IMI-Standpunkt 2022/013

Prominenter Appell gegen Rüstung

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 23. März 2022

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Mit Ihrem Appell „Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!“ ist es den Initiator*innen gelungen, dem vermeintlichen Einverständnis über das 100 Mrd.-Sondervermögen für die Bundeswehr und das 2%+-Ziel der Bundesregierung prominenten und klaren Widerspruch entgegen zu setzen. Als tagesschau.de am vergangenen Dienstag um 17:26 (online) darüber berichtete, war von dreitausend Unterschriften die Rede, knapp 24 Stunden später waren es bereits 15.000. In die Abendnachrichten hat es der Appell trotz ausführlicher Behandlung der Haushaltsdebatte im Bundestag dennoch nicht geschafft.

Schade, denn er setzt wichtige Akzente. So heißt es darin u.a.: „Schon jetzt übersteigen die ‚Verteidigungsausgaben‘ aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache. Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militärblöcken ist sinnlos. Die NATO-Länder und auch Deutschland haben schon vor 2014, das heißt lange bevor es den Ukrainekonflikt gab, begonnen, ihre Rüstungsausgaben deutlich zu steigern. Teile der Hochrüstungspläne finden sich schon im Koalitionsvertrag, weit vor den ersten Warnungen vor einer bevorstehenden russischen Invasion.“ Hilfreich ist auch die Gegenüberstellung mit den Etats anderer Ministerien: „Diese Summe [100 Mrd. Sondervermögen] entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.)“. Der Aufruf endet mit dem schnittigen und zutreffenden Satz: „Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht, macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer. Wir können sie uns im Namen der Zukunft nicht leisten.“

Wie viele Texte der Friedensbewegung (und auch der IMI) beginnt der Appell mit einer klaren Positionierung zum Ukraine-Krieg. In diesem Falle fällt sie besonders eindeutig und etwas sehr personalisierend aus: „Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht. Putins Begründungen für den Krieg sind Lügen und Propaganda.“ Anschließend bezieht er sich positiv auf die Massendemonstrationen, die in den ersten Wochen des Krieges in Deutschland stattgefunden haben: „Diese Angst verbindet uns mit den Hunderttausenden Menschen, die nach Beginn des Krieges allein in Köln, Berlin, München, Frankfurt, Hamburg und Hunderten anderen Städten auf die Straße gingen und dort ihrer Empörung über Putins Krieg, ihre Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, ihrer Angst vor einer weiteren Eskalation und ihrem Wunsch nach Frieden und Sicherheit Ausdruck verliehen. Mit ihnen gemeinsam haben wir gegen Putins Krieg und für Frieden demonstriert.“ Der Appell versucht damit, einen klaren Gegensatz zwischen der Haltung auf den Straßen und den Plänen der Regierung herzustellen. Das ist einerseits löblich, im Detail jedoch nicht ganz treffend. Auf vielen dieser Demonstrationen wurden Spenden für die ukrainische Armee gesammelt, tw. sogar für diese rekrutiert, es wurden nationalistische und militaristische Reden gehalten. In Tübingen etwa forderte ein junger Liberaler, Deutschland solle „zum starken Arm“ eines selbstbewusst und wehrfähigen Europas werden, unterstützte die massive Aufrüstung und eine europäische Armee. Mit diesen Positionen verbindet mich nichts. Trotzdem ist der Appell in Anliegen und Stoßrichtung richtig.

Perspektivisch ist allerdings zu fragen, ob die Verknüpfung der Diskussion um die Aufrüstung der Bundeswehr mit dem Krieg in der Ukraine überhaupt geboten und sinnvoll ist. Denn hergestellt wurde dieser Zusammenhang zunächst von der Bundesregierung. Wie der Appell zurecht andeutet, wurden die grundlegenden Beschlüsse hierzu bereits im Vorfeld und unabhängig zumindest von der aktuellen Konfrontation geschaffen (weshalb schade ist, dass er an anderer Stelle die Erzählung einer „Wende der deutschen Außenpolitik um 180 Grad“ aufgreift). Der konkrete Zusammenhang zwischen aktuellem Krieg und Aufrüstung besteht vielmehr darin, dass ihn die Bundesregierung als Möglichkeitsfenster nutzt, in der Pandemie eine Ungeheuerlichkeit wie das Sondervermögen zur Aufrüstung im Grundgesetz verankern zu wollen. Wir können und sollten deshalb zukünftig vielleicht selbst den Krieg in der Ukraine getrennt von den Aufrüstungsplänen der Bundesregierung diskutieren – oder zumindest auf die Widersprüchlichkeiten in diesem Zusammenhang verweisen. Getrennt zu diskutieren wäre womöglich auch, ob der Klimawandel primär durch „immense Investitionen in Zukunftstechnologien“ aufzuhalten ist.