IMI-Standpunkt 2020/67 - in: AUSDRUCK (Dezember 2020)

Reservist*innen vor Ort

Verbindungskommandos als Katalysatoren für Inlandseinsätze

von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 15. Dezember 2020

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Anfang April 2020 verkündet die für Inlandseinsätze der Bundeswehr zuständige Streitkräftebasis in einer Pressemitteilung mit dem Untertitel „Die Reserve als Berater der regionalen Krisenstäbe“, dass bereits 130 Verbindungskommandos im Rahmen der Corona-Pandemie aktiviert worden seien.[1]

Die insgesamt 434 Verbindungskommandos sind die untersten Glieder eines Territorialen Netzwerks der Bundeswehr, das sich entlang der Ebenen des föderalen Systems über die gesamte Bundesrepublik erstreckt.

An der Spitze dieses Netzwerkes stehen das Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin mit Verbindungsleuten in die Bundesministerien und deren Krisenstäbe und die 16 Landeskommandos in den Landeshauptstädten, die den Kontakt zu den Landesregierungen und Landesinnenministerien halten. Diese Dienststellen sind mit aktiven Soldat*innen besetzt und unterhalten eigene Führungsstrukturen und Lagezentren in Kasernen der Bundeswehr. Um unterhalb der Landeskommandos den Kontakt zu Regierungsbezirken, Landkreisen und kreisfreien Städten sicherzustellen, unterhält die Bundeswehr aktuell 31 Bezirks- und 404 Kreisverbindungskommandos (BVK/KVK), die Kontakt zu den regionalen und lokalen Krisenstäben der zivilen Verwaltung halten.[2]

Besetzt werden die Kreis- und Bezirksverbindungskommandos mit je zwölf Reservist*innen. Diese ehemaligen Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr wohnen meist in den Bezirken und Kreisen, in denen sie eingesetzt sind und gehen dort einem zivilen Beruf nach. Im Bedarfsfall sind sie aber, ähnlich den freiwilligen Feuerwehren, über ein Diensthandy für die Bundeswehr alarmierbar. Dann verlassen sie spontan ihren zivilen Job, ziehen sich eine Bundeswehruniform über und beziehen ihren Posten. Dafür stehen ihnen Büroräume in Gebäuden der zivilen Verwaltung mit mobiler Büroinfrastruktur der Bundeswehr zur Verfügung. Viele Angehörige der Verbindungskommandos sind Angestellte von Bund, Ländern und Kommunen – z.B. Lehrer*innen oder Verwaltungsangestellte – weil Firmen der Privatwirtschaft sich häufig nicht auf die spontane Abrufbarkeit ihrer Angestellten einlassen.

Kommt es also z.B. bei Waldbränden, Großunfällen, Hochwasser, extremen Schneefällen, dem Ausbruch von Tierseuchen oder wie aktuell während einer Pandemie zu einer Aktivierung der zivilen Krisenstäbe, sitzen nach kürzester Zeit auch Verbindungsleute der Bundeswehr als Berater*innen mit am Tisch. Ihr Job ist es dann, die dort versammelten Führungskräfte aus Verwaltung, Polizei, Feuerwehren und Katastrophenschutz über „Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützungsleistung durch die Bundeswehr“[3] zu beraten und mögliche Amts- oder Katastrophenhilfeanträge der zivilen Behörden an die Landeskommandos weiterzuleiten. Zudem informieren die Verbindungskommandos ihre Vorgesetzen in den Landeshauptstädten permanent über die Lage vor Ort. Kommt es dann, nach einer Bestätigung aus dem Kommando Territoriale Aufgaben, zu einem Einsatz der Bundeswehr im Inland, sind die Verbindungskommandos dafür zuständig die notwendigen Kontakte vor Ort herzustellen und „Änderungen der Auftragslage“ an das Landeskommando weiterzuleiten.

