IMI-Analyse 2007/029

Afghanistan – die deutsche Rolle

Informationen zur anstehenden Mandatsverlängerung im September

von: Claudia Haydt / Christoph Marischka / Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 17. August 2007

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In der Sitzungswoche vom 17. bis zum 21.9.2007 wird im Deutschen Bundestag über die Fortsetzung des deutschen Beitrags zum Krieg in Afghanistan debattiert und entschieden. Kurz zuvor, am 15.9.2007 wird – ebenfalls in Berlin – eine bundesweite Demonstration gegen die Verlängerung aller Mandate und für eine sofortige Beendigung des Krieges stattfinden. Stattdessen soll dem Land ausschließlich zivile Hilfe für den Wiederaufbau zukommen, denn, so heißt es in dem Aufruf: „Der zivile Wiederaufbau in Afghanistan sowie eine humane Entwicklung können überhaupt erst gelingen, wenn der Krieg beendet ist. Was Afghanistan braucht, ist Frieden als Voraussetzung für eine souveräne Demokratie. Die Kriegsschäden müssen durch die Krieg führenden Staaten beseitigt, alle Truppen müssen abgezogen und die somit frei werdenden Mittel für humanitäre Arbeit zur Verbesserung der Lebensbedingungen genutzt werden.“

Die deutschen Beiträge zum Afghanistankrieg

Insgesamt sind deutsche Soldaten unter drei verschiedenen Mandaten an der Besatzung des Landes und dem dort wütenden Krieg gegen „Terroristen“ und „Aufständische“ beteiligt.

Operation Enduring Freedom (OEF)

Das älteste Mandat entstand gute zwei Monate nach den Anschlägen vom 11.9.2001 und beruht auf deren Interpretation als militärischen Angriff auf die USA und damit Auslöser des NATO-Bündnisfalls. Als Teil des von den USA ausgerufenen, zeitlich und räumlich entgrenzten „Krieg gegen den Terror“ mobilisierte die Bundesregierung Marinekräfte, die seit dem zusammen mit den Verbündeten vor dem Horn von Afrika und um die arabische Halbinsel patrouillieren. Außerdem umfasste das Mandat Operation Enduring Freedom (OEF) Soldaten der ABC-Abwehr, des Sanitätsdienstes, des Lufttransports und des geheim operierenden Kommando Spezialkräfte (KSK) in einem Gebiet, das von Zentralasien bis nach Nordost-Afrika reicht. KSK-Soldaten kämpften seit dem mehrfach an der Seite der US-Soldaten auch in Afghanistan.

Zwar wurden die KSK-Kommandotrupps angeblich seit 2005 nicht mehr angefordert, diese Versicherung ist jedoch irreführend. KSK-Soldaten wurden in der Vergangenheit auch immer wieder unter dem ISAF-Mandat eingesetzt. Dies könnte auch weiterhin passieren – selbst dann, wenn deutsche Parlamentarier beschließen würden, dass es keinen deutschen Beitrag mehr zu OEF in Afghanistan geben solle. Über die KSK-ISAF-Einsätze erfahren Öffentlichkeit und Parlamentarier aber genauso wenig wie über KSK-OEF-Einsätze.

International Security Assistance Force (ISAF)

Nach der raschen Eroberung Kabuls und der Installation einer Übergangsregierung (deren Zusammensetzung im Wesentlichen im Dezember 2001 auf der Petersberg-Konferenz festgelegt wurde) wurde von der UN eine „Internationale Schutztruppe“ (ISAF) mandatiert, die zunächst von Großbritannien, dann der Türkei geführt wurde. 2003 übergab die deutsch-niederländische Führung das Kommando an die NATO. Der Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen von ISAF wurde im Dezember 2001 beschlossen und blieb zunächst auf die afghanische Hauptstadt Kabul begrenzt. Der ISAF-Aktionsradius wurde in vier Phasen sukzessive auf das gesamte Land ausgeweitet. Bis Ende 2004 auf den Norden und im Folgejahr auf den Westen. Im Juli 2006 wurde mit der Ausdehnung in den schwer umkämpften Süden begonnen und die Truppenzahl auf 18.500 Soldaten mehr als verdoppelt. Seither ist nicht nur die OEF, sondern auch die ISAF praktisch permanent in schwere Kämpfe verwickelt. Schließlich wurde Ende September 2006 die Ostausweitung beschlossen und die ISAF-Truppenzahl seit dem auf etwa 35.000 erhöht. Rund 8.000 Soldaten kämpfen zudem im Rahmen der US-geführten OEF weiter in Afghanistan.

