IMI-Analyse 2008/037b - in: AUSDRUCK (Dezember 2008)

Change We Can’t:

Barack Obama, der Siegeszug der "War-Democrats" und die Re-Vitalisierung der NATO

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 5. Dezember 2008

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„Amerika hat ein Einparteiensystem mit zwei rechten Flügeln.“
Gore Vidal

Unbestreitbar haben die letzten acht Jahre unter der Präsidentschaft George W. Bushs den USA aber auch dem Rest der Welt schweren Schaden zugefügt. Vor diesem Hintergrund erhoffen sich viele – auch und gerade in Europa – vom neuen US-Präsidenten Barack Obama wahre Wunderdinge – eben jenen grundlegenden Wandel der US-Außenpolitik, der vom neuen Amtsinhaber so vollmundig während seines Wahlkampfes versprochen wurde.

Um nicht missverstanden zu werden: sicherlich ist die Tatsache, dass mit Obama nun erstmals ein Afro-Amerikaner ins Weiße Haus einziehen wird, vorbehaltlos zu begrüßen und wird sich vermutlich auch längerfristig positiv auswirken. Auch setzt sich sein innenpolitisches Programm deutlich von dem seines unterlegenen Herausforderers John McCain ab. Angesichts des offensichtlich kritischen Gesundheitszustandes McCains war zudem allein schon die Aussicht, dass im Falle seines Todes Sarah Palin als dessen Nachfolgerin ins Präsidentenamt aufgestiegen wäre, schlichtweg gruselig.

Dennoch darf man jedoch nicht die Augen davor verschließen, dass den an Obama gerichteten friedenspolitischen Erwartungen bald der große Katzenjammer folgen dürfte. Spätestens seit nun die wichtigsten Posten seines künftigen Kabinetts vergeben wurden, ist Ernüchterung angesagt: sein Team steht für eine Fortsetzung der aggressiv-militaristischen US-Außenpolitik, die sich allenfalls taktisch und rhetorisch, nicht aber in der Substanz von der seines Vorgängers unterscheiden wird. Von den Kriegen im Irak und in Afghanistan über die grundsätzliche Haltung gegenüber Militäreinsätzen bis hin zum Verhältnis mit Russland deutet leider wenig darauf hin, dass mit einer grundsätzlichen Wende zu rechnen ist.

Einzig was die während Bushs Amtszeit schwer beschädigten transatlantischen Beziehungen anbelangt, dürfte eine grundlegende Neuausrichtung anstehen. Denn auch den US-Eliten ist klar, dass eine – taktische – Anpassung der US-Außenpolitik angesichts der desaströs verlaufenden Kriege im Irak und in Afghanistan zwingend erforderlich ist. So deutet einiges darauf hin, dass Obama – nicht zuletzt aufgrund der großen wirtschaftlichen Probleme der USA – versuchen wird, die EU-Staaten künftig deutlich stärker militärisch in die Pflicht zu nehmen, auch sie sollen einen angemessenen Beitrag zur Aufrechterhaltung der westlich dominierten kapitalistischen Ordnung leisten. Im Gegenzug dürfte der Einfluss der EU-Staaten innerhalb einer insgesamt gestärkten NATO deutlich aufgewertet werden, um ihnen diesen Deal schmackhaft zu machen: „Der ‚unilaterale‘ Ansatz, der von Bushs demokratischen Kritikern als strategischer Fehler attackiert wurde, wird nun korrigiert und eine erneuerte NATO wird das Symbol hierfür sein.“[1]

Falkenkabinett: Die Rückkehr der War Democrats

Mit seiner Entscheidung, Robert Gates, den Verteidigungsminister seines Vorgängers George W. Bush, für mindestens ein weiteres Jahr im Amt zu lassen, setzte Obama ein klareres Zeichen, mit der bisherigen Politik keineswegs grundsätzlich brechen zu wollen. Unter Gates wurde eine grundlegende Umstrukturierung der US-Armee eingeleitet, die darauf abzielt, künftig Stabilisierungs- und Aufstandsbekämpfungseinsätzen denselben Stellenwert wie klassischen Kriegseinsätzen zukommen zu lassen. Dies deckt sich offenbar mit Obamas Vorstellungen: „Wir müssen unsere Kapazitäten neu ausbalancieren, um sicherzustellen, dass unsere Truppen agil und tödlich genug sind, um in beidem, in konventionellen Kriegen und in Stabilisierungs- und Aufstandsbekämpfungsoperationen zu siegen.“[2] Genau hierfür steht der alte und neue Verteidigungsminister Gates – und damit auch dafür, dass künftig mit weiteren Besatzungen unter US-Flagge zu rechnen sein wird.

