IMI-Standpunkt 2013/016 - in: Friedensforum 2/2013 / AUSDRUCK (April 2013)
Wie der Terrorismus nach Westafrika kam
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 27. März 2013
Anzeichen und entsprechende Spekulationen gibt es schon lange, doch in Mali und den angrenzenden Ländern wird gegenwärtig deutlicher denn je, dass der „Krieg gegen den Terror“ eben jene Formen des Terrorismus hervorbringt, die er zu bekämpfen vorgibt. Bis vor wenigen Monaten konzentrierten sich die Aktivitäten der heute als Terroristen bekämpften Gruppen im Norden Malis überwiegend auf Schmuggel und einige Entführungen zum Zwecke der Lösegeldforderungen. Heute sind die zuvor in der Region völlig unbekannten Praktiken von anderen Schauplätzen des „Krieg gegen den Terror“ an der Tagesordnung, u.a. Selbsmordanschläge mit Sprengstoffgürteln. Doch nicht nur der Terror und seine „Bekämpfung“ werden zur selbsterfüllenden Prophezeiung, sondern auch die Rahmenbedingungen, unter denen beides stattfindet und die in der politikwissenschaftlichen Debatte wie auch in den westlichen Strategiepapieren als „scheiternde Staatlichkeit“ bezeichnet werden.
Gemeint ist damit ein vermeintlicher Vertrauensverlust in und Kontrollverlust der amtierenden Regierungen, der das Entstehen bewaffneter Gruppen und ein Abgleiten in bürgerkriegsähnliche Zustände begünstigt. Garniert mit entwicklungspolitischen und humanitären Worthülsen besteht die westliche Strategie im Umgang mit solchen „scheiternden Staaten“ in der Ausbildung zusätzlicher „Sicherheitskräfte“, der Stationierung internationaler Truppenverbände bis hin zur de-facto- Treuhandschaft durch die UN oder internationale Koalitionen. Das steht nun nicht nur in Mali an, sondern wurde im Zuge der dortigen Intervention auch bereits in Niger vollzogen. Dort wurde bereits im Sommer vergangenen Jahres eine EU-Ausbildungsmission stationiert, von dort aus haben sich malische Truppenverbände am französischen Vormarsch Mitte Januar beteiligt und dort errichten die USA nun eine Drohnenbasis. Von den mächtigen westlichen Staaten – allen voran der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich – wird der Niger nicht mehr als souveräner Staat behandelt, sondern als bloßes Aufmarschgebiet. Der Regierung des Niger kommt nicht die Funktion zu, zwischen den Interessen der Bevölkerung zu vermitteln und politische Ziele zu verfolgen, sondern Truppen bereitzustellen, Stationierungen ausländischer Truppen zuzustimmen und Verträge über den Abbau von Rohstoffen – allen voran Uran durch Frankreich – zuzustimmen. Das dies Vertrauens- und Kontrollverlust befördert, liegt auf der Hand und sollte auch für westeuropäische Staaten, die ihre Wirtschafts- und Verteidigungspolitik nur noch international verhandeln und dann ihrer jeweiligen Bevölkerung gegenüber durchsetzen und „vermitteln“ müssen, als Warnung dienen.