Im Rahmen von ISAF sind derzeit 3.236 deutsche Soldaten im Afghanistan-Einsatz (Stand 25. Juli). Circa 200 davon befinden sich im Luftwaffenstützpunkt Termez im benachbarten Usbekistan, der trotz der offiziell verhängten Sanktionen gegen das Land, dessen Regime schwerer Menschenrechtsverletzungen angeklagt wird, eine entscheidende Logistikdrehscheibe nicht nur des deutschen, sondern des gesamten NATO-Einsatzes darstellt.

Die Vermischung von OEF und ISAF

Die ISAF bezeichnet sich in offensiver Abgrenzung zur OEF gern als „Friedenseinsatz“ und „Stabilisierungsmission“, weshalb die Bundesregierung betont, „die operative und die Mandatstrennung zwischen ISAF und OEF bestehen unverändert fort.“ Während das ISAF-Mandat zwar die Terrorismusbekämpfung ausschließt, erlaubt es aber explizit die Bekämpfung „Aufständischer“. Der deutsche UN-Sondergesandte für Afghanistan bezeichnet jedoch den Widerstand gegen die Anwesenheit ausländischer Truppen eben als „Aufstand“. Spätestens seit der Süd- und Ostausweitung kämpfen somit die beiden Truppen Hand in Hand, die einen eben gegen „Aufständische“ (ISAF), die andere gegen „Terroristen“ (OEF).
Auf Kommandoebene zeigt sich das Ineinandergreifen der Einsätze darin, dass OEF-Kommandeur David Rodriguez zugleich Chef des Regionalkommandos Ost der ISAF ist („Doppelhut“). Noch gewichtiger ist die taktische Ebene: Der gesamte Flugbetrieb über Afghanistan wird von der US-Base in Katar koordiniert. Dort wird zwischen OEF und ISAF nicht unterschieden.

Bundeswehreinsätze in Südafghanistan

Zwar hat Kanzlerin Merkel noch Ende 2006 entsprechend dem Bundestagsmandat versichert, dass Bundeswehreinsätze im Süden höchstens ausnahmsweise und nur kurzfristig stattfinden würden. Die Tendenz besteht jedoch in einer schleichenden Integration der deutschen Militärpräsenz auch in den Einsatz im Süden. So führte die Bundeswehr in den letzten Monaten 120 Unterstützungsflüge (überwiegend MEDEVAC) in den Süden durch. 22 Fernmeldesoldaten sind seit Ende 2006 „vorübergehend“ zur NATO-Führungsunterstützung in Kandahar und Baghram eingesetzt und auf dem Airfield Kandahar sind acht deutsche Führungsunterstützungssoldaten als Teil eines Interim Installation Teams für mindestens 2,5 Monate eingesetzt. Ein Logistikstabsoffizier verstärkt das NATO-Transition-Office in Kandahar für vier Monate, im gleichen Büro sind 3 Informationstechniker der Bundeswehr für mindestens zwei Monate tätig. Zudem ist ein deutscher Offizier im Stab der niederländischen luftbeweglichen Kräfte für sechs Monate eingesetzt. Zuvor war bereits ein anderer Offizier als „Austauschoffiziere“ bei der britischen Luftwaffe eingesetzt. Ohne die Unterstützungsflüge sind damit Anfang August 2007 insgesamt 36 deutsche Soldaten „vorübergehend“ im Süden eingesetzt. Die ohnehin fadenscheinige Trennung zwischen OEF und ISAF wird jedoch mit dem Einsatz deutscher Tornados endgültig zur Farce.

Tornados: Beihilfe für Bombardierungen

Am 9.3.2007 beschloss der Bundestag, bis zu 500 weitere Bundeswehrsoldaten und 6 Recce-Aufklärungstornados zusätzlich nach Afghanistan zu entsenden. Das Ziel der Tornadoeinsätze ist die Erstellung eines „umfassenden Lagebildes“. In einer Kleinen Anfrage der Fraktion „Die Linke“ erklärte die Bundesregierung, es gehe um „Kenntnis von Aktivitäten, Bewegungsmustern und Aufenthaltsräumen von Kräften, die gegen den Auftrag der ISAF arbeiten“. Diese Erkenntnisse werden an die ISAF Zentrale weitergeleitet.

