IMI-Standpunkt 2010/006 - Interview: mdr Sputnik, 15.3.2010
Deutsche Rüstungsexporte haben sich verdoppelt
von: Interview / mdr Sputnik / Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 16. März 2010
Dass unsere Republik Exportweltmeister ist, wussten wir schon. Schließlich werden unsere deutschen Autos nicht nur von uns gern gefahren; auch die Amerikaner sind ganz scharf darauf, in Automobil-Marken Made in Germany herumzudüsen. Leider ist auch die Zahl unserer Rüstungsexporte Schuld am Rekord. Allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl der Kriegsschiff- und Panzerverkäufe verdoppelt.
Deutschland verdient am Krieg in anderen Ländern:
Mehr Waffen haben nur die USA und Russland verkauft! Besonders U-Boote und Panzer aus deutscher Herstellung finden reißenden Absatz. Belegt wird das Ganze durch eine Studie des Friedensforschungsinstitutes SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) in Stockholm. Damit hat Deutschland seinen Anteil am Rüstungsgeschäft in den Jahren 2005 bis 2009 auf elf Prozent ausgebaut. Die USA sind mit 30 Prozent der Rüstungslieferungen Spitzenreiter.
Nicht nur Nato-Staaten werden beliefert:
Im SPUTNIK Update sprechen wir mit dem ehemaligen Europaabgeordneten Tobias Pflüger, der sich gut mit deutschen Rüstungsexperten auskennt. Sein Schwerpunkt ist Außen- und Militärpolitik, und er ist Leiter der Informationsstelle Militarisierung. Der Großteil der deutschen Waffenlieferungen gehe in die Nato-Staaten, aber Tobias Pflüger erklärt auch, welche kriegführenden Länder Deutschland mit Waffen beliefert.
— Es ist also nicht zu polemisch, wenn man sagt, Deutschland verdient am Krieg in anderen Ländern Geld?
Das ist sehr zutreffend. Nachdem, was wir jetzt von den neuen Daten des SIPRI, dem Stockholmer Friedensinstitut, wissen, ist es sogar so, dass die letzten fünf Jahre die Rüstungsexporte sich verdoppelt haben, was doch sehr eindrücklich ist. Es wurde offensichtlich doppelt soviel exportiert, wie die Jahre zuvor, und es wird tatsächlich auch in Länder exportiert, die Krieg führen und die Waffen kommen dann zu genau dem, wofür sie gemacht worden sind, nämlich zum Einsatz in einem Krieg.
Wo werden den aktuell Menschen mit deutschen Waffen umgebracht?
Ich habe mir einmal die Länder angeschaut, in die exportiert wird: Es wird exportiert in die Türkei. In der Türkei ist es nach wie vor so, dass in der kurdischen Region Krieg geführt wird und auch immer wieder kritisiert wurde, dass auch deutsche Panzer daran mitbeteiligt sind. D.h. konkret, man kann davon ausgehen, dass wenn an die Türkei Panzer geliefert werden, diese dort auch im Einsatz sind, also in einem Kriegsgebiet.
Dann gibt es z.B. Exporte nach Israel. Auch da ist ja etwa der Gaza-Krieg abgelaufen. Dann gibt es Exporte in Regionen, in denen es nicht direkt Krieg gibt, aber doch heftige Konflikte. An die Türkei und Griechenland wird an beide Seiten sehr intensiv geliefert, insbesondere U-Boote in diesem Falle. Auch nach Südamerika wird zunehmend geliefert, wo ebenfalls in einer ganzen Reihe von Ländern Konflikte am schwelen sind. D.h. es gibt schon konkret Länder, wo man sagen kann, es werden auch Waffen direkt in Kriege geliefert.
— Jetzt hat das Bundeswirtschaftsministerium darauf hingewiesen, dass Waffen nur innerhalb der Europäischen Union und an NATO-Partner verkauft werden. Nun mal ehrlich, wo landen deutsche Waffen am Ende wirklich?
Die Formulierung ist relativ wichtig. Innerhalb der NATO, wenn z.B. Waffen an Großbritannien geliefert werden, das an einem Krieg im Irak beteiligt ist, benutzt es dafür all die Waffen die es aus den anderen Ländern zusammenkauft oder auch selbst produziert. Im Übrigen gilt dies auch umgekehrt auch für Deutschland. Deutschland führt einen Krieg in Afghanistan und setzt dabei ja ebenfalls Waffen ein. Insofern ist die Formulierung, man liefere ja nur an NATO- oder EU-Länder etwas, was ich sehr problematisch finde, weil dies ja nicht selten Länder sind, die ja tatsächlich auch Krieg führen.
