IMI-Standpunkt 2025/032

Süddeutsche Zeitung: „Durchdachtes Storytelling“ für die Rüstungsindustrie

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 3. Juni 2025

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Die Wiesbadener PR-Agentur Fink & Fuchs zählt „Defense Tech – Kommunikation für die Zeitenwende“ zu einem ihrer Schwerpunktthemen. „Die sicherheitspolitische Zeitenwende bringt Deutschland Milliardeninvestitionen“ und schaffe damit „eine neue Lage für eine Branche, die sich sonst wenig im allgemeinen Diskurs positioniert – und sich mit Vorbehalten konfrontiert sieht“. Vor diesem Hintergrund bietet sich die Agentur auf ihrer Homepage der Branche als „Partner für maßgeschneiderte, glaubwürdige und wirksame Kommunikation“ an und empfiehlt ihr: „Durchdachtes Storytelling zeigt Ihren Beitrag zur Sicherheit und zeigt Flagge gegen Vorurteile“.(1)

So weit, so schlecht – und so üblich. Das ist das Geschäftsmodell entsprechender Unternehmen. Zweifelhaft wird es aber, wenn ein Leitmedium wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) die von der Agentur vorgeschlagenen Narrative in einem journalistischen, namentlich gezeichneten Beitrag nahezu deckungsgleich und unwidersprochen übernimmt und dies als Berichterstattung verkauft. So geschehen ist dies in einem Beitrag mit dem programmatischen Titel „Raus aus der Schmuddelecke“ auf Seite eins der SZ vom 22. Mai 2025 (2). Die Überschrift ist Programm, Kernaussage des Beitrages lautet: Das Rüstungsgeschäft boomt, „[s]chwindelerregende Summen“ werden in die Branche „investiert“ und damit stelle sich die Frage: „Gehen die Menschen bei solchen Milliardensummen noch mit?“ Für die Antwort wird auf zwei Umfragen verwiesen, wonach einerseits „75 Prozent der Deutschen einen Ausbau der Verteidigung prinzipiell befürworten“, andererseits aber 80,9 Prozent der Befragten „gerne genauer wissen [würden], wie die Investitionen in Sicherheit und Verteidigung eingesetzt werden“. Entsprechend sei es nun an der Zeit, „mehr Vertrauen zu schaffen“, wird Alexandra Groß von Fink & Fuchs in der SZ indirekt zitiert und weiter: „Rüstungsunternehmen müssten sich daher ’sehr konkret überlegen, wie sie besser rüberkommen’“.

Das findet sich fast genau so als eine der fünf Kernbotschaften, welche die Agentur auf ihrer Homepage der Industrie vorschlägt: „Vertrauen aufbauen – Transparenz gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Wirtschaft ist der Schlüssel zur Akzeptanz Ihrer Lösungen“. Wie gesagt, hier wird immerhin ganz offen eine Vertreterin des PR-Unternehmens zitiert. An anderer Stelle des vermeintlich journalistischen Beitrags in der SZ tauchen die von der Agentur vorgeschlagenen Narrative etwas subtiler auf. „Fachkräfte gewinnen: Positionieren Sie sich als attraktiver Arbeitgeber im Wettbewerb um die besten Talente“, empfiehlt etwa die Agentur; im Artikel wird eher beiläufig eingeflochten: „die Branche investiert, baut ihre Produktion aus und stellt Tausende Menschen neu ein“. Ebenfalls eher wie ein Teil einer Imagekampagne wirkt eine weitere Passage des SZ-Artikels: „Sind Panzer jetzt die neuen Porsches? Sieht fast so aus.“

Natürlich kann man im Rahmen eines journalistischen Beitrages mal eine NGO oder auch ein Unternehmen porträtieren und dann auch deren jeweilige Kernbotschaften mehr oder weniger offen zitieren und wiedergeben. Wenn das zugleich mehr UND weniger offen geschieht, wird es vielleicht schon problematisch. Wenn es um ein Unternehmen geht, liegt der Verdacht der „Schleichwerbung“ vielleicht nahe. Wenn es sich um eine PR-Agentur handelt, die „Kommunikation für die Zeitenwende“ anbietet, dann stellt sich die Frage, wo eigentlich noch die Grenze zwischen Journalismus und bezahlter Aufrüstungs-PR verläuft!

