IMI-Standpunkt 2016/003

Katastrophal, gefährlich und dumm

Rede von Christoph Marischka anlässlich der Demonstration gegen den Syrieneinsatz der Bundeswehr am 23.1.2016

von: 25. Januar 2016

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Am 23. Januar 2016 demonstrierten in Tübingen knapp 300 Menschen gegen den Bundeswehreinsatz in Syrien. Zu der Demonstration hatte u.a. die Informationsstelle Militarisierung aufgerufen (Aufruf), deren Redebeitrag auf der Zwischenkundgebung wir hier dokumentieren.

Liebe Freundinnen und Freunde,

wir sind heute hier, um gegen den Krieg in Syrien zu demonstrieren und wir demonstrieren insbesondere gegen die deutsche Beteiligung an diesem zerstörerischen, sinnlosen Krieg. Natürlich sind wir gegen jeden Krieg und insbesondere gegen jeden Krieg mit deutscher Beteiligung. Aber was mit ersten Auslandseinsätzen der Bundeswehr Anfang der 1990er am Golf und in Somalia begann und mit Luftangriffen auf Jugoslawien seinen ersten Höhepunkt fand, was sich mit fünfzehn Jahren Krieg in Afghanistan und zahlreichen, ebenso fruchtlosen – ja katastrophalen – Einsätzen in Afrika fortsetzte, erreicht mit dem Einsatz in Syrien ,im Irak und nicht zuletzt der Türkei eine ganz neue Qualität. Dabei ist das Problem nicht an sich jenes, dass dieser Einsatz sowohl verfassungs- als auch völkerrechtswidrig ist – das sind lediglich Indizien dafür, dass dieser Einsatz sich jeder Einschränkung und jeder Vernunft entzieht. Die Große Koalition hat diesen Einsatz in sogenannter Solidarität mit der französischen Regierung beschlossen, die zugleich die Grundrechte ihrer Bürger_innen außer Kraft gesetzt hat. Sie beruft sich dabei auf die Beistandsklausel der Europäischen Union, nach der die Anschläge von Paris als Bewaffneter Angriff auf die gesamte Union gewertet werden, die nun in Selbstverteidigung weltweit den Terror militärisch bekämpfen dürfe. Wie diese Beistandsklausel überhaupt zu aktivieren sei, darüber wussten die Jurist_innen der EU im Übrigen keinen Rat, weshalb sie per Akklamation beschlossen wurde. Seither befinden wir uns im Krieg, im Krieg mit dem Terror. Wir aber sagen: Krieg ist Terror und wir lehnen ihre heimliche Komplizenschaft ab.

Liebe Freundinnen und Freunde,

Die Regierenden werden nicht müde, uns vor Rechtsfreien Räumen und ihrer Entstehung zu warnen. Doch was sie selbst schaffen, sind rechtsfreie Räume. Sie schaffen diese in den Ruinen ihrer ehemaligen Interventionen und sie schaffen diese auch innerhalb der NATO, in der EU und in der Bundeswehr. Die rechtsfreien Räume entstehen gerade dort, wo Polizeien Sondervollmachten erhalten und ohne richterliche Anordnung Gebäude stürmen, Menschen festnehmen oder sie per Drohnen exekutieren. Der Krieg gegen den Terror ist nichts anderes als der Vorwand des sich internationalisierenden, neoliberalen Staates, sich gegen seine eigene Bevölkerung zu bewaffnen.

Liebe Freundinnen und Freunde,

die deutschen Tornados starten von der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik aus. Nicht weit von dieser Basis hat die türkische Regierung im Juli 2012 gemeinsam mit Saudi Arabien und Katar ein Kommandozentrum für die islamistischen Teile der Opposition in Syrien eingerichtet, aus denen der IS, der heute von hier aus bekämpft wird, erst hervorgegangen ist. Auch die USA haben sich hieran beteiligt und für jedes Verbrechen der Islamisten Seite an Seite mit der Bundesregierung sofort und wieder besseres Wissens das Assad-Regime verantwortlich gemacht. Ziel war es, Syrien zu destablisieren und hieran hat auch die Bundesregierung mit ihrer Unterstützung für die Opposition, mit ihrem Projekt „Day After“, mit Ihrer Sanktionspolitik, mit ihrer Anerkennung von Exilregierungen und ihrer Rückendeckung für die Türkei – u.a. mit der Stationierung von Flugabwehrbatterien der Bundeswehr – fleißig mitgewirkt.[1] Seit Anfang 2013 hat auch die EU offen eine Politik verfolgt, um Waffenlieferungen und die Ausbildung von Kämpfern für den syrischen Bürgerkrieg durch ihre Mitgliedsstaaten zu ermöglichen – aktiv vorangetrieben durch die Bundesregierung und schon damals sprach sich etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und Tübinger Honorarprofessor Wolfgang Ischinger auch für deutsche Waffenlieferungen aus.

