Pressebericht in: Junge Welt, 08.03.2006

Schrittmacher des Krieges

Bei einer öffentlichen Anhörung in Brüssel lieferten gelehrte Politikberater die argumentativen Grundlagen für künftige EU-Angriffskriege

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 9. März 2006

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Von Rainer Rupp

In dem von rechtskonservativen und interventionistischen Kräften dominierten Europäischen Parlament (EP) kämpfen die wenigen Mitglieder der Linksfraktion im EP, auf die das Prädikat links noch zutrifft, unter erschwerten Bedingungen gegen eine erdrückende Übermacht. Dennoch schlagen sie sich wacker, was am 23. Februar anläßlich einer öffentlichen Anhörung zum Thema »Die EU und Militäreinsätze. Kriterien für eine Intervention« im Unterausschuß für Sicherheit und Verteidigung in Brüssel erneut deutlich wurde. In diesem Gremium ist der parteilose Tobias Pflüger, der auf der Liste der PDS ins Europaparlament gewählt wurde, der einzige deutsche Vertreter der Linksfraktion. Seiner Initiative ist es zu verdanken, daß Dr. Johannes M. Becker vom Zentrum für Konfliktforschung der Marburger Universität auftreten konnte. Sein Appell für die Einhaltung des Völkerrechts und für eine »nichtinterventionistische Weltordnung«, basierend auf friedlicher Konfliktlösung, wurde jedoch von den anwesenden Kriegern als idealistische Tagträumerei mitleidig belächelt. Hier ein Überblick über den Ablauf der Anhörung; der ungekürzte Redebeitrag von Johannes M. Becker wird extra veröffentlicht (siehe Beitrag »Krisenprävention statt Kampfeinsätze«.

Thema der Anhörung war die Frage, »unter welchen Bedingungen die EU bereit ist, militärische Gewalt anzuwenden«. Angesichts der bevorstehenden EU-Militärintervention im Kongo ging es dem Ausschußvorsitzenden, dem deutschen Christdemokraten Karl von Wogau, darum, »Eckpunkte zu definieren«, die ihm die geladenen Experten, bis auf Becker, wie auf Bestellung lieferten. Der österreichische Botschafter Franz Cede, der als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft auftrat, erklärte die UN-Charta rundheraus für »veraltet«. Die EU forderte er auf, sich verstärkt der Frage der militärischen Gewaltanwendung zu widmen. Ein Mandat der UNO sei für EU-Kampfeinsätze im Ausland keine unabdingbare Voraussetzung, denn der »neue Rechtsrahmen« für die EU bestehe aus den Petersberger Aufgaben, nämlich die humanitären, friedenserhaltenden und -erzwingenden Maßnahmen notfalls mit militärischer Gewalt – auch ohne Zustimmung der UNO und des Sicherheitsrats – durchzuführen.

Definitionsfragen

Offensichtlich wolle die EU hier »die Selbstmandatierung der NATO nachholen«, kritisierte Tobias Pflüger. Dabei solle »der Jugoslawien-Krieg der NATO der EU als Muster dienen«, warnte er unter Bezugnahme auf die Darlegungen der geladenen Experten. Zu denen gehörte auch der erfahrene NATO-Interventionsexperte Jamie Shea, der wegen seiner Verdienste beim NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 inzwischen zum Direktor für Politikplanung im NATO-Hauptquartier avanciert ist. Während von Wogau die »engen Kontakte (der EU) zu den Freunden in der NATO« hervorhob, wurde Jamie Shea von Pflüger als »das freundliche Gesicht der NATO« begrüßt, »das die Bomben auf Jugoslawien legitimierte und dem Begriff „Kollateralschaden“ auch im zivilen Bereich zum Durchbruch verholfen hat«.

Unbeirrt erklärte Shea bei seinem Auftritt den EU-Falken die Funktionsweise der NATO und – so wörtlich – »wie interveniert wird«. So zum Beispiel in Jugoslawien. Das sei »natürlich unter Einhaltung des Völkerrechts« geschehen, so Shea. Als Beweis dafür führte er an, daß die Mitgliedsländer der NATO »stundenlang darüber diskutiert« hätten. »Nur ein Mitglied« sei gegen die Intervention und alle anderen seien dafür gewesen. Da alle NATO-Mitglieder demokratische Staaten seien, habe man dann entschieden, daß der Militärpakt bei seinem Angriff auf Jugoslawien auch ohne UN-Beschluß »eine Rechtsgrundlage hatte«, so Shea.

