IMI-Studie 2007/08
Rüsten für den globalen Bürgerkrieg
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 6. Oktober 2007
Die IMI-Studie „Rüsten für den globalen Bürgerkrieg“ geht von einer zunehmenden Verarmung großer Bevölkerungsteile durch den weltweiten Kapitalismus aus, deren Kontrolle von der „Strategischen Gemeinschaft“ als größte Herausforderung der kommenden Jahre gesehen wird (Abschnitt 1). Durch erweiterte Sicherheitsbegriffe (Abschnitt 2) ist der Umgang mit der Zivilbevölkerung insbesondere bei Peacekeepingeinsätzen in den Aufgabenbereich des Militärs übergegangen, was sich gut am Beispiel Haiti (Abschnitt 5) darstellen lässt. Mittlerweile haben auch die USA in ihren Militärdoktrinen diese Strategie übernommen, die Zivilgesellschaften der Einsatzländer quasi militärisch zu durchdringen (Abschnitt 4).
Kern der Studie ist ein zusammenfassender Überblick über Rüstungsprojekte, welche diesen Paradigmenwechsel widerspiegeln. Dabei geht es in Abschnitt 3 noch überwiegend um eher klassische Militärgüter, für die nun aber die schnelle Verlegbarkeit eine wesentlich wichtigere Rolle spielt. Die Abschnitte 6 und 7 handeln hingegen von der Militarisierung der Polizei, dem Aufbau von Gendarmerieeinheiten und neuen Ausbildungskonzepten, mit denen Soldaten auf die Niederschlagung von Demonstrationen und Aufständen vorbereitet werden. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die Militärs auf den Häuserkampf in noch von ZivilistInnen bewohnten Großstädten vorbereiten, besonders auf die Rolle von unbemannten Drohnen (Abschnitt 9) und so genannten Nicht-Lethalen Waffen (Abschnitt 11) hierbei wird besonders eingegangen. Zum Abschluss (Abschnitt 12) wird noch die Umstrukturierung des globalen Rüstungsmarktes dargestellt, welche ebenfalls die These untermauert, dass die Staaten immer weniger für einen Krieg gegeneinander als gegen die eigene Bevölkerung aufrüsten.
https://www.imi-online.de/download/IMI-Studie-2007-08.pdf
Die Studie finden Sie im AUSDRUCK-Layout als pdf hier: https://www.imi-online.de/download/CM-Okt07-GCW.pdf
Es folgt eine stark gekürzte Version, die im Friedensforum 4/2007 erschienen ist.
Planet der Slums
Während verschiedene Indikatoren zum Zustand der Welt, etwa der „Human Development Index“ ein verhalten optimistisches Bild hinsichtlich globaler Armut und der durchschnittlichen Lebenserwartung vermitteln, zeichnet der US-amerikanische Soziologe Mike Davis in seinem kürzlich auf deutsch erschienenem Buch „Planet der Slums“ ein gänzlich anderes Bild.
Ausgehend von der Feststellung, dass erstmals in der Geschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land leben, beschreibt er die beschleunigende Urbanisierung rund um die Welt als zumindest unter den Bedingungen des globalen Kapitalismus unumkehrbaren Prozess, der zu einer massiven Zunahme von Slums und der mit ihnen verbundenen Lebensweisen führt. Anders als bei den zuvor genannten Indikatoren tritt hier Armut als nachvollziehbares Gesamtphänomen zu Tage, mitsamt der rechtlichen Unsicherheit, sozialen Perspektivlosigkeit und letztendlich der Kriminalisierung. Und anders als beim Bild des hungerbäuchigen afrikanischen Kindes, wird hier auch das Konfliktpotential der globalen Verarmung deutlich. Ein Konfliktpotential, das von den strategischen Kommandohügeln schon lange identifiziert wird, wie Davis u.a. mit Zitaten wie diesem aus der Zeitschrift des US-Army War College verdeutlicht: „Die Zukunft der Kriegsführung liegt in den Straßen, Abwasserkanälen, Hochhäusern und dem Häusermeer, aus denen die zerstörten Städte der Welt bestehen … Unsere jüngste Militärgeschichte ist gespickt mit Städtenamen wie Tuzla, Mogadischu, Los Angeles, Beirut, Panama City, Hué, Saigon, Santo Domingo – aber diese Zusammenstöße sind nur der Prolog des eigentlichen Dramas, das uns noch bevorsteht.“(1) Los Angeles hat sich nicht zufällig in diese Reihe von Städten, die überwiegend in der so genannten Dritten Welt liegen, eingereiht. Denn Armut und wachsende Ungleichheit werden auch in den Metropolen des Westens als zunehmende Bedrohung eingeschätzt. So heißt es bereits Ende der 1990er Jahre im Zukunftsbericht der Freistaatenkommission Bayern/Sachsen hinsichtlich der „defensiven Niedriglohnstrategie“: „Diese insgesamt positiven Wirkungen gehen jedoch einher mit wachsender materieller und immaterieller Ungleichheit. Wird das durch die Sozialhilfe definierte Existenzminimum spürbar gesenkt, verändern sich die Erscheinungsformen von Armut. In den Städten können Armenviertel entstehen, der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung von Bevölkerungsgruppen können sinken, die Kriminalität kann steigen.