Mali und die meisten seiner Nachbarstaaten sind zum Beispiel alleine deshalb in ihrer Wirtschaftspolitik stark eingeschränkt, weil ihre Währung über den CFA-Franc an den Euro gebunden ist. Die Küstenstaaten haben trotz chronischer Hungerkrisen Fischereirechte an die Europäische Union verkauft und alle Staaten der Region für die „eigene“ Bevölkerung unvorteilhafte Verträge über Landnutzung und Rohstoffabbau abgeschlossen. Regierungen, die auf die koloniale Geschichte verweisend Worte wie „Reparation“ in den Mund nehmen, laut über den Austritt aus dem CFA-Franc oder Neuverhandlungen der Rohstoffabkommen nachdenken, müssen damit rechnen, spätestens nach der nächsten Wahl international nicht mehr anerkannt oder im Zweifelsfall gar militärisch aus dem Amt gejagt zu werden. Alleine im Jahr 2011 wurden in zwei eng mit Mali verbundenen Staaten Regierungen gewaltsam entfernt: In Libyen und der Côte d’Ivoire, auch wenn die antikoloniale Rhetorik Gaddafis und Gbagbos sicher nicht der einzige, womöglich aber ausschlaggebender Grund für die Entscheidung zum Militärschlag gewesen sein mag. Jenseits der offenen Militärintervention haben Frankreich und die EU jedoch auch in allen anderen Nachbarstaaten Malis (außer Algerien) über Wahlbeobachtungen und Verhandlungen mit Putschisten einen entscheidenden Einfluss auf die Regierungsbildung genommen. Die Regierungen beziehen ihre Legitimität über die europäischen Mächte und ihre Einnahmen aus der Entwicklungshilfe, während sie ihre Bevölkerung verarmen lassen. Dass dies und damit auch die „scheiternde Staatlichkeit“ explizites Ergebnis der europäischen Einflusspolitik ist, wird aus westlicher Sicht hingegen konsequent ausgeblendet. Statt dessen wird diese Situation beständig zum Anlass genommen, diese Einflussnahme zu intensivieren und nun auch im Zuge eines „Krieg gegen den Terror“ weiter zu militarisieren. Beispielhaft für diese eindirektionale Sichtweise war etwa der Einladungstext zu einer gemeinsamen Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und des GIGA-Instituts unter dem Titel „Westafrika – Fragile Demokratien und europäische Sicherheitsinteressen“ im November 2011. Darin hieß es: „In dieser politisch instabilen Region leben derzeit eine Viertelmilliarde Menschen. Bis 2050 werden es eine halbe Milliarde sein, die anhaltender Armut und Perspektivlosigkeit ausgesetzt sind. Vor allem bei der schnell wachsenden jungen Bevölkerung führt dies zunehmend zu Unzufriedenheit und häufig auch zu Radikalisierung. Die Flucht über das Mittelmeer nach Europa oder illegaler Drogenhandel erscheinen vielen als Auswege aus ihrer desolaten Situation. Was bedeutet dies für Europa und Deutschland? Welche Herausforderungen bringen irreguläre Migration, Drogenschmuggel und islamistischer Terrorismus mit sich?“
Derselben Logik – Armut als reines Sicherheitsproblem bei Ausblendung der Ursachen – folgte auch die EU in ihrer Anfang 2011 formulierten „Strategie für Sicherheit und Entwicklung im Sahel“. In deren Zuge wurden bereits zuvor national (u.a. durch die USA, Frankreich und Deutschland) durchgeführte Programme zur Ausbildung von „Sicherheitskräften“ und Aufrüstung der Region verstärkt und weitgehend europäisiert. Die EU finanzierte umfangreich den Aufbau polizeilicher und militärischer Infrastruktur u.a. im Norden Malis, was als einer der Auslöser des Aufstandes der Tuareg-dominierten MNLA Anfang 2012 gesehen werden muss, in deren Zug radikale Islamisten ihre Schreckensherrschaft in den Städten des Nordens errichten konnten und Soldaten in der Hauptstadt Bamako putschten. Auch dieser Eskalationsschritt war in mehrfacher Hinsicht absehbar, nicht nur, weil die verstärkte Truppenpräsenz den Abkommen zwischen der durch den Putsch abgesetzten Regierung von Amadou Toumani Touré und Führern der Tuareg im Norden widersprachen. Hinzu kommt natürlich auch, dass Armut eben nicht, wie es die oben zitierte herrschende „Analyse“ nahe legt, mehr oder weniger automatisch in „irreguläre Migration, Drogenschmuggel und islamistische[n] Terrorismus“ mündet, sondern es gerade die „Bekämpfung“ der Armut und ihrer vermeintlichen Konsequenzen ist, die diese Erscheinungsformen hervorbringt. Der Begriff der „irregulären Migration“ bringt dies am deutlichsten zum Vorschein. Der an sich banale und alltägliche Vorgang des Weg- oder Weiterziehens wird gerade durch seine Kriminalisierung und Bekämpfung zu einem einträglichen Geschäftsfeld, bei dem sich mit zunehmender Intensität der Bekämpfung immer stärker diejenigen durchsetzen, die am rücksichtslosesten vorgehen, in internationalen kriminellen und politischen Netzwerken organisiert und bewaffnet sind. Dasselbe gilt in ähnlicher Weise auch für den Drogenhandel. Es sind gerade die Militarisierungs- und Vergrenzungsstrategien der EU, welche das Schmuggeln und Schleppen zu einem Aktionsfeld militanter Gruppen und die bis zum Krieg gegen den Terror reichende Destabilisierung zur gewinnbringenden Strategie machen. Durchgesetzt haben sich dabei zunächst diejenigen Gruppen, die über gute Kontakte zu politischen und militärischen Eliten in Algerien, Mauretanien, Burkina Faso und Niger verfügten, diese mitverdienen ließen und über sie Waffen bezogen. Je offensichtlicher dann wurde, dass Frankreich und die EU den Sahel zum Schlachtfeld ihres eigenen „Krieg gegen den Terror“ machen würden (das war spätestens seit der Veröffentlichung der Sahel-Strategie absehbar), desto stärker wurden jene Fraktionen mit radikal-islamistischer (Schein-?)Agenda, die über gute Kontakte zu den Golfmonarchien verfügten und aus diesen Waffen erhielten.
