Pressebericht

Presseerklärung: Sicherheitskonferenz 2004: Proteste unerwünscht!

Ausübung des Demonstrationsrechtes nur unter massiven Einschränkungen

von: Rote Hilfe München / Dokumentation | Veröffentlicht am: 9. Februar 2004

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von Ermittlungsausschuss (EA) – Rote Hilfe e.V. Ortsgr – 08.02.2004 14:39

(08.02.2004) Die Proteste gegen die Münchner NATO-„Sicherheitskonferenz“ am Wochenende vom 6. bis 8. Februar 2004 waren wie in den letzten beiden Jahren geprägt von Polizeigewalt und Repressi-on. Ein Großaufgebot von mehreren tausend PolizistInnen schuf einen faktischen Ausnahmezustand über die Münchner Innenstadt, der massive Einschränkungen von Versammlungs- und Meinungsfreiheit zur Folge hatte. Fast 300 Menschen wurden verhaftet, etliche verletzt, ein Demonstrant sitzt in Untersuchungshaft.

Der „Auftakt“: Polizei verhindert genehmigte Versammlungen am Freitag

Die Proteste gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 2004 waren von Anfang an geprägt von massiven Eingriffen der Polizei in Versammlungs- und Meinungsfreiheit der Demonstrantinnen und Demonstranten. Den ca. 4000 aus verschiedenen Bundesländern angereisten Polizisten gelang es vor allem am späten Freitagnachmittag, den Großteil der angemeldeten Versammlungen durch willkürliche brutale Übergriffe gegen die Anwesenden schlichtweg zu unterbinden. Am Lenbachplatz fanden sich die Demonstranten in einem aus Sperrgittern aufgebauten „Freigehege“ wieder. Am Platz der Opfer des Nationalsozialismus wurde die Menge von Anfang an von Hunderten schwer gerüsteter und teilweise mit Sturmhauben vermummter Polizisten eingekeilt. Schon vor Beginn der Kundgebungen wurde jede/r als DemonstrantIn erkennbarer Mensch systematisch mit Kameras gefilmt.

Schon kurz nach Beginn der Kundgebung am Platz der Opfer des Nationalsozialismus griffen die an-wesenden BeamtInnen mit Schlagstöcken und Pfefferspray eine kleine Gruppe DemonstrantInnen an, die es gewagt hatte die Fahrbahn des Maximiliansplatzes zu betreten. Mehrere Menschen wurden verletzt. Nachdem die Straße wieder geräumt war, begann die Polizei willkürlich, herumstehende Menschen einzukesseln und festzunehmen, unter ihnen auch Schaulustige.

Von nun an war an eine geordnete Durchführung der Versammlung am Platz der Opfer des Nationalsozialismus nicht mehr zu denken. Ausnahmslos jede/r DemonstrantIn musste jederzeit damit rechnen, unter Gewaltanwendung festgenommen zu werden.
Die Menschenkette, die die verschiedenen Versammlungsorte miteinander verbinden sollte, konnte wegen zahlreicher Übergriffe der Polizei nicht gebildet werden. Auch wer eventuell nur einem der hin und her rennenden Polizeitrupps im Weg stand, wurde ohne Ansehen der Person verhaftet. Ein Mann wurde bewusstlos geschlagen und musste mit dem Krankenwagen abtransportiert werden.

Die Eskalation der Versammlung am Platz der Opfer des Nationalsozialismus war nur auf den ersten Blick grundlos. Denn während sich dort die Protestierenden gegen die „Sicherheitskonferenz“ und die NATO-Kriegspolitik mit prügelnden, pfefferspraysprühenden und festnehmenden PolizistInnen herum ärgern mussten, konnten die Teilnehmer der „Sicherheitskonferenz“ nur von wenigen Protesten begleitet über den Max-Joseph-Platz zum Bayerischen Hof anfahren. Offensichtlich sollten also die KriegsgegnerInnen durch Polizeiübergriffe am Platz der Opfer des Nationalsozialismus von dieser Tatsache abgelenkt werden.

Insgesamt gab es am Freitag ca. 210 Festnahmen. Eine genaue Anzahl der durch PolizeibeamtInnen Verletzten können wir nicht geben, jedoch mussten mindestens drei Demonstrationsteilnehmer im Krankenhaus behandelt werden.