Hiermit leistet Deutschland einen relevanten Kriegsbeitrag, denn die Aufklärungsdaten können auch für Bombardierungen verwendet werden, wie Walter Jertz, General a.D und bis vor kurzem Chef des Luftwaffenführungskommandos, bestätigt: „Es muss der Bevölkerung deutlich gemacht werden, dass zwar die Aufklärungstornados nicht unmittelbar in Kampfhandlungen verwickelt werden, aber das Liefern von Fotos der Aufklärungstornados kann im Süden von Afghanistan dazu führen, dass Kampfhandlungen durchgeführt werden. Und das kann auch bedeuteten, dass Zivilisten zu Schaden kommen und dieses wollen wir natürlich letztlich auch offen aussprechen, dieses müssen wir auch offen aussprechen.“ Auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und spätere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat, äußerte sich entsprechend zur Debatte um den Begriff „Kampfeinsatz“ für die NATO-Mission: Aufklärung aus der Luft sei Grundlage für konkrete Einsatzentscheidungen „und damit auch im Zusammenhang mit Kampfhandlungen zu sehen“.
Obwohl das Bundestags-Mandat zum Tornado-Einsatz versichert, eine Überleitung von Daten an OEF dürfe nur „sehr restriktiv“ erfolgen, machte Verteidigungsminister Franz-Josef Jung klar, dass eine Weitergabe selbstverständlich dennoch – zur Terrorbekämpfung wohlgemerkt – stattfindet. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, „dass die Informationen, die die Aufklärungsflüge der Tornados bringen, auch zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen im Rahmen der ‚Operation Enduring Freedom‘ herangezogen werden?“ antwortete er: „Ich kann das nicht ausschließen, und ich will es auch nicht ausschließen. Eines muss klar sein: Auch die Terrorismusbekämpfung ist ein zentraler Aspekt.“ Hiermit stellt sich Deutschland – sieht man von zahlreichen verdeckten Unterstützungsleistungen ab – offen an die Seite der USA und ihres Kreuzzugs gegen den Terrorismus, ein Schritt, der in seiner Tragweite schwer überschätzt werden kann: „Das ist ein Dauerprojekt, da wird man Bestandteil des militärischen Kampfes gegen die Terroristen wie Taliban und al-Qaida“, so der Chef des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz.

Von den bisher circa 250 Tornadoflügen fanden über 50% im Süden und Osten statt. Wiederholt erfolgten dabei Angriffe, bei denen auch Zivilisten ums Leben kamen, im zeitlichen Zusammenhang mit Tornado-Überwachungsflügen (so kam es z.B. im Mai Dutzende von Toten im Dorf Sarwan Kala, Distrikt Sangin – davor hatten zwei Tornadoflüge stattgefunden).

Aufbauunwesen und humanitäre Situation

Die NATO gab die Zahl der von ISAF im Laufe des Jahres 2006 getöteten Zivilisten mit 1.000 an, eine Angabe mit erfahrungsgemäß hoher Dunkelziffer. Die wesentlich gewalttätiger auftretende OEF macht hierüber keinerlei Aussagen. Verlässliche Zahlen der Gesamtopfer sind nicht vorhanden, die wenigen Schätzungen variieren drastisch. So kam bspws. der britische Guardian nach Umfragen bei den Hilfsorganisationen vor Ort bereits im Mai 2002 auf 20.000 bis 50.000 Opfer.

Während die OEF- und ISAF-Truppen im Land Krieg führen, stirbt die Bevölkerung gleichzeitig an Krankheit und Unterernährung. Über 70% der Afghanen leiden unter chronischem Nahrungsmangel, besonders im Süden des Landes. Ein Viertel hat keinen Zugang zu Trinkwasser, nur 10 Prozent verfügen über elektrischen Strom. Während für militärische Ausgaben im Zeitraum von 2002 bis 2006 gigantische 82.5 Mrd. Dollar bezahlt wurden, belief sich die Entwicklungshilfe im selben Zeitraum auf jämmerliche 7.3 Mrd., ein Betrag, der bei weitem nicht ausreicht, um die erdrückende Not auch nur ansatzweise zu lindern. Der Großteil der westlichen Gelder versickert zudem in völlig sinnlose Projekte und wandert damit nutzlos in die Taschen westlicher Konzerne, ein Phänomen, das von der afghanischen Politikwissenschaftlerin Fariba Nawa als „Afghanistan Inc.“ (Afghanistan GMBH) bezeichnet wurde.