“(2) Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik führt diesen Gedanken zu Ende: „Krasse Armutsunterschiede oder rasche Veränderungen in der Armutsstruktur, wie beispielsweise die Verarmung der Mittelschichten oder auch nur deren Angst davor, können unter bestimmten Umständen in Radikalisierung, Militanz und Bereitschaft zur Anwendung terroristischer Mittel umschlagen.“(3) Die Tatsache, dass es zunehmend gesellschaftliche und polizeiliche Aufgaben sind, welche die Soldaten wahrnehmen, bezeichnet Stephan Böckenförde von der Akademie für Information und Kommunikation der Bundeswehr als „Paradigmenwechsel von Verteidigung zum Schutz“.(4) Im Gegensatz zur Verteidigung findet der Schutz nicht an der Grenze statt sondern etwa als Schutz der Energieversorgung weit jenseits und als Schutz kritischer Infrastrukturen feingliedrig auch innerhalb der Grenzen. Im Gegensatz zur Verteidigung benötigt der Schutz keinen aktivierenden Angriff, sondern findet im Vorfeld präventiv statt. Im Gegensatz zur Verteidigung ist der Schutz nicht auf ein militärisches Gegenüber beschränkt, sondern umfasst ebenso terroristische, biologische, klimatische und auch – betrachtet man „Integrationspolitik“ als Terrorismusprävention – kulturelle Gefahren. Dies wird im Weißbuch der Bundeswehr unter dem Schlagwort der „vernetzten Sicherheit“ ebenso formuliert: „Nicht in erster Linie militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen … bestimmen die künftige sicherheitspolitische Entwicklung“.(5) Im Begriff der vernetzten Sicherheit bzw. dem Paradigmenwechsel von der Verteidigung zum Schutz erkennen wir eine Ursache für die Auflösungserscheinungen herkömmlicher Kategorien wie Krieg und Frieden, Kombattant und Zivilist, Innere und Äußere Sicherheit, Peacekeeping und Katastrophenschutz. In ihnen erkennen wir den Schlüssel zum globalen Bürgerkrieg.
Die Kontrolle des Raumes
Eine wichtige Rolle in den Strategien westlicher Streitkräfte für den globalen Bürgerkrieg spielt die „Interdiktion“, „also die Kontrolle und das Unterbrechen von Personen- und Güterverkehr“.(6) Dies soll einerseits die Verfügungsgewalt potentieller Gegner über Waffen und waffenfähiges Material einschränken, andererseits den sicheren Transport sowohl von Rohstoffen als auch Exportprodukten gewährleisten und damit das wirtschaftliche Rückrat der Ersten Welt stärken, was durch eine dauerhafte Präsenz der Marine an wichtigen Passagen der Weltmeere realisiert werden soll.(7)
Zwei weitere Anforderungen für ein globales Engagement, insbesondere zur so genannten schnellen Krisenintervention seien hier nur kurz erwähnt. Einerseits muss die schnelle Verlegbarkeit von Truppen und wegen ihres zunehmend robusten Mandates auch schwereren Waffensystemen wie Panzern oder Hubschrauber gewährleistet sein. Hierfür dient im europäischen Kontext die Anschaffung von insgesamt 180 militärischen Großraumtransportern vom Typ Airbus A400M durch Staaten der EU und die Türkei. Als Übergangslösung hält die Ruslan Salis GMBH auf dem Flughafen Halle/Leipzig ständig zwei Antonow An-124 bereit und stellt sie bei Bedarf vier weitere An-124 den NATO- und EU-Mitgliedsstaaten zur Verfügung.(8) Doch auch die Soldaten im Einsatzgebiet müssen schnell an verschiedene Einsatzorte kommen. Deshalb wird seit 1990 unter der Ägide der NATO der NH90 entwickelt, von dem mittlerweile durch 14 Staaten (vorwiegend EU- und NATO-Mitglieder) über 400 Stück bestellt wurden. Insbesondere seine Ausführung als taktischer Transporthubschrauber (TTH) mit Platz für 20 voll ausgerüstete Soldaten wird stark nachgefragt, von ihnen haben alleine Deutschland 122, Spanien 90 und Italien 70 angefordert. Eine weitere Konsequenz des Szenarios kurzfristiger und weit entfernter Kriseneinsätze ist die zunehmende Entwicklung von gepanzerten Containersystemen, aus denen modular Lager aufgebaut oder auch ganze Sanitätsstationen kurzfristig abgesetzt werden können. Container zum Transport von Truppen durch feindliches Gelände werden gegenwärtig auch von EADS in Zusammenarbeit mit Krauss Maffei Wegmann für die Bundeswehr entwickelt (MUCONPERS).
