IMI-Standpunkt 2025/006

Donald Trump und die US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 22. Januar 2025

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Mit seinem Amtsantritt als US-Präsident hat Donald Trump auch die Funktion als Oberkommandierender der US-Streitkräfte übernommen. Falls wie geplant US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland stationiert werden, wäre er es, der über ihren Einsatz entscheiden würde. Ein solcher Einsatz könnte sehr schnell in einen atomar ausgetragenen Dritten Weltkrieg münden. Irgendwie passt es nicht so recht zusammen, dass Trump hierzulande als Gefahr nicht nur für die Demokratie sondern auch die internationale Stabilität gehandelt und zugleich an der Entscheidung festgehalten wird, die USA Angriffswaffen in Deutschland stationieren zu lassen.

Vor der US-Wahl

Nehmen wir als Beispiel den gerne als „Militärexperten“ interviewten Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München. Dessen Meinung zu Trump gab er erst kürzlich u.a. gegenüber der Heilbronner Stimme zum Besten: „Wahrscheinlich kann er Grönland nicht mal auf einer Weltkarte zeigen, geschweige denn geopolitische Zusammenhänge verstehen“. (Heilbronner Stimme vom 11.01.2025, Seite 3) Trotzdem befürwortet Sauer die Stationierung der US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Vor der Wahl versuchte er gar (wie mehrfach auch z.B. CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter), die Stationierungsentscheidung mit dessen bevorstehender Wahl zu rechtfertigen: „[D]ie Stationierung dieser Raketen ist erstmal ein notwendiges Signal an den Kreml, weil es angesichts des russischen Angriffskriegs Entschlossenheit und transatlantische Geschlossenheit signalisiert – bevor Donald Trump demnächst zum US-Präsidenten gewählt wird.“ (Darmstädter Echo vom 19.07.2024, Seite 3) Sehr ähnlich äußerte er sich gegenüber chrismon.de: „Die Ankündigung jetzt soll im Lichte des Krieges gegen die Ukraine aber natürlich auch ein Signal der Entschlossenheit an den Kreml senden. Und auf beiden Seiten des Atlantiks Fakten schaffen, bevor möglicherweise Donald Trump Präsident ist“. Die IMI wies damals bereits darauf hin, dieses „häufig genannte Argument“ sei „seltsam angesichts der Tatsache, dass nach einer möglichen Wahl Trumps eben dieser über die US-Waffensysteme auf deutschem Boden verfügen würde“.

U.a. die Stuttgarter Zeitung machte sich das fragwürdige Argument trotzdem zu eigen und begründete damit den Zeitpunkt der Entscheidung: „Ein weiterer Grund dürfte sein, dass der scheidende Präsidenten Joe Biden ein Zeichen der Unterstützung an die europäischen Verbündeten senden will. Denn im Falle eines Wahlsiegs des Republikaners Donald Trump im November wird damit gerechnet, dass dieser weniger in den Schutz der Nato-Partner investieren wird.“ Sie fügte allerdings hinzu „Allerdings ist die Stationierung der US-Raketen in Deutschland erst für 2026 geplant. Trump hätte also die Möglichkeit, die Entscheidung zu revidieren.“ (Stuttgarter Nachrichten Stadtausgabe, 01.08.2024, S. 2) Laut taz werde gar „damit gerechnet, dass Donald Trump, falls er die Präsidentschaftswahl Anfang November gewinnt, die Zusage der USA zur Stationierung widerrufen und damit den Schutz Europas reduzieren würde.“

ZDF Heute hatte unmittelbar nach der Bekanntgabe der Stationierung in Aussicht gestellt, „[d]ie Entscheidung könnte […] rückgängig gemacht werden, falls der Republikaner Donald Trump die US-Wahl gewinnt.“ Auch in diesem Falle war damit gemeint, dass die Entscheidung durch die US-amerikanische Seite revidiert werden könnte. Dass die Stationierung im Falle eines Wahlsiegs Trumps hingegen von deutscher Seite aufgehoben werden könnte, wurde so gut wie nicht diskutiert und eine entsprechende Debatte fand trotz des erheblichen Misstrauens gegenüber dem Trump in der hiesigen Politik- und Medienlandschaft nicht statt. Warum eigentlich nicht?