Auch die Berufung von James Jones, ein enger Freund John McCains, zum Nationalen Sicherheitsberater, ist ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich von Obama eine Wende in der Außen- und Sicherheitspolitik versprochen hatten. So war Jones zwischen 2003 und 2006 als NATO-Oberkommandierender maßgeblich für die Eskalation in Afghanistan verantwortlich. Seine jetzige Ernennung deutet auf eine lückenlose Fortsetzung der NATO-Eskalationsstrategie hin, was sich aber mit Obamas eigenen Plänen ohnehin problemlos vereinbaren lässt (s.u.).

Während Obama mit den Ernennungen von Gates und Jones seine Ankündigung wahr machte, auch Republikaner einbinden zu wollen, rekrutiert er unter den Demokraten fast ausschließlich Personen aus dem Umfeld des früheren Präsidenten Bill Clinton. So berief er mit dem damaligen NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark einen der Protagonisten des 1999 erfolgten völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen Jugoslawien in seinen engeren Beraterkreis. Generell ist es ist frappierend, mit welcher Wucht die „Clintonians“ gegenwärtig an die Schaltstellen der Macht zurückkehren. So wurde mit Rahm Emanuel ein enger Clinton-Vertrauter zum Stabschef ernannt. Emanuel verfügt über engste Kontakte zum „Democratic Leadership Council“, dem 1988 gegründeten Sammelbecken der „War Democrats“, die sich für eine wirtschaftsfreundliche und militaristische demokratische Außenpolitik einsetzen. So fordert Emanuel, ein Befürworter des Irak-Kriegs 2003, schon lange eine Aufstockung der US-Armee um 100 000 Soldaten.[3] Auch Obama hat mittlerweile angekündigt, zusätzlich 65.000 Soldaten und 27.000 Marines rekrutieren zu wollen.[4]

Spätestens aber mit der Berufung Hillary Clintons als Außenministerin hat sich Obama von seinem Anspruch, einen wirklichen Wandel einleiten zu wollen, wohl endgültig verabschiedet. Bei Liberalen und Linken löste die Ernennung einen regelrechten Schock aus. So kommentierte Maureen Dowd konsterniert: „Wie kann er Hillary, die für den Irak-Krieg stimmte, ohne die Einschätzungen der Nachrichtendienste zu lesen, die Verantwortung für die Außenpolitik und eine Welt übertragen, die durch diesen Krieg gespalten wurde.“[5] Auf der anderen Seite erhält Obama Lob aus berufenem Munde. So schreibt der Neokonservative Max Boot: „Als jemand, der skeptisch gegenüber der moderaten Haltung Obamas während des Wahlkampfes war, muss ich nun zugeben, dass ich angesichts dieser Berufungen baff bin, die meisten hätten auch gut von einem Präsidenten McCain kommen können.“[6]

Irak: Teilung und Teilabzug

Für den von Obama nach eigenen Aussagen hochgeschätzten neuen Sicherheitsberater James Jones, steht die Bedeutung des Irak-Krieges außer Frage. Ein vom US-Kongress in Auftrag gegebener Bericht, der unter seinem Vorsitz erstellt wurde, ließ diesbezüglich keine Zweifel aufkommen: „Die strategischen Konsequenzen eines Scheiterns – oder nur eines empfundenen Scheiterns – wären für die Vereinigten Staaten und die Koalition enorm. Wir nähern uns einem wirklich strategischen Augenblick im noch jungen Jahrhundert. Die regionale geostrategische Position des Irak, das Machtgleichgewicht im Mittleren Osten, die ökonomische Stabilität, die durch die Energieströme in viele Teile der Welt ermöglicht wird und die Fähigkeit, den Terrorismus wo es am notwendigsten ist zu besiegen und einzudämmen stehen zur Disposition und lassen schnelle und einfache Lösungen nicht zu.“[7]