Durch dieses zwischen 2007 und 2013 aufgebaute Netzwerk der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit ist es der Bundeswehr mit Hilfe der Reservist*innen vor Ort möglich für die Fähigkeiten der Bundeswehr im Bereich des Katastrophenschutzes zu werben und einen ständigen Informationsfluss zwischen zivilen Katastrophenstäben und Führungsstrukturen der Armee sicherzustellen.

In Folge dieser engen Verknüpfung zwischen Bundeswehr und zivilem Katastrophenschutz hat die Aktivierung der Bundeswehr für unbewaffnete Hilfseinsätze im Inland seit 2007 deutlich zugenommen. So hat sich die Bundeswehr im Bereich des ansonsten zivilen Katastrophenschutzes in den vergangenen gut zehn Jahren unverzichtbar gemacht. Eine Entwicklung, die auch dazu führt, dass eine Ausfinanzierung des zivilen Katastrophenschutzes in immer weitere Ferne rückt, solange die Bundeswehr – Sandsack oder Schneeschippe bei Fuß – als Lückenfüller bereitsteht.

Zudem nutzt die Bundeswehr ihre Katastropheneinsätze massiv, um sich in den Medien als Helfer in Flecktarn zu präsentieren und damit Werbung zu betreiben, die auch der Akzeptanz ihres kriegerischen Handwerks zugutekommt.

Alarmiert werden Soldat*innen in den vergangenen Jahren allerdings nicht nur bei Hochwasser, Borkenkäferbefall und Waldbränden. Mit der Einrichtung der Verbindungskommandos, parallel zum Anti-Terror-Diskurs Mitte der 2000er Jahre, sind auch die Begehrlichkeiten gewachsen, die Bundeswehr für repressive Zwecke im Inland einzusetzen.

Ein erstes deutliches Beispiel dafür war der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. Bereits im Vorfeld des Gipfels bauten Soldat*innen Stacheldrahtzäune um den Tagungsort auf. Während des Gipfels überwachten Spähpanzer von Brücken aus die Autobahnen in der Region um Rostock, in der Luft wurden Kampfjets zur Unterstützung der Polizei herangezogen, die die Protestcamps überflogen, um hochauflösende Luftbilder zu schießen, während zu Wasser mit Bundeswehrschiffen die Seeseite des Kurortes an der Ostsee kontrolliert wurde.[4] Insgesamt waren vor und während des Gipfels 2.500 Soldat*innen im Einsatz. Diese von Gerichten im Nachhinein teils als Einschränkung der Versammlungsfreiheit gewerteten Bundeswehreinsätze[5] während des Gipfels wurden allerdings nicht nur durch die politische Großwetterlage begünstigt. Die konkrete Verbrüderung zwischen Polizei und Bundeswehr ging auf die Aktivitäten von Verbindungsoffizieren zurück, die bereits Monate vor Gipfelbeginn an den Sitzungen der Sicherheitsbehörden zur Planung der späteren Einsätze teilnahmen und die Fähigkeiten der Bundeswehr anpriesen.[6] Wenn auch in deutlich geringerem Umfang und weniger offensiv, waren Soldat*innen auch während des G7-Gipfels im bayrischen Elmau 2015 und des G20-Gipfels in Hamburg 2017 aktiv.

In den letzten fünf Jahren wird die Bundeswehr zudem immer aktiver in die polizeiliche Terrorbekämpfung im Inland eingebunden. An einem Schlüsselereignis dieser Entwicklung war erneut ein lokales Verbindungskommando in entscheidender Funktion beteiligt. Am 22. Juli 2016 schoss ein 18-jähriger in der Umgebung des Olympia-Einkaufszentrums im Münchner Nordwesten auf migrantisch aussehende Jugendliche, tötete neun Menschen und verletzte weitere schwer, bevor er sich selbst erschoss. Die rassistischen Motive des Täters wurden erst drei Jahre später von offiziellen Stellen anerkannt.[7] Während die Schüsse fielen ging die Polizei von einem islamistisch motivierten Anschlag aus und bewirkte das Herunterfahren des gesamten öffentlichen Lebens in der Stadt. Erst Tage später wurde öffentlich bekannt, dass zusätzlich zu tausenden schwerbewaffneten Polizeikräften, die aus dem gesamten Bundesgebiet auf Münchens Straßen zusammengetrommelt wurden, auch Militärpolizist*innen und Sanitäter*innen der Bundeswehr abrufbereit in ihren Kasernen standen, um in die Stadt auszurücken.[8]

