[0673] Texte: Deutsche Truppen in die Ukraine / Perspektiven Gaza / Militärpolitik nach der Wahl
von: 18. Februar 2025
Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0673 – 28. Jahrgang
Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1.) Hinweise auf neue Artikel zum brüchigen Waffenstillstand in Gaza, eine Einschätzung zur Militärpolitik nach der Wahl, zu Plänen für eine Nukleare Zeitenwende der NATO…;
2.) ein Artikel zu den Plänen für (deutsche) Truppen in der Ukraine.
1.) Neue Artikel auf der IMI-Internetseite
IMI-Standpunkt 2025/009
„Europa“ am „Katzentisch“ – und mit Truppen in der Ukraine?
https://www.imi-online.de/2025/02/18/europa-am-katzentisch-und-mit-truppen-in-der-ukraine/
Bernhard Klaus (18. Februar 2025)
IMI-Analyse 2025/02
Brüchiger Waffenstillstand in Gaza – gibt es Hoffnung?
https://www.imi-online.de/2025/02/14/bruechiger-waffenstillstand-in-gaza-gibt-es-hoffnung/
Pablo Flock (14. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/009
Kursverschärfung: Militarisierung nach der Wahl
https://www.imi-online.de/2025/02/18/kursverschaerfung-militarisierung-nach-der-wahl/
Andreas Seifert und Jürgen Wagner (18. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/008
Waffen und Wachstum?
Institut für Weltwirtschaft rechnet sich die wirtschaftlichen Segnungen von Rüstungsausgaben hin
https://www.imi-online.de/2025/02/16/waffen-und-wachstum/
Jürgen Wagner (16. Februar 2025)
IMI-Standpunkt 2025/007
NATO: Nukleare Zeitenwende?
Rezepte aus der DGAP-Giftküche für ein verschärftes atomares Wettrüsten
https://www.imi-online.de/2025/02/10/nato-nukleare-zeitwende/
Jürgen Wagner (10. Februar 2025)
Dokumentation: GEW Bayern Pressemitteilung 05/2025
Hunderte klagen gegen Verbot von Zivilklauseln an Hochschulen und gegen Bundeswehr im Klassenzimmer
https://www.imi-online.de/2025/02/07/hunderte-klagen-gegen-verbot-von-zivilklauseln-an-hochschulen-und-gegen-bundeswehr-im-klassenzimmer/
(7. Februar 2025)
2.) Artikel: Deutsche Truppen in die Ukraine
IMI-Standpunkt 2025/009
„Europa“ am „Katzentisch“ – und mit Truppen in der Ukraine?
https://www.imi-online.de/2025/02/18/europa-am-katzentisch-und-mit-truppen-in-der-ukraine/
Bernhard Klaus (18. Februar 2025)
Viel ist dieser Tage von „Europa“ die Rede. Insbesondere das außenpolitische Establishment Deutschlands und die politische Führung der baltischen Staaten scheinen angesichts der anlaufenden Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine geradezu in Panik zu verfallen. Vertreterinnen von Regierung und Opposition sowie zahlreiche Kommentatorinnen der Leitmedien verwenden einhellig die Vokabel des „Katzentisches“, um die sich abzeichnende Rolle „Europas“ in den anstehenden Verhandlungen zu charakterisieren. Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen verweist in diesem Zusammenhang auf die 135 Mrd. Euro, welche die EU der Ukraine an zivilen und militärischen Hilfen bereitgestellt habe. Ziel sei ein „gerechter und nachhaltiger Frieden“ und jede Lösung müsse „die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine respektieren und durch starke Sicherheitsgarantien abgesichert werden“, so eine Mitteilung der EU-Kommission zum Treffen der EU-Kommissionspräsidentin mit dem US-Sondergesandten für die Ukraine am 18. Februar 2025. Dabei habe Von der Leyen auch angekündigt, dass die EU bereit sei, künftig noch mehr militärische Hilfe anzubieten sowie die Rüstungsproduktion und „Verteidigungsausgaben“ weiter zu erhöhen. Ganz ähnlich drückte sich am selben Tag die noch amtierende deutsche Außenministerin Baerbock aus: „Unser wichtigstes Interesse“ sei „ein dauerhafter Frieden und kein Scheinfrieden“. Deshalb solle man das erste Treffen zwischen Vertreterinnen der USA und Russlands in Riad „nicht überbewerten“. Auch Scholz sprach sich angesichts der anlaufenden Verhandlungen gegen einen „Diktatfrieden“ aus – ein Begriff, der z.B. im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg oder dem Libanon von deutschen Regierungsvertreterinnen nicht zu hören war. Auch das IFSH (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg) greift den Begriff des „Diktatfriedens“ in einer eiligen „Kurzanalyse“ auf und behauptet: „Die Forschung über Motive russischer Sicherheitspolitik deutet darauf hin, dass ein Interessenausgleich, der Russlands territorialen Revisionismus beendet, mit diesem Kreml nicht möglich ist“. Sie fordert völlig offen: „Die deutsche Unterstützung der Ukraine sollte Teil einer Strategie gegen Russland sein […]“.