Darüber hinaus wird ein großer Teil dieser „Entwicklungshilfe“ auch noch für sicherheitsrelevante Bereiche ausgegeben. Beispielsweise wird etwa der Aufbau der afghanischen Polizei aus dem deutschen Entwicklungshilfeetat finanziert (12 Mio. jährlich). Dagegen brachte die gesamte „internationale Gemeinschaft“ zwischen 2002 und 2006 gerade einmal 433 Mio. Dollar für Ernährungs- und Gesundheitsprogramme zugunsten der lokalen Bevölkerung auf – zum Vergleich: Allein die militärischen Kosten für die einjährige Verlängerung des deutschen ISAF-Einsatzes belaufen sich auf 460 Mio. Euro.

Die westlichen Besatzer haben altbekannte Warlords wieder an die Macht gebracht. Korruption und Vetternwirtschaft werden vom Westen toleriert. Auch in Vorzeigeprojekten wie der neu aufgebauten und ausgerüsteten afghanischen Polizei. Folter und Rechtsbeugung sind dort an der Tagesordnung. Polizeifahrzeuge, die aus Deutschland vor allem nach Kabul geliefert wurden, sind in der Zwischenzeit fast ausschließlich im privaten Gebrauch durch höhere Polizeioffiziere.

2006 diskutierte auch die internationale Presse das Problem, dass der Vize-Innenminister Mohammed Daoud in den Drogenhandel verstrickt ist, für dessen Bekämpfung er qua Amt zuständig ist. Die Koalitionstruppen gehen aus Gründen politischer Opportunität nicht gegen den Bruder Karzais vor, obwohl dieser einer der wichtigsten Drogenhändler Afghanistans ist. Aus Sicht vieler Afghanen wird dies als Unterstützung von Warlord- und Drogenmafiastrukturen durch die Besatzer interpretiert. Jüngst forderte Lothar Rühl, Vordenker der deutschen Außenpolitik und ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium, die westliche Sicherheitspolitik „muss das Einvernehmen mit den regionalen Machthabern, den Stammesfürsten und Clanchefs, von denen einige auch Drogenbarone und Warlords sind, suchen.“ Frauenrechte durchzusetzen sei hingegen unrealistisch und der Versuch beschade die Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss des Afghanistan-Einsatzes. Ähnlich äußerte sich auch Rolf Clement, Mitglied im Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) und des Beirats für Innere Führung beim Bundesministerium der Verteidigung, bei seinen Überlegungen für eine Strategie für Afghanistan: „Da es in Afghanistan schon immer zu den praktizierten Traditionen gehörte, dass man dem folgt, der Geld, Waffen und/ oder Nahrung brachte“ müsse mit lokalen Führern gegen die Taliban paktiert werden.

Wachsender Widerstand und militärische Eskalation

Dies sind Anzeichen von Panik, denn die Situation droht immer weiter aus dem Ruder zu laufen. Nachdem die NATO-Truppe ISAF seit dem Jahr 2006 auch in den umkämpften Teilen Süd- und Ostafghanistans operiert, hat eine dramatische Eskalation der Auseinandersetzungen stattgefunden. Die Zahl der Selbstmordattentate stieg von 27 (2005) auf 139 (2006), Bombenanschläge nahmen von 783 (2005) auf 1677 (2006) zu und auch die direkten Angriffe auf die westlichen Truppen (mit leichten Waffen, Granaten etc.) haben sich von 1588 (2005) auf 4542 (2006) nahezu verdreifacht.