Von einem „überstürzten“ Abzug hält Jones ebenso wenig wie Vizepräsident Joseph Biden, der im Vorfeld des Angriffskrieges im Kongress einer seiner eifrigsten Befürworter war.[8] Hochgefährlich sind Joseph Bidens Vorschläge zur „Lösung“ des Desasters, das dieser Krieg angerichtet hat. In einem Grundsatzartikel schlug Biden nicht weniger als eine Atomisierung des Irak vor: „Amerika muss sich von der falschen Wahl zwischen ‚den Kurs halten‘ und ‚die Truppen sofort Heim bringen‘ verabschieden und einen dritten Weg wählen. Einen, der es uns erlaubt, unsere Truppenpräsenz verantwortlich zu reduzieren und dabei gleichzeitig Chaos zu verhindern und unsere Sicherheitsinteressen zu wahren.“ Anschließend plädiert Biden de facto für die Aufspaltung des Irak in drei Teile, einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen. Da die „Dinge ohnehin in Richtung einer Teilung laufen“, solle Washington diesen Prozess so weit als möglich forcieren.[9]

Darüber hinaus wird gerne übersehen, dass Obama selbst mitnichten einen vollständigen Abzug aus dem Irak anvisiert, auch wenn dies überall suggeriert wurde. Vielmehr will er auch künftig US-Truppen im Land stationiert lassen: „Dies [die versprochene Truppenreduzierung] würde im Sommer 2010 abgeschlossen sein. […] Nach dieser Restrukturierung würden wir eine Kerntruppe (residual force) für bestimmte Aufgaben im Irak belassen: für das Vorgehen gegen die Reste von Al-Kaida; den Schutz unserer Dienstleister und Diplomaten; und die Ausbildung und die Unterstützung der irakischen Sicherheitskräfte, so lange, bis die Iraker Fortschritte machen.“[10] Über die genaue Größe dieser „Kerntruppe“, die man auch als „Restbesatzung“ bezeichnen könnte, schweigt sich Obama zwar aus, aus Andeutungen während einer Senatsanhörung geht aber hervor, dass er dabei etwa 30.000 Soldaten im Auge hat.[11] Eine zeitliche Befristung für den Verbleib dieser Kerntruppe ist nirgendwo zu finden. Auch von einem Rückzug der bis zu 200.000 im Irak operierenden Söldner, die meisten davon sind als Subunternehmer des Pentagon unterwegs, ist nirgends die Rede. So bleibt von dem vollmundig versprochenen Abzug in der Praxis kaum mehr etwas übrig.

Humanitäre Interventionisten

In Obamas Beraterteam finden sich zahlreiche „linksliberale“ Bellizisten, die sich für humanitäre Interventionen zum Schutz der Menschenrechte und für die gewaltsame Verbreitung von Demokratie, Menschenrechten und – nicht zu vergessen – freien Märkten einsetzen. So bat Obama bspws. Samantha Power als seine Beraterin zu fungieren, nachdem er ihr Buch (A Problem from Hell: America and the Age of Genocide) gelesen hatte, ein flammendes Plädoyer für „humanitäre“ Interventionen.[12]

Auch seine außenpolitische Chefberaterin während des Wahlkampfes, Susan Rice, plädiert mit dem Argument, man könne dem Töten und Sterben in Darfur – das nicht unwesentlich mit der dortigen westlichen Interessenspolitik zusammenhängt – nicht länger tatenlos zusehen, für einen Angriff auf den Sudan: „Die Geschichte zeigt, dass Khartum nur eine Sprache versteht: die glaubwürdige Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Eine UN-Resolution müsse her, um einen Angriff zu autorisieren: „Die USA, vorzugsweise mit NATO-Beteiligung und afrikanischer politischer Unterstützung, würden sudanesische Flughäfen, Flugzeuge und andere militärische Anlagen bombardieren. Sie würden Port Sudan blockieren, durch das die sudanesischen Ölexporte fließen. Anschließend würden die UN-Truppen stationiert – mit Gewalt, sollte dies nötig sein und mit Unterstützung seitens der USA und der NATO. Sollten die USA keine UN-Autorisierung erhalten, sollten sie auch ohne sie handeln.“[13] Ihre Positionen finden sich in Aussagen Obamas wie folgender wieder: „Werden wir den Worten ’nie wieder‘ in Darfur Bedeutung verleihen?“[14]