Polizeisoldaten
Im Folgenden soll es um die neuen Strategien gehen, mit denen auf so genannte asymmetrische Bedrohungen reagiert wird. Angesichts der Übermacht staatlicher Militärs treten die Feinde der Interventionen nicht als offen uniformierte und agierende Kampfverbände auf, sondern greifen zu Mitteln wie Sabotage, Hinterhalten, Anschläge sowie zum Terrorismus gegenüber unbeteiligten Dritten. Gleichzeitig müssen die Soldaten Präsenz zeigen und „ein sicheres Umfeld schaffen“ und zwar sowohl, wenn es um Aufstandsbekämpfung geht, wie in Irak und Afghanistan, als auch bei Peacekeeping-Einsätzen wie in Haiti. Dort werden in den Armutsvierteln Polizeistationen unter Bewachung internationaler Soldaten aufgebaut und Polizeipatrouillen militärisch verstärkt. Razzien unter Beteiligung von UN-Soldaten gehen dann mit solchen Meldungen zu Ende: „96 Verdächtige, darunter vier bekannte Mitglieder einer Gang, wurden verhaftet und in den Gewahrsam der HNP [Haitian National Police] übergeben“.(9)
Die Übernahme polizeilicher Aufgaben bei Peacekeeping wie Besatzungen drückt sich in der hybriden Form von Polizeisoldaten aus. So sollen Angehörige der deutschen Bundespolizei durch eine Gesetzesänderung in Auslandseinsätze entsandt werden können (bislang müssen sie ihrer Auslandsverwendung zustimmen). Die Feldjäger erfahren gegenwärtig wegen ihrer polizeiähnlichen Ausbildung eine Aufwertung in der Bundeswehr sowohl bei der Ausbildung anderer Truppenteile in Crowd and Riot Control (CRC) als auch durch ihre vielseitige Anwendbarkeit im Ausland. Im Kosovo reicht ihr Aufgabenbereich vom militärischen Verkehrsdienst über Raum- und Objektschutz bis hin zum Personenschutz. Ein Element der Feldjägereinsatzkompanie in Prizren ist die vom BKA ausgebildete „Ermittlergruppe“, die „Aufgaben wie die Kriminalpolizei wahr[nimmt]“.(10)
Andere Staaten verfügen bereits über Gendarmerieeinheiten wie die Carabinieri, die sowohl dem Innen- als auch dem Verteidigungsministerium unterstehen. Dieses Konzept erweist sich als wahrer Exportschlager, so beraten und begleiten Carabinieris unter militärischem Kommando (EUFOR BiH) den Aufbau einer neuen Polizei in Bosnien-Herzegowina und bilden am so genannten „Center of Excellence for Stability Police Units“ (COESPU) im italienischen Vincenza auf Initiative der G8-Staaten Polizeibeamte u.a. aus Kamerun, Indien, Jordanien, Kenia und Senegal in Aufstandsbekämpfung und für Auslandseinsätze aus.(11) In der selben Stadt befindet sich auch das Hauptquartier der European Gendarmerie Force. Diese besteht aus Abteilungen der französischen, italienischen, niederländischen, portugiesischen und spanischen Gendarmerie-Truppen(12) seit März 2007 in Partnerschaft mit der polnischen Militärpolizei. Die EGF hat explizit einen militärischen Status, soll aber auch die Fähigkeiten der Polizei besitzen. Die Kontrolle von Demonstrationen und Niederschlagung von Aufständen als CRC ist im Ausland bislang noch vornehmlich Aufgabe des Militärs. Als besonderes Testfeld erweist sich hier der Balkan, insbesondere im Kosovo scheinen CRC-Übungen wöchentlich stattzufinden.(13) Die Übungsszenarien lauten dabei beispielsweise wie folgt: „Eine Gruppe von Demonstranten hat sich von einer genehmigten Demonstration in der Altstadt abgesetzt und bewegt sich in Richtung Erzengelkloster im Bistricatal. Zum Schutz der Mönche und des Klosters befiehlt die 4. Kompanie … zusätzliche Sicherungsmaßnahmen. Dazu verstärkt sie die Reserve, luftbeweglich als CRC-Zug.“(14) Die Übungen sind u.a. notwendig, um den Umgang mit für Soldaten eher untypischen Einsatzmitteln wie Schilden (gegen Steinwürfe) zu trainieren.
