IMI-Analyse 2007/02b - in: AUSDRUCK (April 2007)

„Das wäre ein großartiger Beitrag“ – Deutschlands Tornadoeinsatz in Afghanistan


von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 16. März 2007

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Ursprünglich plante die Bundesregierung die Verlegung deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge, die insbesondere zur Unterstützung von Kampfeinsätzen im schwer umkämpften Süden Afghanistans dienen sollen, ganz ohne Parlamentsbeschluss durchzuführen. Nachdem sie aber selbst aus den eigenen Reihen starken Gegenwind erhielt, ruderte sie zurück und räumte dem Bundestag die Möglichkeit ein, den ohnehin gefällten Beschluss wenigstens formal abzunicken. Während das Bundeskabinett den Einsatz am 7. Februar beschlossen hatte, war also am 9. März der Bundestag an der Reihe, die Entsendung der Tornados durchzuwinken. Allerdings verlief die ganze Angelegenheit keineswegs so reibungslos, wie sich das die Bundesregierung vorgestellt hatte: immerhin 157 Parlamentarier, davon allein 69 aus der SPD und fünf aus der Union, lehnten den Antrag ab – mit gutem Grund, wie hier dargelegt werden soll.

Geht es nach den Plänen der Bundesregierung, sollen bis Mitte April sechs mit Kamerasystemen zur Luftaufklärung ausgestattete „Recce-Tornados“ an den Hindukusch geschickt und in Mazar-i-Scharif stationiert werden, ihr Einsatzgebiet umfasst aber das ganze Land. Zudem sollen im Rahmen des €35 Mio teuren Einsatzes zusätzlich bis zu 500 weitere Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan entsandt werden können. Hierdurch wird aber die vom Bundestag Ende letzten Jahres auf 3000 Bundeswehrsoldaten festgesetzte Obergrenze für den ISAF-Einsatz in Afghanistan überschritten. Da gegenwärtig (Stand 24. Januar) dieses Kontingent mit 2916 Mann nahezu vollständig ausgeschöpft ist, war schon allein deshalb ein neues Mandat erforderlich.

Das eigentlich Problematische dabei ist aber, dass Deutschland hiermit endgültig und dauerhaft in den amerikanischen „Krieg gegen den Terror“ eingebunden wird und sich somit zum Komplizen des US-Amoklaufs macht. Hierbei handelt es sich um den Schritt über den Rubikon, denn bislang hält sich Deutschland – abgesehen von Einsätzen des Kommando Spezialkräfte – zumindest offiziell aus dem US-Einsatz zur „Terrorbekämpfung“ in Afghanistan heraus, der zumindest auf dem Papier strikt vom ISAF-Mandat der NATO getrennt ist.

OEF und ISAF – Zwei Truppen, derselbe Krieg

In Afghanistan operieren derzeit zwei unterschiedliche Kriegseinsätze neben- und zunehmend auch miteinander: einmal die US-geführte Operation Enduring Freedom (OEF) im Rahmen des „Kriegs gegen den Terror“, auf der anderen Seite die ISAF-Mission der NATO, die sich im Gegensatz zur OEF gern als „Friedenseinsatz“ und „Stabilisierungsmission“, eine Art „bewaffnete Sozialarbeit“ zur Entwicklungshilfe tarnt. So äußerte sich etwa der CDU-Abgeordnete Ruprecht Polenz während der Bundestags-Debatte am 19. Januar: „Wir führen in Afghanistan keinen Krieg, sondern wir sind von der afghanischen Regierung eingeladen worden und arbeiten auf der Basis eines UN-Mandates.“ Dabei handelt es sich allerdings um pure Rhetorik, wie SPD-Fraktionschef Peter Struck verdeutlicht: „Es ist ohnehin ein Kampfeinsatz.“ Aus diesem Grund stelle sich die Frage, ob die Entsendung der Tornados eine neue Qualität darstelle, überhaupt nicht: „Wir sind in Afghanistan, um die Regierung Karsai im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen.“ Dies erfordere auch den Schutz von Nato-Soldaten vor Taliban-Angriffen – „auch mit deutscher Luftaufklärung.“ (tagesschau.de 2.7.2007)

Allerdings betont die Bundesregierung weiterhin: „die operative und die Mandatstrennung zwischen ISAF und OEF bestehen unverändert fort.“ (Drucksache 16/2380) Angesichts der Realitäten vor Ort, dürfte diese Aussage aber wohl eher ein Lippenbekenntnis darstellen. Denn während die „Terrorismusbekämpfung“ offiziell ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der OEF fällt, schließt das ISAF-Mandat „Aufstandsbekämpfung“ explizit ein. „Wir waren dort nie neutral. Wir haben uns auch im Isaf-Mandat über das Ausmaß des Brunnenbauens hinaus engagiert. Dieses Mandat umfasst explizit die Bekämpfung von Aufständischen“, erklärt der CDU-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg. (Spiegel Online, 31.1.07) Nachdem aber die NATO ihre Zuständigkeit, die anfangs noch strikt auf Kabul begrenzt war, bis zum Herbst 2006 sukzessive auf das ganze Land ausgedehnt hat, verwischt die Trennung beider Einsätze bis zur Unkenntlichkeit. Dies trifft vor allem für den umkämpften Süden zu, wo „Aufständische“ von „Terroristen“ schlicht nicht zu unterscheiden sind und sowohl OEF als ISAF in immer heftigere Kampfhandlungen verstrickt werden.

