IMI-Standpunkt 2003/104 - in: Resista: M - Eine Stadt sucht die Mörder
Deutschland und die EU-Militärmacht
Auf dem Sprung in den nächsten Krieg
von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 3. Dezember 2003
Deutschland und die EU-Militärmacht
Auf dem Sprung in den nächsten Krieg
Die rot-grüne Bundesregierung setzt ihre bisherige Linie in Sachen Irak konsequent fort: In der jetzigen Kriegsphase – wird weiter die „deutsche Doppelstrategie“ umgesetzt: Gegen den Irakkrieg reden und alles dafür tun, damit er funktioniert – nach den Überfluggenehmigungen, der Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland, durch Wachdienste zur Entlastung der US-Truppen usw. während der Bombenphase, nun die Billigung aller UN-Resolutionen, die die Besatzung des Irak langfristig zementieren.
Zugleich ist die Bundesregierung dabei, gemeinsam mit Frankreich und Belgien die EU als Gegenmacht zur USA weiter aus- und aufzubauen, Kernelement dabei ist die neue EU-Verfassung. Deutschland „kümmert“ sich derzeit militärisch – so der „Big Deal“ mit der US-Regierung – schwerpunktmäßig um Afghanistan: Der dortige Bundeswehreinsatz wurde formal auf ganz Afghanistan ausgeweitet, in der Region Kundus soll die Bundeswehr „Sicherheit“ schaffen, der Einsatz in Kundus ist die konsequente Umsetzung der neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) vom 21.05.2003.
Dieser Erlass ist ab sofort das verbindliche Strategiepapier für die gesamte Bundeswehr. Mit den VPR werden in einer Reihe von Bereichen grundlegende Änderungen bei der Bundeswehr festgelegt. Landesverteidigung soll in Zukunft nur noch eine Randaufgabe der Bundeswehr sein, das Einsatzgebiet der Bundeswehr in Zukunft „weltweit“. „Künftige Einsätze lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen.“ Zentrale Aufgaben der Bundeswehr sollen die Durchsetzung deutscher Interessen und der „Anti-Terror-Kampf“ sein. Deutschland wird laut VPR als Schlüsselstaat in NATO und Europäischer Union (EU) angesehen. „Deutschland ist mit seinen Streitkräften mehr als jeder andere Bündnispartner in die NATO integriert. Ihm fällt im Bündnis eine herausragende Rolle und Verantwortung für den künftigen Kurs der NATO zu“.
Damit wird Abschied genommen vom Grundgesetz: „Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff.“ Somit wird zum Programm erhoben, was Struck bereits früher erklärte: Deutsche „Sicherheit“ werde auch am Hindukusch „verteidigt“. Auch der Einsatz der Bundeswehr im Innern soll laut den Verteidigungspolitischen Richtlinien nun offiziell erfolgen. Bisher galt, dass die Bundeswehr nur „im Spannungsfall“ im Innern eingesetzt werden durfte.
Offensichtlich absolut zentral ist aber die Stärkung der EU als Militärmacht: „Der Stabilitätsraum Europa wird durch eine breit angelegte, kooperative und wirksame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU gestärkt.(…) Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik beruht auf der strategischen Partnerschaft mit der Nordatlantischen Allianz und ermöglicht selbständiges europäisches Handeln, wo die NATO nicht tätig sein muss oder will“. Und endlich wird zugegeben, was immer offensichtlicher wurde: „Deutschland hat in den vergangenen Jahren bei den Beschlüssen der EU zur Ausgestaltung der ESVP (Europäische Sicherheits und Verteidigungspolitik) eine Schlüsselrolle gespielt.“
Der Entwurf für eine EU-Verfassung ist einmalig im friedens- bzw. militärpolitischen Bereich. Dort erhält Aufrüstung Verfassungsrang: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Indem diese Formulierung Verfassungsrang erhalten soll, stellt sie eine explizite Verpflichtung zu Aufrüstung und Rüstungsmodernisierung dar. Einmalig ist, dass die Bereitschaft zu weltweiten Militäreinsätzen gleichfalls in Verfassungsrang erhoben werden soll. EU-Streitkräfte sollen zu „Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen“ eingesetzt werden können. Weiter heißt es: „Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittstaaten bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“. Weiter heißt es: „Über militärische Einsätze der EU entscheidet der Ministerrat.“
Gerhard Schröder hat bei seiner Eröffnungsrede der Hannovermesse im April 2003 den direkten Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Kriegspolitik für die neue deutsche Weltmachtrolle und dem sozialen Kahlschlag erklärt: „Das, was ich mit der Agenda 2010 bezeichnet habe (…) hat mit dem Thema zu tun, das ich anfangs erörtert habe. Wenn Deutschland seine Rolle in Europa und damit Europa seine Rolle in der Welt in dem gekennzeichneten Maße spielen will und soll, … dann reicht es eben nicht aus, das nur zu wollen, sondern dann muss man das Land ökonomisch in Stand setzen, auch die Kraft zu haben und sie diesem Europa zur Verfügung zu stellen, um diese Rolle realisieren zu können.“
Die Informationsstelle Militarisierung hat deshalb vorgeschlagen, eine Kampagne gegen diese EU-(Militär)-Verfassung zu starten. Nähere Informationen unter: https://www.imi-online.de
Dieser Text ist Teil der Massenzeitung zur Mobilisierung
zu den Aktivitäten gegen die so genannte „Sicherheitskonferenz“ am 06./07. Febraur 2004 in München. Die Beiträge finden sich hier: http://www.no-nato.de/cms/front_content.php?lang=1&idcatart=472&sid=0d1f03b3da1390fd44aa1ef20ba12175
und zum Antikriegskongress am 09.-11.01.2004 im DGB-Haus in München. Näheres unter: http://www.no-nato.de/cms/front_content.php?idcatart=486&lang=1&sid=0d1f03b3da1390fd44aa1ef20ba12175
Das Programm des Antikriegskongresses: findet sich unter: http://no-nato.de/cms/front_content.php?idcatart=486&lang=1&sid=50df40fdd4edf10e86f5cb9d16d568b3