IMI-Standpunkt 2006/039 - in: AUSDRUCK (Juni 2006)

„Den Kopf hinhalten“

Für wen deutsche Soldaten unter anderem an den Congo gehen

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 19. Mai 2006

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Einige Gründe für den EU-Militäreinsatz in der Demokratischen Republik Congo (DRC) liegen auf der Hand. Es geht natürlich darum, in der rohstoffreichen Region einen Fuß in der Tür zu behalten, es geht darum, die europäische Militärkooperation im Feld zu üben und gegenüber dem Rest der Welt Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Nicht zuletzt geht es speziell Deutschland darum, seine Armee und seine Öffentlichkeit auf robustere Einsätze vorzubereiten.

Das scheint auch bitter nötig, denn die Bundeswehr zeigt sich bislang wenig begeistert vom Einsatz in Afrika. Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, kritisierte in einer ganzseitigen Anzeige in der Süddeutschen Zeitung vom 9. Mai die Bundesregierung mit klaren Worten: Löhne für die Soldaten zu kürzen, die „ihren Kopf im Kongo hinhalten“, das würde nicht zusammenpassen. Auch sonst werden Bedenken geäußert, ob die Bundeswehr auf solch einen Einsatz vorbereitet wäre. Immer wieder werden dabei mögliche Konfrontationen mit Kindersoldaten, fehlende Ausrüstung und Impfungen genannt.

Diejenigen, die hingegen ein verstärktes weltweites Engagement der Bundeswehr befürworten, können froh sein, mit früheren Missionen in der DRC (Artemis, EUPOL Kinshasa, EUSEC DRCongo)[1] eine Eigendynamik geschaffen zu haben, die den jetzigen Einsatz trotz aller Bedenken quasi unausweichlich werden ließ. Das militärische Engagement fand wie auch dieses mal auf Anfragen der UN hin statt, die als willkommener Anlass aufgegriffen wurden, die jeweils neuesten Einsatzkonzepte der EU im Feld zu üben und so die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) voranzutreiben. Um jetzt die Wahlen abzusichern und ein eventuelles Aufflammen des Bürgerkriegs zu verhindern, schlug Kofi Annan nun vor, eine sog. Battlegroup zu entsenden, das neueste und bislang robusteste Baby der ESVP.

Allerdings sind die Battlegroups noch nicht so bereit, wie sie sein sollten und zudem ist dieses Mal überhaupt nicht absehbar, welches Szenario sie erwartet, entsprechend auch nicht, worum es bei dem Einsatz überhaupt geht. Denn Frieden in der DRC zu schaffen, das war nie ein realistischer Anspruch hinter den EU-Militärmissionen. Das ist eher der Anspruch der UN-Mission MONUC, die mit 17.000 Soldaten mühsam versucht, im Osten des Landes Milizen zu entwaffnen. Die MONUC aber wird, das hat Annan mehrfach kritisiert, von Deutschland und Frankreich kaum unterstützt. So haben die UN gemerkt, dass es erfolgversprechender ist, der EU eigene Einsätze unter eigener Führung anzubieten.

Der wissenschaftliche Think-Tank des Pentagon, das Defense Science Board, schätzte 2004, dass 1.2 Millionen Soldaten das Land für fünf bis acht Jahre besetzen müssten, um einen nachhaltigen Frieden in der DRC zu etablieren[2] . Und das Pentagon überschätzt die friedensstiftende Wirkung von Militäreinsätzen grundsätzlich. Nun sollen 800 statt 500 Soldaten der Bundeswehr in den Einsatz geschickt werden. Einige Grünen glauben ihrer eigenen Befriedungskriegs-Rhetorik und fordern eine weitere Aufstockung. Als Gesamtzahl europäischer Soldaten steht gegenwärtig die Zahl 1700 im Raum, sie wird sich evtl. noch leicht erhöhen. Hinsichtlich der Aufgaben zeichnet sich folgende Verteilung ab: Geführt wird der Einsatz von Potsdam-Geltow aus, die „modernste militärische Führungsstation in Europa“[3], knapp hundert deutsche Fallschirmjäger sichern den Flughafen in Kinshasa, der Großteil der übrigen deutschen Soldaten wird im benachbarten Gabun stationiert. Es wird sich dabei vor allem um Spezialkräfte und Sanitäter handeln. Auch die EU-Truppen aus den anderen Ländern werden hauptsächlich aus Spezialkräften bestehen, die in benachbarten Staaten bereitstehen. Ihr Einsatzgebiet ist allerdings nicht auf die Hauptstadt beschränkt.

Von der Struktur her also vor allem eine Evakuierungsmission. Einen Bürgerkrieg wird sie nicht verhindern, allenfalls den gegenwärtigen Präsidenten und Warlord Kabila schützen oder ausfliegen können, falls er in Bedrängnis kommt. Evakuierungen werden auch offiziell als Zweck der Mission angegeben, selbst wenn dabei meist von Wahlbeobachtern die Rede ist, die notfalls ausgeflogen werden sollen.

