit ihren Streitkräften besser zusammenzuarbeiten. Sollte die Notwendigkeit für eine weitere libyenähnliche Operation entstehen, werden wir vorbereitet sein. Hierdurch würde unsere Fähigkeit, unsere Verbündeten zu unterstützen, erheblich verbessert.“ (ebd.: 8) Darüber hinaus wird in der RUSI-Studie angedeutet, sowohl bislang in Deutschland stationierte britische Soldaten, die spätestens 2020 das Land verlassen, als auch solche, die bis 2014 aus Afghanistan abziehen, könnten zumindest in Teilen im Oman stationiert werden. (ebd.: 9) Von dort aus sieht man sich augenscheinlich auch strategisch „bestens“ positioniert, um Einfluss auf eine ganze Reihe von Konflikten nehmen zu können: „Dies [eine stärkere Präsenz am Golf] ermöglicht es dem Vereinigten Königreich, eine substantiellere Rolle in Indien und Pakistan zu spielen und möglicherweise auch in der aktuellen Situation in Syrien, in einer Krise in Afghanistan nach 2014 oder selbst im Irak zu intervenieren.“ (ebd.: 11)
Angesichts einer solch ambitionierten Agenda stellen die RUSI-Autoren berechtigterweise fest, solche Pläne könnten „in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs“ manchen „seltsam“ erscheinen. Aus ihrer Sicht sprechen aber „für Großbritannien überzeugende Gründe dafür, seine Beziehungen zur Golfregion weitaus ernster als bisher zu nehmen.“ (ebd.: 1)
Kontrolle der Region
In der Region des Persischen Golfes lagern knapp 50% der Weltölvorkommen: Aus westlicher Sicht geht es deshalb nicht nur darum zu verhindern, dass irgendeine regionale oder außenstehende Macht diese Vorkommen dominiert und so den für jede Industrienation überlebenswichtigen Energiezufluss gefährden könnte. Denn im „Optimalfall“ möchte man darüber hinaus auch in der Lage sein, potenziellen Rivalen im Konfliktfall selbst damit drohen zu können, ihnen die Ölzufuhr abzudrehen.
Die Kontrolle der Golfregion stellt deshalb schon lange ein wesentliches westliches Interesse dar, wofür stets eine Mischung aus direkter Militärpräsenz und der Stärkung „befreundeter“ lokaler Regime gewählt wurde.[5] Während hierfür lange vorrangig die Vereinigten Staaten zuständig waren, würden nun aus Sicht der RUSI-Autoren sowohl veränderte internationale Rahmenbedingungen (siehe unten) als auch die heikler werdende lokale Konfliktkonstellation ein größeres britisches Engagement verlangen.
Die „befreundeten“ Regime in der Region wurden von Generalstabschef Richards in seiner Rede konkret aufgezählt: Neben den VAE und Oman sind dies auch Bahrain, Katar, Kuwait und Saudi Arabien. (ebd.: 8) Im Umkehrschluss wird daraus auch ersichtlich, wer die Feinde sind – im Wesentlichen wohl alle anderen Länder der Region, die nicht aufgeführt wurden.
