IMI-Analyse 2025/19 - in: AUSDRUCK (Juni 2025)
System of Systems
Wie die Lobbyarbeit der Rüstungsindustrie auf unterschiedlichen Ebenen wirkt und ineinandergreift
von: Philip Steeg | Veröffentlicht am: 6. Juni 2025
Wenn es um Anschaffung für die Bundeswehr geht, geht es immer auch um Geld – sehr viel Geld. Der Verteidigungshaushalt war mit rund 45 Mrd. € bereits vor der russischen Vollinvasion in die Ukraine nicht klein. Doch seitdem ist viel passiert. Mittlerweile liegen die Dimensionen jenseits der lang und leidig diskutierten zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes, also jenes Ausgabeziels, zu dem sich die NATO-Staaten 2014 verpflichtet hatten. Durch die Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse, beschlossen mit dem letzten Atemzug des scheidenden Bundestages, bekommt Verteidigungsminister Pistorius nahezu freie Hand in der Gestaltung seines Budgets.
Summen solchen ungekannten Ausmaßes wecken Begehrlichkeiten. Rüstungsfirmen, nicht nur aus Deutschland, wollen ihren Anteil haben. Wie aber wird entschieden, wofür das Geld ausgegeben wird? An welchen Stellschrauben muss gedreht werden, um den Auftrag ins eigene Haus zu holen? Wer sind die Entscheidungsträger*innen, die Hilfestellung leisten können? Die Rüstungslobby geht diesen Fragen nach. Oft undurchsichtig, selten Dinge dem Zufall überlassend, meist hinter verschlossenen Türen.
Einen seltenen Einblick in die Abläufe des Rüstungslobbyismus gibt eine Recherche von lnvestigativjournalist Christian Schweppe.[1] Er hatte Anfang 2023 aufgedeckt, wie Lockheed Martin sehr offensiv um die Gunst von Angeordneten warb. Im Abgeordnetenrestaurant des Bundestages gab es eine kostspielige „Informationsveranstaltung“ zu den Vorzügen des Kampfflugzeuges F35. Um die Zusammenhänge des Rüstungslobbyismus auch nur in Ansätzen transparent zu machen, wurden in der Recherche, die diesem Artikel zugrunde liegt, Lobbyregister durchforstet und Beteiligte befragt, wurden Gespräche geführt und Biographien erstellt.[2]
Der politische Machtzirkel
Dabei ist der Bundestag eine der letzten Stationen eines Rüstungsvorhabens. Erst in dem Moment, in dem die Verträge für eine Rüstungsbeschaffung mit einem Volumen von mehr als 25 Mio. € druckreif sind, dürfen die Mitglieder des Haushaltsausschusses entscheiden. Schon lange regt sich an dieser Praxis Kritik. Wissenschaftliche Berater des Wirtschaftsministeriums schreiben dazu: “Die Parlamentsschleife lädt zu Nachverhandlungen ein. Einzelne Mitglieder des Ausschusses können ihre Zustimmung von Bedingungen abhängig machen, die im Interesse ihres Wahlkreises liegen oder ihren politischen Präferenzen entsprechen.”[3] Aufgrund der Einbindung von Mitgliedern des Haushaltsausschusses kann mit Beschaffungsvorhaben also auch Industrie- und Wahlkreis-Politik betrieben werden. Und dies wird auch trotz aller Kritik in Zukunft möglich sein. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es in Bezug auf Verteidigungsausgaben: “Bestehende Parlamentsrechte bleiben erhalten”.[4] Und so lohnt es sich für Lobbyisten*innen auch weiterhin, an dieser Stelle zu versuchen, aktiv Einfluss zu nehmen.