Diskreditierung der Verhandlungen
Es ist völlig offensichtlich: Deutsche und EUropäische Eliten fürchten einen Waffenstillstand oder gar Friedensschluss in der Ukraine, zu dem selbst die ukrainische Führung mittlerweile – angesichts der Entwicklungen an der Front und der Position der neuen Regierung in den USA – offensichtlich unter großen Zugeständnissen bereit ist. Sie fordern von der Ukraine – und konkret geht es da um ukrainische Wehrpflichtige – weiterzukämpfen und stellen dafür mehr und weitere Hilfen in Aussicht. Diese werden jedoch nicht ausreichen, um die angestrebten – und völkerrechtlich durchaus legitimen – Maximalziele (territoriale Integrität, also z.B. die Rückeroberung der Krim) zu erreichen. Selbst zusammen mit den umfangreichen US-Militärhilfen, die Biden gegen Ende seiner Amtszeit noch auf den Weg gebracht hat, war es in den letzten Monaten ganz offensichtlich nicht möglich, das Blatt in der Ukraine zu wenden. Den ukrainischen Streitkräften gehen schlicht die Rekruten aus, an der Front wie im Hinterland macht sich Kriegsmüdigkeit breit, auch weil man dort weiß, dass der Krieg verloren ist. Selbst die ukrainische Führung scheint dies mittlerweile so zu sehen und ihr scheint auch bewusst zu sein, dass „Europa“ hieran nichts wird ändern können. Entsprechend sind auch aus Kiew wenige Bemühungen erkennbar, „Europa“ oder der EU mehr als einen „Katzentisch“ bei den Verhandlungen einzuräumen – wenn überhaupt. Beim „Treffen in Paris“, zu dem der französische Präsident Macron am Tag vor dem Treffen in Riad eingeladen hatte, war Selenskyj nicht – wie sonst so oft bei vergleichbaren Terminen in den letzten drei Jahren – persönlich anwesend oder per Video zugeschaltet. Es hatte lediglich vorab ein Telefonat zwischen ihm und Macron gegeben, in dem es wohl vorrangig um „Sicherheitsgarantien“ gegangen wäre – was zumindest im hiesigen Diskurs mit der Stationierung „europäischer“ Truppen nach einem wie auch immer gearteten Waffenstillstand oder Friedensschluss gleichgesetzt wird.
„Gemeinsam gegen den Alleingang“ titelte Tagesschau.de seinen Beitrag über das Treffen in Paris und fuhr fort: „Quasi im Alleingang bereiten die USA Ukraine-Verhandlungen vor. Europäer sehen sie dabei nicht am Tisch – außer der Ukraine selbst.“ Verhandlungen werden als „Alleingang“ negativ konnotiert, ein Waffenstillstand im Vornherein diskreditiert, weil Europa nicht an seiner Aushandlung beteiligt ist.
Europäische „Friedenstruppen“?