Liebe Freundinnen und Freunde,

ein zentrales Element bei dieser systematischen Zerstörung Syriens waren eben auch die andauernden Forderungen und Spekulationen über eine Flugverbotszone und ein umfassendes militärisches Eingreifen, wie sie aus dem Umfeld der Bundesregierung und der Strategischen Gemeinschaft Deutschlands lanciert wurden. Das hat natürlich Hoffnungen auf einen schnellen Sieg geweckt, den Krieg angeheizt und tausende junger Menschen ermutigt, zu den Waffen zu greifen. Das besonders Abscheuliche daran ist, dass diese Strategen sich dabei im Klaren waren, dass es so bald nicht zu einem umfassenden Eingreifen nach libyschen Vorbild kommen würde und dass entsprechende militärische Vorbereitungen gar nicht getroffen wurde. Denn anders als in Libyen hatte Syrien eine potente Luftverteidigung und mächtige regionale und internationale Verbündete mit massiven Interessen, insbesondere wegen der einzigen russischen Marinebasis am Mittelmeer im syrischen Tartus. Anders als in Libyen war es also für einen Regimechange in Syrien zunächst notwendig, Syrien in einem Bürgerkrieg zerfallen zu lassen, bevor – ohne jede völkerrechtliche Grundlage – aus der Luft eingegriffen werden kann, wie es jetzt mit deutscher Beteiligung passiert. Wir lehnen diesen Krieg ab und wir werden keine Ruhe geben, bis er beendet ist.

Liebe Freundinnen und Freunde,

im Aufruf zur heutigen Demonstration heißt es, Syrien habe sich zu einer Arena der Regional- und Großmächte entwickelt, in der diese um Macht und Einfluss kämpfen. Kein Wunder, dass die Menschen diese Arena massenweise verlassen, in der sie vom syrischen Regime, von russischen Marschflugkörpern, von französischen, britischen und US-amerikanischen Flugzeugen mit deutscher Beihilfe beschossen werden, während Milizionäre jedweder Couleur am Boden ihr Unwesen treiben. In Syrien wird offensichtlich, dass der Krieg – insbesondere in Form des Krieg gegen den Terror – nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, sondern der Krieg die Politik weitgehend ersetzt. In Syrien interveniert neben Russland und dem Iran und vielen anderen eine Koalition der Willigen – deren Teil Deutschland nun ist – weil sich die NATO als Ganzes nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen kann. Diese Koalition besteht neben Deutschland u.a. – ich lese hier nur eben jene vor, die sich selbst mit Luftschlägen beteiligen – Großbritannien, Frankreich, die USA und Australien, Bahrain, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien und der Türkei. Die beteiligten Regierungen haben gänzlich unterschiedliche Vorstellungen, wer Syrien zukünftig regieren soll, die einen unterstützen die Salafisten, die anderen die Muslimbrüder. Sie unterstützen Truppen am Boden, die sich gegenseitig bekämpfen. Der Bundestag hat den Einsatz in Syrien an der Seite Frankreichs abgesegnet, als dieses noch eine enge Kooperation mit Russland und damit in der Praxis auch der Hisbollah erwogen hat. Wen wir bombardieren bzw. für wen wir die Zieldaten liefern war den Abgeordneten im Bundestag egal, Hauptsache wir beteiligen uns militärisch. Dafür drücken wir auch beide Augen zu, wenn die Türkei derweil das macht, was Assad jahrelang vorgeworfen wurde, nämlich Krieg gegen die eigene, kurdische und demokratisch gesinnte Bevölkerung führt.

