IMI-Standpunkt 2004/043 in: Schwäbisches Tagblatt Online, 13.8.2004

Tobias Pflüger: EU-Verfassung ist antisozial

Droht die Aushöhlung des Sozialstaatsprinzips über den EU-Verfassungsvertrag?

von: Tobias Pflüger / Manfred Hantke / Schwäbisches Tagblatt / Pressebericht | Veröffentlicht am: 13. August 2004

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(tol). Viel wird derzeit über ein mögliches Referendum diskutiert: Sollen die Bundesdeutschen über die EU-Verfassung abstimmen – oder nicht? Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer trauen den Deutschen in dieser Hinsicht nicht und lehnen ein Referendum ab. Über den Inhalt des EU-Vertrags wird jedoch kaum diskutiert. Wir fragten „unseren Mann in Brüssel“, den Tübinger EU-Abgeordneten Tobias Pflüger, was er von der Verfassung hält. Der parteilose Pflüger sitzt für die PDS im europäischen Parlament.

Herr Pflüger, im Herbst soll die neue Verfassung für Europa unterschrieben werden. Insbesondere von „links“ wird kritisiert, dass die Verfassung das neoliberale Wirtschaftsmodell mit unbeschränktem Wettbewerb fortschreibt. Sind die sozialen Komponenten auf der Strecke geblieben?

Eindeutig Ja! Wenn man sich den Text genau ansieht, so fällt auf, dass schon weit vorn im Verfassungstext, in Artikel I-3, ein „Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“ zum Ziel der EU erklärt wird. Und trotz einiger Schönrednerei im Text ist alles um den harten Kern einer entfesselten Kapitalfreiheit organisiert. So gibt es denn folgerichtig auch eine Verpflichtung auf den Grundsatz „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (III-69). Was hier droht, ist die Aushöhlung unseres Sozialstaatsprinzips über den EU-Verfassungsvertrag.

Sehen Sie im Entwurf eine Gefährdung der sozialen und der demokratischen Grundrechte?

Ja, hier wird den Leuten von CDU bis Grünen einfach kein reiner Wein eingeschenkt. Die bittere Wahrheit ist: Die sozialen Grundrechte sind auf der Strecke geblieben. Zwar finden sich in Teil II des Verfassungsvertrages (Grundrechtecharta) einige soziale Rechte, die allerdings schon im Grundrechtekonvent auf Rechte, wie etwa das „Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst“ (II-28) zurückgestutzt wurden. Aus dem „Recht auf Arbeit“ der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ wurde schon im Grundrechtekonvent bezeichnenderweise das „Recht zu arbeiten“ (II-15). In der Folge wurden aber sogar die wenigen sozialen Rechte weiter relativiert, indem jetzt im Verfassungvertrag festgestellt wird, sie seien lediglich minder justiziable „Grundsätze“, sprich nicht einklagbar (II-52). Zu guter letzt hat man auch noch weitere grundrechtseinschränkende Erläuterungen mit in den Text aufgenommen, so dass praktisch nichts mehr bleibt und ja nichts anbrennt. Wer angesichts dessen beispielsweise behauptet, mit dem Verfassungsvertrag entstünde die Möglichkeit auf legale grenzüberschreitende Streiks oder gar EU-weite Streiks, der sagt einfach die Unwahrheit. Dieses skandalöse Herabstufen von sozialen Grundrechten gipfelt dann auch noch in der Aufnahme eines, in internationalen Grundrechtscharten völlig unbekannten Rechts, in den Verfassungsvertrag des Rechts auf „unternehmerische Freiheit“ (II-16). Hier wird einfach die Demokratie ausgetrickst. Böse Zungen würden auch sagen – gelenkt.

Auch auf militärischem Gebiet wollen die EU-Staaten durch die Verfassung noch enger zusammenrücken. Reichen die in der Verfassung niedergelegten Kontrollfunktionen aus?

Der eigentliche Skandal ist, dass es ja wirklich nicht um die Verteidigung des Territoriums der EU-Staaten geht, sondern einzig und allein um die Durchführung von Militärinterventionen, sprich Kriegen. Im Verfassungsvertrag finden sich zudem im Bezug hierauf keinerlei Kontollinstanzen. Das Europäische Parlament hat die Entwicklung lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Oder wie heißt es so schön im Verfassungsvertrag in Artikel I-40: „Es wird über die Entwicklung auf dem Laufenden gehalten.“ Das würde ich nicht gerade als scharfes Kontrollinstumentarium ansehen. Der Gipfel ist, dass auch noch in Artikel III-282 festgeschrieben wird, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für diesen Politikbereich keinerlei Gültigkeit haben. Sprich dieser Politikbreich wurde ausgenommen. Wenn hier Grundrechtsverletzungen stattfinden, hat der Europäische Gerichtshof nichts zu sagen – und das soll auch noch Verfassungsrang erhalten?

Sind denn zivile Krisenpräventionen oder Konfliktbearbeitung in der Verfassung ausreichend berücksichtigt?

Sie sind praktisch nicht existent. Und wenn, dann immer nur in bewusster Vermischung mit militärischen Mitteln. Noch nicht einmal der erklärte Wille zur Abrüstung findet sich im Text. Stattdessen wird festgeschrieben: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“ (I-40). Auch angesichts dessen, dass man bei Hartz IV jetzt die Sparbücher von Kindern pfänden will, ist das schon reichlich zynisch von der Bundesregierung. Polemisch gesprochen: Mit dem EU-Verfassungsvertrag verpflichtet man sich selbst das Geld, dass man den Arbeitslosen jetzt abnimmt, in immer aufwändigere und aggressivere Rüstungsprojekte zu stecken.

Nun wird in der Bundesrepublik derzeit diskutiert, ob die EU- Verfassung vom Volk abgesegnet werden soll oder nicht. Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer sind dagegen, obwohl sie für diese Legislaturperiode Volksentscheide versprochen hatten. Sind die in halb Europa anstehenden Volksentscheide nicht eine Chance für die linke Fraktion, um auf die von Ihnen beschriebenen Mängel aufmerksam zu machen?

Die Referenden sind eine Chance um die Leute aufzurütteln. Dieser antisoziale und friedensgefährdene Vertrag darf nicht ratifiziert werden. Er darf keine Gültigkeit erlangen. Schröder und Fischer wollen keine Diskussion über die Inhalte, deshalb sperren sie sich auch gegen das Referendum hier. In Sonntagsreden dürfen sich die Abgeordneten der rotgrünen Koalition für mehr direkte Bürgerbeteiligung an Entscheidungen aussprechen, doch wenn es wieder Montag ist, dann gehen die Uhren bei SPD und Grünen anders. Dafür müssen sie die Quittung bekommen. Auf jeden Fall müssen wir dafür sorgen, dass mit einer starken Bewegung gegen den Verfassungsvertrag der EU hier, den emanizipatorischen linken Gegnerinnen und Gegnern in den EU-Mitgliedstaaten, in denen ein Referendum stattfinden soll, Mut gemacht wird.

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