IMI-Analyse 2025/34
Das Ende der Konversion
Die Bundeswehr-Rückeroberung der Fläche zum Ärger der Kommunen
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 30. Oktober 2025
Mit Aussetzung der Wehrpflicht und der Verkleinerung der Bundeswehr wurden seit 2011 eine ganze Reihe von Liegenschaften stillgelegt und der Aufsicht der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) übergeben. Vielfach begannen inzwischen teils weit fortgeschrittene Planungen für eine zivile Nutzung, die nun zum Ärger vieler Kommunen in den meisten Fällen umsonst gewesen sein dürften. Denn mit dem anvisierten Aufwuchs der Truppe steigt auch der Flächenbedarf erneut steil an. Viele der stillgelegten Liegenschaften sollen aus diesem Grund nun wieder in ein exklusives Nutzungsrecht der Bundeswehr rücküberführt werden. In der diesbezüglichen Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums hieß es dazu Ende Oktober 2025: „Durch den notwendigen Aufwuchs der Streitkräfte entstehen Bedarfe an Liegenschaften, die in den kommenden Jahren gedeckt werden müssen. Das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) setzt daher die Umwandlung von militärisch genutzten Liegenschaften in eine zivile Nachnutzung (Konversion) aus.“[1]
„Eine wachsende Bundeswehr braucht Platz“
Im Zuge der Verkleinerung der Bundeswehr auf rund 180.000 Soldat*innen wurde im Jahr 2011 ein neues Stationierungskonzept verabschiedet, in dem eine Reduzierung der Standorte von 394 auf 264 vorgesehen war.[2] Mit den sich stetig verschlechternden Beziehungen zu Russland wurde allerdings über die Zeit eine Trendwende eingeleitet.[3] Schon im Koalitionsvertrag von SPD und Union vom Februar 2018 war angekündigt worden, dass die Zeit der Liegenschaftsschließungen womöglich nun ein Ende finden würde: „Vor einer endgültigen Abgabe von Liegenschaften der Bundeswehr werden wir vor dem Hintergrund der Trendwenden jeweils noch einmal den zukünftigen Bedarf prüfen. Unseren Bedarf werden wir auch in Hinblick auf Liegenschaften prüfen, deren Abgabe bereits vollzogen ist.“[4]
Im Januar 2019 präsentierte die Bundeswehr daraufhin das Dokument Schließungszeitpunkte von Liegenschaften der Bundeswehr, mit dem für knapp 50 Liegenschaften die Abwicklung ausgesetzt oder nach hinten verschoben wurde. Parallel dazu kündigte die Bundeswehr durch eine Pressemitteilung mit dem sinnigen Titel „Eine wachsende Bundeswehr braucht Platz“ an, insgesamt „acht zusätzliche Munitions- und Materiallager“ wieder in Dienst stellen zu wollen: „Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten des Schrumpfens wächst die Bundeswehr wieder. […] Bereits im Koalitionsvertrag ist verankert, dass die bisherigen Planungen zur Abgabe von Liegenschaften umfassend zu überprüfen sind. Deswegen hat Verteidigungsministerin von der Leyen jetzt entschieden, acht Lagereinrichtungen schrittweise wieder in Betrieb zu nehmen. Die Umsetzung erfolgt sukzessive im Zeitraum 2020 bis 2031.“[5]
Die endgültige Entscheidung über die Re-Aktivierung der acht Standorte wurde dann im Februar 2021 vom damaligen Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn in einem Tagesbefehl mitgeteilt.[6]
„Kasernenbau am Fließband“
Aktuell verfügt die Bundeswehr über 274 Standorte[7] und 1.500 Liegenschaften.[8] Besonders seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich der Personal- und Platzbedarf der Truppe noch einmal massiv verändert. Schnellstmöglich soll die Bundesweher von ihren aktuell rund 180.000 auf 260.000 Soldat*innen anwachsen, die dementsprechend mitsamt dem massenhaft neu bestellten Gerät auch irgendwo untergebracht werden müssen. Schon der Mehrbedarf durch den neuen Wehrdienst ist enorm, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius ausführt: Allein für den neuen Wehrdienst brauchen wir in den kommenden Jahren rund 40.000 zusätzliche Betten für Rekrutinnen und Rekruten. […] Und zwar nicht irgendwann, sondern bis 2031, also in den nächsten fünfeinhalb Jahren.“[9]
