Neue IMI-Broschüre

Christoph Marischka/Wolfgang Obenland: Friedliche Kriege? Auf dem Weg zum Weltpolizeistaat, isw-spezial 19, November 2005


von: Chritoph Marischka /Wolfgang Obenland | Veröffentlicht am: 23. November 2005

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IMI ist Mitherausgeber einer neuen Broschüre von Christoph Marischka und Wolfgang Obenland mit dem Titel „Friedliche Kriege? Auf dem Weg zum Weltpolizeistaat.“ Sie befasst sich kritisch mit den aktuellen Strategien der Großmächte, künftige Interventionen durch umfassende zivil-militärische Konzepte effektiver zu gestalten und leichter legitimierbar zu machen, sowie mit den Gefahren, die hiervon ausgehen.

Die in Kooperation mit dem Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung erstellte, 34 Seiten lange Broschüre kann unter imi@imi-online.de zum Preis von 1€ zzgl. Porto bestellt werden.

Es folgt die Inhaltsangabe und die Einleitung.

Christoph Marischka/Wolfgang Obenland: Friedliche Kriege? Auf dem Weg zum Weltpolizeistaat, isw-spezial 19, November 2005

Inhaltsangabe:

Einleitung: Ein neuer Sicherheitsbegriff für eine neue Militärstrategie

1. Das neue Bild vom Krieg
2. Die strategische Erweiterung des Sicherheitsbegriffs
3. Die Responsibility to Protect und die Reformbemühungen bei den Vereinten Nationen
4. Humanitärer Kolonialismus? Die „Menschliche Sicherheit“-Doktrin der EU
5. Polizeisoldaten
6. Die Sicherheitsfalle der Entwicklungspolitik
7. Schlussbetrachtungen

Interview mit James Paul über die Reform der Vereinten Nationen und die Responsibility to Protect

Einleitung: Ein neuer Sicherheitsbegriff für eine neue Militärstrategie

http://www.isw-muenchen.de/download/einleitung-spezial190.pdf

Die Gefahr eines klassischen zwischenstaatlichen Krieges ist für die EU-Staaten seit dem Ende der Blockkonfrontation kaum noch existent. Viele erhofften sich nach der Selbstauflösung der UDSSR und des Warschauer Pakts eine Friedensdividende oder gar ein „Ende der Geschichte“, einen kapitalistischen Weltfrieden. Knapp fünfzehn Jahre später erweisen sich diese Hoffnungen als naiv: Nach einer kurzen Phase sinkender Rüstungsausgaben steigen die Etats heute wieder, die innerstaatliche Gewalt nimmt weiter zu und die mächtigen post-industriellen Staaten wähnen sich in der Rolle weltweiter „Systemadministratoren“, die bei unliebsamen politischen Entwicklungen oder zur Erschließung weiterer Wachstumsressourcen intervenieren oder auch Angriffskriege mit hoher Feuerkraft durchführen.

Doch hat sich die „Geschäftsgrundlage“ der Militärpolitik grundsätzlich verändert. Das grundlegende Bedrohungsszenario der Sicherheitspolitik – der Einmarsch einer feindlichen Armee – ist weitgehend obsolet geworden. Aufrechterhaltung und Ausbau stehender Heere, militärischer Einrichtungen, strategischer Forschung und Rüstung müssen neu begründet werden. Interessen müssen neu definiert werden und die sich daraus ergebenden Einsätze erfordern neue Strategien und erweitern das Einsatzspektrum für Soldaten. Die Ratlosigkeit unter den internationalen strategischen Eliten war und ist spürbar: „Humanitäre Einsätze“ müssen erfolglos abgebrochen werden, vermeintlich eroberte Staaten werden zum Übungsgelände aus aller Welt angereister Terroristen und nationale und ethnische Identitätspolitik verstetigt die Gewalt in den Protektoraten auf unabsehbare Zeit.

