IMI-Analyse 2022/57

Frieden schaffen mit deutschen Waffen!

Der Entwurf für ein Rüstungsexportgesetz enttäuscht auf ganzer Linie

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 9. November 2022

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Bei der Entwicklung der deutschen Rüstungsexportzahlen handelt es sich leider um eine regelrechte „Erfolgsgeschichte“: Wurden im Jahr 2004 noch Exporte im Wert von 3,80 Mrd. Euro bewilligt, erreichte dieser Wert 2021 mit 9,35 Mrd. Euro einen bisherigen Höchststand.[1] Allein im ersten Halbjahr 2022 wurden dann Exportgenehmigungen im Wert von 4,14 Mrd. Euro erteilt, eine deutliche Steigerung zum Vorjahreszeitraum (2,3 Milliarden).[2] Der Grund hierfür liegt vor allem in laxen Rüstungsexportvorschriften, was allerdings politisch gewollt ist, denn schließlich handelt es sich bei dem Erhalt einer starken rüstungsindustriellen Basis – für den Exporte wiederum zwingend notwendig sind – erklärtermaßen um ein machtpolitisches Interesse allererster Güte.[3]

Allein deshalb war bereits Skepsis angesagt, als die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hatte, sich für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz einsetzen zu wollen.[4] Unter der Ägide des ehemaligen Attac-Aktivisten und heutigen Staatssekretärs im Bundeswirtschaftsministerium, Sven Giegold, wird nun schon seit einiger Zeit an einem solchen Gesetz gewerkelt. Mitte Oktober 2022 veröffentlichte das Ministerium dann den Entwurf „Eckpunkte für das Rüstungsexportkontrollgesetz“, der nach eigenem Bekunden den Weg für eine „restriktive Rüstungsexportpolitik“ und eine „stärkere Verbindlichkeit“ künftiger Rüstungsexportentscheidungen ebnen soll.[5]

Tatsächlich lässt der Entwurf zahlreiche Schlupflöcher augenscheinlich bewusst offen und macht sogar eine ganze Reihe neuer Exportoptionen auf. Faktisch handelt es sich damit sogar um einen Rückschritt gegenüber den bestehenden Rüstungsexportrichtlinien, die an entscheidenden Stellen noch weiter aufgeweicht werden. Dies gilt insbesondere für Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete sowie für die Regeln für den Export länderübergreifender europäischer Rüstungsvorhaben. Und dort, wo man dem Gesetzentwurf womöglich etwas Positives abgewinnen könnte, ist er hinreichend vage formuliert, um sich auch künftig alle Optionen offenzuhalten – möglich ist dies auch, weil auf die Aufnahme eines Verbandsklagerechts verzichtet wurde, mit dem Vereine oder Verbände eine Klagebefugnis für die Rechte der Allgemeinheit erhalten hätten: „Das Fehlen eines Verbandsklagerechtes bedeutet, dass es weiterhin keine direkte Rechenschaftspflicht der Bundesregierung gegenüber ihren eigenen Bürgerinnen, Bürgern und den Betroffenen von Rüstungsexporten gibt. Hier sollten Ministerium und Bundesregierung dringend nachbessern“, fordert etwa Dr. Markus Bayer vom Friedensforschungsinstitut BICC.[6]

So zutreffend diese Kritik auch ist, dürften allerdings Appelle, dieses „Versäumnis“ in den nun anstehenden Verhandlungen um das Gesetz zu beheben, weitgehend wirkungslos verhallen. Die mit Rüstungsexporten eng verflochtenen machtpolitischen Begehrlichkeiten dürften für ein Land, das inzwischen immer lauter auch militärische Führungsansprüche geltend macht, klar Vorrang gegenüber dem recht begrenzten Interesse an einer restriktiven Exportpraxis haben.

Bahn frei für Exporte in Kriegsgebiete

Die deutschen Rüstungsexportrichtlinien sind genau das: unverbindliche Richtlinien, wie seit Jahren zu Recht beklagt wird. Dass ihr Pendant auf EU-Ebene, der „Gemeinsame Standpunkt für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern“, eigentlich rechtlich bindend ist, macht es leider auch nicht besser, weil die Auslegung der darin enthaltenen Kriterien den Staaten überlassen wird. Außerdem existieren faktisch keine Klage- oder Sanktionsmöglichkeiten gegen Länder, die die Kriterien brechen. Insofern ist die Ausarbeitung eines deutschen Rüstungsexportgesetzes grundsätzlich zu begrüßen.