Aber nicht nur Events in und um den Bundestag werden von Lobbyisten genutzt, um die Wünsche ihrer Auftrag- oder Arbeitgeber in den Ohren von Politiker*innen zu platzieren. Viele Interessengemeinschaften, oft organisiert als gemeinnützige und damit steuerlich privilegierte Vereine, haben in ihre Vorstände und Präsidien nicht nur Industrievertreter*innen, sondern auch aktive Politiker*innen und ehemalige Militärs bestellt. Zentrale Netzwerkvereine sind die deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V. (DWT) und der Förderkreis Deutsches Heer e.V. (FKH). In beiden sitzen Bundestagsabgeordneten in Vorständen und Präsidien neben CEOs von Rüstungsunternehmen, darunter z.B. Lockheed Martin.
Neben den Annäherungsversuchen gegenüber Abgeordneten gibt es hunderte Beispiele von ehemaligen Mitarbeiter*innen aus Büros von Abgeordneten oder Parteifunktionären, die in die Welt der “Government Relations” wechseln und so Rüstungsunternehmen dabei helfen, ihr Netz an Einflussmöglichkeiten zu spannen und weiter auszubauen. Dass die Mitarbeiter*innen von Abgeordneten für sie relevant sind, weiß die Industrie und lässt sich von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) dabei helfen, sie kennenzulernen. So wurde vor einigen Jahren bekannt, dass die DGAP insgesamt schon mindestens 350 Mitarbeitende von Bundestagsabgeordneten zu mehrtägigen Reisen zu Standorten der Rüstungsindustrie eingeladen hat. Wie bedeutend die DGAP für die Rüstungsindustrie ist, wird später noch einmal thematisiert.
Ähnlich wie die DWT oder auch der FKH gibt es viele weitere Beispiele für Netzwerkvereine, in denen Politik, Militär, Industrie und Berater zusammenfinden. Größere, repräsentative Verbände wie der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV) oder der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI) spielen beim Lobbying und Netzwerken eine ebenso wichtige Rolle wie kleinere Vereine wie das Anwenderforum für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung (AFCEA) e.V., die Interessengemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V. oder das Forum Luft- und Raumfahrt e. V.. In all diesen gemeinnützigen Vereinen kommen Personen aus Bundeswehr, Verteidigungsministerium und Verteidigungsindustrie zusammen. Sie bieten der Industrie die Möglichkeit, Politiker*innen und Regierungsmitarbeiter*innen aktiv zu beeinflussen.
Beratungsagenturen, Agenten der Industrie
Nicht alle Rüstungsunternehmen können oder wollen eigenes Personal für “Government Relations” vorhalten. Oft lohnt es sich, bei besonderen Fragestellung Expert*innen anzuheuern, beispielsweise, wenn das eigene Unternehmen einen Zugang zu einem ganz bestimmten Ansprechpartner sucht, zu dem es intern keine Verbindungen gibt. Hierfür gibt es mit Lobbyagenturen eine lebendige Dienstleistungsbranche. Durch sie wird Einflussnahme außerdem zu etwas Mittelbarem, von dem sich Unternehmen leichter distanzieren können. So musste Lockheed Martin sich im Beispiel von Christan Schweppe nicht allein auf einen Mitarbeiter eines Abgeordneten und seine Kontakte verlassen, sondern konnte über die Tochterfirma Sikorsky Aircraft Corporation auch auf die Brunswick Group zurückgreifen, um Einfluss zu gewinnen. Weltweit hat die Agentur 31 Personen, die sich mit der Rüstungsindustrie auseinandersetzen. Allein in Deutschland sind es vier mit unterschiedlichen Zugängen zu relevanten Personenkreisen. Zu ihnen gehört z.B. Manja Domack, die zuletzt “Senior Public Relations Manager” der Bundeswehr in Berlin war. Oder Tobias Wolf, der fast drei Jahre bei der CDU Abgeordneten Claudia Lücking-Michel gearbeitet hat. Ebenfalls dazu gehört Joachim Peter, der für zwei Jahre unter Karl-Theodor zu Guttenberg Leiter des Referats für strategische Kommunikation im Verteidigungsministerium war. Lockheed Martin hat der Brunswick Group mittlerweile den Rücken zugekehrt. Aber andere große Player aus der Rüstungsindustrie wie ThyssenKrupp Marine Systems oder Thales sind nach wie vor Kunden dort.