Dies soll auf verschiedenen Wegen erreicht werden: Einmal über eine Steigerung der Mittel für militärische Bauvorhaben, die bereits von 2023 auf 2024 um über 20 Prozent auf rund 1,6 Mrd. Euro aufwuchsen.[10] Zweitens soll das militärische Bauen durch das im Sommer vom Kabinett beschlossene Bundeswehr-Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz erheblich erleichtert werden[11], indem baurechtliche Hürden wie etwa Umweltauflagen weitgehend beseitigt werden: „Außerdem kann das BMVg bislang übliche Genehmigungsverfahren nach eigenem Ermessen aussetzen und ins eigene Haus delegieren. Pauschal kann hier mit einer ‚Eilbedürftigkeit des Vorhabens‘ argumentiert werden, um u.a. Umweltverträglichkeitsprüfungen durch Umweltschutzbehörden zu umgehen.“[12]
Und schließlich soll drittens das eigentlich für den schnellen Ausbau im Ausland vorgesehene German Armed Forces Contractor Augmentation Program (G-CAP) ein modulares und damit schnelles Bauen im Inland ermöglichen: „Demnach plant der Minister, 270 Kompaniegebäude bei der Industrie in Auftrag zu geben. […] Baubeginn soll bereits 2027 sein. […] G-CAP ermögliche den ‚Kasernenbau vom Fließband‘, so der Minister. […] Es wird bereits seit 2017 erfolgreich in den Auslandseinsätzen genutzt, um schnell und lageangepasst Unterbringungs- und Sanitätseinrichtungen bereitzustellen.“[13]
„Strategische Liegenschaftsreserve“
Mit der bereits eingangs erwähnten Pressemitteilung Ende Oktober 2025 verkündete das Verteidigungsministerium die Ergebnisse einer Prüfung der Liegenschaften, die faktisch eine Rückabwicklung zahlreicher Stilllegungen bedeuten: „Der in den frühen 1990er Jahren begonnene und in den 2010er Jahren nach Aussetzung der Wehrpflicht fortgesetzte Prozess der Konversion von Liegenschaften der Bundeswehr wird mit diesem Moratorium also angehalten: Aktuell betrifft das zunächst 187 ehemalige militärische Liegenschaften, die sich im Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) befinden. Diese sind grundsätzlich für eine Nutzung durch die Bundeswehr geeignet. Betroffen sind außerdem weitere 13 Liegenschaften, die die Bundeswehr noch betreibt. Entgegen früherer Entscheidungen werden diese nicht aus der Nutzung genommen.“[14]
Die Flächen würden einer „strategischen Liegenschaftsreserve der Bundeswehr“ zugeführt, um im „Bedarfsfall kurzfristige Lösungen für die Infrastrukturbedarfe der Bundeswehr“ zu ermöglichen, so das Verteidigungsministerium weiter.
Auf Nachfrage des Journalisten Thomas Wiegold antwortete das Verteidigungsministerium, eine Liste, um welche konkreten Liegenschaften es sich handelt, werde vorerst zumindest nicht veröffentlicht.[15] Eingeräumt wurde lediglich, unter den 13 Liegenschaften, die nun doch nicht abgewickelt werden sollen, befänden sich der ehemalige Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck und Teile des stillgelegten Flughafens Tegel in Berlin. Kurz darauf veröffentlichte die ARD aber eine vollständige Liste sowohl der 187 stillgelegten als auch der 13 für den Weiterbetrieb auserkorenen Liegenschaften.[16]
Im Verteidigungsministerium scheint man sich dabei völlig darüber im Klaren zu sein, dass die Entscheidung beileibe nicht in allen Kommunen Begeisterungsstürme auslösen dürfte. So bemühte sich der für Infrastruktur zuständige Staatssekretär Nils Hilmer sichtlich, die Wogen zu glätten: „Wir sind uns der Tragweite der Entscheidung sehr bewusst und wissen, dass in vielen Fällen bereits Planungen bestehen, betroffene Flächen zivil zu nutzen. Es ist uns deshalb sehr wichtig, in einem Dialog mit Ländern und Kommunen gute Wege zu finden, um die notwendigen Planungen der Bundeswehr im gemeinsamen Interesse umzusetzen. Wo immer dies möglich ist, werden wir versuchen, auch bestehende zivile Planungen zu berücksichtigen.“[17]
Doch schon aus der Wortwahl wird hier deutlich, dass die Bundeswehr kommunale Belange lediglich „wo immer es ihr möglich erscheint“ berücksichtigen wird, diese im Zweifelsfall also keine Rolle spielen dürften.