Zuvorderst betrifft dies den Iran, der auch explizit in der RUSI-Studie benannt wird. Ein Ausbau der Präsenz würde „dem Iran und anderen eine Botschaft der Entschlossenheit senden.“ (ebd.: 2) Viele der derzeitigen Handlungen seien Signale für “Großbritanniens militärische Absicht, mehr in der Region zu unternehmen, mit dem Ziel, ein breites internationales Engagement hinsichtlich der vorrangigsten Sicherheitsaufgabe aufrechtzuerhalten – namentlich die Abschreckung des Iran.“ (ebd.: 11) Doch die Studie spricht auch offen an, dass die Auseinandersetzungen mit Teheran in einem breiteren regionalen Kontext verstanden werden müssen, wenn es heißt, „Iran und Saudi Arabien fechten etwas aus, was ein konfessioneller Kalter Krieg ist, der aber sehr schnell heiß werden könnte.“ (ebd.: 5)
Diese Konflikte beschränken sich jedoch keineswegs auf Saudi Arabien und den Iran. In den letzten Jahren wurden zahlreiche Artikel über einen neuen „Arabischen Kalten Krieg“ verfasst, der – grob zusammengefasst – entlang zweier Blöcke zwischen Ländern mit schiitischen und sunnitischen Machthabern verläuft.[6] Die sog. schiitische Achse besteht dabei aus Syrien, der Hisbollah im Libanon, dem Iran und mittlerweile zunehmend auch dem Irak, die mit den restlichen sunnitisch bzw. wahabitisch dominierten und von Saudi Arabien und Katar angeführten Golfländern zunehmend in Konflikt geraten. Die Pläne zur verstärkten Präsenz in der Region deuten dabei klar auf die britische Absicht hin, in diesen Auseinandersetzungen eine gewichtige Rolle spielen zu wollen, wie die RUSI-Studie untermauert: „Großbritannien wird sich damit auch mitten an der Bruchlinie zwischen der sunnitischen und der schiitischen Welt wiederfinden, die zunehmend die geopolitische Landschaft der Golfregion und die Sicherheit des Mittleren Ostens bestimmt.“ (ebd.: 4)
Mit den gewählten Kooperationsländern positioniert sich Großbritannien in diesen Auseinandersetzungen fest an der Seite der sunnitischen Achse – und stärkt damit bewusst Länder, die extrem autoritär regiert werden und die Menschenrechte häufig mit Füßen treten: „Deshalb ist das Schmieden engerer politischer und militärischer Beziehungen mit bestimmten Golfstaaten zweifellos kontrovers. Indem die Position am Golf ausgebaut wird, wird Großbritannien ein eindeutiges Signal senden, dass es zumindest was die arabischen Küstenstaaten betrifft, den Erhalt der monarchistischen (und aus westlicher Sicht undemokratischen) Regime in einer Zeit unterstützt, in der sich revolutionäre islamische Kräfte über den ganzen Mittleren Osten und die muslimische Welt ausbreiten.“ (ebd.: 12)
Die Kritik, Großbritannien würde mit seiner Positionierung die „‘Kräfte des Konservatismus‘“ stärken, sei jedoch vereinfachend und „naiv“. Schließlich hätten die Revolutionen zum Sieg konservativer Kräfte geführt, was von den sunnitischen Golfmonarchien in den letzten Jahren teils massiv unterstützt worden sei. (ebd.: 12) Dies trifft zwar zu, bedarf aber der Ergänzung, dass von sunnitischer Seite (und umgekehrt) nur in den Ländern Bewegungen unterstützt wurden, wo es darum ging, der eigenen Seite zum Sieg zu verhelfen: „Die Golfstaaten […] haben scheinbar widersprüchliche Positionen gegenüber den arabischen Erhebungen eingenommen, […] indem die schiitische Revolte in Bahrain abgelehnt, aber die islamischen Revolutionen in Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien unterstützt werden.“ (ebd.: 4)
Es geht dabei aber augenscheinlich nicht nur um die Stabilität der Region – sprich die Stärkung der „befreundeten“ Golfmonarchien in ihrer Auseinandersetzung mit der vom Iran angeführten „Achse“. Mindestens ebenso scheint es darum zu gehen, die Kooperationspartner gegen teils heftige Proteste im Inland abzusichern. „Von großer Besorgnis für die – sunnitischen – Erbmonarchien, Scheichtümer, Emirate und Königreiche des arabischen Golfes ist die politische Mobilisierung arabisch-schiitischer Gemeinschaften in diesen Staaten.“ (ebd.: 12)
Gerade Bahrain ist ein schockierendes Beispiel für die herrschende Doppelmoral seitens der westlichen Staaten: Während die Revolutionen in anderen Ländern begrüßt wurden, wurde über die unter anderem mithilfe saudischer Truppen erfolgte brutale Unterdrückung der Proteste der schiitischen Bevölkerungsmehrheit kein Wort verloren. Im Gegenteil, das dortige Regime wurde für sein Vorgehen auch noch belohnt – und zwar lange nachdem die Proteste ausgebrochen waren: „Im Oktober 2012 unterzeichnete [Verteidigungsminister Philip] Hammond eine Vereinbarung zur Verteidigungskooperation mit Bahrain, das laut dem Minister für Internationale Sicherheitsstrategie, Dr Andrew Murrison, ‚einen Rahmen für das aktuelle und künftige Verteidigungsengagement liefert, einschließlich Training und Kapazitätsaufbau, um die Stabilität der gesamten Region zu verbessern.“ (ebd.: 8) Letztlich gibt man hierdurch nicht nur das Plazet, mittels brutaler Repressionsmaßnahmen die Proteste zu unterdrücken, sondern „ertüchtigt“ das Land sogar noch hierzu.
