IMI-Standpunkt 2012/030 - in: Das zerbrochene Gewehr, Mai 2012 (No. 92)

Universitäten, Bundeswehr und „Vernetzte Sicherheit“

von: Christoph Marischka: AUSDRUCK (August 2012) | Veröffentlicht am: 11. Juni 2012

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Die Debatte um die „Militarisierung von Forschung und Lehre“ ist in Deutschland recht neu und vollzieht sich vor dem Hintergrund des Umbaus der Bundeswehr von einer angeblichen „Verteidigungsarmee“ zu einer „Armee im Einsatz“. Dieser Umbau und das Ausmaß, in dem die Bevölkerung als Ganzes hiervon betroffen ist, werden leicht unterschätzt. War die Verteidigungsarmee bewußt relativ gleichmäßig in der Fläche verteilt, werden gegenwärtig zahlreiche Standorte geschlossen und zusammengelegt und bestimmte militärische Fähigkeiten an einzelnen Standorten konzentriert. Maßstab hierbei ist nicht mehr die Präsenz in der Fläche, sondern die schnelle Verlegbarkeit ins Ausland. Insgesamt sollen die Zahl der Soldaten und der zivilen Angestellten der Bundeswehr reduziert werden, dadurch jedoch mehr Soldaten für die Auslandseinsätze verfügbar gemacht werden. Das funktioniert nur, indem Bereiche, die nicht zu den „militärischen Kernaufgaben“ (so heißt es wörtlich in Strategiepapieren und Pressemitteilungen des BMVg) gehören, an private Unternehmen und zivile Institutionen ausgelagert werden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war dies bereits als zivil-militärische Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft zu beobachten: Etwa 75% der Instandsetzung bei der Luftwaffe wird bereits durch private Firmen geleistet, für die Waffensysteme des Heeres wurde hierzu eigens durch das BMVg gemeinsam mit Rüstungsunternehmen eine Firma, die HIL Heeresinstandsetzungslogistik GmbH, gegründet. Den unbewaffneten Fuhrpark der Bundeswehr verwaltet seit 2002 die BwFuhrparkService GmbH und das Bekleidungswesen seit 2003 die LH Bundeswehr Bekleidungsgesellschaft mbH. Weitere Teile der Basislogistik und der Telekommunikation in der Bundeswehr werden gegenwärtig privatisiert. Auch das Gefechtsübungszentrum Heer (GÜZ), das zentral für die letzten Übungen deutscher Soldaten vor dem Auslandseinsatz ist, wird von einem Firmenkonsortium geleitet. In Afghanistan wird auch die Auslagerung an private Unternehmen im Einsatz immer weiter vorangetrieben: Von der Bewachung der Lager über die Verpflegung und Reinigung bis hin zur Instandsetzung und Ausbildung an neuen Waffensystemen werden immer mehr private Firmen einbezogen.

Schwerpunktaufgabe einer „Armee im Einsatz“ ist jedoch gar nicht der „Kampfeinsatz“, sondern das permanente „Krisenmanagement“. Selbst wenn es einmal gar keinen „richtigen“ Krieg geben sollte, in dem sich Deutschland engagiert, werden trotzdem Bundeswehrsoldaten in zahlreichen Ländern im Einsatz sein, um dort Piraten zu bekämpfen, Polizeiaufgaben wahrzunehmen, Soldaten auszubilden oder „beratend“ und „schützend“ den Aufbau neuer Staatswesen einschließlich entsprechender Repressionsapparat zu „unterstützen“. All diese Einsätze finden multilateral statt, d.h. gemeinsam mit wechselnden Verbündeten unter Führung der UN, der NATO oder der EU, wobei die Bundeswehr oft nur wenige Soldaten mit spezifischen Fähigkeiten beisteuert. Meist ist kein militärisch organisierter Gegner vor Ort, sondern die Einsätze zielen eher auf die Gesamt- bzw. Zivilbevölkerung. Die militärischen Komponenten der verschiedenen Staaten müssen deshalb durch zivile Komponenten – Berater, Beobachter, Juristen, Polizisten, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit, Baugewerbe etc. – möglichst flexibel ergänzbar sein. Die „asymmetrischen Konfliktkonstellationen“ zeigen sich auch darin, dass die Bundeswehr im Einsatz immer stärker auf „Einsatzmittel“ zurückgreift, die ebenso von der Polizei im Innern eingesetzt werden, keinen genuin militärischen Charakter haben und im Rahmen „ziviler Sicherheitsforschung“ weiterentwickelt werden. Beispiele hierfür sind „weniger letale Wirkmittel“ wie Wasserwerfer oder Knüppel, aber auch etwa Aufklärungsdrohnen. Überhaupt spielt Aufklärung – aufgeteilt in „Signalaufklärung“ (SigInt) und „menschliche Aufklärung“ (HumInt) – eine immer wichtigere Rolle, um innerhalb der Gesamtbevölkerung „Gegner“, „Piraten“, „Terroristen“ und „Spoiler“ auszumachen. Auch das sind Aufgaben, in die gerne zivile Organisationen, Unternehmen oder Wissenschaftler_innen eingebunden werden.

