IMI Standpunkt 2025/031

Bewaffnete Zuckerhasen und die ideologische Rolle rückwärts

Ein Paradebeispiel für banalen Militarismus geht viral und gewährt Einblicke in tiefe menschliche Abgründe

von: Reza Schwarz | Veröffentlicht am: 30. Mai 2025

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Ich weiß ja nicht, ob ihr es mitbekommen habt, aber zu Ostern hab es hier in Tübingen Osterhasen, die Panzer gefahren sind und Kanonen in ihren Pfoten hielten. Sie bestanden zwar nur aus Sahne, Zucker und Wasser, hatten aber eine umso explosivere Bild- und Symbolsprache. Genau das machte sich Hermann Leimgruber, der Chef des Tübinger Traditionsunternehmens „Café Lieb“ zu Nutze, um kurz vor Ostern nochmal richtig die Kassen klingeln zu lassen. Er wollte den alten Menschen eine Freude damit machen, indem sie noch einmal solche Hasen, wie zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, in den Händen halten können. Das berichtete das Schwäbische Tagblatt Anfang April (siehe IMI Aktuell 2025/199).1

Angesichts der Tatsache, dass Nazi-Deutschland vor genau 80 Jahren zerschlagen werden musste, um nicht weiterhin ungehindert Millionen von Menschenleben systematisch auszulöschen und um seine imperialistischen Träume vom Großdeutschen Reich durchbrechen zu können, einfach nur ein extrem ekelhafter Marketinggag. Wir als Informationsstelle Militarisierung übten in einem SWR Interview, welches im Fernsehen ausgestrahlt wurde und ebenfalls auf Instagram und Facebook hochgeladen wurde, öffentlich Kritik. Ich sagte in dem Beitrag, dass es sich hierbei um die Normalisierung von Militärischer Gewalt handelt und sich hiermit auch über Betroffene von militärischen Konflikten lustig gemacht wird.2 Diese Meldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer innerhalb der deutschen und europäischen Medienlandschaft. Die Britische „Telegraph“ titelte sehr direkt und unverblümt „German bakery brings back Nazi-era Easter bunnies – Old-fashioned sugar treats depicting animals riding tanks and firing criticised for glorifying war and country’s past“3, die „Times“ ergänzten „A bakery in southwestern Germany has caused controversy by reviving the Nazi-era practice of selling Easter bunnies mounted on tanks.“4 Eine polnische Zeitung schrieb sinngemäß „Eine deutsche Bäckerei verkauft Süßigkeiten mit Kriegssymbolik – Deutsche machen sich Gedanken bezüglich Militarisierung.“5 Inwiefern diese Aussage mit einem ironischen Augenzwinkern betrachtet werden kann, möchte ich an dieser Stelle jedem und jeder selbst überlassen. Diese ganze Story schaffte es auch bis nach Russland in ein kremlnahes Medium, welchem ich jedoch hier keine Plattform geben möchte.

Ist ersmal auch irgendwie komisch. Weniger komisch waren aber manche Reaktionen in den Sozialen Medien. Die Kommentarspalten quollen regelrecht über… Viele sahen die bewaffneten Zuckerhasen kritisch und bezeichneten dies als Wiederbelebung von NS-Propaganda oder einfach nur „geschmacklos“ Andere wiederum sagten: „Willkommen in Deutschland, wo bewaffnete Zuckerhasen dein größtes Problem sind“. Es gab jedoch auch viele Hasskommentare, die mich persönlich angegriffen haben. Viele, vorzugsweise Männer beleidigten mich auf unterschiedliche Art und Weisen als „gepiercten Panzer“, „Problemfrisur“, „Beifahrer im eigenen Körper“, sagten „Man sieht ihnen ihre Meinung immer an“ oder drohten mir direkt mit körperlicher Gewalt.67

