IMI-Standpunkt 2022/043

Umfrage: Diplomatie statt Militär!

Bevölkerung erteilt Ansprüchen auf militärische Führungsrolle eine Absage

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 18. Oktober 2022

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Im stillen Kämmerlein wurde sie sicherlich schon länger angestrebt – als populäre Forderung zog sie allerdings erst unter dem Schlagwort „Münchner Konsens“ in die deutsche sicherheitspolitische Debatte ein: der Anspruch auf eine militärische Führungsrolle Deutschlands. Ausgangspunkt waren die von langer Hand in einem von German Marshall Fund und Stiftung Wissenschaft und Politik durchgeführten Projekt vorbereiteten Auftritte des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, flankiert von Ursula von der Leyen (damals Verteidigungsministerin) und Frank-Walter Steinmeier (damals Außenminister) bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2014. Es gehe darum, die scheinbar in Deutschland an den Tag gelegte „Kultur der militärischen Zurückhaltung“ endgültig abzustreifen und zu einer „normalen“ Großmacht zu werden. Seither ist es leider tatsächlich wieder normal geworden, wenn deutsche Spitzenpolitiker*innen für „ihr“ Land eine militärische Führungsrolle reklamieren.

Wer allerdings bei diesem Kurswechsel nicht so richtig mitziehen wollte, war die Bevölkerung. In der Süddeutschen Zeitung (20.5.2014) war damals nachzulesen: „Doch die deutsche Bevölkerung ist weiterhin alles andere als überzeugt vom ‚Gauckismus‘, wie klar aus den Ergebnissen einer repräsentativen Umfrage vom April und Mai 2014 hervorgeht: ‚Verglichen mit den Ergebnissen einer ähnlichen Untersuchung der amerikanischen Rand-Corporation aus dem Jahr 1994 haben sich die Verhältnisse umgekehrt. Damals plädierten 62 Prozent für ein größeres deutsches Engagement. Heute sind es noch 37 Prozent. Damit wird klar: Eine deutliche Mehrheit steht den Plädoyers von Bundespräsident Joachim Gauck, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Steinmeier, Deutschland möge sich weltweit mehr engagieren, erst mal skeptisch gegenüber.‘“

Durchgeführt wurde die Umfrage von der Körber-Stiftung, die auch in den folgenden Jahren die Befindlichkeit in Sachen „Führungsmacht Deutschland“ abfragte. Große „Fortschritte“ waren hier allerdings nicht zu verzeichnen – insofern setzten interessierte Akteure große Hoffnungen darauf, dass der russische Angriff auf die Ukraine und die Zeitenwende-Rede von Kanzler Olaf Scholz endgültig einen Gesinnungswandel herbeiführen würde. Und der wird seither von führenden Politiker*innen auch vehement eingefordert, etwa von SPD-Chef Lars Klingbeil, als er im Sommer 2022 forderte, Deutschland müsse den „Anspruch einer Führungsmacht haben“. Oder auch von Verteidigungsministerin Christina Lambrecht, die in einer Grundsatzrede am 12. September 2022 ins selbe Horn blies: „Deutschlands Größe, seine geografische Lage, seine Wirtschaftskraft, kurz, sein Gewicht, machen uns zu einer Führungsmacht, ob wir es wollen oder nicht“, so die Ministerin und fügte hinzu: „Auch im Militärischen.“ (siehe dazu auch IMI-Standpunkt 2022/037)

Doch auch heute noch verweigert ein Großteil der Bevölkerung erneut die Gefolgschaft – durchaus überraschenderweise, berücksichtigt man das derzeitige politische Klima. Belegt wird dies durch die neuesten Umfrageergebnisse der Körber-Stiftung: „Eine Mehrheit der Bundesbürger:innen (52 Prozent) wünscht sich weiterhin mehr internationale Zurückhaltung von Deutschland. 41 Prozent der Befragten befürworten hingegen ein stärkeres Engagement Deutschlands – dieses Engagement sollte jedoch bevorzugt diplomatisch (65 Prozent) statt militärisch (14 Prozent) oder finanziell (13 Prozent) sein. Damit hat sich die Einstellung der Deutschen im Vergleich zum Vorjahr (2021: 50 Prozent für Zurückhaltung) kaum verändert – ungeachtet des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen ‚Zeitenwende‘ in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.“

Die Ergebnisse können also als klare Absage an die Kernelemente der Zeitenwende und besonders an die ausschließlich auf die militärische Karte setzende Politik der Bundesregierung im Ukraine-Krieg gewertet werden.

Vom Autor dieses Artikels erschien soeben:

Jürgen Wagner
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