Liebe Freund_innen und Freunde,

das ist katastrophal, es ist gefährlich und dumm. Warum es trotzdem passiert hat einen einfachen Grund: Dass die Bereitschaft zu militärischem Eingreifen auf Veranstaltungen wie der Münchner Sicherheitskonferenz von der sogenannten strategischen Gemeinschaft wieder und wieder zur Voraussetzung internationaler Gestaltungsmacht erklärt und diese insbesondere für Deutschland vehement und als Selbstverständlichkeit eingefordert wird.

Vor wenigen Tagen wurde der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger in der Zeitung Welt interviewt und ließ sich fragen: „Wird Deutschland, wird die EU auf der internationalen Bühne überhaupt ernst genommen? Die harte Währung dort ist doch nach wie vor die Bereitschaft zum militärischen Engagement.“[2] Und er antwortete: „Als Frankreichs Präsident Hollande nach den Pariser Anschlägen Artikel 42 Absatz 7 des Lissabon-Vertrags ausrief, mussten alle erst einmal nachlesen, was da drin steht – die militärische Beistandspflicht der EU-Staaten nämlich. Damit hat Hollande der EU doch eine Beckenbauersche Flanke in den Strafraum bugsiert, die man jetzt nur noch verwandeln muss…“. Liebe Freundinnen und Freunde, hier kann man durchaus heraushören, dass sich Ischinger vielleicht nicht über die grausamen Anschläge von Paris freut, sie aber durchaus als Chance begreift. Denn er fährt fort in seinem Interview, wie nun die Flanke zu verwandeln sei: „Also muss doch jetzt eine große Initiative gestartet werden, die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU endlich herzustellen. Erst wenn das passiert ist, wird man uns auf der Weltbühne ernst nehmen“. Und mit nationalistischem Impetus legte er nach mit der Forderung: „Deutschland muss Europa stark und einig machen!“

Liebe Freundinnen und Freunde, wir sind der Überzeugung, dass Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart bereits genug Unheil über Europa gebracht hat und wir distanzieren uns aufs Schärfste von solchen nationalistischen und militaristischen Parolen! Nie Wieder Deutschland – Nie wieder Krieg und nie wieder Faschismus!

Liebe Freundinnen und Freunde,

Solche nationalistischen und militaristischen Parolen kennen wir aus ganz anderen Zeiten und nicht ganz unzutreffend werden in Bezug auf Syrien gelegentlich Analogien zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gezogen – mit dem Unterschied, dass in der Luftwaffenbasis Incirlik – etwa 100 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem der NATO-Staat Türkei bereits ein russisches Flugzeug abgeschossen hat – heute im Zuge der nuklearen Teilhabe US-Atomwaffen lagern. Die deutsche Fregatte, die den Flugzeugträger Charles de Gaulle eskortiert ist auch nicht primär dazu da, um Angriffe des IS abzuwehren, sondern die russischen U-Boote in Blick zu behalten. Die Lage ist ernst, und deshalb bin ich sehr froh, dass wir heute hier sind und darüber sprechen und dass wir damit endlich mal wieder eigene Themen setzen, anstatt uns der Panikmache vor dem Terrorismus und angeblicher Überfremdung hinzugeben. Denn wir wissen von der heimlichen Komplizenschaft zwischen Krieg und Terror. Wir wissen: Krieg macht Terror und wir sagen: Krieg dem Krieg. Und ich hoffe, dass viele von uns nach München fahren, zu den Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonfrenz, Wolfgang Ischinger und seine Gesinnungsgenossen und zeigen: Wir werden nicht Ruhe geben, bis dieser Krieg beendet wird. Danke, dass Ihr hier seid!

[1] Mehr hierzu siehe: Christoph Marischka: Syrien – Wie Luftabwehr und Völkerrecht ausgehebelt wurden,
IMI-Analyse 2015/029, in: AUSDRUCK (Oktober 2015).
[2] „Gefahr einer nuklearen Konfrontation ist hoch“, Interview mit Wolfgang Ischinger, erschienen auf welt.de am 21.1.2016 (http://www.welt.de/politik/deutschland/article151256915/Gefahr-einer-nuklearen-Konfrontation-ist-hoch.html)

Ein Bericht zur Demo mit Fotos ist u.a. hier erschienen: https://linksunten.indymedia.org/de/node/166502.