Ganz auf die UNO verzichten wollte Stefano Silvestri vom Institut für internationale Angelegenheiten jedoch nicht. Denn zur Notwehr erlaubt die UNO Militäroperationen (schließlich ist alles eine Frage der Definition). Daher, so der Politikprofessor aus Rom, könnte die EU in Zukunft ihre Interventionen »durch eine flexiblere Auslegung des Notwehr-Begriffs« besser legitimieren. In diesem Sinne forderte dann auch der stellvertretende Ausschußvorsitzende und ehemalige lettische Verteidigungsminister Girts Valdis Kristovskis: »Wenn ihr Frieden wollt, dann bereitet den Krieg vor!«

Martin Ortega vom EU-Institut für Sicherheitsstudien in Paris erklärte, ein Beschluß von 25 demokratisch gewählten EU-Regierungen genüge, um eine Militärintervention gegen ein souveränes Land völkerrechtlich zu legitimieren und auch zu legalisieren, was von Pflüger als Zerschlagung des Völkerrechts zurückgewiesen wurde. Von Wogau jedoch zeigte sich als Anhänger der Selbstmandatierung und verwies mit Blick auf China und Rußland darauf, daß zwei der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat »nicht im vollen Sinne des Wortes als Demokratien bezeichnet werden können«, womit er glauben machen will, daß ein EU-Interventionsbeschluß moralisch höherwertig sei als ein UN-Veto gegen eine Militärintervention.

»Ultimative PR-Herausforderung«

Noch fragwürdiger wurde Ortegas Argumentation, als er verkündete, daß »über die Legitimität einer Militärintervention auf der Straße (von den Bürgern der EU) entschieden« würde. Damit hatte er, ohne die Medien direkt zu benennen, diesen endgültig die Rolle als vierte Waffengattung der Interventionisten zugewiesen. In diesem Zusammenhang sei an den Auftritt von Jamie Shea vor Schweizer Public-Relations-Managern im März 2000, ein Jahr nach dem NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, erinnert. Unter dem Titel »Wie verkauft man einen Konflikt. Die ultimative PR-Herausforderung« erklärte er »seiner Zuhörerschaft aus Wirtschaft und Verwaltung, wie man für einen guten Zweck die Öffentlichkeit wenn nicht gerade direkt getäuscht, so doch beträchtlich massiert habe«, so die Neue Zürcher Zeitung, die in der Überschrift verwundert fragte: »Ist die NATO nur eine PR-Agentur?« (NZZ, 29.3.2000). »Darüber, daß der Sprecher den Krieg erfolgreich verkaufte und ihn gewann, fast eigenhändig notabene, ließ er niemanden in Zweifel. Auch das Resultat lieferte er: „Nicht 5:0, aber 4:2“, so die NZZ weiter.

Professor André Dumoulin von der Königlichen Militärakademie in Brüssel (bis in die 70er Jahre offiziell Kriegsschule) ging auf die explodierenden Kosten der EU-Interventionen ein. Zuvor hatte ein anderer Experte die Rechnung aufgemacht, daß man »normalerweise mit 10 000 Soldaten pro eine Million zu kontrollierender Bevölkerung« rechne. Im Kosovo seien es »20 000 pro Million«. Aber »selbst unter normalen Bedingungen«, so Dumoulin, würde eine »Kontrolle der Krise in Palästina 50 000 Soldaten erfordern und 150 000 in Saudi-Arabien«. Dieses Problem, so wurde angedeutet, ohne das heikle Thema offen anzusprechen, sei in der EU ohne die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht in den Griff zu bekommen. Aber auch damit sei es nicht gelöst, meinte Dumoulin, denn die Erfahrung habe gezeigt, daß die Eltern von gefallenen Wehrpflichtigen vor Gericht ziehen und gegen die Regierung klagen.