Allerdings kündigt der nun vorgelegte Entwurf als „Kernelement des Rüstungsexportkontrollgesetzes“ die Ausarbeitung eines Kriterienkatalogs an, der „auf den für die EU-Mitgliedstaaten rechtsverbindlichen europäischen Vorgaben der acht Kriterien des Gemeinsamen Standpunktes 2008/944/GASP“ basieren soll (Eckpunkte: S. 1). Leider räumt der Entwurf nahezu im selben Atemzug eines der zentralsten dieser Kriterien ab, das bislang stets als Verbot interpretiert wurde, Waffen in Krisen- oder Kriegsgebiete zu schicken. Im Gemeinsamen Standpunkt heißt es dazu: „Die Mitgliedstaaten verweigern eine Ausfuhrgenehmigung für Militärtechnologie oder Militärgüter, die im Endbestimmungsland bewaffnete Konflikte auslösen bzw. verlängern würden oder bestehende Spannungen oder Konflikte verschärfen würden.“[7] Auch in den überarbeiteten deutschen Exportrichtlinien aus dem Jahr 2019 hieß es explizit, Einwände seien zu erheben für „Exporte in Länder, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“.[8]

Seit Kriegsbeginn hat Deutschland aber laut dem Ukraine Support Tracker Waffen im Wert von 1,2 Mrd. Euro an die Ukraine bewilligt oder geliefert.[9] Angesichts dieser Praxis war es keine große Überraschung, dass der Gesetzesentwurf versuchen würde, diesem Handeln einen legalen Anstrich zu verpassen. Nun ist es sicher so, dass die Passagen über Exporte in Krisen- und Kriegsgebiete in den deutschen und europäischen Dokumenten mit einer gewissen Phantasie auch ausgelegt werden könnten, als stünden sie zum Beispiel im Einklang mit Waffenlieferungen an die Ukraine. Wie erwähnt wurden sie aber bislang mehrheitlich dahingehend interpretiert, dass keine Waffen in Krisen- oder gar Kriegsgebiete geschickt werden dürfen. Und auch wenn dies seitens der Bundesregierung immer wieder ignoriert wurde, erschwerte diese Konstellation bislang Waffenausfuhren in zahlreiche Länder – zuletzt zum Beispiel an diejenigen, die am Krieg im Jemen beteiligt sind – ganz erheblich.

Hier will der Gesetzesentwurf in Anlehnung an die in der Ukraine beobachtbare Praxis eine grundsätzliche Kehrtwende einleiten: „Es soll ausdrücklich die Möglichkeit festgeschrieben werden, Länder, die sich in Konflikten befinden oder bei denen ein Ausbruch eines Konfliktes konkret zu befürchten ist, im Einklang mit den der deutschen Außenpolitik zugrunde liegenden Werten und den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und geltendem Völkerrecht in ihren legitimen Interessen, insbesondere dem Recht auf Selbstverteidigung, zu unterstützen. Dabei berücksichtigt die Bundesregierung die Lage und Positionierung der Bundesrepublik in Bezug auf den Konflikt, bestehende Bündnisverpflichtungen und Sicherheitspartnerschaften, anderweitige außen- und sicherheitspolitische Belange sowie das Vorliegen einer völkerrechtswidrigen Androhung oder Anwendung von Gewalt gegenüber dem Empfängerstaat.“ (Eckpunkte: S. 4)

Blankoscheck für EU-Projekte?