Implizites Framing als „Schutz“ und „Sicherheit“

Von Regierungsseite und jener Opposition, die bald die Regierung übernehmen will, wird jedenfalls erwartet und gehofft, dass Trump an der Stationierung festhält: Welt.de schrieb bereits am Tag nach der Bekanntgabe: „Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) rechnet damit, dass die USA auch unter einem möglichen US-Präsidenten Donald Trump an der Stationierung der Waffen festhalten.“ Der bayrische Rundfunk meldete am selben Tag: „Von hochrangigen Regierungsvertretern ist zu hören, dass die Entscheidung Bestand haben werde – unabhängig davon, wie die Präsidentschaftswahl in den USA ausgeht.“ Zeit online titelte im November 2024 „Scholz erwartet auch nach Trumps Wahlsieg Raketenstationierung“.

Fraglich ist, warum Trump die grundsätzliche Entscheidung überhaupt rückgängig machen sollte. Sie eröffnet ihm Spielräume – ob, wann und wie die Stationierung tatsächlich erfolgt, kann er dann immer noch entscheiden. Die vermutlich realistischste Einschätzung hierzu lieferte der Politologe Ulrich Menzel in der FR: „Entweder [Trump] kündigt das Abkommen oder er sagt, o.k., wir Amerikaner liefern die Waffensysteme und verteidigen euch weiter, aber ihr müsst das bezahlen […] Die Amerikaner behalten zwar die Befehlsgewalt über die gelieferten Raketen, aber wir müssen sie bezahlen, weil es ja um unsere Sicherheit geht.“ (Frankfurter Rundschau vom 12.08.2024, Seite 2) Insofern hätte die Entscheidung von Scholz der kommenden Regierung ein kostspieliges Erbe hinterlassen – zumindest so lange, wie die Stationierung US-amerikanischer Angriffswaffen in Deutschland als wünschenswert oder gar notwendig diskutiert wird.

Dieser Rückblick auf die Berichterstattung offenbart einerseits, dass die zukünftige Verfügungsgewalt Trumps über die in Deutschland stationierten Mittelstreckenwaffen zwar durchaus ein Thema war, aber nur dahingehend problematisiert wurde, dass dieser den Stationierungsbeschluss rückgängig machen könnte, teilweise wurde das gar als wahrscheinlich dargestellt. Obwohl es sich vermeintlich um eine gemeinsame Entscheidung der deutschen und US-amerikanischen Exekutiven handelt, wurde andersherum nicht diskutiert, sie von deutscher Seite aus rückgängig zu machen. Warum eigentlich nicht? Es zeigt sich hier eher subtil das grundsätzliche Framing der Leitmedien um die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen – gegen Russland gerichtete Angriffswaffen – wonach diese wünschenswert wäre. Sie bedeutet demnach „Schutz“, „Sicherheit“, eine „Rückversicherung“, die uns der „gute“ Biden garantieren und der „böse“ Trump ggf. verweigern will. Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland scheint das anders zu sehen als die Leitmedien.

„Mehr Sicherheit“, aber keine Konsequenzen?

Um dieses Framing und die darin mitschwingende Verharmlosung zu veranschaulichen, sei noch einmal auf das Beispiel Frank Sauer zurückzukommen. Angesprochen auf die mögliche Gefährdung der Zivilbevölkerung in Deutschland hat er sich zu der Aussage hinreißen lassen: „Da ist also ein Sattelschlepper mit einem Container drauf, und in dem Container ist das Startsystem für den Marschflugkörper und für die Raketen. Das heißt im Grunde, sie haben halt ein paar mehr Lkw herumstehen. Die Amerikaner werden [die Raketenwerfer] Typhon sicher nicht in der Wiesbadener Innenstadt parken. Und andere unmittelbare Konsequenzen sehe ich auch nicht.“ (Darmstädter Echo, a.a.o.) Das ist schon eine ziemlich derbe Verharmlosung!