Während also deutsche Spitzenpolitiker*innen einen „Scheinfrieden“ oder „Diktatfrieden“ ablehnen und „die Ukraine“ ungehört zum weiterkämpfen animieren wollen, ist ihnen längst klar, dass es zu etwas in dieser Art kommen wird. Und während sie sich an den „Katzentisch“ verbannt sehen, diskutieren sie bereits, wie sie das Ergebnis „absichern“ können – und meinen damit Truppen in der Ukraine.
Die schwedische und die britische Regierung haben bereits mit markigen Worten angekündigt, sich an einer solchen „Friedenstruppe“ zu beteiligen, auch das deutsche Verteidigungsministerium ließ (obwohl es die Debatte darüber führt, indem es sie als „verfrüht“ zurückweist) durchsickern, mit entsprechenden Planungen begonnen zu haben. Der Umfang einer solchen Truppe wird spätestens seit 21. Januar 2025 heiß diskutiert, nachdem der ukrainische Präsident auf in Davos meinte, die „Europäer“ sollten für eine solche mindesten 200.000 Kräfte bereitstellen. Verschiedene deutsche Medien zitieren „Militärexperten“, wonach etwa 150.000 nötig seien, „um einen Waffenstillstand entlang der rund 900 Kilometer langen Frontlinie effektiv absichern zu können“ (z.B. Der Tagesspiegel vom 18.02.2025). Darin stecken bereits verschiedene Annahmen und Suggestionen. Neben der häufig bemühten Vokabel „Friedenstruppen“ u.a. diejenige, dass es sich um Kräfte handeln werde, die eine „Frontlinie … absichern“ sollen. Eine andere Suggestion, die zumindest viele Leitmedien verbreiten, besteht darin, dass diese Truppe vollständig oder zu großen Teilen aus „Europa“ stammen sollten.
Jene Akteure, die einen solchen Waffenstillstand (oder gar Friedensschluss) explizit ablehnen („Scheinfrieden“), bereiten sich demnach darauf vor, Truppen an die „Frontlinie“ zu entsenden, um diese „abzusichern“. Das ist kein nachhaltiges Konzept, sondern genau das, was man Russland gerne als wahre Absicht hinter einem „Einfrieren der Front“ unterstellt: Zeit zu gewinnen, um seine Truppen zu verstärken und bei nächster Gelegenheit die Front weiter zu verschieben. Das wäre außerdem ein Rezept für ein massives und anhaltendes Wettrüsten beider (und weiterer) Parteien. Entsprechend wird in seriöseren Beiträgen durchaus angemerkt und spekuliert, dass auch Truppen aus weiteren Staaten – hier werden u.a. China, Indien und der „globale Süden“ insgesamt genannt – beteiligt sein müssten.
Wünschenswert wäre natürlich ein Waffenstillstand oder Frieden, der für beide Seiten so viele Vorteile bietet, dass er nicht einmal überwacht werden müsste. Undenkbar sollte auch das nicht sein! Für eine „Absicherung“ eines Waffenstillstandes sollten Truppen aus der NATO und anderen Ländern, welche die Ukraine über Jahre zum Weiterführen eines verlorenen Krieges angehalten haben, tabu sein. Ganz sicher nicht hilfreich wären Truppen aus einem Deutschland, dessen Außenministerin Europa „im Krieg“ mit Russland sah und Russland erklärtermaßen „ruinieren“ wollte – und vermutlich weiter will. Allenfalls für eine Überwachung eines Waffenstillstandes wären Truppen der Verbündeten beider Parteien unter Umständen sinnvoll – allerdings nur in kleinen Kontingenten mit reinen Überwachungsaufgaben. Darüber redet aktuell allerdings kaum jemand.