Urbane Kriegsführung
Als „Three Block War“ werden Situationen bezeichnet, in denen zugleich mit einer aufgebrachten aber unbewaffneten Bevölkerung und einem militärisch bewaffneten und organisierten Feind umzugehen ist. Ein Szenario, das sich für deutsche Soldaten auch beim EUFOR-Einsatz in Kinshasa hätte ergeben können und das intensiv geübt wird, etwa an der Infanterieschule Hammelburg vor folgendem fiktiven Hintergrund: „Eine Hilfsorganisation verteilt Lebensmittel an die Bevölkerung, geschützt durch eine Patrouille deutscher Infanteristen. … Eine Autobombe ist detoniert. Mehrere Zivilisten und ein Soldat liegen verwundet am Boden. … Die Bevölkerung, der die Rettungsmaßnahmen nicht schnell genug gehen, ist aufgebracht und die Lage eskaliert. Wütende Demonstranten dringen auf die mittlerweile eingetroffene Verstärkung ein, die mit Schilden, Stöcken und Hunden die Lage aber sicher im Griff hat. Heckenschützen, die in die Menge schießen und dabei mehrere Zivilisten und einen Soldaten verwunden, werden im koordinierten Einsatz von Panzern, Schützenpanzern und Infanterie rasch unschädlich gemacht.“(15)
Als Kulisse dient das Dorf Bonnland mit seinen 120 Gebäuden, die seit 1937 nicht mehr bewohnt werden, sondern auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg als „Ortskampfanlage“ dienen. Neben Soldaten in zivil werden für solche Übungen auch zunehmend Zivilisten etwa durch das Rostocker Sicherheits- und Personaldienstleistungsunternehmen DSS angeworben. Die Rollenspieler sollen dann etwa das Leben in einem irakischen oder kosovarischen Dorf simulieren. Der Truppenübunsplatz Lehnin, etwa 25 km südwestlich von Berlin, verfügt neben mehreren Ortskampfanlagen auch über die „Stadtkampfanlage“ Rauhberg. Die Notwendigkeit von Kulissen mit Hochhäusern und städtischer Infrastruktur stellt Sascha Lange von der Stiftung Wissenschaft und Politik in seinem Diskussionspapier „Falludscha und die Transformation der Streitkräfte – Häuserkampf in Städten als dominante Kernfähigkeit der Zukunft?“(16) dar. Ein realistisches Training für Kampfeinsätze in solchen Ballungszentren, bei denen insbesondere auch Industrieanlagen und Kraftwerke eine Rolle spielen, ist jedoch in den wenigen Hochhäusern Rauhbergs ebenso wenig möglich, wie in den US-amerikanischen „Urban Combined Arms Collective Training Facilities“, die meist aus 20-30 Gebäuden bestehen. Hier lässt sich „speziell die Integration von dosierter Artillerie, Luftnahunterstützung und (Kampf-)Logistik nicht adäquat“ darstellen. Bislang seien im Training „Probleme wie Nachschub von Verpflegung und Munition, Evakuierung von Verwundeten, Kommunikation und elektronischer Kampf“ nicht ausreichend berücksichtigt worden.(17) Auf viele israelische Erfahrungen im urbanen Einsatz könne man jedoch zurückgreifen. So habe sich ergeben, dass Scharfschützen von herausragender Bedeutung sind und Wände penetrierende Radargeräte sowie Durchbruchssysteme sinnvoll seien. Entsprechend hat sich die US-Army mittlerweile die gepanzerte Version des Bulldozers D-9R angeschafft.