Die meisten Sicherheitsprobleme konzentrieren sich auf den Süden. Aber auch im Norden steigt die Unsicherheit. Der Widerstand gegen die Besatzer wächst – ebenso die Unterstützung für diesen Widerstand in der Bevölkerung. Der Grund dafür liegt in der zunehmenden Zahl der zivilen Toten und in der fehlenden Entwicklungsperspektive aber auch in der Arroganz und Ignoranz der Besatzer. Diese zeigt sich bspw. auch durch die häufig vorkommenden und oft tödlich endenden Verkehrsunfälle, die durch die ausländischen Truppen verursacht werden. Die Realität der Besatzung erweist sich als Grund für die wachsende Bereitschaft zahlreicher Afghanen, sich zur Not auch gewaltsam gegen die westlichen Truppen zur Wehr zu setzen. Mittlerweile sollen über 50 Prozent der afghanischen Bevölkerung politisch motivierte Selbstmordattentate gegen die Besatzer befürworten. Eine Reduzierung auf Taliban oder Al-Kaida ist in diesem Zusammenhang eine grobe Verkürzung, die der Realität eines breiten Widerstands nicht gerecht wird, wie Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehverbands, verdeutlicht: „Wir haben uns getäuscht in der Resonanz unserer Bemühungen. [Offenbar] ist die Annahme, die Masse der Bevölkerung stünde hinter Präsident Hamid Karsai und den Isaf-Truppen, nicht ganz zutreffend. Es sind nicht nur wenige entschlossene Terroristen, die uns bedrohen. Viele Afghanen stehen als Unterstützer zur Verfügung.“

Deutsche Kriegsinteressen

Als eine Aufgabe der Bundeswehr am Hindukusch bezeichnet Lothar Rühl die „Sicherung der westlichen Investitionen in das neue Afghanistan“. Im Rahmen der Besatzung wurden Afghanistan hierfür umfangreiche „Wirtschaftsreformen“ diktiert. So wurde mit maßgeblicher deutscher Beteiligung ein „Investitionsschutzabkommen“ verabschiedet, das 100%igen Firmenbesitz von Ausländern, Schutz vor Enteignung, Steuerbefreiung in den ersten acht Jahren, Zollreduzierung und 100%igen Gewinntransfer ins Ausland vorsieht. So kann die Bundesagentur für Außenwirtschaft jubelnd vermelden: „Afghanistan kann als eine der offensten Volkswirtschaften überhaupt, auf jeden Fall aber als die offenste Volkswirtschaft der Region bezeichnet werden. Handelsbeschränkungen und Subventionen sind praktisch nicht existent, und die afghanische Regierung zeigt sich sehr aufgeschlossen für Investitionen im Land.“

Ein weiteres eher grundsätzliches Interesse besteht darin, durch militärisches Engagement mehr Gewicht in den internationalen Beziehungen zu erlangen. Schon vor Langem gab CDU-Vordenker Karl Lamers die Devise aus, dass die „Teilnahme an internationalen Militäraktionen eine notwendige Voraussetzung für deutschen Einfluss in der Weltpolitik“ sei. Diese Überlegung bestimmt seit Jahren die deutsche Kriegsbeteiligung wesentlich mit. Auch die Verteidigungspolitischen Richtlinien 1992 gaben an, die Fähigkeit zur „Einflußnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen [sei] gegründet auf unsere Wirtschaftskraft, unseren militärischen Beitrag.“ Auch für den Einsatz in Afghanistan scheint diese Überlegung – ungeachtet weiterer deutlich konkreterer Interessen – eine wichtige Rolle zu spielen. So beschwerte sich ein KSK-Soldat gegenüber dem Stern-Journalisten Uli Rauss angesichts der wachsenden Gefährdung deutscher Soldaten in Afghanistan, die Bundesrepublik wolle einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat, „und wir werden dafür verheizt.“

Ein wesentlich konkreteres Interesse, warum die deutsche Regierung ihre militärische Unterstützung des Krieges Ende diesen Jahres verlängern will, ist als die Bündnistreue bzw. der Kadavergehorsam gegenüber der NATO. Würde Deutschland schnell all seine Truppen aus Afghanistan abziehen, wäre der „Krieg gegen den Terror“ zum Scheitern verurteilt. Dies wiederum würde die NATO in ihrer gegenwärtigen Konzeption, als weltweit agierendes Bündnis auch für künftige Angriffskriege, in Frage stellen. Den Erhalt dieser NATO sieht auch Lothar Rühl in seiner Suche nach „Deutsche[n] Sicherheitsinteressen in Afghanistan“ als zentrale Motivation des deutschen Engagements an. Die NATO sei für Deutschland nicht in erster Linie als Verteidigungsbündnis notwendig, nein, vor allem „[d]ie alliierten Seestreitkräfte der NATO sind im deutschen Interesse unersetzlich“, denn: „Um die Energiesicherheit und die Sicherheit des Seeverkehrs mit Tankern wie der Überland-Leitungen durch krisengeschütteltes Gebiet zu gewährleisten, bedarf es weiträumig mobiler und flexibler militärischer Kapazitäten, die kriseninterventionsfähig und koalitionsfähig sind. Besonders wichtig werden maritime Kapazitäten und schnell bewegliche Flottenpräsenz im Mittelmeer, in der Arabischen See, im Persischen Golf und im Indischen Ozean.“ Dies kann Deutschland nur im Verbund mit der NATO leisten.

