IMI-Analyse 2013/04 - in: Graswurzelrevolution Nr. 377 / AUSDRUCK (April 2013)
Wüstenkriege – Die Stabilisierung der Zentren durch den Krieg in der Peripherie
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 20. Februar 2013
Auch dieser Krieg begann mit einer Lüge
Am 10. Januar 2013 begann Frankreichs offene Militärintervention in Mali. Offizieller Anlass war ein vermeintlicher Vorstoß von bewaffneten „Islamisten“ in Richtung Süden. Die französische Regierung und in der Folge auch die anderen Regierungen der EU- und NATO-Staaten, die den Einsatz einhellig begrüßten, versuchten die Situation so darzustellen, als hätten die „Islamisten“ ohne das französische Eingreifen die malische Hauptstadt Bamako eingenommen und ganz Mali in einen „Terrorstaat“ (so etwa wörtlich der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian) verwandelt.
Wie auch immer man zu den Schätzungen zur Zahl der „Islamisten“ stehen mag, so ist die Annahme einer bevorstehenden Einnahme der Hauptstadt abwegig. Auch sonst spricht wenig dafür, dass die Darstellung, mit der Frankreich den Krieg begann, ausnahmsweise mal zutreffend sein sollte. Bereits zuvor hatten malische Militärs eine Offensive angekündigt und waren entsprechende Truppenbewegungen beobachtet worden, auch Frankreich hatte bereits Spezialeinheiten ins Land gebracht und Kampfhubschrauber und -flugzeuge in die Nachbarstaaten verlegt, die wohlkoordiniert gegen offenbar bereits festgelegte Ziele zum Einsatz kamen – mit Luftbetankung aus den USA, Überflugrechten der Nachbarstaaten und zuvor eingeholter Zustimmung der NATO-Partner. Von einem Eingreifen in letzter Sekunde kann also keine Rede sein. Bernard Schmid spekuliert hingegen, dass es gerade die längst angelaufenen Kriegsvorbereitungen Frankreichs waren, welche die Offensive der „Islamisten“ ausgelöst hätten. Das ist äußerst plausibel, denn eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung der Intervention und auch ihrer Durchführung spielte der nördlichste Flughafen, der noch unter Kontrolle des malischen Militärs stand, Sévaré, 70 Kilometer südlich von Konna, dem kleinen Ort, dessen Einnahme vermeintlich die Intervention ausgelöst hatte. Schmid weist noch auf etwas anderes hin: Nach algerischem Recht darf der Luftraum für Militärflugzeuge von Drittstaaten erst nach einer Frist von 21 Tagen nach der Zusage geöffnet werden und just drei Wochen vor Beginn der Intervention, am 19. und 20. Dezember 2012, hatte sich der französische Präsident Hollande zum Staatsbesuch in Algerien aufgehalten und dort wahrscheinlich diese Zusage erhalten.
Umfangreiche Militarisierung
Eigentlich ist es unpräzise, vom „Beginn der französischen Intervention“ zu sprechen, denn begonnen hatte diese schon viel früher. Frankreich hatte bereits Jahre zuvor (ebenso wie die Bundeswehr) Soldaten in Mali ausgebildet und sowohl in Mali, als auch innerhalb der EU Druck gemacht, diese „Hilfe“ zu intensivieren und zu europäisieren. Gleichzeitig stand Frankreich mit verschiedenen politischen und bewaffneten Gruppen im Norden Malis in Kontakt, die über französische Verbündete, wie den Präsidenten Burkina Fasos, unterstützt wurden.