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Auch hier eilten die Reservist*innen des lokalen Verbindungskommandos in den Krisenstab und brachten aufgrund einer „informellen“ Frage nach Fähigkeiten, die alle anwesenden Organisationen zur Verfügung stellen könnten, den Einsatz von Militärpolizist*innen und uniformierten Sanitäter*innen mit gepanzerten Krankentransportfahrzeugen ins Spiel. Die darauf folgende Anfrage durchlief in Windeseile die Ebenen des Territorialen Netzwerks der Bundeswehr und nur eine Stunde später war die Entscheidung im Verteidigungsministerium gefallen – rund 100 Militärpolizist*innen und Sanitäter*innen wurden, trotz fehlender Rechtslage, in Alarmbereitschaft versetzt, um aus den Kasernen in die Stadt ausrücken zu können.[9]

Auch wenn diese Soldat*innen die Kasernen nicht verließen und es bisher zu keinem aktiven Einsatz von Soldat*innen in der Terrorabwehr im Inland gekommen ist, werden entsprechende Szenarien seit 2017 regelmäßig geübt. Bei sämtlichen gemeinsamen Anti-Terror-Übungen von Polizei und Bundeswehr sitzen die Reservist*innen der Verbindungskommandos als entscheidende Verbindungsglieder mit am Tisch.

Im Zuge der aktuellen Refokussierung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung tauchen allerdings auch wieder Aufgaben für die Kreis- und Bezirksverbindungskommandos auf, die bereits ihre Vorgängerorganisationen im Kalten Krieg erfüllten. Im Rahmen des Großmanövers Defender 2020 waren lokale Verbindungskommandos damit beauftragt, Routen für Militärkonvois der US-Armee auszukundschaften und als lokale Berater vor Ort zur Verfügung zu stehen,[10] um damit den reibungslosen Aufmarsch von NATO-Truppen Richtung Osteuropa zu unterstützen.

Anmerkungen


[1] Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis: Die Reserve als Berater der regionalen Krisenstäbe: Bundeswehr aktiviert 130 Verbindungskommandos, presseportal.de, 3.4.2020.

[2] Landeskommando Niedersachsen, Info-Flyer: Bezirks- und Kreisverbindungskommandos (BVK/KVK) – Ansprechpartner der Landkreise und kreisfreien Städte bei Hilfeleistungen durch die Bundeswehr, via: reservistenverband.de.

[3] Ebd.

[4] Markus Euskirchen: Der Bundeswehreinsatz in und um Heiligendamm, gipfelsoli.org, 15.9.2007.

[5] Pascal Beuker, Kampffliegereinsatz in Heiligendamm: Angsteinflößend und einschüchternd, 26. 10. 2017, taz.de, 26. 10. 2017.

[6] Markus Euskirchen 2007.

[7] Welt: Drei Jahre danach – Bayern stuft OEZ-Attentat nun als rechtsradikal motiviert ein, welt.de, 25.10.2019.

[8] Mehr zur Bereitschaft der Bundeswehr nach dem Anschlag in München: Martin Kirsch: Bundeswehr in den Straßen? -Einschätzungen zur aktuellen Debatte um Bundeswehreinsätze zur Terrorabwehr in Deutschland, IMI-Analyse 2016/33, imi-online.de, 12.8.2016.

[9] Ebd.

[10] Benjamin Vorhölter: Warum der Dienst in der Territorialen Reserve des Sanitätsdienstes attraktiv ist, reservistenverband.de, 4.3.2020.