Nicht immer sind es große Agenturen, auf die zurückgegriffen wird. Manchmal reicht eine einzige Person aus, wenn es denn die Richtige ist. So hatte Lockheed Martin z.B. den Diplomingenieur Peter Stütz von Mitte 2023 bis Anfang 2024 beauftragt. Stütz ist als Einzelperson ins Lobbyregister des Bundestages eingetragen. Der Professor für Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr in München hatte außer Lockheed Martin nie einen anderen Kunden.
Behörden und Bundeswehr: Die „unsichtbaren“ Entscheider
Bevor ein Vertrag gezeichnet wird und der Haushaltsausschuss seine Zustimmung geben kann, hat das Projekt bereits hunderte Arbeitsschritte durchlaufen. Und bereits dort lohnt es sich aus der Perspektive der Lobbyisten, sehr nah dran zu sein. Die Arbeitsschritte zu verstehen und nachvollziehen zu können, ist unabdingbar, um festzustellen, an welchen Stellen im langwierigen, feingliedrigen und arbeitsteiligen Beschaffungsprozess Einflussnahme möglich ist oder sein könnte. Dabei spielt explizites und detailliertes Verständnis für die bürokratischen Vorgänge, Rechtsnormen, Verwaltungsvorschriften und Regelungen eine große Rolle.
Waffen und Wehrtechnik werden nicht von der Bundeswehr direkt gekauft, sondern durch die Beschaffungsbehörde, das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), das als obere Bundesbehörde unmittelbar dem Bundesverteidigungsministerium (BMVg) unterstellt ist. Das BAAINBw ist verantwortlich für die Bedarfsplanung und übernimmt für den Prozess der Beschaffung in der Regel die Projektleitung – mit seinen 6.800 Mitarbeiter*innen ist es eine überaus große Behörde: Beschaffungsprozesse sind strukturiert (siehe Grafik) und beziehen eine Vielzahl von Akteuren und anderen Dienststellen mit ein.
An all diesen Stellen im Prozess kann mit viel Fingerspitzengefühl und den richtigen Kontakten Lobbyismus betrieben werden. Wer bereits auf die Beschreibung einer „Fähigkeitslücke“ Einfluss nehmen kann, kann dafür sorgen, dass sie einem Produkt entspricht, das die eigene Firma anbieten kann. Wer Informationen über Maßstäbe hat, die bei der „Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“ angesetzt werden, kann sein Angebot entsprechend anpassen. Wer einen guten Kontakt zu den Verantwortlichen einer Wehrtechnischen Dienststelle hat, kann sich um eine schnellere „Genehmigung zur Nutzung“ bemühen. Ein guter Draht zu zeichnungsberechtigten Personen kann im Zweifelsfall genutzt werden, um einen Prozess aufzuhalten oder erneut prüfen zu lassen, falls Entwicklungen im eigenen Rüstungsunternehmen länger dauern, als zuvor angenommen wurde. Es gibt etliche Gründe, aufgrund derer es für die Industrie sinnvoll ist, eine große Nähe zum Prozess zu pflegen, lange bevor dieser auf die politische Ebene gehoben wird.