Auch die USA hatten bereits 2002 angefangen, häufig als „Stämme“ bezeichnete Gruppen im Norden in der Terrorbekämpfung auszubilden, die sich jedoch später überwiegend denjenigen angeschlossen haben, die nun von der französischen, der malischen und der tschadischen Armee bekämpft werden. Diejenige Gruppe im Norden, der allein schon aufgrund des Namens „Al-Qaeda in the Islamic Maghreb (AQIM)“ die unmittelbarsten Beziehungen zum „Internationalen Terrorismus“ nachgesagt werden, stand zumindest historisch in enger Verbindung mit dem algerischen Geheimdienst und es wird davon ausgegangen, dass diese Verbindungen bis heute bestehen. Außerdem gibt es enge Kontakte zwischen den nun als terroristisch eingestuften Gruppen und den Regierungs- und Militärapparaten in Mauretanien, Niger und Burkina Faso. Das hat u.a. die Gründe, dass diese zuvor der Gefahr von Aufständen in der Provinz entgegenwirken wollten, indem sie lokale Führer mit Ämtern kauften und zugleich die militärische und politische Führung an deren kriminellen bzw. kriminalisierten Machenschaften mitverdienten. Mit Ausnahme Algeriens sind jedoch in allen Nachbarstaaten Malis Regime von Frankreichs Gnaden an der Macht, Frankreich hatte bei sämtlichen Regierungsbildungen in der Region nach Putschen oder umstrittenen Wahlen eingegriffen und dabei die EU und die ECOWAS als Hebel verwendet. Wie hausgemacht die Probleme sind, die nun von der französischen Armee und ihren Verbündeten bekämpft werden, wird jedoch am besten durch die erstaunlich wenig thematisierte Tatsache verdeutlicht, dass die Waffen der „Islamisten“, über deren Umfang und Qualität sich die französische Regierung nach außen überrascht zeigte, zu einem wesentlichen Anteil aus den Beständen stammen, die das französische Militär während des Libyenkrieges buchstäblich (allerdings mit Fallschirmen) vom Himmel fallen ließ.
Ressourcensicherung?
Warum das alles? Einerseits ist davon auszugehen, dass die Fokussierung westlicher Sicherheitsstrategien auf den Krieg gegen den Terror und sog. gescheiterte Staaten sowie die beständige Anrufung eines „Wettlaufs um Afrika“ insbesondere mit China eine gewisse Eigendynamik entfalten, die nicht immer rational sein muss und die genannten Phänomene befördert. Seit Beginn der offenen Intervention wird andererseits v.a. von linken Kritiker_innen und bis in die bürgerliche Presse hinein darüber spekuliert, der französische Militäreinsatz ziele vor allem auf den privilegierten Zugang der Franzosen auf Ressourcen in der Region, insbesondere Uran, das für die französische Atomwirtschaft und Energieversorgung ja tatsächlich von herausragender Bedeutung ist. Für diese Sichtweise sprechen unter anderem Berichte, dass Frankreich im Zuge der Luftschläge auch Soldaten zu den Uranminen in Niger schickte und zugleich den Einsatz privater Sicherheitskräfte dort intensivierte.
Gegen einen solch unmittelbaren Zusammenhang spricht jedoch, dass gerade im Norden Malis zwar Uran- und Ölvorkommen vermutet werden, bislang jedoch wenig Anstalten westlicher Firmen erkennbar sind, diese auszubeuten und das auch unter den gegebenen Bedingungen kaum wirtschaftlich wäre.
Zudem sollte sich gerade die Linke nicht die Vorstellung zu Eigen machen, dass es dem Abbau von Rohstoffen generell förderlich wäre, die betreffenden Regionen in ein Kriegsgebiet zu verwandeln, weil sich damit – und wenn auch nur mittelfristig und für bestimmte Akteure – die Sicherheitslage in der Region verbessern würde. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch der Effekt, dass alleine die Aussicht auf die Erschließung ausbeutbarer Ressourcen häufig zu einer geopolitischen Aufwertung der betreffenden Region führt und damit sowohl sicherheitspolitische Maßnahmen westlicher Staaten (und seien sie noch so kontraproduktiv) als auch die Entstehung bewaffneter Gruppen fördert. Die deutsche Linkspartei brachte etwa im April 2010 die damals bereits angelaufenen Planungen für EU-Militärausbildungsmissionen in Mauretanien, Mali und Niger mit den Plänen des DESERTEC-Konsortiums zur zukünftigen Ausbeutung von Sonnen- und Windenergie in der Sahara in Verbindung. Noch grundsätzlicher wird dieser Zusammenhang von der Redaktion der Materialien für einen neuen Antiimperialismus und der Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM) formuliert, wonach die Voraussetzung für die kapitalistische Wertschöpfung und Ausbeutung die Zerschlagung der existierenden sozialen Gefüge und dafür eben Militarisierung und Krieg das Mittel der Wahl seien. Demnach „soll der neue Krieg in der Sahara jene Gewalt- und Ermöglichungsräume herstellen, die für eine kapitalistische Durchdringung dieser Räume Voraussetzung sind“, so etwa die FFM.
