Europa versucht sich immer offensichtlicher nicht nur gegen China und Russland, sondern zunehmend auch gegen die USA in Stellung zu bringen. Anfang März gab die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die Richtung vor, als sie kurz nach dem Streit zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij angab: „Heute wurde klar, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht. Es liegt an uns Europäern, diese Herausforderung anzunehmen.“
Für den stets mit der Nase tief im Zeitgeist steckenden Politikprofessor Herfried Münkler erfordere dies eine Stärkung der EU-Großmächte, um künftig „besser“ durchregieren zu können. Im Tagesspiegel-Interview (via Bpb-Newsletter) forderte er: „Europa muss handlungsfähig werden und dafür müssen einige Regeln geändert werden. Zum Beispiel das Einstimmigkeitsprinzip, das von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seit Längerem schon als Vetomacht ausgenutzt wird. […] Es geht darum, das Zentrum zu stärken. […] In der jetzt sich entwickelnden machtbasierten Ordnung gibt es die Zeit nicht mehr, um monatelang nach innereuropäischen Kompromissen zu suchen.“
Und wer sitzt so im Zentrum der Union – genau. Dass Deutschland sich zur EU-Führungsmacht aufschwingen soll, wird zwar auch hierzulande seit mindestens zehn Jahren recht offen gefordert (siehe IMI-Studie 2015/02), sich dafür aber ausländischer Lautsprecher zu bedienen, ist natürlich irgendwie schicker. So breitet sich zum Beispiel der bekannte Neokonservative Robert Kagan bei Zeit Online (via Bpb-Newsletter) ausführlich über die Notwendigkeiten deutscher Führung aus: „Deutschland ist in vielerlei Hinsicht das größte und wichtigste Land in Europa. Es kann in diesem Moment die Führung übernehmen. […] Ich glaube, dass Deutschland nun Anführer der freien Welt ist. Dazu haben sie die Machtpotenziale, ökonomisch, diplomatisch und militärisch, wenn sie denn wollen. […] Ich verstehe, dass die Deutschen zögern, diese Rolle als Militärmacht und Führungsnation anzunehmen und auszufüllen. Es ist aus historischen Gründen nachvollziehbar. Ich denke, dass es für Deutschland als europäische Macht wichtig ist, ihrer Rolle gerecht zu werden und Europa zusammenzuhalten. Damit Europa den weiteren aggressiven und neoimperialen Ambitionen Putins adäquat entgegentreten kann.“ (jw)