Vernetzung und Aufklärung
Wichtig für den Kampf in urbanem Gelände ist jedoch vor allem die Erstellung eines umfassenden Lagebildes und die Vernetzung von Informationen. Hier ist Deutschland mit seinem modularen Ausrüstungskonzept „Infanterist der Zukunft“ (IdZ) für Bodentruppen führend. Neben einer besseren Bewaffnung und standardmäßigen Komponenten zum Schutz vor ABC-Angriffen vernetzt es die Informationen von je zehn Soldaten einer Gruppe mit einer Basisstation. „Jeder Soldat der Gruppe weiß, wo seine Kameraden sind, nicht nur in der Gruppe, sondern auch auf höheren Ebenen […] Ein Laser-Entfernungsmesser ist in deren Ferngläser integriert. Dessen Daten werden kabellos an das ,Navipad’ übertragen und können dann den anderen Soldaten der Gruppe oder anderen Einheiten weitergesendet werden. Zusätzlich sind IdZ-Gruppen mit einer digitalen Kamera namens ,Vector’ ausgerüstet, der Daten ebenfalls kabellos übertragen kann. Sie kann als Mittel zur Fernaufklärung genutzt werden oder um Personen bei Peacekeeping-Einsätzen an Checkpoints zu identifizieren. Die eingefangenen Bilder können ans Hauptquartier gesendet werden oder von der Gruppe zur Herstellung dreidimensionaler digitaler Abbildungen von Häusern oder anderen Objekten verwendet werden, die sie angreifen oder sichern muss.“(18)
Das System wurde 2002 fünf Monate in Kosovo und seitdem in Afghanistan erprobt. Zunächst ist die Ausrüstung der Division Spezielle Operationen damit vorgesehen. Mittelfristig ist auch der Datenaustausch mit unbemannten Flugkörpern – so genannten Drohnen – vorgesehen. Speziell für die Nahaufklärung im urbanen Raum hat sich das deutsche Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung für die Mikroaufklärungsdrohne MIKADO entschlossen, von der bis 2008 66 Exemplare angeschafft werden sollen. Die Drohne Aladin, die aussieht wie ein Modellflugzeug, wird bzw. wurde bereits in Afghanistan und der DR Congo von der Bundeswehr eingesetzt. Die wesentlich größere Drohne LUNA wird ebenfalls in Afghanistan und dem Kosovo bereits eingesetzt, kann bis 4000 m aufsteigen und zwei Stunden aufklären, muss dafür aber mit einer Abschussvorrichtung in die Luft gebracht werden.(19)
Zu den genannten Drohnen gibt es noch diejenigen der MALE- und diejenigen der HALE-Klasse für Höhen zwischen 5 km und 15 km bzw. über 15 km. Sie zeichnen sich insbesondere durch ihre lange Ausdauer und Reichweite aus und haben darüber noch die Fähigkeit, Funk- und Radarsignale zu erfassen, können damit also Telefonverkehr abhören oder Radarstationen orten.(20) Über MALE-Drohnen verfügt Deutschland nicht, in Europa nutzen allerdings die französischen und schwedischen Streitkräfte die MALE-Drohne EAGLE von EADS. Die USA verfügen bereits seit 1995 über die MALE-Drohne Predator, die schon im Irak und dem Kosovo, in Bosnien und Afghanistan eingesetzt wurde und auch mit Waffen wie Hellfire bestückt werden können. Durch den gezielten Einsatz von Predator-Drohnen der USA wurde beispielsweise die Tötung von Abu Hamsa Rabia in Pakistan vorgenommen.(21) Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung hat am 1.2.2007 mit EADS und der US-Firma Northrop Grumman einen Vertrag über 450 Mio. Euro für die Entwicklung eines Prototyps der HALE-Drohne EuroHawk, basierend auf dem US-Modell Global Hawk, unterzeichnet. Diese hat eine Reichweite von 25.000 km und kann über 24 Stunden im Einsatz bleiben, also theoretisch von Deutschland aus (fast) jeden beliebigen Ort der Welt aufklären und zukünftig evtl. auch bombardieren. Mit solchen hochfliegenden Drohnen lassen sich auch potentielle Einsatzgebiete ohne das Einverständnis des jeweiligen Souveräns unauffällig aufklären.(22)
