IMI-Standpunkt 2012/011 - in: AUSDRUCK (April 2012)

Die Offensive der Kriegsforscher

Auf Stichwort des Verteidigungsministers eröffnet die Süddeutsche Zeitung eine Debatte um "intellektuelle Beiträge der deutschen Hochschulen"

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 29. Februar 2012

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Am 27. Februar 2012 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung (SZ) einen Artikel unter dem Titel „Ungeliebte Militärforschung“.(1) Darin wird auf ein Interview mit dem Bundesverteidigungsminister vom 3. Februar 2012 zur Münchner Sicherheitskonferenz und der „neue deutsche Führungsrolle“ in Europa verwiesen, in dem dieser auch anmerkte, dass er „keinen großen intellektuellen Beitrag der deutschen Universitäten zur Frage von Krieg und Frieden“ erkennen könne. Dazu heißt es dann in der SZ:

„Unter Wissenschaftlern verursacht die Aussage […] Aufregung. Nicht, weil sie völlig falsch wäre: Die Lehrstühle, die sich in Deutschland explizit mit Sicherheitspolitik beschäftigen, lassen sich an einer Hand abzählen, es dürften nicht mehr als fünf sein. Das aber liege daran, dass die ‚Kriegsforschung‘ nicht gewollt sei, klagen die Wissenschaftler: ‚Wer sich unbeliebt machen will, macht Sicherheitspolitik, wer Fördermittel will, macht was anderes‘, sagt Markus Kaim, der die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin leitet.“

Gleich am folgenden Tag war Markus Kaim im Deutschlandfunk mit einem Plädoyer zu hören, den syrischen Bürgerkrieg mit weiteren Waffelieferungen zu eskalieren, denn das sei in Libyen „tatsächlich auch vergleichsweise effektiv gewesen […], und ein weiteres Beispiel gilt es in Erinnerung zu rufen, genau in den 90er-Jahren ist das ja auch in Bosnien passiert, wo man eben die Bosniaken bewaffnet hat gegenüber den serbischen Milizen.“ Daran müsse sich dann auch Deutschland beteiligen, „[g]erade, weil wir uns in Libyen nicht beteiligt haben, rechtlich, politisch und militärisch, deshalb wird der Erwartungsdruck umso höher sein, dass Deutschland jetzt in irgendeiner Form einen Beitrag leisten würde.“(2)

Tatsächlich jedoch bestand die einzige öffentliche „Aufregung“ die es bis zum SZ-Artikel über den Kommentar De Maizieres gab, bislang wiederum in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Sendung „Campus und Karriere“ hatte hierzu, ebenfalls am 27.2.2012, den Geschäftsführer der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Harald Müller, befragt. Harald Müller leitet im Planungsstab des Auswärtigen Amts einen Arbeitskreis zur Friedens- und Konfliktforschung, war ein leidenschaftlicher Befürworter der NATO-Intervention in Libyen und hat aus diesem Anlass auch gleich sehr deutlich gemacht, was „Friedensforschung“ so leisten kann. In einem Standpunkt der HSFK mit dem Titel „Ein Desaster. Deutschland und der Fall Libyen. Wie sich Deutschland moralisch und außenpolitisch in die Isolation manövrierte“, meinte er, der NATO und ihren Rebellen taktische Hinweise geben zu können, wie der Krieg mit NATO-Luftunterstützung zu gewinnen sei:

„In offenem Gelände können sich die Rebellen nicht halten. Sie haben eine gewisse Chance im urbanen Straßenkampf, aber auch nur, wenn sie der feindlichen Infanterie gegenübertreten. Wird diese aus der Luft und von gepanzerten Fahrzeugen und schweren Geschützen unterstützt, ist der Kampf verloren. Zugleich ist im offenen Gelände die Luftüberlegenheit entscheidend… [In Nordlibyen] haben die Luftstreitkräfte freie Bahn. Bodentruppen (auch Marineverbände) sind relativ leichte Beute für sie.“(3)

Entsprechend verwehrte er sich im Interview mit dem Deutschlandfunk gegen die Kritik des Verteidigungsministers und widersprach damit zugleich der tatsächlich reichlich haltlosen Aussage im am selben Tag erschienen SZ-Artikel, wonach sich in Deutschland „nicht mehr als fünf“ Lehrstühle „in Deutschland explizit mit Sicherheitspolitik beschäftigen“. Das unterschlägt beispielsweise, dass im Jahr 2007 in Potsdam eigens ein Masterstudiengang Military Studies mit Beteiligung der Bundeswehr eingerichtet wurde. Müller verweist hingegen auf die Situation in Frankfurt, wo er selbst einen Lehrstuhl für Friedens- und Konfliktforschung innehat. Nach seiner Auffassung gibt es „an einer ganzen Reihe deutscher Universitäten Lehrstühle, die regelmäßig über sicherheitspolitische Fragen arbeiten, alleine in Frankfurt mindestens fünf Professuren“ und die Politik finanziere „teilweise großzügig sowohl an den Universitäten als auch noch mehr in außeruniversitären Instituten wie etwa dem meinigen Forschungen zu diesen Fragen […] Die Drittmittelanträge, die wir einwerfen, sind durchweg sicherheitspolitischer Natur, das liegt nun mal bei einem … kann bei einem Institut für Friedensforschung gar nicht anders sein, und wir sind doch relativ erfolgreich dabei.“ Als Beispiel verweist Müller etwa auf einen Sonderband „über Afghanistan und die deutsche Afghanistanpolitik“, der „sehr, wenn Sie so wollen, fußgängerische praktische Überlegungen“ anstelle.(4)

