IMI-Standpunkt 2009/050, in: Telepolis (27.08.2009)

Schweinegrippe in Afghanistan


von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 30. August 2009

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Siehe auch: http://imi-online.de/download/CM-AUSDRUCK-Oktober09.pdf

Zur Ausbreitung der Schweinegrippe meldete FOCUS online am 25.8.2009: „Auch deutsche Soldaten in Afghanistan sind betroffen. Deswegen schränkte die Bundeswehr ihre Afghanistan-Flüge für Zivilisten stark ein… Das betreffe vor allem Reisen von Journalisten mit der Bundeswehr.“[1] Auch wenn es der Regierung angesichts des zunehmend eskalierenden und zunehmend unpopulären Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan sicherlich recht sein dürfte, dass in Zeiten des Wahlkampfes noch weniger Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet stattfindet, schließt die Bundeswehr jedoch einen Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl aus. Dieser Entschluss habe rein medizinische Gründe.
Eine Reduzierung oder gar ein Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan wird jedoch freilich nicht in Erwägung gezogen. Sicherlich aber kann der Transport von Zivilisten insofern leicht eingeschränkt werden, als dass die vielen zivilen Aufbauhelfer – zumindest diejenigen, die eng mit den westlichen Streitkräften kooperiert haben – ohnehin nichts mehr zu tun haben. Denn Brunnen und Schulen bauen die Bundeswehr und die mit ihr in so genannten „Regionalen Wiederaufbauteams“ zusammengefassten Organisationen ohnehin schon lange nicht mehr. Selbst in der unmittelbaren Umgebung der Bundeswehrlager ist schon seit Monaten niemand mehr sicher, weder die Soldaten selbst in ihren Schützenpanzern, noch ZivlistInnen, die sich nicht klar vom ISAF-Einsatz abgrenzen. Vor dem Heintergrund, dass die Bundeswehr regelmäßig nur wenige Kilometer vom eigenen Camp entfernt etwa bei Kunduz in Gefechte verwickelt wird, erscheint auch die Operation Adler Ende Juli weniger als groß angelegte Offensive, denn als Befreiungsschlag. Es sollte lediglich das unmittelbare Umfeld des Bundeswehrlagers in Kunduz in einem Radius von wenigen Kilometern gesichert werden. Ein Befreiungsschlag, der noch dazu scheiterte. Nach wenigen Tagen zogen die Taliban wieder in die Dörfer ein und errichteten sie Straßensperren an wichtigen Kreuzungen in der Region.[2] Als Symbolische Untermalung ihrer Rückkehr zündeten sie die letzten einst von der Bundeswehr errichteten Schulen an. ZivilistInnen kann man in einem solchen Umfeld sicherlich nicht gebrauchen.

Trotzdem mögen die Befürchtungen der Bundeswehr, mit ihren Auslandseinsätzen zur Verbreitung der Schweinegrippe beizutragen, durchaus real und auch objektiv sein. Nach einem Bericht der WHO über das Auftreten des H1N1-Erregers in der östlichen Mittelmeerregion (zu der die WHO Afghanistan zählt) wurden von den bis zum 26. Juli in der gesamten Region erfassten 1028 Fällen von Schweinegrippe 74.5% durch Reisende importiert und nur 25.5% vor Ort infiziert.[3] Nach einem Situationsbericht der WHO vom 22.08.09 wurden für Afghanistan insgesamt nur 32 bestätigte Fälle von Infektionen mit H1N1 registriert.[4] Am Wochenende zuvor seien jedoch nach dem Bericht von FOCUS online 25 Fälle alleine im Bundeswehrlager Mazar-i-Sharif aufgetreten. Gegenüber Merkur-Online hatte die Bundeswehr kurz zuvor im Zusammenhang mit einem in Murnau stationierten Soldaten, der sich im Spanien-Urlaub infiziert hatte, eingeräumt, in Massenunterkünften wie Kasernen, könnten sich Viren grundsätzlich schneller ausbreiten.[5]
Auch historisch gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie Kriege und militärische Besatzungen und die mit ihnen Verbundene Logistik zur Verbreitung von Pandemien beitrugen. So berichtet Mike Davis in seinem Buch „Vogelgrippe“ (Assoziation A, 2005) von einem ersten Ausbruch des Erregers, der später als Spanische Grippe Millionen Menschen umbrachte, im Winter 1916/1917 in einem britischen Feldlager im französischen Etaples. Nach Indien, wo ihr alleine bis zu 20 Mio. Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, gelangte sie zunächst durch einen britischen Truppentransport. Auch in den Iran, wo zwischen 8% und 22% der Bevölkerung der Spanischen Grippe und ihren Begleiterscheinungen erlegen sein sollen, „trampte die Pandemie über die militärische Versorgungsroute von Bombay zu den britischen Besatzungstruppen“. Im September 1957 wurde die Asiatische Grippe (H2N2) hingegen durch US-Soldaten aus Vietnam nach Kalifornien gebracht und soll daraufhin etwa 34.000 US-Amerikaner getötet haben.