Urban Resolve
Nach Angaben der US-Rüstungszeitschrift National Defense werden in Irak und Afghanistan insgesamt 1.500 US-Drohnen eingesetzt. Angesichts dieser Menge und der vielen Störsignale im städtischen Raum gilt es, die vielfältigen Informationen effizient zu verwalten und auszuwerten.(23) Um hierfür auch im Rahmen multinationaler Einsätze die richtigen Strategien zu entwickeln, führte das US-Militär bis Mitte 2007 ein mehrjähriges Experiment mit dem Namen „Urban Resolve 2015“ durch. Hierfür wurde eine Stadt mit über 1.8 Mio. Gebäuden, davon 65.000 begehbar, und 124.000 Menschen virtuell simuliert. Von den simulierten Menschen wiederum waren 35.000 animiert und verhielten sich in einer „kulturell angepassten Weise“, d.h. sie gingen zur Arbeit, aßen und beteten.(24) Unter ihnen versuchten sich etwa 1.100 feindliche Kräfte zu verstecken. Aufgabe der teilnehmenden Soldaten aus 14 Staaten war es, überall in der Stadt Sensoren anzubringen und sie so miteinander zu verknüpfen, dass die feindlichen Kräfte identifiziert werden können. Dies beinhaltete auch die Markierung von Menschen und Fahrzeugen mit Sensoren, die über Drohnen überwacht werden und so ein Bewegungsprofil der Personen ermöglichen. Der deutsche Teilnehmer Stephan Meermann beschreibt folgendes Szenario: Nach Abzug der US-Streitkräfte 2009 aus dem Irak „verschlechterte sich die wirtschaftliche und infrastrukturelle Lage des Gouvernats Bagdad kontinuierlich. Dies führte im Ergebnis zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Bagdad sowie zu Autonomiebestrebungen. Im Jahr 2015 bat die irakische Regierung die UN … um Hilfe. Im Rahmen eines UN-Mandats führten US-Streitkräfte eine sehr kurze Anfangsoperation (’Major Combat Operation’) durch und gingen in Bagdad zu einer Stabilisierungsoperation über. Daraufhin entwickelte sich innerhalb von 35 Tagen eine sehr aktive Bewegung Aufständischer (’Insurgency’)[…]“.(25)
Tatsächlich erschöpfte sich das virtuelle Experiment jedoch nicht in der reinen Bekämpfung des Aufstandes. Die Computersimulation ermittelte zugleich Einstellungsmuster in der Bevölkerung, von den Experimentteilnehmern mussten „Maßnahmen zur Begrenzung der Auswirkungen des Ausbruchs der Vogelgrippe im Norden des Irak“(26) geplant werden. Das „künstliche Umfeld für Analyse und Simulation“ (SEAS), welches dem Experiment zugrunde liegt, soll zudem Aufschlüsse darüber geben, „wie die Bevölkerung auf Handlungen reagieren könnte, die gegen die politischen, militärischen, sozialen, infrastrukturellen und informationellen Grundlagen ihrer Länder gerichtet sind.“(27) Da also das Verhalten von Massen im urbanen Umfeld simuliert würde, biete sich das Simulationsumfeld auch für Katastrophenschutzplanungen an. Der Direktor der militärischen Forschungseinrichtung, die es entwickelt hat, geht deshalb auch davon aus, dass bald ein weiteres Experiment unter Beteiligung der Streitkräfte, aber der Leitung des Departement of Homeland Security stattfinden wird, um Einsätze innerhalb der USA durchzuspielen.(28)
Die Experimente zur Aufklärung mit Drohnen sind ohnehin auch für „ziviles“ Sicherheitspersonal von Interesse. So setzt Österreich die schwere Drohne CamCopter S-100 zur Überwachung der Grenze zur Slowakei ein, die Liverpooler Polizei lässt seit Mai 2007 den Sensorcopter von Diehl über Parks und sozialen Brennpunkten kreisen. Drohnen wurden auch schon von der deutschen Polizei eingesetzt, etwa um während Castor-Transporten das Schienennetz zu überwachen.