Weiter hält der Gesetzesentwurf fest, Exporte in sogenannte Drittstaaten – Mitglieder von NATO, EU oder ihnen gleichgestellte Länder – würden „grundsätzlich nicht beschränkt.“ Ferner soll der Klub dieser privilegierten Empfänger erweitert werden: „Der Länderkreis der NATO-gleichgestellten Länder soll um die Länder Republik Korea, Singapur, Chile und Uruguay erweitert werden.“ (Eckpunkte: S. 3)

Besonders bevorzugt sollen künftig länderübergreifende europäische Rüstungsprojekte behandelt werden. Denn um auf dem Weltmarkt „erfolgreich“ um Anteile ringen zu können, werde große Stückzahlen für erforderlich erachtet, die sich mit rein nationalen Rüstungsprojekten nicht realisieren lassen: „Wenn wir weiter auf nationaler Basis oder mit einer kleinen Zahl von teilnehmenden Ländern arbeiten, werden wir in Europa bei den Kosten sowie bei der Technologie den Anschluss verlieren und von anderen Teilen der Welt abhängig sein“, so Alessandro Profumo, gleichzeitig Chef der größten EU-Rüstungslobbyorganisation (ASD) und des italienischen Rüstungskonzerns Leonardo.[10]

Um möglichst hohe Stückzahlen zu erreichen, pocht vor allem Frankreich darauf, die Realisierung großer Gemeinschaftsprojekte werde gefährdet, sollten allzu strenge deutsche Exportbestimmungen den Weiterverkauf behindern. Dies gilt vor allem für die beiden geplanten deutsch-französischen Großprojekte Kampfflugzeug (FCAS) und Kampfpanzer (MGCS), über die zuletzt noch zu lesen war: „Insider sprechen beim neuen Kampfjet (FCAS-Projekt) und Panzer (MGCS) von letzten noch zu lösenden Knackpunkten. Dazu könnte das Thema Rüstungsexporte gehören. Ein Airbus-Vorstand machte jüngst vor Analysten deutlich, dass Europas Rüstungsbranche auf Exporte angewiesen ist, damit sich die Entwicklungen überhaupt lohnen. Die Rüstungsindustrie sei ein Werkzeug der Verteidigungs- und Außenpolitik.“[11]

Allerdings ist Deutschland bereits seit einiger Zeit darum bemüht, die französischen Bedenken in Sachen Re-Exportierbarkeit gemeinsam entwickelter Rüstungsgüter zu adressieren. Vor diesem Hintergrund wurde bereits im Januar 2019 der Aachener-Vertrag vereinbart, mit dem sich Deutschland und Frankreich auf die „Erarbeitung gemeinsamer Verteidigungsprogramme“ und generell auf den Ausbau eines europäischen Rüstungskomplexes verständigten. Ferner wurde angekündigt, sich der Exportfrage anzunehmen: „Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln.“[12] Was dies zu bedeuten hatte, wurde dann in einem Zusatzabkommen zum Aachener-Vertrag im Oktober 2019 offenbart. Darin wurde für etwaige Exportblockaden gemeinsam produzierter Rüstungsgüter eine hohe Hürde errichtet: „Eine Vertragspartei widerspricht einer von der anderen Vertragspartei beabsichtigten Verbringung oder Ausfuhr an Dritte nicht, außer in dem Ausnahmefall, in dem ihre unmittelbaren Interessen oder ihre nationale Sicherheit dadurch beeinträchtigt würden.“[13]

Doch die Vereinbarung ging noch einen Schritt weiter, indem eine sogenannte De-minimis-Regelung eingeführt wurde: Sollten in einem Produkt weniger als ein Fünftel der Komponenten aus einem Land verbaut sein, verzichtet es künftig gleich komplett auf ein Exportgenehmigungsverfahren.[14] Die De-minimis-Regel trat am 1. April 2020 in Kraft, was von der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) mit folgenden Worten kritisiert wurde: „Insbesondere die De-minimis-Grenze von 20 Prozent ermöglicht eine völlig neue Politik. Aus GKKE-Sicht ist ein derart hoher Wert unverantwortlich und untragbar, denn damit wäre eine weitgehende Aufgabe der bisherigen deutschen für den Drittlandsexport geltenden restriktiven Exportregeln verbunden, zumal eine unmittelbare Bedrohung der nationalen Sicherheit des Komponentenlieferlandes nur in ganz seltenen Ausnahmefällen gegeben sein dürfte, die 20%-Grenze oft unterschritten ist oder durch Stückelung unterschritten wird.“[15]

Im Entwurf für das neue Rüstungsexportgesetz wird nun ebenfalls betont, das Ziel sei es, die europäische Zusammenarbeit im Militärbereich „zu stärken“ sowie die „Konvergenz von Entscheidungen über Ausfuhren von Rüstungsgütern zu fördern.“ Immer wenn im Zusammenhang von Rüstungsexporten das Wort „Konvergenz“ (Annäherung) auftaucht ist Vorsicht geboten, geht es dabei doch meist um eine Annäherung an den kleinsten gemeinsamen Nenner und damit eine Aushöhlung strengerer Exportvorschriften – und so ist es auch in diesem Fall.