Deutschland als Komplize von Washingtons „Krieg gegen den Terror“

Im Wesentlichen entbrannte die Debatte um die Entsendung der Tornados darüber, ob die gesammelten Aufklärungsdaten, auf deren Grundlage anschließende Bombardements erfolgen werden, ausschließlich der NATO-ISAF-Mission oder eben auch der OEF zur Verfügung gestellt werden und inwieweit dies mit der formalen Trennung beider Missionen zu vereinbaren sei.

Der Bundestags-Antrag (Drucksache 16/4298) ließt sich diesbezüglich extrem schwammig: „Der ISAF-Operationsplan sieht eine restriktive Übermittlung von Aufklärungsergebnissen an OEF vor. Die Übermittlung erfolgt nur, wenn dies zur erfolgreichen Durchführung der ISAF- Operation oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist.“ Diese Formulierung lässt genügend Spielraum, um sich hierdurch aktiv am US-geführten OEF-Einsatz zu beteiligen. Und tatsächlich zeigen die Aussagen von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, wie „restriktiv“ diese Informationsübermittlung in der Praxis gehandhabt werden dürfte. Auf die Frage, ob er ausschließen könne, „dass die Informationen, die die Aufklärungsflüge der Tornados bringen, auch zur Vorbereitung von Kampfeinsätzen im Rahmen der ‚Operation Enduring Freedom‘ herangezogen werden?“ antwortete er: „Ich kann das nicht ausschließen, und ich will es auch nicht ausschließen. Eines muss klar sein: Auch die Terrorismusbekämpfung ist ein zentraler Aspekt.“ (Die Welt, 4.2.2007)

Der Tornado-Einsatz dient also direkt der Unterstützung von Bombenangriffen, und zwar nicht nur zur Aufstandsbekämpfung im Rahmen des ISAF-Mandats, sondern auch für den US-Terrorkrieg unter OEF-Flagge, wie der Chef der US-Truppen in Afghanistan, General Karl Eikenberry, verdeutlicht. Er bestätigt den regen Informationsaustausch zwischen den beiden Missionen und fügt danach hinzu: „Dieser Austausch führt dann aber nicht notwendigerweise zu Militäraktionen.“ (HNA 30.01.2007) Kein Wunder also, dass Eikenberry die Entsendung der deutschen Tornados als einen „sehr großen Beitrag“ zur Unterstützung des US-Terrorkrieges lobt.

Da vorgesehen ist, das bis zum 13. Oktober befristete Tornado-Mandat anschließend mit dem ISAF-Mandat zu verschmelzen, dessen Verlängerung im Bundestag zu diesem Zeitpunkt ansteht, wird sich Deutschland so zu einem permanenten Komplizen des US-amerikanischen „Kriegs gegen den Terror“ machen, wie der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Bernhard Gertz unmissverständlich klar macht: „Das ist ein Dauerprojekt, da wird man Bestandteil des militärischen Kampfes gegen die Terroristen wie Taliban und al-Qaida.“ (Spiegel Online, 27.1.07)

Zehn Jahre Aufstandsbekämpfung

Während schon die ISAF-Mission auf starken, teils auch gewalttätigen Widerstand stößt, gilt dies umso mehr für den OEF-Terrorkrieg, in dessen Dienst sich die Bundesregierung mit der Entsendung der Tornados nun auch offen stellt. Es handelt sich hierbei also um einen Beschluss von erheblicher Tragweite, der aber mehr den formalen Abschluss einer sich schon länger abzeichnenden Entwicklung darstellt, wie Die Welt (17.1.07) verdeutlicht: „Bei der aktuellen Debatte geht um mehr als um die Entsendung von ein paar Flugzeugen. Wenn entschieden wird, dass die Tornados zum Einsatz kommen, wird Deutschland damit zur Kriegspartei. […] Bislang wird der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch oft als erweiterte Form der Entwicklungshilfe dargestellt. Die Deutschen sitzen relativ sicher im Norden, bohren Brunnen, bauen Straßen und decken Schuldächer. Im Süden sterben kanadische Soldaten. Das Bild ist schon jetzt falsch, was auch die zunehmenden Angriffe auf die Bundeswehr im vergangenen Jahr zeigten.“