Das besonders dramatische am eskalierenden „Krieg gegen den Terror“ im Sahel ist seine räumliche Ausdehnung und gewissermaßen seine „Multilateralität“. Das vom französischen Präsidenten ausgerufene Ziel, „den Terrorismus auf dem afrikanischen Territorium zu bekämpfen“ droht zum exakten Gegenteil zu führen. Die Geiselnahme auf einem algerischen Gasfeld unmittelabr nach Beginn der Intervention, ein Anschlag auf für den Einsatz in Mali vorgesehene Soldaten in Nigeria und die Entführung einer französischen Familie in Kamerun – alle mit explizitem Verweis auf die französische Intervention – können jedenfalls als Vorzeichen hierfür gesehen werden. Besorgniserregend ist jedoch v.a. auch ein anderer Aspekt: Nigeria etwa, das für den ECOWAS-Einsatz eine zentrale Rolle spielt, führt bereits länger im eigenen Land einen regelrechten Krieg gegen den Terror, für den der Begriff „Staatsterrorismus“ durchaus angebracht erscheint. Als Guido Westerwelle im November vergangenen Jahres Nigeria besucht hatte, um für dessen Beteiligung am längst vorgesehenen Krieg in Mali zu werben, wurden am Tag seines Besuches 48 Menschen, die meisten von ihnen Jugendliche, offenbar summarisch hingerichtet, ohne dass er hieran deutliche Kritik gefunden hätte. Auffallend ist auch, dass es zunächst Niger und Tschad waren, die Truppen an die Seite Frankreichs entsandten, obwohl beide selbst instabil sind. In beiden Staaten sind jedoch französische (und US-amerikanische) Soldaten stationiert, die quasi im Gegenzug Bereitschaft signalisiert haben, im Bedarfsfall auch hier einzugreifen. Ähnliches gilt für die meisten anderen Staaten, die sich an der ECOWAS-Truppe AFISMA beteiligen wollen: Sie erhoffen sich im Gegenzug Toleranz gegenüber ihrem Vorgehen gegen die Opposition, das sie als Terrorabwehr kontextuieren können und auch sporadische Unterstützung durch westliche Truppen. Auf die Wünsche der Bevölkerungen brauchen sie noch weniger einzugehen, denn ihre wesentliche Funktion besteht in der Bereitstellung von Truppen, im Gegenzug erhalten sie internationale Legitimität.
Die Reaktion auf die Probleme der Region besteht somit in einer entgrenzten Aufstandsbekämpfung, in der afrikansiche Truppen und „Sicherheitskräfte“ an vorderster Front agieren, Deutschland und die EU übernehmen den Transport, die Finanzierung (bezeichnender Weise über den Europäischen Entwicklungsfonds), die Ausbildung sowie sporadische Luftschläge und Einsätze von Spezialkräften. Exakt dies (außer den Einsatz von Spezialkräften) umfasst das Mandat für die Beteiligung der Bundeswehr, das am 28. Februar mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen gegen die Stimmen der Linksfraktion beschlossen wurde. Im Rahmen einer EU-Mission sollen 180 deutsche Soldaten im Süden Malis Rekruten ausbilden und sanitätsdienstlich unterstützen, von einem Luftwaffenstützpunkt in Senegal und Bamako aus soll die Bundeswehr Truppen aus den Nachbarstaaten einfliegen und französische Militärjets betanken. Das Mandat für die EU-Mission umfasst auch „das Hoheitsgebiet anderer Staaten in der Region, … zu den Zwecken Vorausstationierung, Zugang, Versorgung sowie Einsatzdurchführung“, das Mandatsgebiet für Lufttransport und Betankung erstreckt sich gleich auf alle „Truppenstellerstaaten der AFISMA sowie etwaige Transit- und Anrainerstaaten“ und damit potentiell auf mehr als ein Drittel des gesamten afrikanischen Kontinents. Bliebe der französische Luftkrieg auf Mali beschränkt, wäre eine Luftbetankung ohnehin nicht erforderlich.