Selbst der berüchtigten Bush-Doktrin wird nicht grundsätzlich eine Absage erteilt. Ihr Kernelement, der völkerrechtswidrige Präventivkrieg, findet sich verklausuliert auch in Reden Obamas: „Wir müssen in Betracht ziehen, unsere Militärkräfte in Situationen außerhalb der Selbstverteidigung einzusetzen, um die gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten, die globale Stabilität ermöglicht – um unsere Freunde zu unterstützen, an Stabilisierungs- und Wiederaufbaueinsätzen teilzunehmen oder gegen Massentötungen vorzugehen.“[15]

Iran: Alle (militärischen) Optionen bleiben offen

Zwar ist Obamas Ankündigung zu begrüßen, Verhandlungen mit dem Iran aufnehmen zu wollen, um die Konflikte um Teherans Atomprogramm auf diplomatischem Wege zu lösen. Ob er jedoch bereits sein wird, eine verlässliche Nicht-Angriffsgarantie seitens der USA (und Israels) abzugeben, die eine Vorbedingung für eine Verhandlungslösung darstellt, ist mehr als fraglich – zu hören war davon bislang zumindest nichts.

Tatsächlich schließt Obama einen militärischen Angriff keineswegs aus: „Um mit diesen Bedrohungen umzugehen, werde ich die militärische Option nicht vom Tisch nehmen.“[16] Er begründet seine Position mit folgenden Worten: „Die vom Iran ausgehende Gefahr ist real und mein Ziel wird es sein, diese Gefahr zu eliminieren. […] Ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, um zu verhindern, dass der Iran an Atomwaffen gelangt – alles!“[17] In dieses Bild passt auch das Fazit einer Studie des „Bipartisan Policy Center“ vom September 2008, an der u.a. Obamas wichtigster Berater für den Mittleren Osten, Denis Ross, beteiligt war: „Wir sind der Überzeugung, dass ein Militärschlag eine machbare Option ist und als letzte Möglichkeit ergriffen werden muss, um die iranische nukleare Entwicklung abzubremsen, auch wenn damit wohl nicht sämtliche Probleme gelöst und sicherlich neue geschaffen werden.“[18] Eine substanzielle Verbesserung des amerikanisch-iranischen Verhältnisses scheint angesichts solcher Aussagen eher fraglich.

Ende des atomaren Amoklaufs?

Betrachtet man die Studien aus Obamas Umfeld, so dürfte am ehesten im Bereich der Nuklearpolitik mit einer Verbesserung zu rechnen sein. So setzt sich das Papier „Strategic Leadership: A Framework for a 21st Century National Security Strategy“ für eine schnellstmögliche Reduzierung des amerikanischen und russischen Atomwaffenarsenals ein.[19] Auch in der gemeinsamen Blaupause für ihre künftige Außen- und Sicherheitspolitik („A 21st Century Military for America“) sprechen sich Obama und Biden für umfassende Reduzierungen aus.[20] Offen wird dabei aber leider die Frage gelassen, ob die abgerüsteten Atomwaffen endgültig zerstört oder lediglich eingelagert („hedge“) werden sollen. Dies war bereits unter Bush der größte Streitpunkt mit Russland, das auf eine endgültige Zerstörung drängte, da ansonsten eine neuerliche Aufrüstung nahezu problemlos jederzeit wieder möglich wäre. Auch über die Frage, inwieweit der immer offensiver auf atomare Präventivschläge ausgerichteten nuklearen US-Einsatzplanung endlich ein Riegel vorgeschoben wird, schweigt sich Obama bislang bedauerlicherweise aus.

