IMI-Standpunkt 2021/029

Recht auf Kriegsdienstverweigerung ausgehebelt

Bundeswehr fordert immense Nachzahlungen

von: Alexander Kleiß | Veröffentlicht am: 8. Juni 2021

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Mit der Aussetzung der Wehrpflicht geriet das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) aus dem öffentlichen Fokus. Das Recht auf KDV steht jedoch auch aktiven Soldat*innen zu. Von 2015 bis Juni 2020 stellten laut einer Anfrage von Tobias Pflüger[1] 1.172 Personen einen Antrag auf KDV.

Von 2015 bis Juni 2020 forderte die Bundeswehr von Kriegsdienstverweigernden Ausbildungskosten von etwa 8 Mio. Euro zurück. In diesem Zeitraum betraf dies 149 Personen.[2] Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Rückforderungsbetrag von etwa 53.700 Euro pro Person.

In einigen Fällen liegt der Betrag jedoch deutlich höher, ein Ex-Flugsicherungsoffizier musste nach einem Urteil 2020 z.B. 130.000 Euro an die Bundeswehr zurückzahlen.[3] Die Bundeswehr fordert sowohl unmittelbare (reine Ausbildungskosten) als auch mittelbare Kosten (Wohnung, Verpflegung und Sozialversicherung) für die Ausbildung zurück.

Formal begründet werden die Nachforderungen damit, dass die Ausbildung auf Kosten der Bundeswehr auch auf dem zivilen Markt genutzt werden könne. Dementsprechend können auch „nur“ Kosten in dem Umfang zurückverlangt werden, der den früheren Soldat*innen für ihr weiteres ziviles Berufsleben verbleibt.

Ein weiterer legitimer Grund für die Regelung sei nach einem Gerichtsurteil 2017 auch in der Verhaltenssteuerung der Soldat*innen zu sehen. Sie sollten durch die Aussicht auf eine Rückforderung davon abgehalten werden, entgegen ihrer Verpflichtungserklärung vorzeitig ihren Dienst aufzugeben, was die Personalplanung und Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr gefährden könne.

Für viele Soldat*innen sind diese Beträge existenzgefährdend. Dadurch wird das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das eigentlich im Grundgesetz garantiert ist, ausgehebelt bzw. erheblich erschwert.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Zahl der KDVs seit 2015 konstant rückläufig ist: von 398 (2015) zu 126 (2019).

Es scheint so, als würden sich Soldat*innen, die den Kriegsdienst verweigern wollen, zunehmend „dumm stellen“. Die Zahl der Entlassungen wegen mangelnder Eignung steigt seit 2015 nämlich massiv: von 37 (2015) auf 169 (2019). Für die Betroffenen kann dies z.T. sehr demütigend sein. Sie können sich auch niemandem innerhalb der Truppe anvertrauen. Außerdem kann es dauern, bis es zu einer Entlassung wegen mangelnder Eignung kommt.

Auch die Zahl der Entlassungen wegen Dienstunfähigkeit steigt leicht: von 357 (2015) auf 483 (2019).[4] Auch hier könnte ein Zusammenhang mit der Aushebelung des Rechts auf KDV bestehen.

Dieser verfassungswidrige Zustand ist so nicht haltbar!


[1]Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Tobias Pflüger u.a. und der Fraktion DIE LINKE. Kriegsdienstverweigerung. Drucksache 19/20480. 30.6. 2020.

[2]Ebd.

[3]Legal Tribune Online: BVerwG zu Kriegsdienstverweigerern: Ex-Soldaten müssen Ausbildungskosten teils zurückzahlen. 12.3. 2020.

[4]Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Tobias Pflüger u.a. und der Fraktion DIE LINKE. Kriegsdienstverweigerung. Drucksache 19/20480. 30.6. 2020.