Bewaffnete Moderation
Ohne dem auf dieser Ebene der Abstraktion widersprechen zu wollen (allenfalls insofern es sich dabei um eine bewusste und formulierte Strategie der maßgeblichen Akteure handeln soll), wird im Folgenden eine andere, aber verwandte Erklärung vorgeschlagen, wonach der Krieg in der Peripherie der Stabilisierung politischer Machtzentren dient. Denn ein erstes Ergebnis der offenen Militärintervention Frankreichs und seiner Verbündeter steht bereits jetzt fest: die vorübergehende Stabilisierung der demokratisch in keiner Weise legitimierten „Übergangsregierung“ Malis.
Diese wurde unter „Vermittlung“ der ECOWAS und hierunter besonders der Präsidenten der Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) und Burkina Fasos mit tatkräftiger Einmischung Frankreichs und der EU eingesetzt und war innerhalb Malis umstritten und relativ machtlos. Das änderte sich mit der Bitte um eine französische Intervention, die ihr international und mit dem Schreckgespenst einer Eroberung Bamakos durch die Islamisten auch durch die Bevölkerung im Süden Malis einen massiven Anerkennungsschub brachte. Bereits zuvor war seit dem Putsch in Bamako in Mali ein heftiger Kampf darum entbrannt, wer die künftige Regierung stellen sollte und zugleich international wie innerhalb Malis anerkannt werden würde. Mit der Sicherheitsrats-Resolution 2071 wurde bereits angedeutet, dass auch die bewaffneten Gruppen im Norden an der zukünftigen Macht teilhaben könnten, wenn sie einer Rückeroberung des Nordens unter internationaler Beteiligung zustimmen würden, ihnen ansonsten jedoch Sanktionen und eine Einstufung als terroristische Gruppe drohe. Selbst die malischen Partner des transnationalen Netzwerks Afrique-Europe-Interact zeigten sich (trotz der antimilitaristischen Gesinnung der beteiligten deutschen Gruppen) gewillt, europäische Militärausbilder ins Land zu lassen, während sie zugleich einen durchaus antikolonial und anti-neoliberal inspirierten Prozess der Regierungsbildung „von Unten“ anschoben. Jetzt kritisieren sie zu Recht, „dass die Intervention nicht zuletzt darauf abzielt, Partei im innermalischen Konflikt zu ergreifen, um eine basisdemokratische Selbstermächtigung in ganz Westafrika zu verhindern“.
Eine aktuelle Analyse der Situation durch die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik scheint ihnen dabei Recht zu geben. Unter dem Titel „Jenseits von Terrorismusbekämpfung“ heißt es darin: „Der von den Medien und Malis Regierung verbreitete Eindruck trügt, es gehe in dem Land vor allem um die Bekämpfung extremistischer Gruppen“. Tatsächlich ginge es hingegen einerseits um die „Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Eliten einzelner Stammesgruppen“ und andererseits um die „Handlungsunfähigkeit“ der Zentralregierung (gemeint ist ihre fehlende Legitimität und Unterstützung), die auch dazu geführt habe, dass „sie bisher auch keine Verbündeten im Norden gewinnen“ konnte. Entsprechend trägt die gesamte Analyse den Charakter einer bewaffneten Moderation, wonach diese Gruppe „keine effektiven Gewaltmittel und damit keine Verhandlungsmacht“ mehr hätte, bei anderen aufgrund militärischer Niederlagen „die Anreize für Verhandlungen steigen“ würden und „einzelne Akteure durch Anreize und Druck dazu gebracht werden [könnten], auf die Seite der Regierung zu wechseln“. Im Grunde wird hier relativ deutlich gesagt, dass die künftige Regierung bzw. bereits der Kreis der hierzu in Verhandlungen tritt, buchstäblich zurechtgeschossen werden soll.
