IMI-Standpunkt 2025/015

Ukraine-Resolutionen zum Jahrestag

Zwischen Prinzipien und Realismus

von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 27. Februar 2025

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Die verschiedenen Abstimmungen im UN-Sicherheitsrat und der Generalversammlung zum Ukrainekrieg am dritten Jahrestag des russischen Angriffs hätte in deutschen Medien mehr Berichterstattung und Analyse verdient. Die kurze Zusammenfassung in einem insgesamt kurzen Bericht bei tagesschau.de lautete etwa folgendermaßen:

„Der UN-Sicherheitsrat nahm am späten Abend eine russlandfreundliche US-Resolution an. Stunden zuvor hatte die UN-Vollversammlung eine russlandkritische Resolution verabschiedet.“

Insgesamt wurde an jenem – eigentlich denkwürdigen – Tag über zwei Resolutionen in der Generalversammlung abgestimmt. Eine sehr knappe („russlandfreundliche“) war von den USA eingebracht worden, verweist auf die Rolle der UN zur Erhaltung des internationalen Friedens,  „beschwört“ („implores“) ein Ende des Konfliktes und drängt auf einen anhaltenden Frieden zwischen Russland und der Ukraine. Eine andere Resolution war von der Ukraine und zahlreichen weiteren Staaten (darunter auch Ungarn) eingebracht worden, benannte Russland klar als Aggressor, forderte den vollständigen Rückzug der russischen Truppen und bekannte sich klar zu den Prinzipien des Völkerrechts, darunter die Souveränität und die Territoriale Integrität.

Nachdem auch dem US-amerikanischen Entwurf ein Zusatz hinzugefügt wurde, der Russland als Aggressor benannte, wurde letztlich beiden Resolutionen zugestimmt. Beide Resolutionen erhielten jeweils 93 Ja-Stimmen. Der wesentliche Unterschied im Abstimmungsverhalten bestand in den Ablehnungen und Enthaltungen und fiel dabei mit einer Differenz von zehn bzw. acht Staaten ebenfalls recht gering aus. Jeweils 93 Staaten bekannten sich also einerseits zu den Prinzipien des Völkerrechts – welche einen Abzug der russischen Truppen natürlich einfordern – sowie dazu, dass – quasi um jeden Preis – Frieden geschaffen werden müsse. Russland stimmte in beiden Fällen mit Nein und hatte dabei jeweils einige seiner engsten Verbündeten (Belarus, Nordkorea, Mali, Burkina Faso) auf seiner Seite. Dem ursprünglichen Entwurf der USA hätten Russland und seine Verbündeten vermutlich zugestimmt. Ob sich die europäischen Unterstützer der Ukraine dann enthalten oder abgelehnt hätten, wäre eine spannende Frage…

Die USA haben sich bei der Abstimmung über den geänderten US-amerikanischen Entwurf letztlich enthalten und gegen den weitergehenden Entwurf der Ukraine und weiterer Staaten gestimmt. Israel hat sich ebenso verhalten. China hat sich in beiden Abstimmungen enthalten, Deutschland beiden Resolutionen zugestimmt. Immerhin ist jedoch bemerkenswert, dass das Abstimmungsverhalten der Supermacht USA in der Generalversammlung recht wenige Nachahmer gefunden hat.

Dass sich die Generalversammlung bei nur 8 bzw. 18 Gegenstimmen sowohl zu den Prinzipien des Völkerrechts bekannt hat, als auch – quasi ohne Vorbedingungen – zu einem Frieden in der Ukraine, könnte zunächst einmal positiv bewertet werden. Denn schließlich haben deren Resolutionen primär symbolische Bedeutung und Frieden und Völkerrecht sind eigentlich die gemeinsame Wertegrundlage des Gremiums. Dass es 72 bzw. 65 Enthaltungen gab, trübt allerdings diese Bewertung und unterstreicht, wie diese Prinzipien nicht nur von den Großmächten, sondern auch deren treuesten Verbündeten relativiert und internationalen Machtspielchen unterworfen werden.

Der UN-Sicherheitsrat hingegen funktioniert anders. Zwar werden auch hier gerne die Prinzipien des Völkerrechts beschworen, es dominiert jedoch viel mehr die Realpolitik. Hier brachten die USA denselben Entwurf ein, welchen sie auch in der Generalversammlung zur Abstimmung stellen wollten. Vorgeschlagene Änderungen sowohl Russlands als auch der temporären und permanenten europäischen Mitgliedsstaaten konnten hier – u.a. durch das Vetorecht letzterer – unterbunden werden. So kam letztlich der ursprüngliche, „russlandfreundliche“ Entwurf zur Abstimmung, der ohne Schuldzuweisung und Bekenntnis zur Territorialen Integrität einfach nur „den Weg zum Frieden“ (so der Titel) einschlagen soll.

Hier wurde diese Resolution bei fünf Enthaltungen einstimmig angenommen. Russland, China und die USA stimmten gemeinsam für den Entwurf, ebenso wie alle temporären nicht-europäischen Mitgliedsstaaten. Die fünf Enthaltungen kamen ausschließlich aus den europäischen Mitgliedsstaaten (Frankreich, UK, Dänemark, Griechenland und Slowenien).

Selbst wenn auch diese sehr kurze, von den USA eingebrachte Resolution letztlich keine unmittelbaren Folgen haben wird, so mag sie durchaus symptomatisch sein für die neu aufkeimende Weltordnung. Die Weltmächte USA, Russland und China fordern gemeinsam Frieden für ein Land, das von einem von ihnen angegriffen wurde. Es verdeutlicht auch das europäische Dilemma. Zumindest einige europäische Staaten hätten die Resolution vermutlich lieber abgelehnt, damit aber offenbart: Sie wollen einen Krieg weiterführen – den sie alleine gar nicht führen können. Aus beidem zusammen – der Einigkeit der großen Mächte und der Impotenz der europäischen Staaten demgegenüber – ergibt sich zynischer Weise eine Perspektive für Frieden.

Hätte man in Deutschland und Europa bereits vor dem Kurswechsel der USA diplomatische Initiativen ergriffen, anstatt sich an der Seite der USA in einen Krieg ohne realistische Perspektive zu stürzen, wäre dieser Friede womöglich früher möglich gewesen und den europäischen Mächten wäre das aktuelle Dilemma vielleicht erspart geblieben.