Noch ernster als das unterirdische Diskussionsniveau ist der Hintergrund des „Traditionsunternehmens“ im Nationalsozialismus selbst… Eine weitere schlimme Tatsache, die diese ganze geschmacklose Panzerhasen-Thematik in einen noch dunkleren Schatten rückt, ist, dass der Gründer und Vorinhaber des „Café Lieb“ namens Christian Lieb, 1937 den Betrieb und das Haus der jüdischen Familie Max und Sofie Löwenstein für sehr wenig Geld aufkaufte.8 Die Löwensteins hatten, wie einige jüdische Familien zu dieser Zeit, eine Viehhandlung und wurden durch die Nationalsozialisten jahrelang bei der Vergabe von Gesundheitszeugnissen für ihre Tiere drangsaliert. Sie versuchten auch systematisch den Ruf des Betriebs durch falsche Seuchenverdächtigungen zu zerstören. Die Bauern kauften schließlich aus Angst vor Denunziation bald nur noch heimlich bei diesem Betrieb ein. 1937 mussten die Löwensteins ihr Geschäft dann endgültig aufgeben und eben im Zuge der Arisierung damals an den Konditoreimeister Christian Lieb verkaufen. 1942 wurde die ganze Familie nach und nach in die KZs Theresienstadt und Auschwitz deportiert. Die ganze Familie wurde vom NS-Regime ausgelöscht…9

So kann also durchaus der Vorwurf erhoben werden, dass das „Traditionsunternehmen Café Lieb“, einen bedeutenden Teil seiner Erfolgsgeschichte auf dem Rücken jüdischer Menschen aufgebaut hat, die von Nazideutschland erst systematisch antisemitisch diskriminiert und anschließend ermordet wurden. Also eigentlich nicht wirklich anders als eine Vielzahl anderer „traditionsreicher“ deutscher Unternehmen, die ihren Profit durch beispielsweise Zwangsarbeiter*innen sicherstellten.10 Kurz vor dem 80. Jahrestag der Befreiung vom NS-Regime, wahrscheinlich im Wissen seitens der Geschäftsführung über diesen düsteren Teil der Firmengeschichte, zu Ostern Gußformen aus dem Zweiten Weltkrieg auszupacken und mit panzerfahrenden Osterhasen gezielt Rage-Bait-Content zu produzieren, anstatt diese z.B. einem Museum zur Verfügung zu stellen. Das „Habt euch mal nicht so, das ist Teil unserer Geschichte“-Statement hat nichts mit Verantwortungsübernahme zu tun. Dieses Verhalten ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Trotzdem oder vielleicht genau deshalb möchte das Café Lieb nächstes Jahr wieder diese Aktion durchführen und stellt bezüglich der geäußerten Kritik auf Durchzug… Na dann: Guten Appetit!

Anmerkungen

1 Schumacher, Jonas Tim: Warum eine Tübinger Bäckerei Zuckerhasen mit Panzermotiv herstellt, Südwest Presse swp.de, 07.04.2025 (letzter Abruf: 23.05.2025)

2 Krampfl, Theresa & Süre, Necla: Ostern mit Kriegsmotiven – Diese Zuckerhasen verkauft eine Tübinger Bäckerei, SWR Aktuell, swr.de, 15.04.2025 (letzter Abruf: 23.05.2025)

3 Rothwell, James: German bakery brings back Nazi-era easter bunnies, The Telegraph, archive.ph, 16.04.2025

4 Crossland, David: German bakery revives tank-riding Ester bunnies from Nazi era, The Times, archive.ph, 16.04.2025

5 Zajączek wielkanocny na czołgu. Po akcji lokalnej piekarni Niemcy dyskutują o wojnie, Gazeta Prawna, gazetaprawna.pl, 20.04.2025 (letzter Abruf: 23.05.2025)

6 Instagram Account von SWR Aktuell „swraktuell“. 15.04.2025. Reel. instagram.com

7 Facebook Account von „SWR Aktuell“. 15.04.2025. Video facebook.com

8 Proveana Datenbank Provenienzforschung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste „Die Familie Max Löwenstein“ proveana.de (letzter Abruf: 23.05.2025)

9 Tübingen Universitätsstadt „Geschichte der Juden – Tübinger Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens“ tuebingen.de (letzter Abruf: 23.05.2025)

10 Zwangsarbeit 1939 – 1945 Erinnerungen und Geschichte „Die nationalsozialistische Zwangsarbeit – Hintergrundinformationen“ zwangsarbeit-archiv.de (letzter Abruf: 23.05.2025)