Misshandlungen in Polizeihaft

Auch in der Gefangenensammelstelle wurden die Übergriffe fortgesetzt. Wir erhielten mehrere Anrufe aus der Haftanstalt, nach denen ein Gefangener in Polizeigewahrsam von mehreren Polizisten körperlich misshandelt wurde! Er wurde eine Treppe herunter gestoßen und getreten, u.a. in die Genitalien. Der in Österreich lebende türkische Staatsangehörige wurde später vom Ermittlungsrichter in Untersuchungshaft gesteckt.

Uns liegen weitere Berichte vor, nach denen in den Zellen des Polizeipräsidiums erkrankte und verletzte Festgenommene die medizinische Versorgung verweigert wurde. Gefangene bekamen stunden-lang kein Essen oder ausreichende Decken in der Nacht.

„Da Capo“ am Samstag

Am Samstag den 7.2.2004 wurden die Proteste gegen die sog. Sicherheitskonferenz trotz der polizeilichen Übergriffe vom Freitag fortgesetzt.

Mindestens zehntausend Demonstrantinnen und Demonstranten zogen vom Marienplatz über den Altstadtring zum Lenbachplatz. Von Anfang an wurden die DemonstrationsteilnehmerInnen durch die im sogenannten „Spalier“ gehenden Polizeikräfte massiv an der Ausübung Ihres Grundrechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit behindert “ von der Polizei verniedlichend als „hautnahe Begleitung“ bezeichnet. Über weite Strecken war es unmöglich, durch die Polizeiketten den Demonstrationszug zu verlassen, wer auf dem Gehweg stand wurde in den „Wanderkessel“ geschubst. Im Laufe der Demonstration kam es zu ständigen oft willkürlichen Übergriffen der Polizei und zu Verhaftungen. Auch ein Pressefotograf und ein Ordner wurden festgenommen. Weitere PressevertreterInnen, die Polizeiübergriffe dokumentierten, wurden gezwungen, ihre Aufzeichnungen zu löschen.

Auch nach dem Ende der Kundgebung am Lenbachplatz hatten die Übergriffe der Polizei immer noch kein Ende. Gruppen abziehender TeilnehmerInnen wurden quer durch die Innenstadt verfolgt, zum Teil eingekesselt und verhaftet: Als Grund genügte das Mitführen eines A3-Plakates oder das Tanzen einer Polonaise auf dem Marienplatz.

Trotz dieser ständigen Einschüchterungen, Behinderungen und Übergriffe ließen sich jedoch tausende Menschen auch am Samstag nicht davon abbringen, ihren Protest gegen die „Sicherheitskonferenz“ und die NATO-Kriegspolitik auf die Straße zu tragen.

Zahlreiche Proteste trotz Ausnahmezustand

Die Verhängung eines faktischen Ausnahmezustands über die gesamte Münchner Innenstadt erzeug-te an diesem Wochenende ein schier unerträgliches Klima der Überwachung und Repression, in dem eine freie und unbeschwerte politische Meinungsäußerung unmöglich gemacht wurde. Allein der Umstand, als möglicher „Demonstrant“ identifiziert zu werden, konnte genug sein, um schikaniert, mehrfach durchsucht, abfotografiert, festgenommen oder Opfer von Polizeigewalt zu werden.

Mal wieder wurden die persönlichen Daten hunderter Menschen erfasst, deren einziges „Vergehen“ war, an einer Versammlung teilnehmen zu wollen. Gefüllt werden damit die zahlreichen Polizei- und Geheimdienstdateien (wie z.B. die „LIMO-Datei“), die in Zukunft als schwarze Listen dienen werden, um Gewahrsamnahmen, Reise- oder gar Versammlungsverbote zu rechtfertigen.

Die Münchner Polizei mit ihrem Dienstherren Beckstein bezieht in einer politischen Auseinandersetzung um die „Sicherheitskonferenz“ und die damit verbundene weltweite Kriegspolitik durch die massive Behinderung legitimer Proteste eindeutig Stellung. Unerwünschte öffentliche Kritik und Proteste sollen in München um jeden Preis unterbunden werden.

Der Ermittlungsausschuss/Rote Hilfe e.V. OG München fordert die Löschung aller angefertigten Daten und die Freilassung des noch inhaftierten Demonstranten! Wir werden allen Menschen zur Seite ste-hen, die politisch und juristisch gegen die Polizeirepression des Wochenendes vorgehen wollen.

Wir appellieren an die demokratischen Medien, die massiven Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu thematisieren statt einseitig heraufbeschworene Gewaltszenarien der Polizei-erklärungen wiederzugeben.

e-Mail:: muenchen@rote-hilfe.de / Anschrift:: Schwanthalerstraße 139, 80339 München / Tel.: 089/4489638