Genau das wünscht sich der Verteidigungsminister, jedenfalls schreibt das die SZ: „De Maiziere wünscht sich nun Antworen auf aktuelle Fragen. Zum Beispiel: Dürfen Armeen Drohnen im Kampf einsetzen? Dürfen sie private Sicherheitsfirmen einspannen? Wie sollten Staaten auf einen Cyberangriff reagieren?“(5) Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik wird ergänzend zitiert: „Bei einem Iran-Krieg beispielsweise hätte Deutschland zu wenig Leute, die sich mit der Führung Irans auskennen“, wobei bemerkenswert ist, dass solche Kenntnisse in Friedenszeiten oder während der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Atomkonfliktes für entbehrlicher gehalten werden.

Die in der SZ zitierten („Friedens“-)Forscher jedoch monieren nicht nur, dass die Mittel hierfür zu gering seien, sondern es auch aus der Studierendenschaft und der breiteren Gesellschaft Kritik an einer solchen Beratungstätigkeit der Wissenschaft für eine aggressive und militarisierte Außenpolitik gibt. „Wer die Rolle der Bundeswehr thematisiert, schrammt immer knapp an dem Verdacht vorbei, ein Kriegstreiber zu sein“, zitiert die SZ Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Kaim ergänzt: „Fragen von Krieg und Frieden kann man in Deutschland kaum diskutieren, ohne dass sie normativ aufgeladen würden“. „In anderen Ländern“, so paraphrasiert die SZ Kaim weiter, „etwa in Großbritannien und Frankreich, seien Krieg und Frieden sozialwissenschaftliche Phänomene, fast wie Geld oder Ehe. ‚Moralische Fragen sind damit nicht unmittelbar verbunden’“.

Die von den „Friedensforschern“ monierte „normative Aufladung“ spielt offen auf die Kritik einer „Militarisierung von Forschung und Lehre“, etwa hinsichtlich des Sonderforschungsbereichs 700, „der seit dem Jahr 2007 untersucht, wie Krisengebiete zu regieren sind“ und die Forderung nach Zivilklauseln an Universitäten an. Diese Kritiker bzw. Befürworter einer Zivilklausel kommen jedoch nicht zu Wort. Ihre Position wird in der SZ jedoch einleitend damit kontextualisiert, dass sich in diesem Land „die meisten Menschen völlig sicher fühlen. Sie sitzen in ihren behüteten Heimen, denken nicht an Afghanistan, nicht an Piraten vor Somalia, nicht an das Für und Wider eines Nato-Einsatzes in Syrien.“ Stattdessen werden in einer konzertiert wirkenden Berichterstattung auf der Grundlage einer provokativen Äußerung des Verteidigungsministers diejenigen zitiert, die von einer verstärkten Förderung dessen, was hier eigentlich erstmals als „Kriegsforschung“ positiv konnotiert wird, profitieren – mit eben dieser Forderung und einer Diffamierung der Kritiker_innen. Einzig aus dem Rahmen fällt dabei Christopher Daase, ebenfalls im Vorstand der HSFK und Professor an der Universität Frankfurt, jedoch im Vergleich zu seinen überwiegend für Stiftungen aktiven zitierten Kollegen tatsächlich stärker in der Forschung, als in der Politikberatung tätig. Er wird zitiert mit einem zaghaften Verweis, dass die Debatte, wenn sie tatsächlich offen geführt wird, von der Politik gerne wieder abgewürgt wird: „Dann wird sie gerne als uninformiert oder pazifistisch kritisiert und delegitimiert.“

Ob die Autorin der SZ, Silke Bigalke, gemerkt hat, wie sehr das auf ihren eigenen Artikel zutrifft? Egal: Die Debatte um eine verstärkte und offene Finanzierung von Kriegsforschung wurde hiermit eröffnet – auf ein Stichwort des Verteidigungsministers hin.

Anmerkungen

(1) Silke Bigalke: Ungeliebte Militärforschung, Süddeutsche Zeitung vom 27.02.2012.

(2) „Sicherheitsexperte: Folgen einer Syrien-Invasion wären ‚unvorhersehbar‘ – Wissenschaftler Kaim rät stattdessen zu Waffenlieferungen und Unterstützung der Rebellen“, Markus Kaim im Gespräch mit Jörg Degenhardt, Ortszeit (Deutschlandradio Kultur) vom 28.02.2012, http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1688549/.

(3) Harald Müller: Ein Desaster. Deutschland und der Fall Libyen. Wie sich Deutschland moralisch und außenpolitisch in die Isolation manövrierte, HSFK Standpunkte 2/2012, http://www.hsfk.de/fileadmin/downloads/standpunkt0211.pdf.

(4) „Müller: Friedensforscher leisten Beitrag zur sicherheitspolitischen Debatte – Wissenschaftler widerspricht Vorwürfen aus Verteidigungsministerium“, Manfred Götzke im Gespräch mit Harald Müller, Campus & Karriere (Deutschlandfunk) vom 27.02.2012.

(5) Alle weiteren Zitate s. FN (1).