In unserer Recherche sind wir in diesem Zusammenhang auf die Firma Wimcom gestoßen, die nicht zufällig ihren Sitz in der Nähe von Koblenz hat, dem Sitz des BAAINBw. Ihr Geschäftsführer, Mathias Witt, bis 1997 selbst noch Offizier bei der Bundeswehr, nennt sein Modell “business to military” und gibt sich in einem Beitrag der Rhein-Zeitung selbstbewusst, dass die ca. 400 Kunden seiner Firma in den vergangenen elf Jahren durch die Beratung der Wimcom Umsatzsteigerungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro erzielt hätten.[5] 2014 gründete Witt die Wimcom zusammen mit seinem früheren Kollegen aus einem anderen Unternehmen für militärische Logistik-Dienstleistungen, Ulrich Krompaß, der Stabsoffizier im Logistikbereich beim Fernmeldebataillon 5 in Koblenz war. Ebenfalls an Bord ist der ehemalige Ministerialrat aus dem Verteidigungsministerium, Bernd-Ulrich von Wegerer. Er war ständiger Vertreter für Deutschland bei der EU und gab bereits zu Dienstzeiten bei der DWT Vorträge über die Ausgabenstrukturen der EU im Verteidigungsbereich. Im Juni 2021 schied er aus dem Amt. Im November wechselte er zur Wimcom. Außerdem Bernd Proelß, ehemaliger Referatsleiter im Bereich Rüstung/Nutzung des Verteidigungsministeriums und ehemals Teil der Führungsebene der NATO Helicopter Management Agency. Ein weiterer Kollege ist Wolfgang Richter, ehemals stellvertretender Stabschef für zivil-militärische Zusammenarbeit der NATO in Neapel, in seiner letzten Verwendung Beauftragter für Erziehung und Ausbildung des Generalinspekteurs der Bundeswehr und Stellvertreter des Kommandeurs Zentrum Innere Führung in Koblenz. Aus dem Dienst ausgeschieden im März 2019, bei der Wimcom seit Mai desselben Jahres. Ein Wechsel aus entsprechenden Führungspositionen muss dem scheidenden Arbeitgeber angezeigt werden. Im Zweifel kann er einen Wechsel unterbinden. Das Verteidigungsministerium hatte allerdings augenscheinlich gegen die Weiterverwendung des erworbenen Insiderwissens keine Einwände.
Geschäftsführer Witt, der sich als Türöffner für die Rüstungsindustrie versteht, ist außerdem stellvertretender Vorstand der DWT, in deren Präsidium auch Bundestagsmitglieder sitzen. Aber auch andere Zugänge stehen ihm offen. Die Wimcom durfte, soweit bekannt, als einzige Agentur am “Runden Tisch wehrtechnischer Mittelstand” im BMVg mit Verteidigungsminister Boris Pistorius teilnehmen. Dieses geballte Wissen im Bereich Logistik und Beschaffung aus der Bundeswehr-Führungsebenen wird nun nicht mehr für die Bundeswehr selbst eingesetzt, sondern von der Wimcom für zahlende Kunde*innen aus der Rüstungsindustrie. Die Firma ist damit ein Paradebeispiel dafür, dass nicht nur auf der politischen Ebene von Abgeordnet*innen und Politiker*innen ein Durchsatz in die Rüstungsbranche besteht, sondern auch auf militärischer oder funktionaler Ebene von Beamt*innen und Soldat*innen.
Wie Think Tanks und Medien subtil die öffentliche Meinung beeinflussen
Aber nicht nur im Kleinen, im technischen und bürokratischen oder in den Hinterzimmern des Bundestages gibt es Ansatzpunkte zur Einflussnahme durch die Rüstungsindustrie. Rüstungslobbyismus findet ebenso in der Öffentlichkeit und in den Medien statt.
Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie gilt vielen als der Inbegriff eines unabhängigen Think-Tanks. Die Expert:innen der DGAP werden häufig in Talkshows oder Podcast eingeladen und Medien zitieren gerne die Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen der DGAP. In ihrem Selbstbild schreibt die DGAP, sie “prägt als Forschungs- und Mitgliederorganisation die außenpolitische Debatte in Deutschland”. Ein Ziel der DGAP sei es, “die außenpolitische Kompetenz in Deutschland weiterzuentwickeln”. Doch die DGAP ist mindestens finanziell nicht unabhängig. In großem Maße finanziert sich die Organisation über Beiträge aus der Industrie, unter anderen auch der Rüstungsindustrie. Mitglieder oder Unterstützer des Förderkreises sind unter anderem Dynamit Nobel Defence, Hensoldt, Rolls-Royce, Diehl, Vincorion, Helsing, Airbus Defence And Space, Linde und Eurojet Turbo.