Doch außer ihnen und hohen Politikern sind auch noch weitere Menschen in der DRC aktiv, die evtl. von europäischen Truppen geschützt werden müssen. Eine UN-Expertenkommission über die illegale Plünderung und Ausbeutung der DRC veröffentlichte 2002 eine Liste mit Unternehmen, die im Verdacht stehen, mit ihren Geschäften gegen OECD-Richtlinien zu verstoßen und ein Anhalten des Konfliktes zu befördern.[4] 39 dieser Unternehmen, hauptsächlich Banken, Transportunternehmen und Rohstoffhändler, haben ihren Sitz in einem EU-Staat. Doch nicht nur die Manager böser transnationaler Konzerne, die mit Blutdiamanten oder Blutcoltan handeln, haben in der DRC den ganzen Krieg über gute Geschäfte gemacht.

Während auf den deutschen Minenbetreiber Karl-Heinz Albers in Deutschland eine Anzeige wegen Völkermordes wartet[5] und die Bayer-Tochter HC Starck wegen ihres Coltan-Handels erheblichem öffentlichen Druck ausgesetzt war, erfreut sich beispielsweise Horst Gebbers in Deutschland bester Presse. Der Landwirt wurde vor 34 Jahren vom Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim nach Zaire geholt, um die Chinarindenbäume zu pflegen, aus denen die Firma den gegen Malaria wirksamen Bitterstoff Chinin gewann. Das Unternehmen wurde später von La Roche aufgekauft, und als 1998 die Gewalt im Land wieder zunahm und klar wurde, dass die Menschen in Afrika zu arm sind, um eine große Nachfrage nach Chinin-Präparaten aufrechtzuerhalten, gab das Unternehmen die Plantagen und die Fabrik in Bukavu auf. Gebbers kaufte sie zu einem Spottpreis und produziert heute Presseangaben zu Folge bis zu 40% des Chinins weltweit. Als größter privater Arbeitgeber im Osten der DRC (Gewaltunternehmer vermutlich ausgenommen) beschäftigt er bis zu zweitausend Menschen, und jedes Einkommen, so Gebbers, ernährt hier 30 Menschen.

Im Juli 2005 weihte Gebbers feierlich eine neue Produktionsstätte für Kombi-Präparate gegen AIDS ein. Mit „Afri-Vir“ soll die Behandlung von AIDS-Kranken nur noch 150 Euro im Jahr kosten, mit patentgeschützten Medikamenten hingegen 500. Das deutsche Medikamenten-Hilfswerk „Action Medeor“ unterstützt Gebbers Unternehmen Pharmakina in den nächsten fünf Jahren mit Spendengeldern in Höhe von 124.000 Euro, damit sei die Versorgung von 100 Personen gesichert. Gebbers will mit seinem AIDS Präparat nichts verdienen, nur Gutes tun. Seine Tochter wurde allerdings von „Action Medeor“ als Projektleiterin eingestellt.[6] Gebbers tut oft Gutes. Beispielsweise setzte er sich für Projekte der GTZ und des Malteser Hilfsdienstes im 50 km entfernten Kaziba ein. Dessen König ist ein guter Freund von Gebbers und kann ihm als Senator in Kinshasa so manchen Gefallen tun.[7] Falls solche politischen Kontakte einmal nicht mehr ausreichen sollten, ist auch die MONUC in Sichtweite von Gebbers Villa stationiert. Das reicht bei dem momentanen Konfliktpotential in der Region, um ein einigermaßen sicheres Leben in Wohlstand zwischen Hunger und Elend zu führen. So ist der Bürgerkrieg erträglich, v.a. weil in dessen Wirren auch niemand fragt, ob Herstellung und Verkauf von „Afri-Vir“ legal verlaufen und keine Patentrechte verletzen. Trotzdem ist Gebbers froh, dass die EU jetzt Flagge zeigt. Gegenüber Tagesschau.de[8] meint er: „Das halte ich nicht nur aus humanitären Gründen für wichtig. Es geht auch um die Sicherung von Rohstoffen, die man nicht den Asiaten oder Amerikanern überlassen sollte.“ Außerdem werden die EU-Soldaten ihn und viele andere notfalls rausholen müssen, wenn die Situation nach den Wahlen eskalieren sollte.

[1] Zu den früheren Missionen: Christoph Marischka: „Artemis am Congo – Was hatte die europäische Jagdgöttin in Afrika zu suchen?“, IMI-Studie 2005/04, https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie2005-04CM-Artemis.pdf
[2] Justin Logan and Christopher Preble: Failed States and Flawed Logic- The Case against a Standing Nation- Building Office, http://www.cato.org/pubs/pas/pa560.pdf
[3] Generalmajor Rainer Glatz, nach: Mittelbayrische vom 18.05.2006
[4] UN S/2002/1146: Final report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, http://www.un.dk/doc/S20021146.pdf
[5] Dominic Johnson: Deutsch-Österreichischer Bergbaukrieg im Kongo, in: taz vom 16.2.2004
[6] Peter-Philipp Schmitt: Zwei Pillen für Kongo, in: F.A.Z. vom 21.07.2005
[7] Johannes Dieterich: Der Patriot, in: brand eins 5/2005
[8] „30 Menschen leben von einem Einkommen“- Interview mit einem deutschen Unternehmer in Kongo, tagesschau.de (17.05.2006)