US-„Rückzug“ und neue Ordnungsmacht?
Bis vor nicht allzu langer Zeit hatten die USA gegenüber den EU-Ländern unmissverständlich die Führungsrolle in allen militärisch-strategischen Fragen von beiderseitigem Interesse für sich reklamiert – was von Zeit zu Zeit vor allem mit Frankreich für Ärger sorgte. Dies betraf auch und vor allem den Anspruch als Hegemonialmacht in der Golfregion, den sich Washington unter keinen Umständen streitig machen lassen wollte – auch nicht von einem EU-Verbündeten.
Vor diesem Hintergrund begründet die RUSI-Studie den Ausbau der Präsenz in der Golfregion als direktes Resultat aus der neuen US-Militärstrategie, die im Januar 2012 veröffentlicht wurde. In ihr kündigten die USA eine massive Schwerpunktverlagerung („pivot“) ihrer Kräfte nach Ostasien an, um hierdurch den machtpolitischen Aufstieg Chinas einzudämmen. “Die Alarmglocken klingeln in den europäischen Staatskanzleien hinsichtlich der erklärten US-Absicht, die Bedeutung des Golfs abzuwerten und den Schwerpunkt auf den Pazifik zu verlagern. Einfach gesagt, […] steht der Mittlere Osten nicht an der Spitze der außenpolitischen Agenda von Obama; stattdessen liegen die US-Prioritäten nun in Asien (speziell dem Fernen Osten) und den pazifischen Randgebieten.“ (ebd.: 10) Notgedrungen – aber auch begierig – werde Großbritannien deshalb, den Stab als Ordnungsmacht in der Region von Washington (wieder) übernehmen müssen: „Jedenfalls scheint es, dass Großbritannien diese Bürde, die Sicherheit am Golf zu gewährleisten, sowohl aus Notwendigkeit wie auch aus eigenem Verlangen übernimmt.“ (ebd.: 10)
Hier scheint jedoch viel Wunschdenken dabei zu sein, denn in der neuen US-Strategie ist zwar die Rede davon etwa die Militärpräsenz in Europa zu verringern, über den Mittleren Osten lässt sich jedoch nichts derartiges finden. Auch die RUSI-Studie räumt ein: „Das Ausmaß des Rückzugs der Obama-Administration aus dem Golf ist von einigen übertrieben worden.“ (ebd.: 10) Die USA haben also überhaupt nicht die Absicht, den Stab an Großbritannien zu übergeben. Aus diesem Grund wird auch versichert, es gehe primär darum, die USA zu unterstützen und sich so unentbehrlich zu machen, nicht darum, in Konkurrenz zu ihnen die Präsenz in einer der wichtigsten Weltregionen auszubauen: „Kurz gesagt, wird der Golfregion stärkere Aufmerksamkeit gezollt, um die besondere Beziehung mit den USA zu erhalten und nicht, weil diese besondere Beziehung beendet ist.“ (ebd.: 11)