Die Führer der „westlichen Welt“ gingen lange davon aus, dass mit der militärischen Eroberung einer Hauptstadt und dem Hissen einiger Flaggen gleich ein ganzes Gebiet unter Kontrolle gebracht wäre. Die Terroristen und Warlords hingegen verstehen es schon lange, Teile der Bevölkerung um sich zu scharen und Flüchtlingslager als Rekrutierungsbasis für ihre Kriegsführung zu verwenden. Für sie gab es nie eine Trennung zwischen Zivilisten und Soldaten und selten den Anspruch, einen Nationalstaat zu errichten.

Mittlerweile sind jedoch deutliche Tendenzen sichtbar, dass sich die Strategen der „westlichen Welt“ weitgehend auf neue Bedrohungsszenarien und einen erweiterten Sicherheitsbegriff geeinigt haben. Die Rolle der Vereinten Nationen (UN) wird neu definiert und den Interventionsansprüchen von EU und USA angepasst. Auch was die militärischen Strategien angeht, wurden vermeintliche Fortschritte erzielt. Es kristallisiert sich heraus, dass die Soldaten im weltweiten Einsatz für ihren Staat oder westliche Interessen immer öfter Zivilisten gegenüber stehen und sie dafür die Unterstützung „ziviler“ Einsatzkräfte benötigen werden. Viele militärische Einsätze werden eher polizeilichen Charakter haben und sich mit dem Schutz von Individuen begründen. Es wird weniger lokale Entscheidungsschlachten als kontinuierliche weltweite Einsätze geben.

Diese Kriege niederer Intensität werden vor nationalstaatlichen Grenzen keinen Halt machen, sie werden im Inneren der Krieg führenden Staaten mit zunehmend militärischen Mitteln und im Äußeren mit zunehmend polizeilichen Mitteln geführt werden. Sie drohen ein einziger Krieg zu werden, der überall und auf unbestimmte Zeit diejenigen begünstigt, die zur Herrschaft drängen und zur Gewalt neigen, während er die zivilen Kräfte zersetzt und bekämpft. Dieser Krieg fußt (von Seiten der westlich geprägten Staaten) auf einem entgrenzten Sicherheitsbegriff, der auch die Macht und Befugnisse der Organe der internationalen, staatlichen und Inneren Sicherheit entgrenzt. Erst dadurch wird er zum Krieg. Die zugrunde liegenden Konflikte lassen sich zivil und nur zivil lösen.

Dennoch fällt es gegenwärtig schwer, Widerstand gegen die Kriegstreiberei zu organisieren, Alternativen zu benennen und auszuprobieren. Dies hat sicherlich mit der inneren und äußeren Militarisierung und der entsprechend zunehmenden Repression zu tun. Dies entspricht auch der allgemeinen Unfähigkeit (speziell in Europa), in einem repressiven Kontext radikal andere Gesellschaftsformen zu entwickeln, zu propagieren und zu leben. Das Unbehagen im Kapitalismus erschöpft sich bei vielen in Forderungen nach Reformen oder einem starken Staat. Libertäre Ideen werden durch die Militarisierung zerfallender Staaten, durch die Selbstorganisation im Wesentlichen als „Warlordisierung“ wahrgenommen wird, verunglimpft. Die globale Zivilgesellschaft, die Netzwerke ziviler humanitärer, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen, werden gespalten und zersplittert durch die Versuche der kriegstreibenden Akteure, sie zu integrieren, zu unterwandern und mit Mittelvergaben für ihre Zwecke einzuspannen. Koloniale Militärmissionen laufen unter den Titeln „Humanitäre Intervention“ oder „Friedenseinsätze“. Davon lassen sich viele Friedensbewegte ebenso blenden wie von dem Attribut „zivil“ für in Wirklichkeit zivil-militärische, also umfassend militärische Interventionen.

Wir wollen hier darstellen, wie die Militärstrategen der westlichen Staaten einen erweiterten Sicherheitsbegriff entwickelt haben, den sie als Grundlage für neue Militärstrategien verwenden; wie sie sich bemühen, vormals zivile Probleme und Organisationen in den Bereich der militärischen Sicherheitspolitik zu integrieren; wie sie auf eine Umgestaltung der UN und anderer internationaler Organisationen in ihrem Sinne hinwirken und ihre Strategien für die „Neuen Kriege“ entwickelt haben.