Zwar ist tatsächlich unwahrscheinlich, dass die mobilen Abschussrampen tatsächlich in der Wiesbadener Innenstadt geparkt werden, ihre Mobilität wird jedoch von Sauer an anderer Stelle explizit als militärischer Vorteil gelobt: Demnach seien diese „’überall dorthin verlegbar […], wo man mit vier bis fünf Sattelschleppern und einigen Jeeps als Begleitfahrzeugen hinfahren kann‘. Somit kämen natürlich auch andere US-Stützpunkte in Deutschland und Europa infrage als Wiesbaden, Ramstein oder Spangdahlem. Die Waffensysteme könnten auch ‚irgendwo auf freier Fläche operieren‘, sagte Sauer im Gespräch mit dem ‚Trierischen Volksfreund‘ . ‚Dass es nicht ortsgebunden und somit für Gegner schwerer aufzuklären und zu bekämpfen ist, darin liegt militärisch gesehen einer der Vorteile des Systems’“. (Rhein-Zeitung vom 09.09.2024, Seite 3)

Unmittelbare Konsequenzen der Mittelstreckenwaffen in Deutschland sieht Sauer nicht, behauptet aber an anderer Stelle entschieden: „Sie sorgen für mehr Sicherheit“ (DIE ZEIT vom 10.10.2024, Nr. 43, S. 11). Im gleichen Beitrag deutet er letztlich – hier allerdings als „Abschreckung“ eingeordnet – durchaus den offensiven Charakter der betreffenden Waffen an: „Der Einsatz von Kampfflugzeugen ist immer mit Risiken verbunden, vor allem wenn der Gegner wie im Falle Russlands über Flugabwehrfähigkeiten verfügt. Durch die Mittelstreckenraketen würde man den Luftstreitkräften den Weg freischießen, wenn ich das einmal so salopp formulieren darf.“

Angriffsziele in Deutschland und internationale Dynamik

Als Gegenposition zur vorherrschenden Verharmlosung der Stationierungsentscheidung – gerade auch vor dem Hintergrund der Amtsübernahme von Donald Trump – sei hier nicht auf Positionen der Friedensbewegung oder auch nur der SPD-Linken verwiesen, sondern auf einen Beitrag zweier Autoren des IFSH (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik) in der durchaus renommierten Zeitschrift Internationale Politik (IP) unter dem Titel „Deutschland im dritten Nuklearzeitalter“. Darin werden einleitend „drei Merkmale“ angesprochen, aufgrund derer sich die aktuelle Situation „von der Ära nach dem Ende des Kalten Krieges abhebt“ – und offensichtlich noch (deutlich) gefährlicher ist (so zumindest die Interpretation des Autors, CM). Klipp und klar wird darin festgestellt:

„Für Deutschland sind Raketen im Mittelstreckenbereich von besonderer Bedeutung, da Russland als potenzieller militärischer Gegner in ihrer Reichweite liegt. Ferner befinden sich in Deutschland wichtige logistische Zentren und Kommandostrukturen der NATO, die im Falle eines Krieges mit Russland Angriffsziele wären […] Konventionelle Mittelstreckenraketen in Deutschland und Kurzstreckenraketen in ost- und nordeuropäischen Staaten sind nicht nur für konventionelle Zwecke relevant. Sie sind auch in der Lage, große Teile der russischen strategischen Nuklearwaffen, Frühwarnsysteme, Kontrollstrukturen und die politische Führung zu erreichen, auch wenn dies nicht ihr vordergründiges Ziel ist. Damit können sie zur Kriseninstabilität beitragen und nuklearen Aufrüstungsdruck erzeugen.“

Diese Waffen, die zukünftig in Deutschland stationiert werden sollen, unterstehen dann der Befehlsgewalt von Donald Trump. Dies ist nicht Thema des Beitrages in der IP, der im Kern die Gefahr einer globalen Dynamik und Aufrüstungsspirale, auch durch veränderte Nukleardoktrinen und eine Delegation der „[atomaren] Befehlskette 
an niedrigere Kommandoebenen“ anspricht und in diesem Kontext durchaus eine „Verschärfung“ im Zuge einer zweiten Trump-Administration befürchtet. Gegen Ende schreiben die Autoren: „Auch haben deutsche Entscheidungen – sei es im Hinblick auf die USA, China oder Russland – Folgen für Europa und darüber hinaus. Umso mehr muss sich die deutsche außenpolitische Debatte an einigen Grundsätzen orientieren“.

Welche Grundsätze sollten das sein, wenn nicht die Übernahme der Befehlsgewalt durch einen US-Präsidenten, der am ersten Tag seiner Amtszeit den Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und der WHO beschlossen und in seiner Antrittsrede die Aneignung Grönlands und des Panamakanals ankündigt hat, dazu führt, die Entscheidung zur Stationierung von Angriffswaffen unter seiner Kontrolle in Deutschland zu revidieren, zumindest [auch im Wahlkampf] zu diskutieren?