Darüber hinaus hat sich zwar Obamas Vizepräsident Joseph Biden seit Jahren immer wieder kritisch über die kostspieligen und hochgradig destabilisierenden Pläne zum Aufbau einer US-Raketenabwehr geäußert[21], ein Ende des Raketenabwehrprogramms scheint aber nicht zur Debatte zu stehen. So äußern sich Biden und Obama mittlerweile dahingehend, dass es vielmehr darum gehe „effektive“ und „kosteneffiziente“ Systeme aufzubauen, die auch funktionieren. Dies gilt – wohlgemerkt – auch für die Pläne zum Aufbau von Installationen in Polen und der Tschechischen Republik, denen damit keineswegs eine Absage erteilt wird.[22]

Kein amerikanisch-russischer Honeymoon

Dringend erforderlich wäre ein Wandel in den amerikanisch-russischen Beziehungen, damit die sich verschärfenden Konflikte nicht in einen Neuen Kalten Krieg abgleiten. Doch auch hier stimmt die Auswahl von Obamas Beratern alles andere als zuversichtlich. Am meisten Beachtung wurde der Ernennung Zbigniew Brzezinskis als Berater geschenkt, ein Altmeister US-amerikanischer Geopolitik. Er lobt sich bis heute, mit der Aufrüstung der Mudschaheddin (und auch Bin Ladens) Ende der 1970er die Sowjetunion „in die afghanische Falle“ gelockt zu haben. Über diesen Menschen sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow einmal: „Ich bin froh, dass er ein ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater ist. Hass sollte nicht die Außenpolitik bestimmen.“[23] Vor allem im jüngsten Krieg zwischen Georgien und Russland meldete sich Brzezinski lautstark zu Wort. Er verglich Putins Vorgehen mit dem Hitlers und forderte, dass Moskaus Verhalten nur zu „Ausgrenzung und wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen führen kann. Wenn Russland diesen Kurs weiterfährt, muss es letztendlich innerhalb der Staatengemeinschaft isoliert werden.“[24]

Ingesamt gelangt auch das „Center for Defense Information“ zu dem Ergebnis, dass den amerikanisch-russischen Beziehungen nicht gerade rosige Zeiten bevorstehen: „Die Auswahl von Obamas Beratern ist beunruhigend. Er wird von Zbigniew Brzezinski beraten, ein Mann, der für keinerlei freundschaftliche Gefühle gegenüber Russland bekannt ist. Sein wichtigster Russland-Mann ist Michael McFaul, einer der lautstärksten Kritiker Putins in Washington. Und er erhält Lehrstunden in Demokratieförderung von George Soros. Nichts davon ist ein gutes Zeichen für die Fähigkeit Obamas, die Beziehungen zwischen Russland und den USA zu verbessern.“[25] Eine der wichtigsten Entscheidungen, die in nächster Zeit in diesem Kontext anstehen wird, ist die Frage, ob Georgien und der Ukraine die NATO-Mitgliedschaft angeboten werden wird. Obwohl dies für Russland eine rote Linie darstellt, hat sich Obama für einen solchen Schritt ausgesprochen.[26]

Eskalation in Afghanistan

Am deutlichsten sind Obamas Aussagen bezüglich des Kriegs in Afghanistan. Auf der einen Seite will er den Krieg auf pakistanisches Gebiet ausdehnen, um dort Rückzugsgebiete des Widerstandes zu bekämpfen – eine weitere Eskalation wäre damit praktisch vorprogrammiert. Andererseits beabsichtigt er deutlich mehr Truppen an den Hindukusch zu senden. Mindestens zwei zusätzliche Brigaden (10.000 Soldaten) sollen es sein, gleichzeitig will er aber „diese Verpflichtung dazu nutzen, um von den NATO-Verbündeten größere Beiträge – mit weniger Einschränkungen – einzufordern.“[27]

Mit diesen „Einschränkungen“ meint Obama die so genannten „caveats“, Sonderregeln, die den Truppen einzelner NATO-Länder detailliert vorgeben, unter welchen Umständen und wo sie in Afghanistan Gewalt anwenden dürfen. Sie verbieten es etwa der Bundeswehr, sich im umkämpften Süden und Osten zu betätigen. Somit ist Obamas Aussage nicht zuletzt an die Adresse der Bundesregierung gerichtet. Berichten zufolge soll einer Ausweitung des Krieges auf Pakistan von den Verbündeten bereits zugestimmt worden sein, ein deutliches Zeichen dafür, dass man gewillt zu sein scheint, Obamas Forderungen nachzukommen.[28]

Der Grund hierfür liegt darin, dass die größere EU-Beteiligung am Afghanistan-Krieg als eine der Voraussetzungen für eine Runderneuerung der transatlantischen Beziehungen erachtet wird, wie der „European Council on Foreign Relations“ betont: „Die Frage wird wohl in Washington als Lackmustest angesehen werden, ob die Europäer als strategische Partner ernst genommen werden sollten. Somit dürfte die europäische Reaktion die transatlantischen Sicherheitsbeziehungen auf lange Sicht, also die nächsten vier oder acht Jahre beeinflussen.“[29]