„Europas“ Arroganz und Strategielosigkeit
Die weit fortgeschrittenen Diskussionen über einen Beitrag „Europas“ zu einer Friedenstruppe in der Ukraine sind primär ein Versuch, doch noch eine Rolle in den anstehenden Verhandlungen einzunehmen – und sei es nur am Katzentisch. Dass dieser Beitrag mehr noch von den Leitmedien als der Politik selbst suggestiv aufgebauscht wird, mag Ausdruck eines verletzten Stolzes („Katzentisch“) und eine Art nachträgliche Rechtfertigung dafür sein, dass man Milliarden in einen Krieg gesteckt und diesen mit Propaganda befeuert hat, der neben hunderttausenden Toten und viel Leid nicht das erwünschte Ergebnis gebracht hat. Bedauernswerter Weise ist es nicht unrealistisch, dass gerade auch Trump dazu beitragen könnte, dass ein solcher schlechter Deal mit größeren europäischen Kontingenten zustande kommt: Ein dauerhafter und ruinösen Rüstungswettlauf einer überforderten EU an deren östlicher Grenze käme ihm vielleicht durchaus zupass – ebenso wie die damit verbundenen, weiteren Verwerfungen in einem zunehmend autoritär regierten Europa in latentem Kriegszustand.
Seinen Platz am „Katzentisch“ der Verhandlungen hat sich „Europa“ wahrlich verdient bzw. nicht einmal diesen. Über drei Jahre hat es im transatlantischen Verbund mit Maximalzielen einen Krieg befeuert und Verhandlungen eine Absage erteilt. Eine Rückeroberung der Krim z.B. beziehungsweise ein vollständiger Sieg gegen das flächengrößte Land der Erde im direkten Nachbarstaat war nie besonders realistisch. Ein Kurswechsel der USA war früher oder später absehbar (geradezu terminiert) und hätte zumindest einkalkuliert werden müssen. Und dennoch gab es keine Strategie jenseits der Proklamation von Maximalzielen im Schatten des mächtigen „Verbündeten“ USA – die primär ihre eigenen Ziele verfolgte. Man hätte aus Afghanistan lernen können, wo man ebenso mit völlig überzogenen Zielen in einen aussichtslosen Krieg zog und gedemütigt abziehen musste, als die USA irgendwann ihre Niederlage einsahen. Es waren die selben Expert*innen, die damals von Demokratie, Frauenrechten, „Verantwortung“ und der Rolle Europas fabulierten und später vom Völkerrecht und der „Solidarität mit der Ukraine“.
Die „Verantwortung“ Deutschlands gegenüber Afghanistan drückt sich heute in einem Überbietungswettbewerb darüber aus, mit Abschiebungen ins Talibanregime Symbolpolitik zu betreiben. Die „Solidarität mit der Ukraine“ besteht aktuell darin, mit Begriffen wie „Diktatfrieden“ ein geschundenes Land und eine kriegsmüde Bevölkerung zum Weiterkämpfen zu animieren und einen möglichen Waffenstillstand von Vornherein zu diskreditieren – weil man nicht mitreden darf und keinen Plan B hat.
PS: Beispiel Tübingen
Wissenschaft und Zivilgesellschaft spielen auch dieses Mal wieder mit – z.B. auch in Tübingen. Heute (18.2.2025) wurde über den Email-Verteiler des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Tübingen der Aufruf zu einer Kundgebung am Jahrestag des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine verschickt, unterstützt von den Jugendorganisationen der Grünen, der FDP, der CDU und der SPD:
„Kundgebung: Solidarität mit der Ukraine. Zum dritten Mal jährt sich der Kriegsbeginn in der Ukraine und ein baldiges Ende scheint noch immer nicht in Sicht. Seit drei Jahren leben Ukrainer:innen einen Alltag im Krieges. Gleichzeitig steht die Ukraine-Unterstützung der USA und der europäischen Staaten auf wackeligen Beinen.“
Wie gesagt: „Die deutsche Unterstützung der Ukraine sollte Teil einer Strategie gegen Russland sein“ (IFSH): „Allerdings wird Aufrüstung sehr teuer.“ Angesichts „einer existentiellen Notlage“ sei es jedoch „gerechtfertigt […], auch die nächste Generation finanziell zu belasten.“