Vor allem zwei miteinander verwobene Optionen sollen scheinbar im künftigen Gesetz „Verbesserungen“ bringen: Einmal sollen laut dem Gesetzesentwurf mehr Länder in die Bestimmungen des Zusatzabkommens zum Aachener-Vertrag einbezogen und neue ähnlich gelagerte Vereinbarungen geschlossen werden. Explizit als Vorbild wird im Gesetzentwurf das „Übereinkommen über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich zwischen Frankreich, Spanien und Deutschland“ genannt (Eckpunkte: S. 8). In dieser am 17. September 2021 geschlossenen Vereinbarung der drei Länder, die bislang das FCAS-Luftkampfsystem entwickeln, sichern sich die Projektpartner ganz im Sinne des Aachener-Vertrages zu, Exporte nur in absoluten Ausnahmefällen zu blockieren.[16]

Wohlgemerkt, eine solche Exportblockade könnte aber aktuell ohnehin nur für Projekte geltend gemacht werden, bei denen die De-minimis-Grenze von 20 Prozent überschritten wäre. An dieser Stelle kommt der zweite Aspekt des Exportgesetzentwurfs ins Spiel: der Versuch, genau diese Schwelle noch weiter nach oben zu setzen. Der Entwurf will, dass die „Entscheidungskompetenzen“ bei europäischen Gemeinschaftsprojekten unter „Abwägung“ eines „besonderen Interesses an Kooperationsfähigkeit“, aber auch mit Blick auf das „Ziel der Durchsetzung einer restriktiven Rüstungsexportpolitik weiterentwickelt werden.“ (Eckpunkte: S. 8)

Viel zugunsten einer restriktiven Exportpolitik wird dann aber nicht abgewogen, denn es wird angekündigt: „Eine Option ist, dass sie im Falle des Exports gemeinsam produzierter Rüstungsgüter auch gemeinsame, mit (ggf. qualifizierter) Mehrheit getroffene Entscheidungen der Kooperationspartner vorsehen. Für die Mehrheitsentscheidungen ist eine Stimmrechtsgewichtung anzustreben, die dem jeweiligen Umfang der Projektbeteiligung der Kooperationspartner entspricht.“ (Eckpunkte: S. 8)

Damit würde die De-minimis-Grenze deutlich nach oben „korrigiert“, was de facto zu einer weiteren Aushöhlung führt – das Handelsblatt schreibt dazu: „Das Wirtschaftsministerium will die Komplikationen für die deutsche Rüstungsindustrie bei Gemeinschaftsprojekten nicht durch laxere Regeln, sondern durch eine veränderte Zusammenarbeit lösen. Bislang kann die Bundesregierung ein Veto einlegen, auch wenn nur ein kleiner Teil aus deutscher Hand kommt. Künftig könnte das durch eine Mehrheitsentscheidung ersetzt werden. Der Stimmenanteil würde sich dabei nach dem Umfang der Projektbeteiligung richten.“[17]

Wo kein Kläger

Sicher ist es positiv, dass die Einhaltung der Menschenrechte relativ prominent im Gesetzesentwurf als Kriterium auftaucht. Verwiesen wird gerne auf die Passage, derzufolge „Ausfuhrgenehmigungen […] grundsätzlich nicht erteilt [werden], wenn der hinreichende
Verdacht besteht, dass die auszuführenden Güter zur internen Repression, zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen.“ (Eckpunkte: S. 2) Wobei es sich allerdings um einen „hinreichenden Verdacht“ handelt, liegt im Ermessen der Bundesregierung und entzieht sich jeder verbindlichen Prüfung durch unabhängige Akteure.