Aus dem EU-Kontext weiß ich, dass sehr viel zwischen den Staaten hin und her exportiert wird. Also, dass die verschiedenen Spezialisten jeweils ihre Waffen an die anderen liefern. Innerhalb der EU haben wir sechs Länder, die einen großen militärisch-industriellen Komplex haben, also große Rüstungsfirmen, von denen die anderen EU-Länder sehr viel importieren. Griechenland z.B. ist ein EU-Land, das sehr viel importiert, da es keine eigene große Rüstungsindustrie hat. Eine Reihe dieser Staaten ist an Konflikten beteiligt. Auch hier noch mal das Beispiel Großbritannien, ein Land, das selbst auf dem eigenen Territorium einen bewaffneten Konflikt hatte, Stichwort Nordirland. Insofern klingt die Aussage, man liefere nur an NATO- und EU-Staaten viel harmloser als sie tatsächlich ist.
— Wenn man so schaut: die Rüstungsexporte wurden quasi verdoppelt, ist denn die Bedrohungslage wirklich so groß, dass es diese Waffenlieferungen überhaupt geben muss. Oder wird die Bedrohungslage eher künstlich erzeugt, damit dann der Rubel rollt?
Ich würde sagen, das Zweite. Es ist ganz interessant, wenn man sich anschaut, an wen bestimmte Waffen gehen. Ich habe das Beispiel Türkei-Griechenland genannt, wo beide Seiten mit U-Booten versorgt werden. Wenn man sich z.B. den Bereich Naher Osten sich anschaut, dort wird einerseits an die arabischen Staaten, im Moment v.a. an die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Saudi Arabien und Kuwait geliefert und andererseits an Israel.
D.h. es ist nicht selten so, dass in Konflikte, die ohnehin schon vorhanden sind, jeweils beide Seiten Waffen bekommen. Am zynischsten war das damals, als der Krieg zwischen dem Irak und Iran abgelaufen ist [1980 – 1988], wo ja beide Seiten westliche Waffen im Einsatz hatten. Aber im Moment ist es so, dass sehr häufig in schwelende Konflikte weiterhin Waffen geliefert werden.
— In Deutschland können Bundestagsabgeordnete ja nicht eingreifen, wenn sie etwas gegen Rüstungsexporte haben. Ein Vetorecht des Bundestages gibt es nicht. Warum eigentlich nicht, können sie sich das erklären?
Bisher ist es so, dass gesagt wird, dies sei eine Entscheidung der Exekutive, wobei es einfach so ist, wenn man sich die sog. Rüstungsexportrichtlinien anschaut oder auch den auf EU-Ebene vorhandenen Code of Conduct für Waffenexporte, also der Verhaltenskodex für Waffenlieferungen, dann ist dieser im Falle der Europäischen Union nicht rechtsverbindlich. D.h. es werden dort bestimmte Vorgaben gemacht und an die EU-Staaten appelliert, sich hieran zu halten. Innerhalb der Bundesrepublik ist es so, dass dies rechtsverbindlich ist. Allerdings ist eines der großen Probleme hierbei die sog. Endverbleibsbestätigung. D.h. Waffen werden an bestimmte Länder geliefert und die unterschreiben dann quasi, dass diese bei ihnen bleiben. Wir wissen aber aus dem Jugoslawien-Konflikt, dass dort eine ganze Reihe an Waffen aufgetaucht sind, die offiziell in ganz anderen Ländern sein sollten, die aber schlussendlich mitten in diesem Krieg nachher zum Einsatz kamen. D.h., diese Exporte sind sehr häufig Exporte, von denen man am Ende nicht genau weiß, wo sie eigentlich landen werden.
— Was wird denn so geliefert. U-Boote und Panzer haben wir gehört…
U-Boote und Panzer sind vom materiellen Volumen her relativ wichtig. Dann wird sehr viel im Marinebereich, z.B. Fregatten, Korvetten, geliefert. Dann werden Munition, Maschinengewehre, Pistolen geliefert. Interessant sind vielleicht jeweils noch die Firmen, die man dazu noch benennen kann, also Krauss-Maffei Wegmann liefert die Panzer und gepanzerten Fahrzeuge. Allein 1700 gepanzerte Fahrzeuge wurden im Zeitraum 2005 bis 2009 aus Deutschland exportiert, und zwar in 21 Länder. Davon waren, und das ist interessant, 1100 sogenannte gebrauchte gepanzerte Fahrzeuge. Brasilien hat etwa 220 gebrauchte Leopard Panzer I A 5 erhalten oder Chile 140 gebrauchte Leopard II A 4 Panzer. D.h. es sind nicht nur neue Geräte, sondern zum Teil auch alte Geräte.