Stabilisierung der Zentren durch den Krieg in der Peripherie
Doch diese bewaffnete Moderation bleibt nicht auf Mali beschränkt. Vielsagend sind beispielsweise die ersten Truppenkontingente vom afrikanischen Kontinent, die gemeinsam mit den französischen und malischen Soldaten in Mali zum Einsatz kamen und aus dem Tschad und Niger stammten. Die autoritäre tschadische Regierung Déby etwa musste selbst in den letzten Jahren wiederholt durch französische Militäreinsätze vor Rebellenangriffen verteidigt werden.
Im Niger begann schon Mitte 2012 eine EU-Mission zur Vergrößerung und Verbesserung der Streitkräfte, die bereits 2011 unter dem Verweis auf die mangelnden militärischen Fähigkeiten Nigers vorbereitet wurde, während nigrische Soldaten als UN-Blauhelme an der Seite französischer Soldaten nach einer umstrittenen Wahl den heutigen Präsidenten der Côte d’Ivoire an die Macht schossen. Es steht außer Frage, dass mit der Unterstützung der französischen Armee in Mali eine Art Bestandsgarantie für die jeweiligen Regime einhergeht und tatsächlich hat Frankreich in beiden Ländern Truppen stationiert, die im Falle einer Eskalation kurzfristig das Regierungsviertel sichern können. Ähnliches gilt für Burkina Faso und die Côte d’Ivoire. Nicht zu unterschätzen ist auch, dass diese Länder ihre innenpolitischen Auseinandersetzungen nun mit dem Verweis auf Mali als Terrorismusbekämpfung kontextualisieren können und sich Frankreich und seine Verbündeten mit Kritik an deren Vorgehen und Menschenrechtsverletzungen zurückhalten müssen. Sehr offensichtlich wurde das nach der blutigen „Beendigung“ der Geiselnahme auf dem algerischen Erdgasfeld bei In Amenas, Anzeichen gab es jedoch bereits im Vorfeld. Als Guido Westerwelle etwa im November vergangenen Jahres Nigeria besucht hatte, wurde er bereits im Vorfeld von Amnesty International auf die schweren Menschenrechtsverletzungen aufmerksam gemacht, die die nigerianische Armee bei der Bekämpfung von Islamisten im eigenen Land begehe. Obwohl dann am Tag seines Besuches 48 Menschen, die meisten von ihnen Jugendliche, offenbar summarisch hingerichtet wurden, fand er keine deutliche Kritik hieran, weil Nigeria eine zentrale Rolle bei der damals längst angelaufenen Aufstellung jener „Afrikanischen Friedenstruppe“ spielte, die nun die von Frankreich eroberten Gebiete „sichern“ soll. Auch dass der ivorische Präsident Ouattara, der durch einen blutigen Bürgerkrieg 2011 an die Macht kam und seither jede Aufarbeitung der Kriegsverbrechen auf seiner Seite missen lässt, unmittelbar nach Beginn der französischen Luftschläge mit militärischen Ehren und von der Kanzlerin persönlich in Berlin empfangen und mit freundlichen Worten bedacht wurde, lässt sich vermutlich nur mit seiner „konstruktiven Rolle“ bei der Verwandlung Malis in ein Schlachtfeld des Krieges gegen den Terror erklären. Wer in diesem Krieg auf Seiten der NATO-Staaten steht (oder auch nur so tut), ist über Kritik erhaben und militärisch abgesichert.
Ob diese Stabilisierung der politischen Zentren über den Krieg in der Peripherie auch in Frankreich funktioniert, wird sich zeigen. Bislang ist die Zustimmung zum Krieg recht groß und die Kritik an den zugleich verschärften Maßnahmen der inneren Sicherheit eher marginal, es stehen jedoch umfangreiche Kürzungsprogramme an, von denen die „sozialistische“ Regierung mit dem Thema „Sicherheit“ zugleich ablenken möchte.
Dieser Artikel erscheint in der nächsten Ausgabe der Monatszeitschrift Graswurzelrevolution (Nr. 377). Vorabdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion (http://www.graswurzel.net/)