Zuletzt geht mit der „Armee im Einsatz“ eine Verschiebung ihrer Legitimationsstrategie einher. Während die Auslandseinsätze der Bundeswehr in der Öffentlichkeit noch meist vorwiegend humanitär begründet werden, werden diese innerhalb der Eliten und auch in den offiziellen Strategiepapieren immer deutlicher auf „nationale Interessen“ zurückgeführt. Um bei immer offener zu Tage tretenden Widersprüchen zwischen vermeintlich humanitärem Auftrag und „nationalen Interessen“ (man denke etwa an die Piratenbekämpfung vor Ostafrika) die Öffentliche Unterstützung für die zunehmenden Auslandseinsätze aufrecht zu erhalten, gelte es insbesondere so genannte (zukünftige) „Multiplikatoren“ oder „Entscheider“ in den (an nationalen Interessen orientierten) sicherheitspolitischen Diskurs „einzubinden“ oder für diesen zu sensibilisieren. Entsprechende Formulierungen finden sich u.a. in der „Neuen Konzeption der Reserve“ (also der vom BMVg organisierten nicht mehr aktiv dienenden Soldaten) und den Berichten der Jugendoffiziere. Letztere monierten noch in ihrem Jahresbericht 2007, dass „die Meinungslage zur Institution ‚Bundeswehr‘ sowie zu deren Aufgaben und Aufträgen“ an deutschen Universitäten nicht zufriedenstellen und die Hochschullandschaft „für die Jugendoffiziere weiterhin ein sensibler und schwer zu erschließender Bereich und damit eine Herausforderung für die Zukunft“ sei. Im Jahresbericht 2010 wurde die Lage dann schon viel besser beschrieben: „Eine stetig wachsende Anzahl von Universitäten und Fachhochschulen erkennt die Vorteile der spezifischen Fachangebote der Jugendoffiziere“, diese würden als „Dozenten auf Augenhöhe“ akzeptiert: „Die Meinungslage der Zuhörerkreise kann nach Veranstaltungen der Jugendoffiziere als positiv bewertet werden. … Die Teilnehmerzahl aus dem universitären Bereich an Veranstaltungen der Jugendoffiziere konnte um etwa 30 Prozent erhöht werden.“ Neben Lehramtsstudierenden zielt diese Strategie u.a. auf Studierende der Ethnologie, der Regionalwissenschaften, der Arabistik und Afrikanistik, zukünftige Mitarbeiter_innen der Verwaltung und von humanitären Organisationen, um bei diesen „Verständnis für die Sicht der Bundeswehr“ zu erzeugen. Die zukünftigen Eliten sollen nicht nur bereits gewohnt sein, dass die Bundeswehr überall in der Welt deutsche Interessen mit der Waffe durchsetzt, sondern dies auch befürworten und aktiv unterstützen. So zitierte die Süddeutsche Zeitung kürzlich den Verteidigungsminister, der monierte, er könne “keinen großen intellektuellen Beitrag der deutschen Universitäten zur Frage von Krieg und Frieden” erkennen: “De Maiziere wünscht sich nun Antworen auf aktuelle Fragen. Zum Beispiel: Dürfen Armeen Drohnen im Kampf einsetzen? Dürfen sie private Sicherheitsfirmen einspannen? Wie sollten Staaten auf einen Cyberangriff reagieren?” Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik wird ergänzend zitiert: “Bei einem Iran-Krieg beispielsweise hätte Deutschland zu wenig Leute, die sich mit der Führung Irans auskennen”, wobei bemerkenswert ist, dass solche Kenntnisse in Friedenszeiten oder während der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Atomkonfliktes für entbehrlicher gehalten werden.

Neben diesen eher die Sozialwissenschaften betreffenden Ansprüchen findet an deutschen Hochschulen auch Sicherheitsforschung statt, hinter der sich oft Rüstungsprojekte und/oder Rüstungsfirmen verbergen. Häufig geht es dabei um die Forschung an Dual-Use Gütern, wie etwa Aufklärungsdrohnen, Sensorik, Künstliche Intelligenz und verschlüsselte Kommunikation. Solche Aktivitäten werden gezielt durch das Europäische und ein nationales Programm zur Sicherheitsforschung gefördert, wobei diese Programme gezielt darauf ausgelegt sind, eine europaweite und interdisziplinäre Zusammenarbeit zu induzieren und die Herausbildung von an Universitäten angegliederten Technologieparks und Clustern aus Universitäten, öffentlicher Forschung, Privatwirtschaft und Behörden, darunter auch die Bundeswehr und die Polizei, zu fördern. Die so strukturierte Spitzen- oder Grundlagenforschung zielt nicht ausschließlich oder ausdrücklich auf militärische Anwendungen oder Fragestellungen ab, findet aber fast immer in einem Rahmen statt, in dem Rüstungsunternehmen beteiligt sind und profitieren können. Dies gilt in besonderen Maße auch für die Biologie, wenn es um Fragen der Künstlichen Intelligenz oder der Mensch-Maschine-Schnittstellen geht. Dort setzt häufig auch die Wehrmedizinische Forschung an, womit das BMVg unmittelbar an der Steuerung der Spitzenforschung beteiligt wird.