Thyssen-Krupp ist nicht unwesentlich verantwortlich für Fregatten und Korvetten, EADS für Kampfhubschrauber, da sind gegenwärtig auch welche in der Produktion, die dann später exportiert werden. Rheinmetall ist nicht unwesentlich für die Munition verantwortlich, Maschinengewehre und Pistolen kommen von Heckler & Koch, d.h. es ist eine ganz breite Palette, was an Waffen geliefert wird.
— Und wo in Deutschland sitzen die?
Das ist relativ breit verteilt. Wobei es bestimmte Schwerpunkte gibt. Krauss-Maffei Wegmann sitzt z.B. in Kassel, EADS hat seinen Hauptsitz in den Niederlanden, wobei sich viele Dependancen rund um München befinden, Heckler & Koch im Schwäbischen. D.h. es ist relativ breit verteilt, aber es sind einige wenige Firmen, sozusagen ein Oligopol der Rüstungsindustrie, die dort als Anbieter auftreten.
— Kann es sich Deutschland eigentlich leisten, im doppelten Sinne auf Rüstungsexporte zu verzichten?
Ja, das wäre möglich, weil es so ist, dass es im Grunde genommen Arbeitsplätze sind, vor allem im Bereich der Elektronikrüstungsindustrie, die hochqualifiziert sind und wo es problemlos möglich wäre. Mir hat einmal ein Manager, der bei Bosch gearbeitet hatte, wo es darum ging, wie lange eine solche Firma braucht, um Konversion zu zivilen Produkten zu betreiben, auf meine Prognose von fünf Jahren geantwortet: „Quatsch, das geht viel schneller“. In diesem Elektronikbereich gibt es einen weiten zivilen Markt. Ein bisschen schwieriger ist es, wenn es z.B. um Panzer oder so etwas geht, aber auch da ist es, wenn der Staat bei Konversionsprogrammen helfen würde, z.B. auf Solarproduktion oder so etwas, wäre es durchaus möglich, da andere Produkte herzustellen. Interessant: „Kann man sich das leisten?“ Ich denke, man muss sich das leisten, weil es sich um tödliche Produkte handelt, mit denen getötet wird. Und das hat natürlich auch eine moralische Komponente, sprich, es sollte eigentlich nicht so sein, dass man sein Geld mit Produkten verdient, die dazu da sind, woanders Menschen zu töten.
— Das ist sozusagen die moralische Bewertung. Aber gehört das nicht möglicherweise einfach mit dazu?
Ja, es ist aber natürlich einfach so, dass im politischen Kontext in der Bundesrepublik oder in der Europäischen Unio immer gesagt wird, die Menschenrechte sind eine wesentliche Grundlage dessen, wie man Politik machen sollte. Diese Position zur Universalität der Menschenrechte teile ich. Es ist aber ein offener Bruch der Menschenrechte, wenn man Waffen liefert, weil die ja auch eingesetzt werden können und werden, wie wir ja aus einer Reihe von Konflikten wissen. Insofern ist es nicht nur moralisch, sondern auch politisch notwendig, dass man dies nicht tut.
— Aber es ist ja sicherlich auch naiv anzunehmen, man könnte jetzt auf Exporte, auf Waffen, auf Panzer, U-Boote, alle komplett verzichten.
Man könnte dies natürlich, es handelt sich hier um eine Frage des politischen Willens. Und es ist eine Frage der politischen Debatte. Das interessante im Moment ist ja, dass als die SIPRI-Zahlen jetzt veröffentlicht wurden, dass diese Verdopplung der Rüstungsexporte stattgefunden hat, hat ja durchaus, ein medialer Aufschrei ist vielleicht zuviel, aber durchaus eine Diskussion stattgefunden. D.h. man fühlt sich damit nicht wohl. Ich denke, niemand wird feiern, dass die Bundesrepublik jetzt doppelt so viele Rüstungsexporte hat, wie fünf Jahre zuvor. D.h. es handelt sich hier um etwas, was gesellschaftlich nicht unbedingt gewollt ist und darauf sollte man aufbauen und dies problematisieren. Man sollte sagen, es werden Waffen und Kriegsgeräte in Länder geliefert, wo diese dann auch tatsächlich eingesetzt werden. Und das sind vor allem, das muss man dazu auch noch sagen, Produkte, die im wirtschaftlich relativ unsinnig sind. Weil sie werden eingesetzt, um anderes zu zerstören. Wenn man z.B. Stinger-Raketen anschaut, die werden einmal abgeschossen und dann ist es rum. Das sind in keinster Weise nachhaltige Produkte, sondern genau das absolute Gegenteil: einmal verschossen, und dann ist das ganze Geld kaputt.