Neue Transatlantische Partnerschaft: Re-Vitalisierung der NATO

Nicht erst seit der jüngsten Finanzkrise hat sich die Lage für die USA auch wirtschaftlich deutlich zugespitzt. So belief sich das US-Handelsbilanzdefizit 2007 auf gigantische $700 Mrd. und die Staatsverschuldung stieg in diesem Jahr erstmals auf über $10 Billionen (rechnet man die Deckungslücke der sozialen Sicherungssysteme hinzu, so steigt diese Zahl nach Angaben des US-Finanzministeriums auf über $50 Billionen). Kurz: Die einzige Weltmacht pfeift – ökonomisch wie militärisch – auf dem letzten Loch und es ist auch den US-Eliten klar, dass ein Strategiewechsel dringend erforderlich ist. Ziel ist es deshalb, die Lasten für die Aufrechterhaltung der westlich dominierten Weltordnung auf mehr Schultern zu verteilen. Die Europäische Union, die ebenso von diesem System profitiert wie die Vereinigten Staaten, ist hierfür der natürliche Adressat.

Ein solches „Burden Sharing“ dürfte jedoch nur gelingen, wenn dem – auch militärisch zunehmend untermauerten – Streben der Europäischen Union entsprochen wird, nicht mehr länger auf die Rolle als „Subunternehmer Amerikas“ (Ernst-Otto Czempiel) reduziert zu werden. Nur über eine Aufwertung als gleichberechtigte Macht, dürften die EU-Staaten zu mehr Engagement zu bewegen sein. Um diese „Neue Transatlantische Partnerschaft“ auf den Weg zu bringen, ist Barack Obama geradezu ideal geeignet. Zum einen ist frei von dem Makel der acht dunklen Jahre unter George W. Bush, unter dem die transatlantischen Beziehungen extrem gelitten haben. Zum anderen dürfte die große Beliebtheit, der sich Obama in Europa erfreut, es den EU-Staaten einfacher machen, gegenüber ihrer jeweiligen Bevölkerung höhere militärische Beiträge als Beitrag zur transatlantischen Aussöhnung zu rechtfertigen.

Der Umgang mit dem „Chaos in der Welt“, den Folgeerscheinungen der kapitalistischen Globalisierung, sowie das Bestreben, die aufkommenden Mächte Russland und China auf die Plätze zu verweisen, könnten dabei der Kitt für die Neue Transatlantische Partnerschaft sein – ihren institutionellen Niederschlag würde sie in einer vitalisierten NATO finden. So finden sich in Obamas Umfeld zahlreiche Befürworter, die NATO zu einer „globalen Allianz der Demokratien“ (selbstredend unter amerikanisch-europäischer Führung) auszubauen, um sie gegen die „autoritären“ aufstrebenden Staaten Russland und China in Stellung zu bringen.[30] Aber schon allein dass Obama den ehemaligen Oberbefehlshaber der Allianz zu seinem Nationalen Sicherheitsberater machte, ist für sich schon ein klares Zeichen in diese Richtung. James Jones selbst setzte bereits eine erste Duftmarke, wie die NATO gestärkt werden soll. Er fordert, dass künftig die meisten Entscheidungen im Bündnis nicht mehr im Konsens, sondern per Mehrheitsentscheid getroffen werden sollen. Gleichzeitig plädiert er dafür, aus der informellen Vereinbarung des Prager-Gipfels (2002), 2% des Bruttoinlandsproduktes für Rüstungsausgaben aufzuwenden, eine formale Verpflichtung zu machen und das Prinzip abzuschaffen, dass nur die Mitgliedsländer die Kosten für NATO-Kriegseinsätze bezahlen müssen, die sich auch an ihnen beteiligen.[31]