Und auch in Personalfragen ist die DGAP nicht gerade industriefern. Vizepräsident der DGAP ist Rolf Nikel, ehemaliger Diplomat und langjähriger Staatsdiener. Nun ist er Senior Advisor bei der Agora Strategy Group, die von Wolfgang Ischinger (Münchner Sicherheitskonferenz) gegründet wurde und im Zusammenhang mit Rüstungsgeschäften und Lobbying im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz steht. Wie der Spiegel 2022 berichtete, versuchte die Agora an Rüstungsgeschäften von Hensoldt mit Saudi-Arabien, Ägypten oder Libyen mitzuverdienen. [6] Im Vorstand der DGAP sitzt Benno Schwarz, Partner bei der Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher, die bereits Unternehmen wie CACI International und KBR, zwei große private military contractors (PMC) aus den USA vertreten hat.
Präsident der DGAP ist Thomas Enders. Er war CEO der EADS, heute Airbus, und verantwortete dort u.a. den Rüstungsbereich. Auch er hat nicht nur wissenschaftliche, sondern auch wirtschaftliche Interessen im Bereich Sicherheit und Verteidigung. Er ist auch Gründer der Firma “Monarch”, eines privaten Dienstleisters im Geheimdienstbereich. Neben anderen ehemaligen Ex-Geheimdienstlern aus britischen und US-amerikanischen Diensten oder dem Ex-BND Chef Gerhard Schindler findet man dort auch Prof. Dr. Peter Neumann. Den meisten Nachrichten-Konsument:innen dürfte Neumann als Terrorismus-Experte und Professor am King’s College bekannt sein. Er erklärt bei Lanz, Maischberger, oder im Podcast von Paul Ronzheimer die Bedrohungen der Welt. Während er also einerseits medial daran arbeitet, dass ein öffentliches Problembewusstsein entsteht, bietet er andererseits diskret Lösung für dasselbe Problem an. Seine Beteiligung an der Monarch wird in keinem seiner Interviews erwähnt. Ebenfalls an prominenter Stelle bei Monarch sitzt Cathryn Clüver Ashbrook, ehemalige Direktorin der DGAP. Auch sie ist vielen als Expertin im Bereich Sicherheit und Geopolitik bekannt, tritt bei Anne Will oder Maischberger auf. Ihre unternehmerische Tätigkeit kommt dort ebenso wenig zur Sprache wie bei Neumann.
Ein anderes medial bekanntes Experten-Gesicht ist das von Nico Lange. Lange Zeit Leiter des Kiew-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, gilt er als Ukraine-Experte. Derzeit ist er “Senior Fellow” bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Seit der russischen Invasion erklärt er als Experte für internationale Sicherheit deutschen Zuschauer*innen auf ntv, bei der Tagesschau oder im NDR-Podcast “Streitkräfte und Strategien” die Lage auf dem Schlachtfeld. Nie aber wird erwähnt, dass er Senior Advisor bei der Beratungsagentur Rasmussen Global ist, einer Agentur, die vom ehemaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen gegründet wurde. Der einzige im Transparenzregister der EU eingetragene Kunde von Rasmussen ist der norwegische Gaslieferant Equinor – seit dem Beginn des Krieges größter Gaslieferant Europas. Selbst auf Nico Langes privater Homepage findet seine Tätigkeit für Rasmussen keine Erwähnung.
Ein weiteres Gesicht in den Medien ist das von Hans-Lothar Domröse, der regelmäßig im Spiegel, bei Welt TV oder in der Bild erklärt, wie die Lage in der Ukraine ist und welche Waffen dort am dringendsten benötigt würden. Bei seinen Auftritten ist er stets der “ehemalige NATO-General”, aber auch er ist beratend für Rüstungsunternehmen tätig. So ist Domröse nicht nur direkter Auftragnehmer von General Atomics und dem britischen Konglomerat Serco, das umfangreiche Verträge mit dem britischen Verteidigungsministerium hat, sondern er ist ebenfalls für das Beratungsunternehmen Friedrich30 tätig, das seinerseits eine Reihe von Rüstungsfirmen (z.B. Atos Information Technology) berät. Ebenfalls als Senior Berater bei Friedrich30 ist der bereits erwähnte Gerhard Schindler, Mitbegründer von Monarch. Domröse ist zudem Berater bei der bereits erwähnten Agora Strategy Group von Wolfgang Ischinger.