So vorsichtig solche Rekonstruktionen und Prognosen über die Verbreitung von Krankheitserregern stets zu behandeln sind, stehen zweierlei Dinge fest: Erstens wurden besonders im Zuge des Kolonialismus durch von Soldaten und Kaufleute eingeschleppte Erreger ganze Stämme und Völker vernichtet. Die Briten führten dies auf dem Höhepunkt ihrer kolonialen Arroganz gar auf göttliche Fügung zurück. So schrieb der britische Siedler Daniel Denton in seiner „Brief Description of New York“ 1670: „Wo immer die Engländer sich niederlassen, bereitet ihnen eine göttliche Hand den Weg, sei es durch Abzug der Indianer, sei es durch eine Dezimierung der Ureinwohner aufgrund von Kriegen untereinander oder infolge grassierender Krankheiten“ (zit. nach: Sven Lindqvist: Durch das Herz der Finsternis, UT, 2002). Zweitens waren es selten diese Erreger alleine, welche die Menschen umbrachten, sondern andere, alltägliche Krankheiten, die bei Unterernährung, schlechten hygienischen und allgemeinen Lebensbedingungen in Verbindung mit diesen tödlich wirkten. Die Mortalität hing stets von den sozioökonomischen Bedingungen in den verschiedenen Schichten, Klassen und Ländern ab. Die spanische Grippe konnte auch nur deshalb in diesem Ausmaß wüten, da die Produktion der Weltmächte auf die Kolonial- und Kriegswirtschaft ausgerichtet war, die Menschen unter den Kriegssteuern litten und Hunger und andere Krankheiten deshalb weit verbreitet waren. Vor diesem Hintergrund ist durchaus denkbar, dass die neue Schweinegrippe, auch wenn sie im globalen Norden kaum bemerkbar bleibt, in Afghanistan katastrophale Folgen haben könnte: Afghanistan gilt als eines der unterentwickeltsten Länder der Erde, 68% der Bevölkerung haben keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser, 45% haben Probleme bei der täglichen Versorgung mit Nahrungsmitteln und die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren leidet an Untergewicht. Eine flächendeckende Gesundheitsversorgung existiert nicht und erst recht keine (zivile), der die ganze Bevölkerung ihr Vertrauen schenken würde. Anfang 2008 warnten zahlreiche Organisationen und die WHO vor einer Hungerkatastrophe in Afghanistan aufgrund der gestiegenen Nahrungsmittelpreise.[6] Etwas besser sieht es immerhin in den zentralasiatischen Staaten aus, über die ein Großteil der westlichen Kriegslogistik verläuft. Doch auch hier gibt es noch Unterernährung und weit verbreitete Armut und eine Verbeitung der Schweinegrippe ist dort, wo viele ZivilistInnen in den Umschlag und Transport der Militärgüter eingebunden sind, absehbar.

Quellen:

[1] http://www.focus.de/gesundheit/gesundheits-news/schweinegrippe-zahl-der-erkrankungen-in-deutschlang-auf-14561-gestiegen_aid_429549.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,639710,00.html

[3] http://www.emro.who.int/csr/h1n1/pdf/sitrep_5.pdf

[4] http://www.emro.who.int/csr/h1n1/

[5] http://www.merkur-online.de/lokales/nachrichten/schweinegrippe-bundeswehr-ruestet-sich-notfall-450957.html

[6] https://www.imi-online.de/2008.php3?id=1816

Zuerst erschienen in Telepolis: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31014/1.html