In Europa jedenfalls scheint man die Botschaft verstanden und wohlwollend aufgegriffen zu haben. Nicht einmal eine Woche nach Obamas Wahl beschloss der Europäische Rat, dass die EU-Mission Eujust Lex, ab Mitte 2009 erstmals auch innerhalb des Iraks Beamte ausbilden und damit den USA bei der Besatzung direkter unter die Arme greifen soll.[32] Die gegenwärtige transatlantische Hochstimmung brachte der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber folgendermaßen auf den Punkt: „Die deutsche Politik wird sich aber auch mit seiner [Obamas] Forderung auseinandersetzen müssen, mehr gemeinsame Verantwortung für globale Probleme in der Welt zu übernehmen. Amerika setzt auf Deutschland und Europa. Die transatlantische Brücke wird stärker.“[33]

Anmerkungen:

[1] Raimondo, Justin: Obama’s Foreign Policy: The Case for Pessimism, antiwar.com, 24.11.2208.
[2] http://www.barackobama.com/issues/defense/
[3] Emanuel, Rahm/Reed, Bruce: The Plan: Big Ideas for America, Washington 2006.
[4] http://www.barackobama.com/issues/defense/
[5] Dowd, Maureen: Team of Frenemies, New York Times, 15.11.2008.
[6] Obama ist eher Westerwelle als Lafontaine, Tagesspiegel, 28.11.2008.
[7] Jones, James (Chairman): The Report of the Independent Commission on the Security Forces of Iraq, 06.09.2007, S. 129f.
[8] Zunes, Stephen: Biden, Iraq, and Obama’s Betrayal, Foreign Policy In Focus, 24.08.2008.
[9] Biden, Joseph/Geld, Leslie: Unity Through Autonomy in Iraq. New York Times, 01.05.2006.
[10] Obama’s Remarks on Iraq and Afghanistan, New York Times, 15.07.2008.
[11] Escobar, Pepe: Obama’s brave (new?) world, Asia Times Online, 17.06.2008.
[12] Baehr, Richard/Lasky, Ed: Samantha Power and Obama’s Foreign Policy Team, American Thinker, 19.02.2008, URL: http://tinyurl.com/28sgkt
[13] Rice, Susan E./Lake, Anthony/Payne, Donald: We Saved Europeans. Why Not Africans?, Washington Post, 02.10.2006.
[14] „Dies ist der Moment“. Obamas Rede im Wortlaut, süddeutsche.de, 24.07.2008.
[15] Bandow, Doug: Presidential Hawks, Left and Right, antiwar.com, 29.06.2008.
[16] Ebd.
[17] Obama vows to stop Iran from having nuclear arms, reuters, 04.06.2008.
[18] Meeting the challenge: U.S. policy toward iranian nuclear development, September 2008.
[19] Vgl. Strategic Leadership: A Framework for a 21st Century National Security Strategy, Center for a New American Century, July 2008, S. 5.
[20] Barack Obama and Joe Biden on Defense Issues, URL: http://www.barackobama.com/pdf/issues/Fact_Sheet_Defense_FINAL.pdf
[21] Vgl. Joseph Bidens Vorwort in Young, Stephen W.: Pushing the Limits, Washington D.C. 2000.
[22] Barack Obama and Joe Biden on Defense Issues aaO.
[23] Griffin, Webster: Obama – The Postmodern Coup: Making of a Manchurian Candidate by Webster Griffin, URL: http://tinyurl.com/5r4rgk
[24] „Russlands Vorgehen ähnelt dem von Hitler“, Die Welt, 11.08.2008. Ebenfalls in sein Team geholt hat Obama Brzezinskis Sohn Mark, der seinem Vater hinsichtlich dessen Russophobie in nichts nachsteht.
[25] Should Moscow Root for Obama?, CDI Russia List, 21.03.2008.
[26] Carpenter, Ted: Worse than Bush? National Inters Online, 11.07.2008.
[27] Obama’s Remarks on Iraq and Afghanistan, New York Times, 15.07.2008.
[28] Beitrag zur Operationsführung, german-foreign-policy.com, 27.11.2008.
[29] Korski, Daniel: Enhancing the EU’s role in Afghanistan, ECFR, 05.11.2008.
[30] Daalder, Ivo/Goldgeier, James: Global NATO, Foreign Affairs, September/October 2006.
[31] An interview with General James L. Jones, NATO Defense College, Research Paper, Januar 2008.
[32] Council Conclusions on the ESDP, 10./11.11.2008.
[33] „Starke und mutige Botschaft“, Spiegel Online, 24.07.2008.