Doch auch unmittelbar in Afghanistan wird der Zugang auch Deutschlands zu Rohstoffen gesichert. Das Land war lange Zeit als alternative Transitroute zum Abtransport der erheblichen kaukasischen und zentralasiatischen Energievorkommen vorgesehen, was aber durch die Taliban verhindert wurde. Obwohl das Pipeline-Projekt mittlerweile aufgrund verschiedener Faktoren an Bedeutung verloren hat, gilt Afghanistan weiterhin nicht nur in US-Sicherheitskreisen als „das südliche Tor zu den riesigen Öl- und Gasvorkommen Turkmenistans, Kasachstans und Aserbaidschans; ebenso zum großen Goldproduzenten Usbekistan und zu Tadschikistan, wo die größten Silbervorkommen lagern. Für diese Bodenschätze gibt es nur drei Transportwege an die Weltmeere […] Aus Sicht westlicher Interessenten würde die Pakistan-Route zu einer besseren Risikoverteilung beitragen, doch dafür braucht man ein stabiles Afghanistan“, wie Berndt-Georg Thamm, Mitglied der Clausewitz-Gesellschaft für das Magazin ‚Europäische Sicherheit‘ schreibt. Entlang der geplanten Pipelineroute Pakistan-Afghanistan-Turkmenistan gibt es seit Ostern massive Truppenverstärkungen der US-Truppen – in der Größenordnung von mehreren tausend zusätzlichen Soldaten und entsprechendem Ausbau und Neubau von Armeestützpunkten. Dies kann entweder auf eine Wiederaufnahme des Pipeline Projektes deuten oder – wahrscheinlicher – auf ein Mobilisierung gegen den Iran, für die Afghanistan ein ideales Aufmarschgebiet darstellt.

Afghanistan – Prototyp künftiger Kriegseinsätze

Afghanistan ist der Gradmesser, ob die NATO auch im 21. Jhd. in der Lage sein wird, als militärischer Arm der westlichen Interessenspolitik zu agieren. Es gehe dort „um die Glaubwürdigkeit der Nato“, so der britische Verteidigungsminister Des Browne. Am klarsten fasst Ronald Naumann, US-Botschafter in Afghanistan, die Situation zusammen: „Die NATO ist die fundamentale Verpflichtung eingegangen, in Afghanistan zu gewinnen. Und entweder wird sie gewinnen, oder sie wird als Organisation scheitern.“

Um trotz der derzeitigen Eskalation dennoch „siegreich“ aus dem Krieg hervorzugehen, kommt in Afghanistan erstmals das Konzept der „vernetzten Sicherheit“ zur Anwendung, das im Weißbuch der Bundeswehr vom 25.10.2006 als neues sicherheitspolitisches Leitbild propagiert wird: „Staatliches Handeln bei der Sicherheitsvorsorge wird künftig eine noch engere Integration politischer, militärischer, entwicklungspolitischer wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung voraussetzen.“ Damit werden zivile Instrumente der Logik militärischer Interessensdurchsetzung unterstellt und für die Durchführung eines Besatzungsregimes instrumentalisiert.