Bundeswehr statt Wohnungsbau
Durch ein Versehen stellte die ARD zuerst die Liste der Liegenschaften einschließlich geschwärzter aber entzifferbarer Adressen ins Internet, was insbesondere bei Standortübungsplätzen irgendwo in der Fläche hilfreich zur Lokalisierung ist. In der nun im Internet auffindbaren Variante sind diese Adressen nicht mehr enthalten, doch auch aus ihr lassen sich aber „interessante“ Schlüsse ziehen. Dies gilt insbesondere für die Standorte, meist ehemalige Kasernen, in städtischen oder stadtnahen Gebieten, in denen bereits Planungen für eine zivile Nutzung weit fortgeschritten sind. Um nur einige Beispiele zu nennen: In Schwetzingen (Rhein-Neckar-Kreis) ist ein Wohngebiet für bis zu 1.800 Menschen in Planung, dieselbe Zahl wurde auch für Ellwangen (Ostalbkreis) angepeilt, was sich aber erledigt haben dürfte, nachdem sich beide Standorte auf der „Liegenschaftsliste“ des Verteidigungsministeriums finden.[18]
Auch das früher von der US-Armee genutzte und dann an die BImA übergebene Patrick-Henry-Village (PHV) in Heidelberg ist aufgeführt, für das große Pläne mit Wohnraum für rund 10.000 Menschen existieren, die ebenfalls drohen, sich in Nichts aufzulösen. Schon vor bekannt werden der jetzigen Pläne wurde berichtet: „Die Stadt Heidelberg will das ungefähr 100 Hektar große Patrick-Henry-Village (PHV) zu einem neuen Stadtteil entwickeln und dafür das Gelände am westlichen Stadtrand kaufen. Doch die Verhandlungen mit der für Immobilien des Bundes zuständigen Bundesanstalt BImA stocken, denn die Bundeswehr ist mit im Spiel. […] Die Entwicklung des früheren US-Areals ist seit Jahren intensiv in der Planung und Diskussion in Heidelberg.“[19] Inzwischen wurde der Stadt auch offiziell mitgeteilt, dass sie die Nutzungspläne auf Eis zu legen habe: „Das Bundesverteidigungsministerium habe die Stadt Heidelberg darüber informiert, dass das Patrick-Henry-Village (PHV) zu den Liegenschaften zählt, die grundsätzlich für eine mögliche künftige Nutzung durch die Bundeswehr geeignet seien. Das hat ein Sprecher der Stadt mitgeteilt. Daher sei die Umwandlung in eine zivile Nachnutzung zunächst ausgesetzt.“[20]
Ebenfalls problematisch stellt sich die Lage in Kiel dar, wo die Stadt Ende 2020 für 30 Millionen Euro das Areal des einstigen Marinefliegergeschwaders 5 (MFG5) in Holtenau erwarb, das ebenfalls auf der Liegenschaftsliste gelandet ist. Geplant war ein riesiges Städtebauprojekt mit u.a. 2.250 Wohnungen, aus dem wohl jetzt nichts wird. Schon im Sommer wurde berichtet: „Als die Stadt 2020 das Gelände gekauft hat, wurde ein Passus zur Rückabwicklung in den Vertrag aufgenommen. Dieser Passus greift, wenn politische oder militärische Gründe für einen Rückkauf vorliegen. […] Die Bundeswehr hat der Stadt signalisiert, dass sie dringenden Bedarf für die militärische Nutzung des gesamten Geländes hat.“[21]
Proteste
Viel Handlungsspielraum haben die Kommunen nicht, sich den Begehrlichkeiten der Bundeswehr zu widersetzen, wie der Kieler Fall zeigt: „Auch ohne die Ratsversammlung könnte der Bund das MFG-5-Gelände der Bundeswehr durch Enteignung beschaffen, da bei Landesverteidigung ein übergeordnetes Gemeinwohlinteresse besteht.“[22]
Andererseits sind solche Enteignungen gegen lokalen Widerstand langwierig. Ganz so geräuschlos, wie sich die Bundeswehr das erhofft, dürfte die Rückabwicklung der Liegenschaften allerdings nicht ablaufen. In Kiel etwa rief das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ schon am 18. Oktober 2025 zu Protesten auf, an denen sich 200 Menschen beteiligten. Dort wurde der geplante Verkauf scharf kritisiert: „Der Anteil von bezahlbaren Wohnungen und Sozialwohnungen geht nach den Beschlüssen des Rats weit über das Maß der sonstigen Kieler Neubaugebiete hinaus. […] Doch jetzt kommt die Bundesmarine und sagt: Aus die Maus, wir brauchen das Gelände, denn in wenigen Jahren steht der Russe vor der Tür. Über diese Gefahrenanalyse kann man trefflich streiten. Doch, dass Kiel dringend mehr bezahlbaren Wohnraum braucht, ist unstrittig. […] Wir brauchen dringend eine Zeitenwende für bezahlbaren Wohnraum! Auch in Holtenau Ost! Daher keinen Verkauf an die Bundeswehr!“[23]
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine erweiterte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der zuerst bei Telepolis erschien.