Deshalb wird Christoph Marischka zunächst in Kapitel 1 die Theorie der „Neuen Kriege“ darstellen und kritisieren. Die Thesen ihrer Hauptprotagonisten Herfried Münkler und Mary Kaldor hatten spürbaren Einfluss auf die neuen Strategien der EU und dienen durch die ideologische Überhöhung der europäischen Rechts- bzw. Kriegskultur der Legitimation weltweiten militärischen Engagements. In Kapitel 2 wird die strategische Erweiterung des Sicherheitsbegriffs anhand wichtiger Strategiepapiere Deutschlands, der EU, der USA und der UN dargestellt. Den Schwerpunkt bildet hier die Aufnahme ziviler Themen wie Armut und menschliche Unsicherheit als Bedrohungen, denen letztlich militärisch begegnet werden müsse, und der Versuch, unter dieser Annahme zukünftige Interventionen völkerrechtlich zu legitimieren.

Wolfgang Obenland wird sich im 3. Kapitel damit beschäftigen, wie sich die „neuen“ Konzepte auch in den Bemühungen um eine Reform der Vereinten Nationen widerspiegeln. Besonders die Idee der „Verantwortung zum Schutz“ (Responsibility to Protect, R2P), also der Pflicht zum Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, hat Eingang in das Schlussdokument des Gipfels zum 60. Jubiläum der Organisation gefunden. Neben einer Darstellung der Ergebnisse des Reformprozesses soll vor allem aufgezeigt werden, wie auch Teile der Reform, die auf den ersten Blick nur wenig mit Sicherheitspolitik zu tun haben, durch ein neues Sicherheitsverständnis geprägt sind. Weiterhin geht es um die möglichen Folgen, die sich aus der Aufnahme des Konzepts in den Ideen-Schatz der UN ergeben.

In Kapitel 4 wird die „Menschliche Sicherheit“-Doktrin vorgestellt, die von Mary Kaldor mitverfasst wurde und Teil der EU-Sicherheitsstrategie werden soll. In ihr werden die bisher konkretesten Vorschläge für das Vorgehen der EU in den „Neuen Kriegen“ gemacht. Eine immer wichtigere Rolle spielen dabei Polizeimissionen und gemischt polizeilich-militärische Interventionen bei dem Versuch, Staaten von ihren Sicherheitsorganen her neu und den eigenen Wünschen entsprechend aufzubauen. Unter dem Titel „Polizeisoldaten“ wird in Kapitel 5 kurz dargestellt, welche Gründe dafür ausschlaggebend sind, welche Probleme beim Aufbau neuer Gewaltinstitutionen entstehen und welche Konsequenzen durch eine solche Weltinnenpolitik für die Innere Sicherheit hierzulande drohen.

In einem Politikfeld ist es besonders augenscheinlich, wie sehr sich das Thema Sicherheit zum Leitthema der Politik mausert. Die Entwicklungspolitik, noch nie wirklich frei von den Interessen der Geberländer, durchläuft seit einigen Jahren eine Debatte über ihre Neuausrichtung angesichts der sich verändernden Weltlage. Einige versprechen sich von der Diskussion um die Ursachen des Terrorismus eine Art „Terrordividende“. Doch wie Wolfgang Obenland in Kapitel 6 zeigt, wird durch die neuen Sicherheitskonzepte nicht etwa die Entwicklungshilfe gestärkt. Vielmehr gerät die Entwicklungspolitik in den Einflussbereich der Sicherheitsstrategen. Das spiegelt sich zum einen in Papieren der bisherigen Bundesregierung, aber auch in Forderungen der alten Opposition, die sich nun wahrscheinlich in der trauten Zweisamkeit einer Großen Koalition vereinen dürften. Diese unheilige Allianz aus Sicherheits- und Entwicklungspolitik soll zuletzt am Beispiel der zivil-militärischen Kooperation der Bundeswehr, die teilweise über den Entwicklungshaushalt finanziert wird, verdeutlicht werden.

In Kapitel 7 wird das Dargestellte zusammengefasst und werden Schwerpunkte für die weitere Diskussion vorgeschlagen.