Anmerkungen
1 Davis, Mike: Planet der Slums, Verlag Assoziation A, 2007
2 Zit. nach: Brangsch, Lutz: Zwei Seiten einer Medaille – Sozialabbau im Innern und Militarisierung nach außen, in Pflüger, Tobias/ Wagner Jürgen: Welt-Macht EUropa, VSA-Verlag 2006
3 Bundesakademie für Sicherheitspolitik: Asymmetrien als Herausforderung – Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik
4 Böckenförde, Stephan: Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel von Verteidigung zu Schutz, in: Europäische Sicherheit, August 2007
5 Bundesministerium der Verteidigung (Hrsg.): Weißbuch 2006. Zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, Berlin, 25.10.2006
6 Böckenförde, a.a.O.
7 Seit 2001 finden bereits zwei solche Missionen statt: Active Endeavour im Mittelmeer sowie Enduring Freedom am Horn von Afrika. Siehe dazu auch Rühl, Lothar: Deutsche Sicherheitsinteressen in Afghanistan – nicht nur eine Definitionsfrage, in: Strategie und Technik, Juli 2007. Darin heißt es: „Um die Energiesicherheit und die Sicherheit des Seeverkehrs mit Tankern wie der Überland-Leitungen durch krisengeschütteltes Gebiet zu gewährleisten, bedarf es weiträumig mobiler und flexibler militärischer Kapazitäten, die kriseninterventionsfähig und koalitionsfähig sind. Besonders wichtig werden maritime Kapazitäten und schnell bewegliche Flottenpräsenz im Mittelmeer, in der Arabischen See, im Persischen Golf und im Indischen Ozean.“
8 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE zur Nutzung des Mitteldeutschen Flughafens Leipzig/Halle für militärische Zwecke, BT-Drucksache 16/4343, sowie Scholz, Udo: SALIS – Eine erste Zwischenbilanz, in: Strategie und Technik, Mai 2007
9 Report of the Secretary-General on the United Nations
Stabilization Mission in Haiti, Dokument des UN-Sicherheitsrates (S/2005/124)
10 Maz & More, Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Nr. 395
11 James Correa: U.S.-Backed Police Training Center in Italy Marks Anniversary, http://usinfo.state.gov/xarchives/ display.html?p=washfile-english&y= 2006&m=November&x=20061102150856AJaerroC0.2494776
12 Gendarmerie Nationale, Carabinieri, Royal Marechaussee, Guarda Nacional Republicana, Guardia Civil
13 Dies ergibt eine Auswertung der wöchentlich erscheinenden Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Maz & More.
14 Maz & More, Feldzeitung der Bundeswehr für das Kosovo, Nr. 422
15 www.deutschesheer.de, 22.8.2007
16 Lange, Sascha: Falludscha und die Transformation der Streitkräfte – Häuserkampf in Städten als dominante Kernfähigkeit der Zukunft?, SWP-Diskussionspapier FG3 – DP 01, 2005
17 Lange, a.a.O.
18 Kenyon, Henry S.: Bundeswehr Marches Into the Future, in: Signals (Journal of the Armed Forces Communications and Electronics Association) November 2004
19 Hermann, Rolf: Hochfliegende Pläne, in: Y – das Magazin der Bundeswehr, Juli 2007
20 Hermann, a.a.O.
21 Dean, Sidney E.: Speerspitze im Krieg, in: Y – das Magazin der Bundeswehr, Februar 2007
22 Wiesemann, Markus: Veränderung des Einsatzspektrums der Luftwaffe durch UAV, in: Europäische Sicherheit, April 2007
23 Jean, Grace: Urban Battlefield is Proving Ground For Unmanned Aerial Systems, in: National Defense, März 2006
24 Anastasiou, Alexander B.: Modeling Urban Warfare: Joint Semi-Automated Forces in Urban Resolve, Abschlussarbeit am Air Force Institute of Technology, März 2006
25 Stephan Meermann: Urban Resolve, in: Strategie und Technik, Februar 2007
26 Meermann, a.a.O.
27 Anderson, Sharon: Urban Resolve 2015, in: CHIPS – The Department of the Navy Information Technology Magazine, Oct. – Dec. 2006
28 Ebd.