So weit, so schlecht – und vielleicht so üblich, wenn auch oft weniger offensichtlich. Eine unangenehme Zuspitzung erfährt der hier diskutierte Fall, ein (vermeintlich) journalistischer Beitrag über die Rüstungsindustrie, der quasi durchgängig den Narrativen einer für die Rüstungsindustrie tätigen PR-Agentur folgt, an dem Punkt, der vermutlich das beschreibt, was auf der Homepage der Agentur als „vorausschauendes Issue Management“ angeboten wird. Abgesehen davon, dass die vagen dargebotenen Umfrageergebnisse eine hohe „Zustimmung in der Bevölkerung“ nur mit einiger Interpretations-Akrobatik hergeben, ist der folgende, zentrale Absatz des SZ-Artikels von besonderer Perfidie:

„Es ist längst nicht ausgemacht, dass die Zustimmung in der Bevölkerung so hoch bleiben wird. Fachleute rechnen mit größeren Desinformationskampagnen, um der Rüstungsindustrie zu schaden. Im vergangenen Jahr sollen Geheimdienste sogar ein von Russland geplantes Attentat auf den Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall vereitelt haben.“

Hier wird nicht die PR-Agentur zitiert. Hier holt der Autor des journalistischen Artikels selbst jenen Pfeil aus dem Köcher, der jeder legitimen Kritik an der Rüstungsindustrie im Sinne eines „vorausschauenden Issue Managements“ entgegengeschleudert werden kann – und vermutlich auch wird: Desinformation – und darin steckt der implizite Vorwurf, im Sinne einer feindlichen Macht zu agieren. Die „Desinformation“ wird dabei übergangslos in einen unmittelbaren Zusammenhang mit mörderischen, feindlichen Absichten gebracht: Das „von Russland geplante Attentat auf den Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall“. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass so etwas geplant war, es handelt sich jedoch bislang letztlich über ein von den Geheimdiensten lanciertes Gerücht, das keinen Faktenchecks jemals standhalten würde (wenn etwas „verhindert“ wurde, dann müsste es dazu z.B. auch ein Ermittlungsverfahren geben). Der Zusammenhang zwischen jeglicher – in fast allen Fällen legitimer Kritik an der Rüstungsindustrie (man denke nur an deren Klimabilanz) – und staatlich gelenkten Attentaten wird hier jedoch unmittelbar hergestellt und erscheint quasi alternativlos. Der ganze, relativ kurze Artikel gibt zwar in großer Breite das wieder, was eine KI aus der Schwerpunktseite der PR-Agentur zu Defense Tech zusammenfabuliert hätte, aber keiner anderen Perspektive auch nur irgendeinen Raum.

Aus einer Dreiviertelmehrheit, die einen „Ausbau der Verteidigung prinzipiell befürworten“ würde eine hohe „Zustimmung in der Bevölkerung“ für die Rüstungsindustrie zu zitieren, ist journalistisch vertretbar, aber grenzwertig. Alles andere in die Nähe von Desinformation zu rücken hingegen ist ein journalistischer Aktivismus, der sich von den explizit erklärten Strategien der PR-Kampagnen leider nicht mehr unterscheiden lässt. Gerade auch deshalb ist der SZ-Beitrag, der vielleicht nur in Nuancen journalistische Grenzen überschreitet, beispielhaft für die aktuelle Diskurssituation in Deutschland: Wer nicht für uns – und damit auch die steigenden Gewinne usw. der Rüstungsindustrie ist – ist gegen uns und Opfer der feindlichen Propaganda. Dass es sich um einen journalistisch fragwürdigen Artikel handelt, ist offensichtlich. Der Autor hat hier eine schlechte, durchschaubare Arbeit abgeliefert, die den Verdacht auf Korruption oder Vetternwirtschaft provoziert. Dass die Redaktion der Süddeutschen Zeitung den Artikel nicht nur annimmt, sondern auf der Titelseite druckt, sagt noch viel mehr über die Redaktion, den Zeitgeist und das aus, was beide miteinander – und offenbar mit der Arbeit von PR-Agenturen – verbindet.

Anmerkungen:

(1) https://finkfuchs.de/im-fokus/defense-tech/ (Stand 3. Juni 2025)

(2) Thomas Fromm: „Raus aus der Schmuddelecke“, Süddeutsche Zeitung vom 22. Mai 2025, Seite 1.