Die „zunehmenden Angriffe“ hängen dabei elementar damit zusammen, dass immer mehr Afghanen klar wird, dass sie es mit Okkupanten, nicht mit Wohltätern zu tun haben. Denn während sich westliche Konzerne schamlos in die eigenen Taschen wirtschaften, hat sich die humanitäre Situation im Land in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Aus diesem Grund wächst der Widerstand gegen die westlichen Besatzungstruppen dramatisch an, egal ob diese unter ISAF oder OEF-Flagge operieren. Da beide Missionen dasselbe Ziel verfolgen, Afghanistan zu einem „Pilotprojekt“ westlicher Besatzungspolitik zu machen, ist die zunehmende Verschmelzung beider Einsätze in sich ebenso logisch, wie die Tatsache, dass man sich auf einen lang andauernden Kriegseinsatz einstellt. SPD-Fraktionschef Struck gab an, die westlichen Truppen müssten mindestens zehn Jahre im Land bleiben.

Bei den zunehmenden Auseinandersetzungen – das Wort „Aufstand“ wird in NATO-Kreisen immer offener verwendet – steigen auch die Opferzahlen. Allein im Jahr 2006 kamen Human Rights Watch zu Folge mehr als 4400 Afghanen im Rahmen von ISAF- und OEF-Einsätzen ums Leben. (Die Welt 31.1.07) Dabei kommt es auch immer häufiger zu Opfern unter der Zivilbevölkerung, woran künftig auch die deutschen Tornados einen massiven Anteil haben werden.

Unterstützung von Kriegsverbrechen

Dass die USA im Rahmen der OEF – wobei sich in jüngster Zeit auch Berichte über zivile Opfer nach ISAF-Angriffen häufen – schon einmal Fünf gerade sein lassen, wenn es um den Schutz der Zivilbevölkerung geht, ist mehr als bekannt, auf der Terroristenjagd wird schon einmal eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert. Mit der Entsendung der Tornados macht sich Deutschland hierbei unweigerlich zum Mittäter, wie Walter Jertz, General a.D und bis vor kurzem war er Chef des Luftwaffenführungskommandos, bestätigt, der jedoch die Bundesregierung lediglich dazu auffordert diesbezüglich Klartext zu reden: „Es muss der Bevölkerung deutlich gemacht werden, dass zwar die Aufklärungstornados nicht unmittelbar in Kampfhandlungen verwickelt werden, aber das Liefern von Fotos der Aufklärungstornados kann im Süden von Afghanistan dazu führen, dass Kampfhandlungen durchgeführt werden. Und das kann auch bedeuteten, dass Zivilisten zu Schaden kommen und dieses wollen wir natürlich letztlich auch offen aussprechen, dieses müssen wir auch offen aussprechen.“ (Kontraste, 15.2.2007)

Bundeswehrverbandschef Gertz sieht hierin immerhin ein Problem: „Was die Verbündeten gemacht haben, ist nicht hinnehmbar. Da wurden mit Bomben aus der Luft angebliche Ziele bekämpft und in nicht tolerablen Ausmaß Unschuldige getroffen.“ (tagesschau.de 20.1.2007) Wenn Deutschland hierfür mit den Tornado-Aufklärungsflügen Zuarbeit leistet, handelt es sich hierbei um ein Kriegsverbrechen. Das von Deutschland unterzeichnete Statut des Internationalen Gerichtshofes (Artikel 8,2b,iv) verbietet eindeutig ein „vorsätzliches Führen eines Angriffs in der Kenntnis, dass dieser auch Verluste an Menschenleben, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.“

Der frühere parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium und CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer jedenfalls sieht diesen Tatbestand mehr als erfüllt: „Die deutschen Piloten, die mit diesen Flugzeugen die Dörfer ausfindig machen, die anschließend von den Amerikanern zerstört werden, sind damit auf dem direkten Flug nach Den Haag. Wenn man – im Sinne der vielzitierten Kollateralschäden – Menschen aus der Luft bekämpft, fliegt jeder Pilot direkt in die Kriegsverbrechen hinein.“ (Spiegel Online 27.1.07)
Die Bundeswehr-Kampfeinsätze werden darüber hinaus nicht nur von der Mehrheit der Afghanen abgelehnt. Ende letzten Jahres ermittelte emnid (N24, 28.11.06), dass 87% der Bevölkerung jedweden Kampfeinsatz deutscher Soldaten in Afghanistan ablehnen. Da die gesamte ISAF-Mission aber nichts anderes als ein groß angelegter Kampfeinsatz ist, sollten die Bundestagsabgeordneten diese Meinung respektieren und nicht nur die Tornados, sondern sämtliche deutschen Truppen sofort zurückpfeifen.