Bei genauerer Betrachtung ist ein Teil der in den Medien gern zitierten Expert*innen also eng mit der Industrie und dem Rüstungslobbyismus verknüpft. All die genannten Personen verdienen im Bereich der Sicherheit und Verteidigung Geld. Das aber nicht nur durch wissenschaftliche oder Medienarbeit. Sie sind Teil von Unternehmen, die mit Dienstleistung Gewinne erwirtschaften. Transparent wird dies nicht gemacht, mögliche Interessenkonflikte in aller Regel nicht benannt.
Fazit: Demokratie und Transparenz als Gegengewicht
Der Einfluss der Rüstungslobby auf politische Entscheidungen in Deutschland ist kein Randphänomen, sondern ein strukturelles Problem. Ein engmaschiges Netzwerk aus Politik, Militär, Industrie, Think Tanks und Lobbyagenturen sorgt für privilegierte Zugänge zu Entscheidungsträger*innen – bei gleichzeitig mangelnder Transparenz. Besonders kritisch ist der systematische Wechsel von hochrangigen Beamt*innen, Militärs oder Politiker*innen mit Insiderwissen und prall gefüllten Telefonbüchern in die Rüstungsindustrie oder zu Lobbyagenturen. Dies führt zu Interessenkonflikten und untergräbt das Vertrauen in die politische Integrität. Die staatliche Förderung sicherheitspolitischer Think Tanks, die zugleich finanziell von der Industrie abhängig sind und ihr Personal aus eben dieser Industrie rekrutieren, verstärkt diese Problematik.
Die vielen Einzelteile, die kleinschrittigen, teilweise mühsam anmutenden Versuche der Einflussnahme müssen dabei nicht zentral aufeinander abgestimmt werden. Dennoch greifen unterschiedliche Systeme auf unterschiedlichen Ebenen mühelos ineinander, bilden ein System von Systemen und wirken bei der Beeinflussung von Bürokratie, Politik und Öffentlichkeit in eine gemeinsame Richtung.
Zwar wird Lobbyismus oft als legitimer Teil demokratischer Interessenvertretung dargestellt – doch wenn finanzstarke Akteure mit exklusivem Zugang und umfangreichen Ressourcen dominieren, droht eine deutliche Schlagseite im politischen Prozess. Gemeinwohlorientierte Stimmen bleiben außen vor. Notwendig sind deshalb verbindliche Regeln, um Seitenwechsel stärker zu regulieren, ein verbindliches, aussagekräftiges und strikt geführtes Lobbyregister, Verpflichtung von Amtsträgern auf allen Hierarchie-Ebenen zu weitreichender Transparenz sowie eine umfangreiche öffentliche Debatte über die Rolle militärischer und industrieller Interessen im demokratischen Gefüge.
Anmerkungen
[1] Christian Schweppe, Wie Lockheed im Reichstag speiste, Rüstungslobbyismus im Bundestag, The Pioneer, 20.12.2023.
[2] Teile davon finden sich auf der Greenpeace-Webseite: Wie Politik und Rüstungslobby Hand in Hand gehen.
[3] Thomas Wiegold, Wissenschaftliche Berater des Wirtschaftsministeriums fordern weniger Parlaments-Mitsprache bei der Rüstung, augengradeaus, 25.7.2023.
[4] Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 21. Legislaturperiode, S. 54.
[5] Dirk Eberz, Über Westerwälder Firma zur Goldgrube der Zeitenwende, Rhein-Zeitung, 4.4.2025
[6] Enthüllungen über Ischinger belasten die Münchner Sicherheitskonferenz, Spiegel, 19.2.2022. Sowie: Sven Becker, u.a., Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und seine diskreten Geschäfte mit den Mächtigen, Spiegel, 17.2.2022.