Zweifellos ist es ein wenig von beidem: Die USA suchen derzeit nach Unterstützung für ihre kostspielige Hegemonialpolitik und dürften es durchaus schätzen, wenn sich London hier stärker engagiert. Allerdings dürften sie wenig gewillt sein, die Führungsrolle in der Region abzugeben – sollte dies der britische Anspruch sein, dürfte dies zu heftigen Konflikten führen. Trotz ihrer Treueschwüre zu den USA betonen die RUSI-Autoren jedenfalls, dass es klare Vorteile bietet, der wichtigste Akteur in der Region zu sein und sind sogar der Auffassung, Großbritannien habe diese Rolle inzwischen übernommen: „In jedem Fall profitiert das Vereinigte Königreich erheblich davon, der führende europäische – und faktisch westliche – Akteur am Golf zu sein.“ (ebd.: 10) Als Beleg für die angesprochenen Vorteile führen die Autoren etwa das Handelsvolumen mit den VAE an, das sich 2011 auf beträchtliche 14 Mrd. Pfund belief. Die VAE habe in diesem Jahr über 8 Mrd. in britische Projekte investiert, Katar plane derzeit Investitionen von 20 Mrd., möglicherweise sogar 30 bis 35 Mrd. Pfund. Weiter stehe man kurz davor, insgesamt 100 Kampfflugzeuge vom Typ Typhoon an Saudi Arabien, Oman und die VAE zu verkaufen – Gesamtvolumen 6 Mrd. – die VAE, mit denen man die engsten Militärbeziehungen pflegt, hätten allein Interesse an Flugzeugen im Wert von 3 Mrd. Pfund bekundet. (ebd.: 3)
Die Bereitschaft, die imperiale „Bürde“ am Persischen Golf zunehmend von den USA zu übernehmen, scheint sich bereits jetzt auszuzahlen – nicht umsonst geht der Begriff „östlich von Suez“ auf ein Gedicht von Rudyard Kipling zurück.
Anmerkungen
[1] Die USA waren hieran alles andere als unschuldig, sondern strikten eifrig daran mit. Siehe dazu Hudson, Michael: Super Imperialism. The Economic Strategy of American Empire London 2003 (2nd edition), S. 108-118.
[2] Siehe u.a. Gardner, Frank: ‚East of Suez‘: Are UK forces returning? BBC, 29.04.2013; Blair, David: Britain may reverse East of Suez policy with return to military bases in Gulf, The Telegraph, 29.04.2013.
[3] Stansfield, Gareth/Kelly, Saul: A Return to East of Suez? UK Military Deployment to the Gulf
UK Military Deployment to the Gulf, RUSI Briefing Paper, April 2013 (zit. als Return to Suez).
[4] Gareth und Kelly verweisen hier etwa auf folgenden Artikel: Richard Norton-Taylor and Nick Hopkins, ‘Defence Chief Signals Major UK Military Presence in Gulf’, Guardian Defence and Security Blog, 18 December 2012.
[5] Es existieren unzählige Publikationen über die westlichen und vor allem US-amerikanischen Ambitionen zur Kontrolle der Golfregion und die dazugehörigen Strategien. Lesenswert ist bspw. Klare, Michael: Resource Wars, New York 2002.
[6] Siehe etwa Valbjorn, Morten/Bank,Andre: Signs of a New Arab Cold War, Middle East Report, Spring 2007. In einer IMI-Studie wurde sich zudem kritisch mit der Konfessionalisierung dieser Konflikte beschäftigt. Siehe Engerer, Julian: Weltpolitik und Waffenexporte. Deutsche Machtpolitik und die Konfessionalisierung von Konflikten am Persischen Golf, IMI-Studie 2012/17.