Dies führt zur letzten und wohl gravierendsten Kritik an dem Exportgesetzentwurf: der fehlenden Möglichkeit für Verbandsklagen. Wohl soll es künftig für Opfer illegaler – also nicht von der Bundesregierung genehmigter – Ausfuhren eine zivilrechtliche Klagemöglichkeit gegen die schuldigen Unternehmen geben, was zweifellos zu begrüßen ist. Wie aber zahlreiche Kritiker*innen in Reaktion auf die Veröffentlichung des Entwurfes betonten, handelt es sich bei der Ablehnung einer Verbandsklage um den eigentlichen Lackmustest, ob die Regierung wirklich an einer restriktiveren Exportpolitik interessiert ist – das Ergebnis fällt leider eindeutig aus.[18]

Jürgen Grässlin etwa, der Sprecher der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“, urteilte, der Entwurf sei ein „Schlag ins Gesicht“ all derjenigen, die sich seit Jahren für eine restriktivere Exportpraxis einsetzen würden: „Ein Verbandsklagerecht ist das entscheidende juristische Kontrollinstrument, mit dem die Regierung gezwungen werden kann, ihre Exportgenehmigungen streng am Gesetz auszurichten und nachvollziehbar zu begründen. Man muss daher von einem grausamen ´Tauschhandel´ sprechen, wenn auf der einen Seite die Opfer illegaler Waffenexporte in ihren Rechten gestärkt werden durch die Einführung der Zivilrechtlichen Haftungsmöglichkeit sowie die angestrebte Nebenklagefähigkeit – was gut und wichtig ist. Andererseits jedoch die ‚legalen‘ Opfer nicht verhindert werden können, weil kein Verbandsklagerecht eingeführt wird, mit dem Rüstungsexportgenehmigungen juristisch überprüft und gegebenenfalls gestoppt werden könnten. […] Es ist unglaublich enttäuschend und auch äußerst kurzsichtig, dass ausgerechnet das von den Grünen geführte BMWK [Wirtschaftsministerium] das Verbandsklagerecht – für das die Partei jahrelang gekämpft hat! – fallen lässt.“[19]

Exportführungsmacht Deutschland

In gewisser Weise ist dies alles nur konsequent, denn, wie eingangs erwähnt: Vollmundig artikulierte Führungsansprüche ohne die entsprechende rüstungsindustrielle Unterfütterung kann man sich schenken – will man aber nicht. Mehr als deutlich war in diesem Zusammenhang die Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht am 12. September 2022 – auf der einen Seite forderte sie: „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz, sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht. Auch im Militärischen.“ Und auf der anderen gab sie unmissverständlich zu erkennen, dass derlei Ansprüche mit einer restriktiven Exportpraxis unvereinbar wären: „Welcher Partner soll mit uns in Projekte investieren, wenn er immer fürchten muss, dass wir den Export verhindern und damit die Re-Finanzierung erschweren. Mit unserem Wertevorbehalt stellen wir uns quasi über unsere europäischen Partner. Aber was bedeuten europäische Werte überhaupt, wenn wir unseren Partnern sagen, eure Moral, die reicht uns nicht […]. Wenn Frankreich, Italien, Spanien sagen, das ist vertretbar, dieser Export, können wir uns dann rausnehmen – ein Veto einlegen? Ich glaube Nein! Und hier nimmt uns der europäische Gedanke, den wir aus gutem Grund gerne bemühen, doch auch unmittelbar in die Pflicht und wir müssen deswegen an die deutschen Exportregeln ran, um der Kooperation bei wehrtechnischen Gütern einen mächtigen europapolitischen Schub zu verleihen.“[20]

Ein Artikel in der österreichischen Zeitung Die Presse brachte die Angelegenheit auf den Punkt. Der Teaser: „Auf die deutsche ‚Zeitenwende‘ soll ein ‚Kulturwechsel‘ folgen. Auf dem Weg zur europäischen Führungsmacht stehen die strikten Exportregeln für deutsche Waffen infrage.“ Im Text hieß es dann: „Zwar hat die Regierung aus SPD, Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, das Rüstungsexportgesetz überarbeiten zu wollen. Im Gespräch war aber eine Verschärfung der Regeln. Nun legt Lambrecht das Gegenteil davon nahe.“[21]

Angesichts des nun vorgelegten Entwurfes des grüngeführten Wirtschaftsministeriums, dürften Lambrecht und die ihr gleichgesinnten zufrieden sein.