Anmerkungen
[1] Moratorium für die Konversion von Liegenschaften, bmvg.de, 28.10.2025.
[2] Die Stationierung der Bundeswehr in Deutschland Bundesministerium der Verteidigung, Oktober 2011.
[3] Kleiß, Alexander: Konversion rückwärts: Wiederaufrüstung in Baden-Württemberg, IMI-Studie 2018/03.
[4] Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode.
[5] Eine wachsende Bundeswehr braucht Platz, BMVg, Pressemitteilung, 15.01.2019. Konkret war die Rede von Altheim, Hardheim, Huchenfeld (Baden-Württemberg), Lorup (Niedersachsen), Königswinter (Nordrhein-Westfalen), Kriegsfeld (Rheinland-Pfalz), Bargum und Ladelund (Schleswig-Holstein).
[6] Tagesbefehl des Generalinspekteurs: Änderungen in der Grobstruktur, bmvg.de, 05.02.2021.
[7] Wohin mit neuen Soldaten? tagesschau.de, 23.04.2025.
[8] Infrastrukturbericht der Bundeswehr 2024, Bundesministerium der Verteidigung, Mai 2025.
[9] Bundeswehr-Infrastruktur: 40.000 Betten bis 2031 benötigt, defence-network.com, 09.10.2025.
[10] Als gesamter Investitionsbedarf wird angesetzt: „Um den Auftrag und die Aufgaben der Bundeswehr erfüllen zu können, [ist] der Substanz- und Funktionserhalt vorhandener Anlagen und Einrichtungen erforderlich. Hieraus resultiert bereits ein dokumentierter und prognostizierter infrastruktureller Handlungsbedarf von rund 24 Mrd. EUR. Der Gesamtinvestitionsbedarf für militärische Infrastruktur wird sich bis in die 2040er Jahre auf über 67 Mrd. EUR belaufen.“ (Infrastrukturbericht der Bundeswehr 2024, Bundesministerium der Verteidigung, Mai 2025)
[11] Siehe Seifert, Andreas: Die Crux vom Bürokratieabbau in der Beschaffung, in: AUSDRUCK (September 2025).
[12] So Philip Steeg, Investigativ-Rechercheur bei Greenpeace Deutschland, zitiert bei Hochgesand, Sonja: Klima- und Umweltschutzaspekte im Bundeswehr Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG), Greenpeace Greenwire, 14.09.2025.
[13] 40.000 Unterbringungsplätze für Rekrutinnen und Rekruten bis 2031 geplant, bmvg.de, 07.10.2025.
[14] Moratorium für die Konversion von Liegenschaften, bmvg.de, 28.10.2025.
[15] Wiegold, Thomas: Kasernen zurück in die Truppe – Update: Die ARD hat die Liste, Augengeradeaus, 28.10.2025.
[16] Was die Bundeswehr nun doch behalten will, tagesschau.de, 28.10.2025.
[17] Moratorium für die Konversion von Liegenschaften, bmvg.de, 28.10.2025.
[18] Bundeswehr-Comeback an vielen Standorten in BW? Diese 26 Areale sind betroffen, SWR, 28.10.2025.
[19] Bundeswehr bestätigt Prüfung der früheren US-Kaserne Patrick-Henry-Village in Heidelberg als Standort, tagesschau.de, 6.10.2025.
[20] Bundeswehr-Comeback an vielen Standorten in BW? Diese 26 Areale sind betroffen, SWR, 28.10.2025.
[21] Bundeswehr will MFG-5-Gelände in Kiel zurückkaufen: Was wir wissen – und was nicht, Kieler Nachrichten, 15.07.2025.
[22] Widerstand gegen Pläne der Bundeswehr für MFG-5-Gelände: „Lassen das nicht mit uns machen, Kieler Nachrichten, 18.10.2025.
[23] So Andreas Meyer für das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ auf der Demonstration am 18.10.2025. MFG5 Demo am 18.10.25, https://bezahlbar-wohnen.org, 20.10.2025.