Zivil-militärische Zusammenarbeit

In Afghanistan operieren diese zivil-militärischen Besatzungstruppen als so genannte „Regionale Wiederaufbauteams“, die, überspitzt formuliert, am gleichen Tag morgens Nahrungsmittel verteilen, mittags bombardieren und abends ein Krankenhaus aufbauen. Soldaten der Bundeswehr und anderer ausländischer Armeen benutzen in Afghanistan u.a. weiße Geländewagen, ein traditionelles Erkennungszeichen ausländischer Hilfsorganisationen. Zivile Akteure verlieren damit ihre politische Neutralität, sie werden für die afghanische Bevölkerung zu einem integralen Bestandteil der Besatzung und damit zu Gegnern – vermehrt fallen Mitarbeiter humanitärer Organisationen Anschlägen zum Opfer. Medienberichten zufolge kamen allein 2006 insgesamt 26 Mitarbeiter ziviler Hilfsorganisationen ums Leben. Jüngst wurden zwei afghanische Minenräumer der lokalen NGO MDC (Mine Detection and Dog Center) entführt und kurz darauf ermordet. Deren deutsche Partnerorganisation „medico international“ sieht die Verantwortung hierfür eindeutig in der zunehmenden Vereinnahmung ziviler Akteure für militärische Ziele: „Für MDC wird es immer schwieriger, die Arbeit des Minenräumens fortzuführen. Dies gilt im Besonderen, weil es im Rahmen des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan zu einer zunehmenden Aufweichung der Grenze zwischen zivilen Hilfsaufgaben und militärischen Einsätzen kommt. Helfer und ausländische Soldaten verschmelzen in der Wahrnehmung der Bevölkerung und machen unsere Projektpartner verstärkt zur Zielscheibe.“

Lackmustest Afghanistan

Trotz der katastrophalen Lage wird krampfhaft am Afghanistan-Einsatz festgehalten. Ein Scheitern ist deshalb undenkbar, weil dann jegliche weitere Kriegsmission künftig in Frage stünde. Deshalb gab Angela Merkel an, „dass die Stabilisierung Afghanistans derzeit eine der größten Herausforderungen für die NATO und ihre Mitgliedstaaten ist. Sie ist gleichsam so etwas wie ein Lackmustest für ein erfolgreiches Krisenmanagement und für eine handlungsfähige NATO.“

Statt den sofortigen Abzug einzuleiten, geht man in der NATO dazu über, die Kapazitäten zur Durchführung zivil-militärischer Besatzungen zu verbessern. Hierfür wurde im September 2006 ein Zivil-Militärisches Zentrum in Budel (Niederlande) eingerichtet. Das Gesamtkonzept soll noch im Jahr 2007 präzisiert und auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden.

Tornado-Urteil: endgültiger Abschied vom Grundgesetz

In Deutschland machte das Bundesverfassungsgericht in seinem schockierenden Urteil vom Juli 2007 endgültig den Weg für eine deutsche Beteiligung an der Umstrukturierung der NATO zu einer globalen Kriegs- und Besatzungstruppe frei. „Bei einem Angriff muss die Verteidigung nicht an der Bündnisgrenze enden, sondern kann auf dem Territorium des Angreifers stattfinden, wobei auch dessen langfristige und stabile Pazifizierung der Sicherung eines dauerhaften Friedens des Bündnisses dient. […] Krisenreaktionseinsätze können auch unabhängig von einem äußeren Angriff oder ergänzend zur dauerhaften Befriedung eines Angreifers dem Zweck des NATO-Vertrags entsprechen.“ Die NATO wird von den Verfassungsrichtern also immer noch als reines Verteidigungsbündnis gesehen, deshalb seien auch Auslandseinsätze der Bundeswehr in diesem Rahmen verfassungsgemäß. Entsprechend dem Grundgesetz dient die Bundeswehr nur der Verteidigung. Somit folgt das BVerfG implizit der Aussage Strucks, dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, obwohl sich nach Aussage des deutschen und auch des bayrischen Innenministeriums sowie Einschätzungen aus Geheimdienstkreisen die Terrorgefahr in Deutschland durch das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan erhöht hat. Ein kritischer Kommentar in der Süddeutschen Zeitung brachte die Essenz des Urteils folgendermaßen auf den Punkt: „Das floskelhafte Urteil sagt nämlich in Kürze folgendes: Solange die Nato nur behauptet, dass ihre Aktionen friedenssichernd sind, sind sie es auch und stehen daher auf dem Boden des Nato-Vertrages von 1955.“

Nachdem nun höchstrichterlich das orwellsche Neusprech der Marke „Krieg ist Frieden“ bestätigt und so der – eigentlich – unmissverständliche reine Verteidigungsauftrag des Grundgesetzes bis zur Unkenntlichkeit entstellt wurde, ist es umso notwendiger, Widerstand gegen die herrschende Kriegspolitik auf der Straße auszuüben. Die geplante Großdemonstration am 15. September ist hierfür eine gute Gelegenheit.