 Anmerkungen
 

[1] Neuer Rekordwert bei Rüstungsexporten, tagesschau.de, 18.01.2022. Der Grund liegt vor allem darin, weil die alte Bundesregierung kurz vor den Wahlen im September 2021 noch einmal einen ganzen Schub von Projekten bewilligte.

[2] Rüstungsexportgenehmigungen im Wert von vier Milliarden Euro, DPA, 01.07.2022.

[3] Vgl. Wagner Jürgen: Im Rüstungswahn. Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung, Köln 2022, Kapitel 2.

[4] Wörtlich hieß es im Koalitionsvertrag (S. 116): „Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik brauchen wir verbindlichere Regeln und wollen daher mit unseren europäischen Partnern eine entsprechende EU Rüstungsexportverordnung abstimmen. Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein. Unser Ziel ist es, den gemeinsamen Standpunkt der EU mit seinen acht Kriterien sowie die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, die Kleinwaffengrundsätze und die Ausweitung von Post-Shipment-Kontrollen in einem solchen Gesetz zu verankern. Nur im begründeten Einzelfall, der öffentlich nachvollziehbar dokumentiert werden muss, kann es Ausnahmen geben. Den Rüstungsexportkontrollbericht werden wir transparent gestalten. Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind.“

[5] Eckpunkte für das Rüstungsexportkontrollgesetz – Entwurf –, o.O., o.J., S. 1. Folgende Seitenzahlen im Text beziehen sich auf dieses Dokument.

[6] Eckpunkte zum Rüstungsexportkontrollgesetz veröffentlicht – Antworten auf die wichtigsten Fragen, Ohne Rüstung Leben, 25.10.2022.

[7] GEMEINSAMER STANDPUNKT 2008/944/GASP DES RATES vom 8. Dezember 2008betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern.

[8] Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, o.O., o.J.

[9] Ukraine Support Tracker (Stand: 3. Oktober 2022).

[10] Biederbeck-Ketterer, Max/Kiani-Kreß, Rüdiger: Die Scheinsanierung, WirtschaftsWoche, 22.10.2022.

[11] Hegmann, Gerhard: Gemeinsame Panzer und Kampfjets für Europa – der historische Plan wackelt, Die Welt, 24.10.2022.

[12] Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration (Aachener-Vertrag), Kap. 2, Art. 4.

[13] Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik über Ausfuhrkontrolle im Rüstungsbereich, Paris, 23.10.2019,  Artikel 1 (2).

[14] Ebd., Anlage I (2). „Die Vertragsparteien verfahren nach dem ‚De-minimis‘-Grundsatz bei einem Zulieferanteil bis zu einem prozentualen Schwellenwert von 20% des Wertes des zu verbringenden oder auszuführenden Gesamtsystems.“

[15] Rüstungsexportbericht 2019 der GKKE, GKKE Schriftenreihe, Heft 68/2019, S. 79.

[16] Wörtlich heißt es in dem Übereinkommen: „Nach Anerkennung als Projekt der industriellen Zusammenarbeit wird ein Antrag auf Erteilung der SAG [Sammelausfuhrgenehmigung] nur bei Beeinträchtigung der unmittelbaren Interessen oder der nationalen Sicherheit der beteiligten Vertragsstaaten abgelehnt. Dies erleichtert es den an der industriellen Zusammenarbeit der Vertragsstaaten beteiligten Unternehmen, feste Geschäftsbeziehungen aufzubauen und angestrebte Projekte umzusetzen.“ (Übereinkommen über Ausfuhrkontrollen im Rüstungsbereich – industrielle Zusammenarbeit, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, September 2021, S. 4)

[17] Weniger Waffen an Autokraten, Handelsblatt, 17.10.2022, S. 8.

[18] Siehe z.B. Rüstungsexportkontrolle: Kirchen fordern Verbandsklagerecht, epd, 20.10.2022.

[19] Waffen für die Welt, junge Welt, 22.10.2022.

[20]  Grundsatzrede zur Sicherheitsstrategie: Streitkräfte wieder in den Fokus rücken Veröffentlichungsdatum, bmvg.de, 13.09.2022.

[21] „Deutschland braucht keine Angst zu haben“, Die Presse, 13.09.2022.